Fischfauna 2022

Einleitung

Gewässer und Fischgemeinschaften

Berlins Gewässerlandschaft wurde im zweiten, dem sog. Brandenburger Stadium der Weichselkaltzeit geformt, welches vor etwa 10.300 Jahren endete. Das Berliner Urstromtal ist Teil des Glogau-Baruther Urstromtals, welches sich entlang der weichselzeitlichen Endmoränen des Brandenburger Stadiums erstreckt. Die Gewässerlandschaft Berlins ist in die norddeutsche Tiefebene eingebettet und wird durch die Flüsse Spree und Havel geprägt, die zusammen mit ihren seenartigen Erweiterungen annähernd zwei Drittel der insgesamt 5.952 ha (6,67 % der Stadtfläche) umfassenden Berliner Gewässerfläche bilden. Dahme und Spree fließen von Südosten in das Berliner Urstromtal und durchfließen das Stadtgebiet von Ost nach West auf einer Länge von 16,4 km bzw. 45,1 km. Die Havel tritt von Norden in das Berliner Urstromtal ein und durchfließt es von Nord nach Süd auf 27,1 km Länge. Die seenartige Erweiterung der Berliner Unterhavel ist mit 1.175 ha Fläche das größte Gewässer der Stadt.

Neben den das Stadtbild prägenden Flüssen und Kanälen liegen insgesamt 58 Seen >1 ha zumindest teilweise auf Berliner Stadtgebiet. Unter diesen größeren Seen dominieren die durchflossenen, die sog. Flussseen, von denen der Große Müggelsee mit 766 ha Wasserfläche der größte ist. Der einzige größere, überwiegend durch Grundwasser gespeiste Landsee ist der im Südwesten Berlins auf der Grenze zu Brandenburg gelegene Groß-Glienicker See mit 667 ha.

Zahlenmäßig dominieren kleinere und Kleinstgewässer. Berlin verfügt über eine Vielzahl von Teichen, Weihern, Tümpeln, Abgrabungsgewässern und künstlichen Regenrückhaltebecken, von denen insgesamt 388 registriert sind. Hinzu kommen 316 Ableiter und Gräben die – zum Teil verrohrt – eine Gesamtlänge von >390 km haben. Die Bewirtschaftung und Unterhaltung dieser stehenden und fließenden Klein- und Kleinstgewässer erfolgt überwiegend durch die Stadtbezirke.

Die größeren Gewässer – Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet >10 km2 und Seen mit einer Fläche >50 ha – sind berichtspflichtig nach Europäischer Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Für diese Gewässer ist im Turnus von sechs Jahren der ökologische Zustand bzw. das ökologische Potenzial an die Europäische Kommission zu melden und sind Maßnahmen zu ergreifen, einen guten ökologischen Zustand zu erreichen. Infolgedessen konzentrieren sich gegenwärtig viele Arbeiten und Untersuchungen auf dieses reduzierte Gewässernetz der berichtspflichtigen Seen und Fließgewässer Berlins.

Rund 200 km der Berliner Fließgewässer und zehn Seen unterliegen der Überwachung gemäß WRRL. Ein großer Teil der Fließgewässer sind künstliche Gewässer, Kanäle und Gräben. Aufgrund der Vielzahl durchflossener Seen dominiert auch bei den natürlichen Fließgewässertypen der Typ 21: seeausflussgeprägtes Fließgewässer. Daneben entfallen substantielle Anteile auf die Fließgewässertypen 15: sandgeprägter Tieflandfluss, 14: sandgeprägter Tieflandbach und 11: organisch geprägter Bach. Kleinere Abschnitte im Mündungsbereich der Nebenflüsse sind als Typ 19: Niederungsgewässer klassifiziert und die Panke vom Verteilerbauwerk (Abzweig des Nordgrabens) bis etwa zur Pankstraße als Typ 12: kiesgeprägter Tieflandbach. Innerhalb eines Fließgewässers sind auch Typenwechsel möglich, analog zur natürlichen Längszonierung von Flüssen. So wechselt beispielsweise die Spree etwa in Höhe der Elsenbrücke (Fluss-km 22,05) den Typ vom seeausfluss- zum sandgeprägten Tieflandfluss (SenUMVK 2021).

Bei den berichtspflichtigen Seen handelt es sich überwiegend um Flussseen mit großen Einzugsgebieten vom Typ 10 (geschichtet, Aufenthaltszeit des Wassers >30 Tage, Großer Wannsee und Tegeler See), 11 (ungeschichtet, Aufenthaltszeit >30 Tage, 3 Seen) und 12 (ungeschichtet, Aufenthaltszeit 3 – 30 Tage, 4 Seen). Der nicht durchflossene Groß-Glienicker Sees ist im Sommer ebenfalls stabil geschichtet, d. h. seine warme Oberflächenwasserschicht mischt sich nicht mit dem darunterliegenden kalten Tiefenwasser und ist als See vom Typ 10 klassifiziert. Im Gegensatz zu den durchflossenen Seen hat sein Wasser eine theoretische Aufenthaltszeit von sieben Jahren (SenUMVK 2021).

Im gegenwärtigen morphologischen Zustand sind sich die einzelnen Fließgewässertypen allerdings deutlich ähnlicher als es die Klassifizierung vermuten lässt. Zudem lässt das reduzierte Gewässernetz der WRRL die Vielzahl der Kleingewässer unberücksichtigt. Aus diesem Grund wurde hier analog zu früheren Übersichten zur Berliner Fischfauna eine etwas abweichende, fischfaunistisch aber durchaus relevante Typisierung der Gewässer vorgenommen. Entsprechend ihrer Fläche, Morphologie, Vernetzung, Wasserversorgung und Besiedelungsmöglichkeiten für Fische wurden Fließgewässer, Kanäle, Gräben, Flussseen, Landseen und stehende Kleingewässer (<1 ha) unterschieden.

Nachfolgend werden die wichtigsten Gewässertypen kurz charakterisiert.

Fließgewässer

Spree, Havel und Dahme sind die drei großen, schiffbaren Fließgewässer Berlins, mit zusammen 88,6 km Lauflänge innerhalb der Stadtgrenzen. Die wichtigsten Nebenflüsse sind Fredersdorfer Mühlenfließ (3 km in Berlin), Neuenhagener Mühlenfließ (Erpe, 4,1 km), Wuhle (15,7 km), Panke (17,6 km) und das in den Tegeler See entwässernde Tegeler Fließ (11,2 km).

Die Berliner Fließgewässer sind staureguliert. So werden die Wasserspiegellagen von Havel und unterer Spree durch die Staustufe Brandenburg bestimmt. Bei Niedrigwasser ist diese Gewässerfläche beinahe ausnivelliert und die Wasserspiegeldifferenz beträgt zwischen Spandau und Brandenburg nur 0,16 m (Gefälle 0,002‰). Bei Mittelwasser beträgt das Wasserspiegelgefälle bis Brandenburg 0,006‰ (0,35 m Differenz) und bei Hochwasser 0,014‰ (0,83 m). Der Mühlendamm und die Schleuse Kleinmachnow im Teltowkanal bestimmen die Wasserstände in der oberen Spree im Stadtgebiet und in der Dahme, wo die Wasserspiegellagen ähnlich ausnivelliert sind. Selbst im weiteren Verlauf der Spree bis zum Unterspreewald überwindet die Spree nur einen Gesamt-Höhenunterschied von 14 m (0,08‰). Die Stadtspree, der mittlere Abschnitt der Spree in Berlin, wird durch die Staustufe Charlottenburg reguliert.

Dementsprechend gering sind die mittleren Fließgeschwindigkeiten, die in den Hauptfließgewässern <10 cm/s betragen und nur bei höheren Abflüssen im Hochwasserfall über 0,5 m/s ansteigen. In den kleineren Nebenflüssen treten lokal – insbesondere an ehemaligen Wehrstandorten – auch höhere Fließgeschwindigkeiten auf.

Fischfaunistisch sind die Berliner Hauptfließgewässer dem Unterlauf der Flüsse, d. h. der Bleiregion zuzuordnen, mit karpfenartigen Fischen – insbesondere Güster, Blei, Ukelei und Plötze – als Hauptfischarten. Sie zählen zu den artenreichen Gewässertypen im Stadtgebiet, wenn auch die aktuell festgestellte durchschnittliche Fischartenzahl (16) deutliche Defizite aufzeigt. Insgesamt wurden 38 der in Berlin vorkommenden Fischarten auch in diesem Gewässertyp zumindest als Einzelexemplare nachgewiesen.

Kanäle

Kanäle sind künstlich angelegte Verbindungsgewässer. Aus diesem Grund haben sie einen besonders gestreckten Verlauf mit wenigen Untiefen und Ausbuchtungen. Die Ufer sind vergleichsweise steil, befestigt und monoton, d. h. über lange Strecken variieren sie nur sehr wenig in ihrer Breite, Tiefe oder Gestaltung. Berlins schiffbare Kanäle haben 80,1 km Gesamtlänge. Sie sind fast ausschließlich Bundeswasserstraßen in der Verwaltung des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Berlin.

Die Berliner Kanäle dienen darüber hinaus in besonderem Maße als Vorflut für gereinigte Abwässer sowie für die Überläufe der Mischwasserkanalisation. So leiten beispielsweise gleich drei Klärwerke – Stahnsdorf, Ruhleben (nur April-September; soll nach Fertigstellung der UV-Desinfektionsanlage eingestellt werden) und Waßmannsdorf – im Jahr 2022 täglich rund 758.000 m3, über das Jahr insgesamt 277 Mio. m3 gereinigtes Abwasser in den Teltowkanal ein (SenStadt 2022). Der Landwehrkanal nimmt insgesamt 72 Mischwasser-Einleitungen der Berliner Wasserbetriebe auf (Abgeordnetenhaus Berlin 2020), aus denen bei Starkregen, wenn die Pumpwerke das anfallende Wasser nicht mehr bewältigen können, Schmutz- und Regenwasser (Mischungsverhältnis ca. 1:9) ungereinigt in das Gewässer abfließen. Von 2015 bis 2019 erfolgten jährlich 3 bis 33 Mischwassereinleitungen, bei denen insgesamt zwischen 550.000 m³ (2015) und 3,419 Mio. m3 Mischwasser in den Landwehrkanal gelangten (Abgeordnetenhaus Berlin 2020).

Aufgrund der monotonen Gewässerstrukturen und vergleichsweise hohen Belastungen werden die Kanäle vor allem von anspruchslosen, gegenüber Belastungen toleranten Fischarten besiedelt. Im Durchschnitt handelt es sich dabei um 15 Fischarten, wobei mehr als 90 % aller Fische auf die beiden Arten Plötze und Barsch entfallen. Insgesamt wurden 25 der in Berlin vorkommenden Fischarten auch in Kanälen nachgewiesen.

Gräben

Mit der 1876 begonnenen und einhundert Jahre währenden Nutzung von Rieselfeldern zur Abwasseraufbereitung wurden die sukzessive zunehmenden Rieselteichflächen durch ein dichtes Netz von Zu-, Ablauf- und Verbindungsgräben versorgt. Obwohl die meisten Gräben nach Aufgabe der Rieselfeldnutzung trockenfielen und verfüllt wurden, verfügt Berlin noch immer über eine Vielzahl von Gräben. Dabei handelt es sich um kleine, kaum strukturierte, weitgehend gerade verlaufende künstliche Fließgewässer. Etwa ein Viertel der im Berliner Gewässerverzeichnis ausgewiesenen Graben-km, insbesondere in den dicht bebauten Stadtteilen, sind verrohrt und für Fische nicht nutzbar. Die meisten Gräben führen heute nur sehr wenig Wasser, mit durchschnittlichen Abflüssen von 10 – 250 l/s. In niederschlagsarmen Jahren fallen sie gelegentlich auch komplett oder in Teilbereichen trocken. Sofern der Grabenverlauf unbeschattet ist entwickeln sich dichte Pflanzenbestände (u. a. Schilf, Rohrglanzgras, Seggen), die den gesamten Abflussquerschnitt einnehmen. Deshalb sind regelmäßige Beräumung und Mahd der Pflanzen Teil der üblichen Grabenunterhaltung.

Die Gräben sind u. a. Hauptlebensraum der beiden einheimischen Stichlingsarten, Dreistachliger und Zwergstichling. Sie werden im Durchschnitt von fünf Fischarten besiedelt. Dem gegenüber war die Gesamtzahl von 28 in Gräben nachgewiesenen Fischarten überraschend hoch.

Flussseen

Flussseen sind eine charakteristische Besonderheit der norddeutschen Tieflandflüsse. Zum einen aufgrund des sehr geringen Gefälles der Flüsse und Flusstäler, zum anderen aufgrund der jungen Entstehungsgeschichte der Landschaft, bildeten sich entlang der Flussgebiete ausgedehnte seenartige Erweiterungen aus. Diese durchflossenen Seen vereinen in sich typische Stillwasser-Lebensräume und Fließgewässer-Einflüsse in den Zu- und Ablaufbereichen. Zudem sind sie über die sie durchströmenden Flüsse untereinander und mit typischen Flussstrecken und Fließgewässer-Lebensräumen verbunden. Infolgedessen beherbergen sie neben den typischen Stillgewässerfischarten auch Arten, die z. B. zum Laichen in die Flüsse einwandern sowie Flussfischarten, die den See zumindest periodisch zur Nahrungssuche nutzen.

Bis auf den Tegeler See sind die großen Berliner Flussseen relativ flach mit mittleren Tiefen zwischen 2,1 m (Großer Zug) und 5,4 m (Großer Wannsee), erwärmen sich schnell und sind sehr nährstoffreich. Sie bieten damit den typischen Fischarten der Bleiregion sehr gute Aufwuchs- und Ernährungsbedingungen.

Die Flussseen sind der artenreichste Berliner Gewässertyp mit durchschnittlich 21 und einer Gesamtzahl von 37 darin nachgewiesenen Fischarten.

Landseen

Als Landseen wurden die größeren Gewässer (>1 ha) klassifiziert, die überwiegend durch Grundwasser gespeist sind und – wenn überhaupt – nur über marginale Zu- oder Abflüsse verfügen. Im Gegensatz zu den Flussseen ist der Wasseraustausch weitaus geringer und die mittlere Aufenthaltszeit des Wassers im See beträgt mehrere Jahre bis Jahrzehnte. Neben den natürlichen Landseen ist ein substantieller Anteil künstlichen Ursprungs, wobei es sich überwiegend um ehemalige Abgrabungsgewässer zur Rohstoffgewinnung handelt. In ihrer mittleren Fischartenzahl unterscheiden sich natürliche (12) und künstliche (11) Landseen nur geringfügig, weil beide Typen ungeachtet ihrer Entstehungsgeschichte gleichermaßen anthropogen überprägt sind, z.B. durch Fischbesatz und Nutzungen im Umland. Überraschend hoch waren daher die Unterschiede im Gesamt-Arteninventar: 25 Arten in den künstlichen Landseen und 33 in den natürlichen.

Typische Fischarten nährstoffreicher, sommerwarmer Standgewässer finden in den Landseen geeignete Lebensbedingungen.

Stehende Kleingewässer

In dieser Kategorie wurden alle Standgewässer kleiner 1 ha zusammengefasst, ungeachtet dessen, ob sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs sind.

Analog zu den Landseen unterlagen auch diese Kleingewässer vielfältigen Einflussnahmen, die eine weitere Differenzierung hinfällig machten. Die Palette der Kleingewässer, ihrer Uferstrukturen und Umlandnutzung war besonders vielfältig und reichte vom komplett betonierten Regenrückhaltebecken, über künstliche Parkgewässer, verlandete Abgrabungsgewässer bis hin zu natürlichen Restgewässern. Dementsprechend umfangreich war das 32 Arten umfassende Spektrum der hier insgesamt nachgewiesenen Fischarten.
Aufgrund ihrer geringen Größe werden die einzelnen Kleingewässer aber nur von wenigen Fischarten – im Durchschnitt fünf – besiedelt, wobei typische Stillwasserarten wie Schleie und Rotfeder weit verbreitet waren, aber auch Plötze und Hecht.

Europäische Richtlinien

Die Umsetzung von Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften stellen z. T. sehr umfangreiche Anforderungen an die Qualität von Fischbestandsdaten und deren Erfassung. So beinhaltet beispielsweise die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Abl. L 206), kurz “FFH-Richtlinie”, u. a. einen Anhang II “Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen” (zuletzt ergänzt durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006)). Dieser Anhang II der EG-Richtlinie listet auch vier der aktuell in Berlin vorkommenden Fischarten auf: Bitterling, Rapfen, Schlammpeitzger und Steinbeißer.

Mit der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) vom 23. Oktober 2000 fand erstmalig die Fischfauna als biologische Qualitätskomponente für den ökologischen Zustand eines Gewässers Eingang in Europäische Rechtsverordnungen. Anhand von Arteninventar, Häufigkeit (Abundanz) und Altersstruktur der Fischfauna sowie dem Vorhandensein typspezifischer, störungsempfindlicher Fischarten soll der ökologische Zustand von Seen und Fließgewässern bewertet werden. Ziel der EG-WRRL war das Erreichen des guten ökologischen Zustands in allen Oberflächengewässern, bzw. des guten ökologischen Potentials in allen künstlichen und stark anthropogen veränderten Gewässern schon bis zum Jahr 2015. Da die ökologischen Zustände bis zum Jahr 2015 nicht erreicht wurden, wurde bereits die zweite Fristverlängerung bis zum Jahr 2027 wahrgenommen. Die Ergebnisse aus dem FFH-Monitoring und dem WRRL-Monitoring fließen in den Umweltatlas ein.