Klimamodell Berlin - Bewertungskarten 2001

Methode

Die abzugrenzenden klimatischen Funktionsräume sollen Aussagen darüber liefern, in welchen Gebieten

  • einerseits ein Potential zur Entlastung anderer (angrenzender und auch weiter entfernter) Räume vorhanden ist
  • andererseits über den großräumigen Einfluss hinaus die stärksten Zusatzbelastungen zu erwarten sind,
  • bevorzugt Luftaustauschbereiche anzunehmen sind, d.h. eine wichtige Rolle für den bodennahen Frischlufttransport übernommen wird.

Die Ausprägungen der verschiedenen klimaökologischen Größen werden zur besseren planerischen Einordnung in ein bewertendes Klassifikationsschema überführt. Diese Einstufungen erfolgen nach fachlichen Vorgaben und orientieren sich hinsichtlich der Klassenbreiten an dem im Untersuchungsraum vorliegenden Wertespektrum. Im Folgenden wird die qualitative Abstufung der ermittelten Parameter, untergliedert nach den thematischen Einheiten, erläutert. Daran anschließend wird auf die planerische Einordnung der Strukturelemente eingegangen.

Grün- und Freiflächenbestand

Als kaltluftproduzierende Bereiche gelten vegetationsgeprägte Freiflächen wie Wälder, Park- und Friedhofanlagen, aber auch grünbestimmte Siedlungen mit einem geringem Versiegelungsgrad (in der Regel unter 30 %). Zur besseren Handhabung wurden die ca. 13 500 relevanten Einzelflächen des Informationssystems Stadt und Umwelt (ISU) zu ca. 700 miteinander funktional verbundenen Grünflächeneinheiten aggregiert, wobei die Zusammenfassung vorrangig nach dem Aspekt der räumlichen Nähe erfolgte. Somit bilden mehrere (Teil-) Grünflächen eine zusammengehörige Einheit mit einer Mindestgröße von 0,5 Hektar (vgl. Abbildung 1).

Grünflächenaggregierung am Beispiel des Flughafens Tempelhof und mit ihm funktional verbundener Bereiche. Die hellgrüne Linie zeichnet den Umriss der Grünflächeneinheit nach.

Abb. 1: Grünflächenaggregierung am Beispiel des Flughafens Tempelhof und mit ihm funktional verbundener Bereiche. Die hellgrüne Linie zeichnet den Umriss der Grünflächeneinheit nach.

Für die Charakterisierung der Ausgleichsleistung von Grünflächen im Stadtgebiet sowie der Kaltluftentstehungsgebiete des Umlandes wird in der Klimafunktionskarte der Kaltluftmassenstrom herangezogen. Er drückt den Zustrom von Kaltluft aus den benachbarten Rasterzellen in 1000 m³/s pro 200 m Rasterzelle aus, wie er im Rahmen der Analysephase der Modellanwendung ermittelt wurde (vgl. dazu Karte 04.10 Klimamodell Berlin (Ausgabe 2003).

Am Beispiel des Flughafens Tempelhof wird in Abbildung 2 das bodennahe Strömungsbild, wie es zur Abgrenzung der Kaltlufteinwirkbereiche herangezogen wurde, illustriert.

Bodennahes Strömungsfeld und Kaltlufteinwirkbereich des Flughafens Tempelhof

Abb. 2: Bodennahes Strömungsfeld und Kaltlufteinwirkbereich des Flughafens Tempelhof

Damit die Größe der jeweiligen Grünfläche in der Bewertung berücksichtigt bleibt, ist für die Ausgleichsleistung eine Verhältniszahl berechnet worden. Sie setzt sich aus dem Flächenverhältnis von Grünfläche zu einer 200 m Rasterzelle (=40 000 m²) einerseits sowie dem innerhalb einer Grünfläche ermittelten Massenstrom andererseits zusammen. Eine Beispielberechnung für eine Fläche von 19,5 ha und einem durchschnittlichen Massenstrom von 3,49 in der betroffenen Rasterzelle verdeutlicht das Vorgehen:

(195 000 m² / 40 000 m²) * 3,49 = +17,01+ (entspricht einem quantitativ mittleren Massenstrom)

Die qualitative Einordnung der Werte zeigt Tabelle 1, wobei für einen klimaökologisch wirksamen Massenstrom ein Wert von mindestens 1 angesehen wird (vgl. Tabelle 1).

Kaltluftlieferung der Kaltluftentstehungsflächen (Massenstrom)

Tab. 1: Kaltluftlieferung der Kaltluftentstehungsflächen (Massenstrom)

Die Reichweiten der Entlastungswirkungen werden in der Klimafunktionskarte als “Einwirkbereiche der Kaltluftentstehungsgebiete” bezeichnet und unter der Rubrik Siedlungsräume beschrieben.

Die Darstellung für die innerstädtischen Kaltluftproduktionsflächen erfolgt als Flächenfarbe, zur Kennzeichnung der Kaltluftliefermengen der Freiflächen des Umlandes wird eine Pfeilsignatur verwendet. Über die Größe der Pfeile wird das Liefervermögen ausgedrückt, wohingegen die Pfeilrichtung die Hauptströmungsrichtung innerhalb eines Kaltlufteinzugsgebietes widerspiegelt. Im Kartenbild kommt der Einflussbereich der umlandbürtigen Kaltluftentstehungsgebiete auf das Stadtgebiet Berlins als Umrisslinien zur Darstellung. Sie sind nach dem Kaltluftströmungsfeld des 6.00 Uhr-Berechnungszeitpunktes abgegrenzt worden, so das sie das am Ende der Nacht voll ausgeprägte Einzugsgebiet widerspiegeln. Im Gegensatz zu den Grünflächen auf dem Berliner Stadtgebiet erhalten die Kaltluftentstehungsgebiete des Umlandes keine Planungshinweise.

Die planerische Einordnung einer kaltluftproduzierenden Grünfläche in der Planungshinweiskarte wird in erster Linie durch ihre Lage im Raum und ihrer Nähe zu Belastungsbereichen bestimmt. Die Empfindlichkeit gegenüber einer Nutzungsintensivierung geht mit der klimatischen Bedeutung für die zugeordneten Siedlungsräume einher (vgl. Tabelle 2).

Für die Flächen mit der stadtklimatischen Bedeutung “sehr hoch” gilt die höchste Empfindlichkeit gegenüber Bebauung, Parzellierung und Versiegelung; sie sind im Gegenteil in ihrer Funktion nachhaltig zu unterstützen, d.h. vor allem durch Vermeidung von Schadstoffemissionen innerhalb dieser Flächen.

Planerische Einordnung der kaltluftproduzierenden Freiflächen

Tab. 2: Planerische Einordnung der kaltluftproduzierenden Freiflächen

Freiflächen mit einer sehr geringen Kaltluftproduktion innerhalb von Belastungsbereichen wird nur eine geringe stadtklimatische Bedeutung angesprochen. Meist handelt es sich um Flächen, die aufgrund ihrer isolierten Lage in der Bebauung keine Anbindung an vorhandene Leitbahnen aufweisen und wegen der geringen Größe keine ausgleichende Strömung entstehen lassen. Sie können aber durchaus noch eine Funktion als klimaökologische Komfortinsel erfüllen.

Siedlungsräume

Die Siedlungsräume lassen sich in ausreichend durchlüftete Areale bzw. klimatisch günstige Siedlungsstrukturen einerseits sowie Belastungsbereiche andererseits untergliedern. Der Einwirkbereich der Kaltluftentstehungsgebiete kennzeichnet das maximale Ausströmen der Kaltluft aus den Freiflächen in die Umgebungsbebauung während einer sommerlichen Strahlungswetternacht zwischen 22.00 und 06.00 Uhr. Dabei ist als Abgrenzungskriterium des Einwirkbereiches eine Strömungsgeschwindigkeit von mindestens 0,2 m/s zu erreichen, um sie als klimaökologisch relevant ansprechen zu können. Daraus folgt, dass die im Einwirkbereich befindliche Wohnbebauung eine überwiegend geringe bis keine bioklimatische Belastung aufweist. Vereinzelt fällt das Belastungsniveau jedoch so hoch aus, dass es nicht durch eine auftretende Kaltluftströmung abgesenkt werden kann.

Ausschlaggebend für die Zuordnung der bioklimatischen Belastung eines Baublockes ist der Durchlüftungsgrad (mittlere Windgeschwindigkeit innerhalb eines Baublockes) sowie die positive Abweichung vom Gebietsmittelwert des Bewertungsindices PMV (Predicted Mean Vote, vgl. auch Karte 04.09 Bioklima bei Tag und Nacht). Der PMV wird als dimensionsloses Maß für die nächtliche Wärmebelastung herangezogen. Aus der Kombination der beiden Parameter Durchlüftungsgrad und PMV-Abweichung wurde die Belastungssituation ermittelt (vgl. Tabelle 3).

Bioklimatische Belastung der Siedlungsräume

Tab. 3: Bioklimatische Belastung der Siedlungsräume

Die Belastungsklasse 4 “Potenziell mäßig, in Einzelfällen hoch” liegt bei einer erhöhten Wärmebelastung mit einer positiven PMV-Abweichung von mehr als 0,4 vor. Die Strömungsgeschwindigkeit der Kaltluft ist in dieser Klasse nicht mehr relevant. Sie modifiziert aber die Belastungsklassen bei einer moderaten Wärmebelastung von 0,2 bis 0,4 in “Potenziell gering bis in Einzelfällen mäßig” bei Durchlüftungsmangel sowie “Gering” bei Kaltluftgeschwindigkeiten > 0,2 m/s. Mit der humanbioklimatischen Belastung gehen auch die Empfindlichkeiten gegenüber einer Nutzungsintensivierung einher. Sie sind im Bereich der Belastungsklassen 3 und 4 als “sehr hoch”, in den übrigen Klassen als “hoch” anzusehen. Im wesentlichen handelt es sich um Gebiete hohen Versiegelungs- (> 60 %) und Überbauungsgrades (zumeist > 50 %).

Unter Nutzungsintensivierung wird eine Erhöhung des bebauten gegenüber dem unbebauten Flächenanteil verstanden. “Hierzu zählen die Umwandlung der natürlichen Bodenoberfläche in einen überwiegend aus künstlichen Materialien bestehenden und dreidimensional gestalteten Raum, die Reduzierung der mit Vegetation bedeckten Oberfläche sowie die Beeinflussung durch technische Einrichtungen, die Abwärme und Schadstoffemissionen verursachen” (Kuttler 1993).

Aufgrund der begrenzten Reichweite von Freiflächen sind für die Entlastung dieser Gebiete auch Maßnahmen im bebauten und verdichteten Gebiet selbst erforderlich. Von großer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die Begrünung von Stadtplätzen, Straßen, Gebäuden und Innenhöfen. Die Überwärmung kann so vermindert, der Feuchtigkeitsgehalt der Luft erhöht und Staub gebunden werden.

Die Erwärmung von Dächern hängt sehr stark von ihrer Farbe und ihrem Material ab (vgl. Karte 04.06). Am günstigsten verhalten sich begrünte Dächer, wobei die Art der Pflanzen eine große Rolle spielt. Jedoch muß die positive Auswirkung von hoch gelegenen Dächern auf den stärker belasteten Straßenraum als begrenzt angesehen werden. Insgesamt dürfte die Begrünung von Fassaden klimatisch wirksamer ausfallen. Umfangreiche Untersuchungen zur Bedeutung von Fassaden- und Dachbegrünungen für das Mikroklima wurden von Bartfelder und Köhler (1987) in Berlin durchgeführt.

Zur klimatisch-lufthygienischen Verbesserung des Wohnumfeldes gehört auch die Gestaltung bzw. die Vegetationsausstattung von Innenhofbereichen. Enge geschlossene Höfe zeichnen sich durch eine Verminderung der Tagestemperaturen und eine geringe Abkühlung in den Abend- und Nachtstunden aus. Die Besonnung ist stark eingeschränkt. Dies gilt auch für den Luftaustausch, woraus sich eine hohe Immissionsgefährdung ergibt. Die Begrünung dieser Höfe verbessert die klimatischen Bedingungen, wobei zur Förderung des Luftaustausches eine Wandbegrünung günstiger ist als das Pflanzen von Bäumen. Größere Hofanlagen erreichen gegenüber engen Höfen und gegenüber dem Straßenraum deutlich günstigere klimatische Eigenschaften, vor allem, wenn der Versiegelungsgrad gering und die Begrünung locker strukturiert ist. Die Abkühlungsrate in den Abend- und Nachtstunden ist hoch. Der Luftaustausch gilt als sehr gut. Eine Verbindung mit benachbarten kleineren Höfen über Baulücken fördert deren Be- und Entlüftung.

Klimatisch günstige Siedlungsräume sind durch eine offene Siedlungsstruktur und einen hohen Durchgrünungsgrad gekennzeichnet und von allen Funktionsräumen am ehesten ein Potential zur baulichen Verdichtung. Nach derzeitigen Erkenntnissen wird eine behutsame Verdichtung dieser Flächen keine Neueinstufung in einen klimatisch ungünstigeren Bereich zur Folge haben. In welchen Größenordnungen im Einzelnen die Grenzen für eine bauliche Verdichtung liegen, kann pauschal nicht angegeben werden; in jedem Falle sind am Ort selbst die Möglichkeiten zu überprüfen, mit Maßnahmen wie Dach- oder Fassadenbegrünung sowie Begrenzung der Baumassen negative klimatische Effekte zu kompensieren.

Im Verkehrsraum kennzeichnet die potenzielle verkehrsbedingte Luftbelastung entlang von Hauptverkehrsstraßen Straßenabschnitte, in denen der Prüfwert der 22. BImSchV möglicherweise bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit überschritten wird. Inwieweit über den eigentlichen Straßenraum hinaus auch Hofbereiche bzw. rückseitige Gebäudeteile betroffen sind, konnte im Rahmen dieser flächendeckenden Modellierung nicht ermittelt werden.

Luftaustausch

Leitbahnen verbinden Kaltluftentstehungsgebiete (Ausgleichsräume) und Belastungsbereiche (Wirkungsräume) miteinander und sind somit elementarer Bestandteil des Luftaustausches. Unter Berücksichtigung des Prozessgeschehens, wurden in den Karten vier unterschiedliche Luftaustauschtypen herausgearbeitet:

  • Kaltluftleitbahn, vorwiegend thermisch induziert,
  • Kaltluftleitbahn, vorwiegend orographisch induziert (z.B. kleinere Flussniederungen),
  • Flächenhafter Kaltluftabfluss auf Hangbereichen (bei Hangneigungen > 1°),
  • Großräumige Luftleit- und Ventilationsbahnen (Niederungen größerer Fließgewässer).

Die Ausweisung der Kaltluftleitbahnen orientiert sich am autochthonen Strömungsfeld der FITNAH-Simulation. Bei den ausgewiesenen Leitbahnen handelt es sich, mit Ausnahme der Flussniederungen, um vegetationsgeprägte Flächen mit einer linearen Ausrichtung auf Wirkungsräume. Die planerische Einordnung orientiert sich, analog zu den kaltluftproduzierenden Grün- und Freiflächen, an der Belastungssituation der zugeordneten Siedlungsräume.

Mit der hier beschriebenen Methodik unterscheidet sich die Herleitung insbesondere der Klimafunktionskarte in ihrem modellbasierten Ansatz grundlegend von den bisherigen, auch in Berlin verfolgten Vorgehensweisen. Die bisherige Klimafunktionskarte (vgl. Abbildung 3)

Ehemalige Klimafunktionskarte (04.07) des Umweltatlas Berlin (Stand 2001)

Abb. 3: Ehemalige Klimafunktionskarte (04.07) des Umweltatlas Berlin (Stand 2001)

stützte sich zwar auf eine große Anzahl gemessener Klimaparameter, die Ausweisung flächenhafter Informationen und die Berücksichtigung funktionaler Verbindungen sowie der Wechselwirkungen der Flächen untereinander erfordert jedoch zusätzlich die Kenntnis der beschriebenen Strömungsfelder.

Diese Informationen sind flächendeckend bei einer Gebietsgröße von rund 2 500 km², wie sie durch die FITNAH-Anwendung abgedeckt wurde, jedoch nur durch numerische Modelle zu erlangen. Daraus folgt, das die bisherige Abgrenzung der Belastungssituation des Siedlungsraums sowie der Ausgleichswirkung von Grünflächen lediglich einen relativen und nicht quantitativen Charakter besaß. Auch konnten in der Vergangenheit bevorzugte Flächen für den bodennahen Frischlufttransport nur aufgrund ihrer Struktur dargestellt bzw. zur weiteren Überprüfung vorgeschlagen werden. Kriterien für ihre Eignung waren vor allem eine geringe Rauhigkeit der Oberfläche, eine ausreichende Breite (möglichst mehr als das 10-fache der Höhe der umgebenden Randstrukturen) sowie überwiegend schwache Immissionsbelastungen. Nur für wenige Bereiche gab es eine meßtechnische Untersuchung. Obwohl dieses Vorgehen eine einprägsame Typisierung der relevanten Flächen bietet, wird das Prozessgeschehen bei dieser eher statischen und strukturorientierten Betrachtung hingegen nicht oder nur indirekt berücksichtigt (VDI 1994).