Flächen mit einer besonderen Vulnerabilität gegenüber dem Stadtklima
Die Ausweisung von Flächen mit einem besonderen stadtklimatischen Missstand basiert auf einer rein fachplanerischen, klimatischen Perspektive. Ihre Verknüpfung mit weiteren nicht-klimatischen Kriterien kann in Sinne einer räumlich differenzierten Vulnerabilitätsbetrachtung zusätzliche Entscheidungshilfen im Zusammenhang mit der Umsetzung von Maßnahmen insbesondere für die Raumeinheit „Siedlungsraum“ offenlegen.
Inwiefern einzelne Block(teil)flächen des Siedlungsraumes vulnerabel gegenüber der stadtklimatischen Situation sind, ist neben dem primären Kriterium des Aufenthalts-/Nutzungszeitpunktes noch von weiteren sekundären Faktoren abhängig. Hierzu gehört allen voran die demographische Zusammensetzung des betrachteten Quartiers. Darüber hinaus sind auch das Vorhandensein bestimmter sensibler Gebäude-/Flächennutzungen sowie der Versorgungsgrad von Wohngebieten mit adäquaten Grünflächen Faktoren, die einen Einfluss auf das Vulnerabilitätsniveau ausüben.
h5. Besondere Vulnerabilitäten aufgrund der demographischen Zusammensetzung
Als besonders sensibel gegenüber thermischem (Hitze-)Stress gelten gemeinhin vor allem der ältere Teil der Bevölkerung (über 65 Jahre [Ü65]) aufgrund der mit dem Alter steigenden Anfälligkeit für Herz-Kreislauferkrankungen sowie Kleinkinder unter 6 Jahren (U6) und vor allem Säuglinge aufgrund ihrer fehlenden bzw. nicht vollausgeprägten Fähigkeit zur Thermoregulation (Jendritzky 2007). Ein Zusammenhang zwischen einer erhöhten Mortalität und dem Auftreten von Hitzeperioden ist für den Raum Berlin-Brandenburg empirisch nachweisbar und lässt sich auch modelltechnisch abbilden (Scherber 2014, Scherer et al. 2013, Fenner et a. 2015).
Vertiefende Informationen zu den Zusammenhängen zwischen „Gesundheit und Stadtklima“ bietet der darauf bezogene Exkurs (Scherber 2016).
In Berlin leben etwa 850.000 Menschen, denen aufgrund ihres Alters eine besondere thermische Sensitivität unterstellt werden kann (Statistik BBB 2014). Das Verhältnis zwischen dem sensiblen älteren und dem sensiblen jüngeren Anteil der Bevölkerung liegt in etwa bei 3,4: 1. Dass die Risikogruppe der älteren Menschen deutlich größer ist als diejenige der Kleinkinder und Säuglinge ist für alle Bezirke gleichermaßen gültig. Am stärksten ausgeprägt ist dieses Phänomen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf (5,3: 1), wo auch mit knapp 90.000 die insgesamt meisten thermisch sensiblen BerlinerInnen wohnen. In Friedrichshain-Kreuzberg – dem Bezirk mit der geringsten Anzahl an thermisch sensiblen Einwohnern (ca. 45.000) – kommen auf eine Person im Alter U6 lediglich 1,6 Ü65-Jährige.
In welchem Ausmaß sich aus dieser Sensitivität auch eine tatsächliche Vulnerabilität ableiten lässt, hängt im Wesentlichen von der geographischen Verteilung der Risikogruppen im räumlich differenzierten Belastungsfeld ab. Im Ergebnis besteht in ca. einem Drittel aller Block(teil)flächen eine hohe oder sehr hohe demographische Vulnerabilität. Ungefähr drei Viertel aller hitzesensiblen BerlinerInnen wohnen in diesen Gebieten (rund 650.000 Einwohner). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass lediglich auf einem vergleichsweise kleinen Gebiet Maßnahmen umgesetzt werden müssten, um einen hohen Anteil der vulnerablen Bevölkerungsgruppen thermisch zu entlasten.
Eine räumliche differenzierte Analyse auf Ebene der Berliner Bezirke zeigt, dass zwar eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Verteilung der klimasensiblen Bevölkerungsgruppen mit den Raummustern der tatsächlichen demographischen Vulnerabilität besteht, dass aber doch einige wesentliche Unterschiede bestehen (Abbildung 15 und Abbildung 16).
So stellt der Bezirk Steglitz-Zehlendorf zwar die größte Gruppe an thermisch sensiblen Personen bei der demographischen Vulnerabilität nimmt der Bezirk aber nur Rang 7 ein. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass das Belastungsniveau hier insgesamt deutlich unter dem Durchschnitt liegt. Zum anderen wohnen die Risikogruppen gegenwärtig tendenziell in thermisch begünstigten Gebieten. Der umgekehrte Fall gilt für Pankow. Hier besteht absolut betrachtet die größte demographische Vulnerabilität, obwohl der Bezirk lediglich die viertgrößte sensible Population beheimatet.
Am unteren Ende der Skala entsprechen sich die beiden Ergebnisse demgegenüber: Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg weisen sowohl die geringste Anzahl sensibler Personen als auch der demographischen Vulnerabilität auf. Insbesondere für Friedrichshain-Kreuzberg gilt aber, dass der weitaus überwiegende Teil der sensiblen Bevölkerung auch in thermisch belasteten Gebieten wohnt (ca. 80 %). Einen höheren Anteil weist nur noch der Bezirk Lichtenberg auf (82 %). Auch Mitte und Neukölln liegen noch in der derselben Größenordnung.