Klimawandel und Wärmebelastung der Zukunft 2008

Datengrundlage

Das Stadtbioklimamodell UBIKLIM

Die Atmosphäre und damit das Klima ist ein Teil der Umwelt, mit der sich der menschliche Organismus dauernd auseinandersetzen muss, um das Gleichgewicht seiner Lebensfunktionen und damit seine Gesundheit zu erhalten. Die dabei geforderte Anpassungsleistung lässt sich über Wärmehaushaltsmodelle des Menschen (VDI 1998) berechnen, wodurch der Zusammenhang zwischen Mensch und Atmosphäre objektiv, qualitativ und quantitativ erfasst wird. Dabei sind neben der Lufttemperatur ebenso Wind, Feuchte und Strahlungsverhältnisse sowie auch die Aktivität und Bekleidung des Menschen zu berücksichtigen. Der Deutsche Wetterdienst nutzt das Klima-Michel-Modell (Jendritzky et al., 1990). Es basiert auf der Behaglichkeitsgleichung von Fanger (1972) inkl. einer Korrektur nach Gagge et al. (1986) zur besseren Erfassung feucht-warmer Bedingungen, verknüpft alle für den menschlichen Wärmehaushalt relevanten Größen und liefert eine Aussage über das durchschnittliche subjektive Empfinden des Menschen (Behaglichkeit, Wärmebelastung, Kältestress). Der Name “Michel” weist auf den Durchschnittsmenschen hin (hier: männlich, 35 Jahre alt, 1,75 m groß, 75kg schwer).

Zur Beschreibung des thermischen Empfindens dient die Gefühlte Temperatur (Staiger et al., 1997) in der Einheit °C. Sie vergleicht die tatsächlich vorgefundenen Bedingungen mit der Temperatur, die in einer Standardumgebung herrschen müsste, um ein identisches Wärme-, Behaglichkeits- oder Kaltgefühl zu haben. Die Bekleidung wird zwischen sommerlich leichter und winterlich dicker stets so variiert, dass sich der Mensch möglichst behaglich fühlt. In Tabelle 1 sind die Gefühlten Temperaturen dem thermischen Empfinden des Menschen sowie den jeweiligen Belastungsstufen zugeordnet.

 Tab. 1: Beziehung zwischen Gefühlter Temperatur, Thermischem Empfinden und Belastungsstufen

Tab. 1: Beziehung zwischen Gefühlter Temperatur, Thermischem Empfinden und Belastungsstufen

Da die Anpassungsmöglichkeiten unter warmen bzw. heißen Bedingungen eher begrenzt sind und eine Entlastung sich nur durch Ausweichen in eine kühlere Umgebung (im Extremfall in klimatisierte Räume) realisieren lässt, es außerdem in Städten gegenüber dem Umland zu einer Zunahme von Wärmebelastung kommt, besitzt der Wärme- bzw. Hitzbelastungsanteil des Bioklimas bei Fragen des menschlichen Wohlbefindens, u.U. auch mit gesundheitlicher Relevanz, eine besondere Bedeutung.

UBIKLIM nutzt das erwähnte Klima-Michel-Verfahren und ermöglicht die lokalen Unterschiede im Bioklima zu erfassen und gemäß Richtlinie 3787 Blatt 2 (VDI 2008) über die Gefühlte Temperatur zu bewerten.

Um einen Bezug nicht nur zur lokalen städtischen Situation, sondern auch zum regionalen Bioklima herzustellen, auf dessen Grundlage dann auch die Verknüpfung zu den Klimaszenarien der Zukunft hergestellt werden kann, war die Erweiterung des Stadtbioklimamodells zu einem “Kombinierten Stadtbioklimamodell” erforderlich (vgl. weitere Erläuterungen im Kapitel Methode).

Verwendung von Landnutzungsdaten

Die Anwendung von Simulationsmodellen erfordert eine über das eigentliche Untersuchungsgebiet hinausgehende räumliche Erfassung der Grundlagendaten und meteorologischen Randbedingungen. Daher untergliederte sich das Untersuchungsgebiet in das etwa 890 km² große Stadtgebiet von Berlin sowie einen rund 850 km² großen Bereich des Umlandes und besaß damit eine Ausdehnung von 46,1 × 38,0 km (vgl. Abbildung 2).

Abb.2: Klassifizierung der Landnutzung für die Modellanwendung. Es kommt ein Schlüssel mit 17 Nutzungsklassen zum Einsatz, der an die Erfordernisse des Modells UBIKLIM angepasst ist.

Die Bereitstellung der Daten erfolgte in einem Raster von 25 m x 25 m, so dass sich insgesamt rund 2.800.000 Einzelflächen ergaben.

Die verwendeten Parameter für das Stadtgebiet Berlin wurden dem Datenbestand des Informationssystems Stadt und Umwelt (ISU) entnommen, der für vielfältige Auswertungen und Berechnungen zur Verfügung steht. Das Informationssystem Stadt und Umwelt (ISU) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung enthält ca. 25.000 Einzelflächen in einem räumlichen Bezugssystems, die für die Berechnungen aufgerastert werden mussten:

  • Flächennutzung Die Daten der Flächennutzung geben den Nutzungsstand von Ende 2005 wieder und beruhen auf der Auswertung von Luftbildern, bezirklichen Flächennutzungskarten, Ortsbegehungen und weiteren Unterlagen für den Umweltatlas (vgl. Karte 06.01 und Karte 06.02, SenStadt 2008a). Es werden etwa 30 Nutzungsarten unterschieden.
  • Stadtstrukturtypen (Karte 06.07, SenStadt 2008b). Eine weitere Verfeinerung dieser Daten fand über die Nutzungsdatei des ISU statt, die u.a. typenspezifische Angaben zur Höhe der Gebäude und Vegetationsstrukturen innerhalb der einzelnen Stadtstrukturtypen enthält.
  • Versiegelung (Karte 01.02, SenStadt 2007).

Aus den Vorarbeiten zur Umsetzung der EU-Richtlinie zum Umgebungslärm konnte eine mit Höhenangaben aufbereitete Gebäudedatei eingespeist werden, welche mit Datenstand 2005 sämtliche 550.000 Gebäude der Automatisierten Liegenschaftskarte (ALK) des Landes Berlin sowie in einem Abstand von 3 km um das Stadtgebiet 231.445 Gebäude aus dem Land Brandenburg enthält.

Die Liegenschaftskarte ALK bildet als darstellender Teil des so genannten Liegenschaftsbuches neben den Flurstücken vor allem die Gebäude einschließlich ihrer Geschossanzahl flächenscharf ab und ist daher als Basisinformation zur Abbildung von Hochbaustrukturen gut geeignet (vgl. Karte 04.10, Abbildung 2).

Im Hinblick auf die Einbindung der ALK-Daten in den Auswertungsprozess ist zu beachten, dass Anlagen auf Bahngelände und S-Bahnhöfe, Gebäude auf Industrie- und Gewerbeflächen sowie Gartenhäuser in Kleingartengebieten nicht in allen Fällen erfasst sind

Tab. 2: Zuordnung von Flächentypen und Bebauungsparametern für die Anwendung des Bioklimamodells UBIKLIM

Tab. 2: Zuordnung von Flächentypen und Bebauungsparametern für die Anwendung des Bioklimamodells UBIKLIM

Um dem Modellansatz der Anwendung des 1-dimensionalen Modells MUKLIMO_1 gerecht zu werden, müssen die Flächen der einzelnen Areale deutlich größer als ein 25 m x 25 m-Pixel sein. Das bedeutet, dass kleine Straßen nicht aufgelöst, sondern der umliegenden Nutzung zuzuordnen sind.

Auswertung klimatologischer Zeitreihen

Auch für Berlin liegen Zeitreihen klimatologischer Parameter verschiedener Stationen – teilweise über einen langen Zeitraum – vor. Wie sich diese Situation im Mittel über ein Jahr bzw. bei extremen Wetterlagen auf die Wärmebelastung auswirkt, zeigen Auswertungen charakteristischer Parameter der Lufttemperatur an verschiedenen Standorten im Stadtgebiet mit unterschiedlichem Stadteinfluss.

Die Karte (vgl. Abbildung 3) zeigt die Lage der verwendeten Stationen Berlin-Tegel und Berlin-Tempelhof. In beiden Fällen repräsentieren sie als Stationen auf einem Flughafengelände inmitten Berlins eine Stadtlage mit relativ offener Bebauung. Durch dichte Bebauung und einen in hohem Maße versiegelten Innenstadtbereich wird der Standort der Station Berlin-Alexanderplatz geprägt. Die weiteren Stationen zeichnen sich durch Merkmale einer Stadtrandlage aus.

Abb.3: Lage der im Rahmen der Modellierung verwendeten Stationen im Stadtgebiet und direktem Umland

Abbildung 4 zeigt den Verlauf der Lufttemperatur an der Station Tempelhof 1949-2008. Deutlich erkennbar ist der positive Trend insbesondere der letzten 20 Jahre. Nach einem noch mal kalten Jahr 1996, lagen seither alle Jahresmittel der Lufttemperatur über dem langjährigen Jahresmittelwert von 9,6 °C. Das wärmste Jahr der gesamten Beobachtungsreihe war das Jahr 2000 mit 11,1 °C. Die zunehmende Erwärmung betrifft den gesamten Ballungsraum, jedoch ist die thermische Ausprägung in den einzelnen Stadtteilen von Berlin sehr unterschiedlich.

Abb.4: Jahresmittel der Lufttemperatur an der Station Berlin-Tempelhof (1949-2008)

Abb.4: Jahresmittel der Lufttemperatur an der Station Berlin-Tempelhof (1949-2008)

Das Auftreten von Tropennächten ist in Deutschland ein seltenes Ereignis. Im Folgenden wird an der Anzahl der Tropennächte (Temperaturminimum >= 20 °C) die Zunahme des Wärmeinseleffektes mit Vordringen in den unmittelbaren Stadtkernbereich von Berlin deutlich. Die unterschiedlichen Zeiträume liefern darüber hinaus Angaben über die Zunahme der Wärmebelastung insbesondere in der überhitzten Innenstadt. Tabelle 3 zeigt im Zeitraum 1999-2008 gegenüber dem Zeitraum 1967-1990 eine mittlere Zunahme um 5 Tropennächte in der Innenstadt, in offen bebautem Stadtgebiet um 0,2 und am Stadtrand eine geringfügige Abnahme um 0,1 (vgl. Tabelle 3).

Tab. 3: Mittlere Anzahl von Tropennächten verschiedener Klimastationen

Tab. 3: Mittlere Anzahl von Tropennächten verschiedener Klimastationen

Extreme Hitzeperioden – wie während des Sommers 2003 – führen zu extremer Wärmebelastung in dicht bebauten Stadtgebieten. An der Station Alexanderplatz wurden 10 Tropennächte registriert, noch 3 in offen bebautem Stadtgebiet, während im angrenzenden Umland dieses Ereignis gar nicht auftrat.

Die Station Berlin-Alexanderplatz charakterisiert die Lage in einer städtischen Wärmeinsel. Da aber die Stadtstrukturen räumlich nicht homogen sind, bilden sich auch in anderen Teilen der Stadt mit hoher Bebauungsdichte, hohem Versiegelungsgrad und/oder mit sehr geringem Grünflächenanteil weitere Wärmeinseln aus. Andererseits werden in Gebieten mit großen Parkanlagen Temperaturen erreicht, die kaum von denen des Umlandes abweichen.