Klimafunktionen 1992

Methode

Ein wesentliches Problem bei der Definition klimatisch begründeter Ziele und Methoden besteht darin, daß konkrete Grenz- und Richtwerte etwa in einer der Technischen Anleitung-(TA-)Luft vergleichbaren Verordnung zur Bewertung nicht herangezogen werden können. Die Kommission “Reinhaltung der Luft” des Vereins Deutscher Ingenieure und des Deutschen Instituts für Normung arbeitet zwar an einer Richtlinie über die Erstellung von Klima- und Lufthygienekarten auch für städtische Räume, ihr Erscheinen ist jedoch frühestens 1994 zu erwarten.

Es war daher notwendig, für die Karte der Klimafunktionen eigene Kriterien und Ziele zu definieren. Die Leitlinien der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (1989) geben dafür einen groben Rahmen vor, indem sie als Idealzustand ein Stadtklima anstreben, das weitgehend frei von Schadstoffen ist und den Stadtbewohnern eine möglichst große Vielfalt an Atmosphärenzuständen unter Vermeidung von Extremen bietet.

Grundlage vorhandener Klimafunktionskarten (z. B. Stadtdirektor der Stadt Münster 1992, Nachbarschaftsverband Stuttgart 1992, Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) 1992) ist die Bestimmung sogenannter Klimatope, räumlicher Einheiten, die wesentlich durch die Faktoren Relief und Nutzung bestimmt sind und deren Mikroklima als relativ homogen angenommen wird. Die Synthetische Klimafunktionskarte Ruhrgebiet, Teil Dortmund des KVR etwa definiert für den städtischen Bereich ein Villen-, Stadtrand-, Stadt-, Innenstadt-, City-, Industrie- und Gewerbeklima. Ihre Erfassung läßt sich relativ leicht für große Räume über die Interpretation von Wärmebildern der Oberflächentemperaturen, topographischen Karten und Flächennutzungserhebungen umsetzen. Auf der Basis dieser Klimatope werden klimatische Funktionsbereiche ausgegrenzt und Planungshinweise erarbeitet.

In der vorliegenden Karte wird ein Ansatz verfolgt, der sich wesentlich stärker auf die Messungen von Klimaparametern stützt und auch weitere Kriterien, wie Flächengröße, Lage der Fläche im Stadtgebiet bzw. Umland sowie die Wechselwirkungen der Flächen untereinander berücksichtigt. Im Ergebnis wäre somit z. B. dieselbe Fläche im innerstädtischen Belastungsgebiet anders zu beurteilen als bei Lage am Stadtrand, da die Einflußfaktoren auf die Fläche bzw. der Einfluß, den die Fläche auf andere ausübt, sehr unterschiedlich sein können. Im Falle einer nur auf Strukturtypen bezogenen Bewertung würde es sich dagegen in beiden Fällen um eine einheitliche Bewertung (z. B. Typ “Villenklima”) handeln.

Die so abzugrenzenden Funktionsräume sollten Aussagen darüber liefern, in welchen Gebieten

  • einerseits ein Potential zur Entlastung anderer (angrenzender und auch weiter entfernter) Räume vorhanden ist (Bereiche 1a und 1b) und
  • andererseits über den großräumigen Einfluß hinaus die stärksten Zusatzbelastungen zu erwarten sind (Bereiche 4a und 4b).

Zwischen diesen beiden Polen wurden Räume definiert,

  • in denen die klimatischen Bedingungen günstig sind, d. h. keine klimatische Belastung vorliegt (Entlasteter Bereich 2)
  • die in ihren Strukturen und Funktionen Übergänge zwischen den belasteten und entlasteten Bereichen darstellen (Bereich 3).

Außerdem sollten Flächen gekennzeichnet werden, die bevorzugt als Luftaustauschbereiche anzunehmen sind, d.h. eine wichtige Rolle für den bodennahen Frischlufttransport spielen.

Für diese klimatischen Funktionsbereiche wurde die Empfindlichkeit gegenüber Nutzungsintensivierungen abgeschätzt. Diese Empfindlichkeit wurde als hoch bewertet, wenn eine Nutzungsintensivierung eine Neueinstufung in einen ungünstigeren Funktionsbereich wahrscheinlich werden ließe. Unter Nutzungsintensivierung wird eine Erhöhung des bebauten gegenüber dem unbebauten Flächenanteil verstanden. “Hierzu zählen die Umwandlung der natürlichen Bodenoberfläche in einen überwiegend aus künstlichen Materialien bestehenden und dreidimensional gestalteten Raum, die Reduzierung der mit Vegetation bedeckten Oberfläche sowie die Beeinflussung durch technische Einrichtungen, die Abwärme und Schadstoffemissionen verursachen” (Kuttler 1993).

Die wichtigsten Ausgleichswirkungen gehen von den Entlastungsbereichen aus. Ihr geringer Versiegelungsgrad (< 20 %) und hoher Vegetationsanteil ermöglichen eine niedrige Mitteltemperatur sowie hohe Abkühlungsraten in den Abend- und Nachtstunden, so daß diese Flächen als Kaltluftenstehungsgebiete wirken. Die Wind- und Austauschverhältnisse können über offenen Flächen tagsüber als sehr gut gelten, verschlechtern sich aber in baumbestandenen Parkanlagen und besonders in Wäldern rapide. Vor allem nachts entstehen – besonders in Abhängigkeit vom Anteil offener Flächen – durch die Stabilisierung der bodennahen Luftschicht zeitweise hohe Immissionsgefährdungen, was besonders im Einflußbereich von Emittenten zu einer wesentlichen Minderung des klimatischen Ausgleichspotentials dieser Flächen führen kann.

Als klimatische Entlastungsbereiche 1a wurden alle Freiflächen definiert, die innerhalb der Belastungsgebiete 4a/4b liegen oder direkt an diese angrenzen. Die Flächen stehen räumlich in direktem Bezug zu dicht bebauten Gebieten und stellen in ihrer Funktion als Kaltluftentstehungsgebiete ein wesentliches Potential zur Entlastung dieser Siedlungsräume dar. Inwieweit dieses Potential auf der Einzelfläche zum Tragen kommt, kann nur durch detaillierte Untersuchungen geklärt werden. Neben der Flächengröße und -geometrie spielen vor allem die Randstrukturen der Fläche bzw. der Umgebungsbebauung eine wichtige Rolle. Von Stülpnagel (1987) gibt als Orientierungsmaß für eine größere Außenwirkung eine Flächengröße von ca. 10 ha an, stellt jedoch heraus, daß auch kleinere Flächen bei geeigneten örtlichen Bedingungen Ausgleichsfunktionen wahrnehmen können.

Für die Flächen des Bereiches 1a gilt die höchste Empfindlichkeit gegenüber Bebauung und Versiegelung; sie sind im Gegenteil in ihrer Funktion nachhaltig zu unterstützen, d.h. vor allem durch Vermeidung jeglicher Schadstoffemissionen innerhalb dieser Flächen.

Die Flächen des Bereiches 1b sind am Stadtrand und im Umland gelegene Freiräume. Sie liegen damit zwar nicht in direkter Nachbarschaft zu den Belastungsgebieten, üben aber aufgrund ihrer Großflächigkeit ebenfalls eine wichtige Entlastungsfunktion aus. Hier besteht größtenteils eine hohe Empfindlichkeit gegenüber nutzungsintensivierenden Eingriffen. Gerade die Großflächigkeit und größtenteils bis an den Stadtrand reichende Ausdehnung dieser Gebiete ist für den Erhalt ihrer Funktion von entscheidender Bedeutung.

Von diesen Flächen zu unterscheiden sind bebaute Gebiete, die zwar wesentlich von der Entlastungsfunktion der 1b-Flächen profitieren, jedoch durch ihren Bebauungs- und Versiegelungsgrad im Durchschnitt höhere Temperaturmittel und geringere Abkühlungsraten als die Entlastungsbereiche selber zeigen. Aufgrund dieser noch günstigen klimatischen Struktur bietet der Entlastete Bereich (Bereich 2) von allen Funktionsräumen am ehesten ein Potential zur baulichen Verdichtung. Nach derzeitigen Erkenntnissen würde eine behutsame Verdichtung dieser Flächen keine Neueinstufung in einen klimatisch ungünstigeren Bereich zur Folge haben. In welchen Größenordnungen im einzelnen die Grenzen für eine bauliche Verdichtung liegen, kann pauschal nicht angegeben werden; in jedem Falle sind am Ort selbst die Möglichkeiten zu überprüfen, mit Maßnahmen wie Dach- oder Fassadenbegrünung negative klimatische Effekte zu kompensieren.

Der klimatische Übergangsbereich (Bereich 3) umfaßt Flächen sehr heterogener Nutzungen mit unterschiedlichen Versiegelungsgraden und Vegetationsanteilen; entsprechend differieren die Klimaparameter zwischen den Werten des Bereiches 2 und des Belastungsbereiches 4a.

In der Karte der Stadtklimatischen Zonen (Karte 04.05, SenStadtUm 1993e) entspricht der Übergangsbereich in weiten Teilen der Klimazone 3, d. h. mäßiger stadtklimatischer Veränderung. In den Gebieten direkter Nachbarschaft und damit unmittelbarer Wechselwirkung mit entlasteten (Bereich 2) oder belasteten (Bereiche 4a/4b) Stadträumen liegt eine hohe Empfindlichkeit gegenüber nutzungsintensivierenden Eingriffen vor, da bei einer baulichen Verdichtung eine klimatisch ungünstige Auswirkung auf diese Wechselwirkungsfunktion zu erwarten ist. Die genaue Abgrenzung der Empfindlichkeitsbereiche setzt jedoch weitergehende Untersuchungen voraus.

Als Belastungsbereiche wurden Gebiete hohen Versiegelungs- (> 60 %) und Überbauungsgrades (zumeist > 50 %) ausgewiesen, in denen Messungen hohe Mitteltemperaturen, eine geringe Abkühlung in den Abend- und Nachtstunden sowie eine hohe Schwülegefährdung ergaben. Die z. T. schlechten Wind- und Austauschverhältnisse führen lokal zu hohen Immissionsbelastungen (vgl. Karte 04.03, SenStadtUm 1994).

Je nach Stärke der klimatisch negativ zu beurteilenden Veränderungen wird der Belastungsbereich in Gebiete mit hoher Empfindlichkeit gegenüber nutzungsintensivierenden Eingriffen (Bereich 4a) und Gebiete mit sehr hoher Empfindlichkeit und dringender Notwendigkeit zur Umsetzung geeigneter Sanierungsmaßnahmen eingeteilt (Bereich 4b). Hier sind alle, auch kleinste Freiflächen zu erhalten.

Der Nachweis lokaler bzw. regionaler Windsysteme mit Funktion für den Luftaustausch zwischen Grün- und bebauten Flächen (Flurwindeffekt) bzw. dem Umland und der Innenstadt gelingt in der Regel nicht ohne aufwendige gezielte Messungen im Gelände oder im Modellversuch. In der vorliegenden Karte werden daher einerseits Gebiete ausgewiesen, die aufgrund ihrer Struktur bevorzugte Flächen für den bodennahen Frischlufttransport darstellen bzw. daraufhin zu überprüfen sind. Kriterien für ihre Eignung sind vor allem eine geringe Rauhigkeit der Oberfläche, eine ausreichende Breite (möglichst mehr als das 10-fache der Höhe der umgebenden Randstrukturen) sowie überwiegend schwache Immissionsbelastungen (Kuttler 1993, Mayer und Matzarakis 1992). Gute Luftleitbahnen werden daher z. B. durch breite Flußläufe, Bahntrassen und Grünzüge mit niedriger Vegetation gebildet. Andererseits wird ein kleinräumiger Luftaustausch zwischen Ausgleichs- und Belastungsräumen für Freiräume innerhalb oder in direkter Nachbarschaft zu den Bereichen 4a und 4b dargestellt. Hier sind Flurwindströmungen aufgrund des großen Temperaturgradienten zu den überwärmten Nachbarbebauungen während austauscharmer Strahlungswetterlagen bevorzugt zu erwarten. Die Reichweite der Entlastungswirkungen oder die Existenz möglicher Austauschhindernisse kann jedoch nur durch genauere Untersuchungen im Nahbereich oder Modellversuche festgestellt werden.

Für Berlin liegen erste modellhafte Untersuchungen zu Flurwindeffekten inzwischen durch das BMFT-Vorhaben “Wirkung regionaler Klimaänderungen in urbanen Ballungsräumen am Beispiel Berlin” vor (Wagner 1993). Hier wurden für ein 7 × 7 km2 großes Gebiet im Innenstadtbereich Temperatur und Strömungen auf der Grundlage verschiedener Landnutzungsparameter simuliert. Abbildung 1 zeigt eine Sommersimulation, die mit den für diese Jahreszeit typischen Randwerten angetrieben wurde: In den Grünflächen Großer Tiergarten und Volkspark Rehberge liegen die Temperaturen deutlich niedriger als in den aufgeheizten stark versiegelten Gebieten. Im Bereich der Grünflächen zeigt sich auch eine Beschleunigung der Strömung, während diese in den dicht bebauten Gebieten aufgrund der Reibung reduziert ist. Der damit einhergehende erhöhte Luftaustausch ist im Hinblick auf die lufthygienische Situation in Berlin von Bedeutung.

Abb. 1: Simulation des Temperatur- und Windfeldes in 10 m Höhe im Innenstadtbereich von Berlin während einer sommerlichen Strahlungswetterlage um 14.00 Uhr MEZ unter Berücksichtigung der heutigen Flächennutzung. Initialisierung des Modells mit Wind aus West mit 3m/s

Abb. 1: Simulation des Temperatur- und Windfeldes in 10 m Höhe im Innenstadtbereich von Berlin während einer sommerlichen Strahlungswetterlage um 14.00 Uhr MEZ unter Berücksichtigung der heutigen Flächennutzung. Initialisierung des Modells mit Wind aus West mit 3m/s

Auf der Basis der Funktionsräume ergeben sich die aus klimatischen Gründen notwendigen Maßnahmen, um die lokal vorhandenen Belastungen zu minimieren, die vorhandenen klimatisch günstigen Räume zu erhalten und den Luftaustausch zwischen belasteten und ausgleichend wirkenden Räumen zu optimieren.