Stellungnahme Staatssekretär Stefan Tidow im UVK-Ausschuss

Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz des Berliner Abgeordnetenhauses vom 15. März 2018,

Aktuelle Stunde – Frage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen:
„Der Tagesspiegel berichtet in seiner Printausgabe vom 13.02., dass ein Forschungsvorhaben von Dr. Daniela Vallentin, bei dem es auch um die Entnahme von Nachtigallen für Tierversuche aus der Natur geht, bisher nicht genehmigt wurde. Wie stellt sich der im Tagesspiegel beschriebene Sachverhalt für die Senatsverwaltung dar?“

Hierzu antwortete Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz, Stefan Tidow:

Herr Vorsitzender, sehr geehrter Herr Taschner,
meine Damen und Herren,

lassen sie mich vorab sagen: Die Umweltverwaltung ist im vergangenen Jahr mit etlichen Anträgen befasst worden, in dem für Tierversuche eine artenschutzrechtliche Genehmigung beantragt wurde. Anträge also, in denen es darum ging, Tiere aus der freien Natur für Tierversuche zu entnehmen. Diese Anträge sind alle bewilligt worden, bis auf einen.

Ich stelle dieses voran, weil in der aktuellen Presseberichterstattung der Eindruck erweckt wird, als ob die Umweltverwaltung sehr apodiktisch, gewissermaßen vorsätzlich entsprechende Anträge abschlägig bescheidet. Dieses ist keinesfalls der Fall. Die Nichtbewilligung ist eine absolute Ausnahme.

Insofern verwahre ich mich auch gegen den Eindruck, dass der Naturschutz gegen Wissenschaft und Forschung steht. Das grundsätzlich gegeneinander auszuspielen mag tun, wer will.

Es entspricht nicht der Genehmigungspraxis und auch nicht der Haltung meiner Verwaltung oder der Hausleitung.

Richtig ist aber, dass Im November letzten Jahres ein Antrag abschlägig beschieden worden ist.

In diesem Antrag ging es darum, bis zu 50 Nachtigallen der freien Wildbahn zu entnehmen – also aus Berliner Parks und Wäldern, z.T. auch aus Schutzgebieten, um – vereinfacht gesagt – ihnen Elektroden in den Kopf zu pflanzen und Erkenntnisse zu generieren, die Aufschlüsse zum Krankheitsbild des Autismus zulassen.

Über die wissenschaftliche Sinnhaftigkeit und Erforderlichkeit dieses Versuches bin ich nicht berufen, mich qualifiziert zu äußern.

Was ich aber sagen kann: Die Nachtigall ist eine geschützte Art.

Und: Tierversuche, insbesondere mit Tieren aus der freien Wildbahn, sind gesetzlich normiert – bundesrechtlich und europarechtlich.

Vor allem die EU-Tierversuchsrichtlinie (RL 2010/63/EU) zum Schutz der für wissenschaftlichen Zwecke verwendeten Tiere gibt den Mitgliedsaaten hier einen verpflichtenden Rahmen vor. Die zuständigen Behörden sind gehalten, fachlich und rechtlich zu prüfen.

Dabei schreiben EU- und Bundesrecht zwingend vor, dass bei Anträgen für Versuche mit Wildvögeln Alternativen mit Zuchttieren geprüft werden müssen, beziehungsweise zu begründen ist, warum ein Rückgriff auf Zuchtvögel nicht möglich ist.

Im Rahmen der Antragsbearbeitung durch meine Verwaltung wurde die Antragstellerin deshalb gebeten, diese gesetzlich zwingende Alternativlosigkeit des Rückgriffs auf Wildtiere zu belegen, was in dem eingereichten Antrag nicht der Fall war.

Diese Begründung blieb die Antragstellerin schuldig.

Sie hatte weder begründet, warum gezüchtete Nachtigallen für die Versuchsanordnung grundsätzlich nicht in Frage kämen, noch warum sie – aus welchen Gründen auch immer – praktisch nicht auf gezüchtete Nachtigallen zurückgreifen könne.

Eine eigens dafür eingeräumte Frist, diese zwingend erforderlichen Antragsunterlagen nachzuliefern, ließ die Antragstellerin ungenutzt verstreichen.

Meine Damen und Herren, im Zuge eines solchen Bewilligungsverfahrens ist auch eine Stellungnahme der Naturschutzverbände einzuholen, die in die abschließende Abwägung mit einfließt.

Diese Stellungnahme wurde ordnungsgemäß eingeholt.

In ihr wurden, kaum verwunderlich, genau diese von meiner Verwaltung bereits gegenüber der Antragstellerin bemängelten Punkte herausgestellt und die Ablehnung des Antrages empfohlen.

Vor dem Hintergrund dieser Fakten, insbesondere der fehlenden Begründungen der Antragstellerin, warum sie nicht auf Zuchtvögel zurück greift und inwiefern sie sich um den Erwerb von Nachzuchten bemüht hat – und auf diesen Umstand wurde sie, ich betone das nochmal, von meiner Verwaltung ausreichende Zeit vor der abschlägigen Entscheidung hingewiesen – war der Antrag gar nicht anders als abschlägig zu bescheiden – eben schon aus formalen Gründen.

Der Ablehnungsbescheid erging am 07. November 2017.

Das ist das eine.

Das andere ist, dass für solche Tierversuche immer auch eine tierschutzrechtliche Genehmigung vorliegen muss.

Die tierschutzrechtliche Genehmigung genehmigt den Tierversuch als solchen bzw. unter Auflagen. Er ist gewissermaßen die Grundvoraussetzung für alles weitere.
Für diese Genehmigung ist meine Verwaltung nicht zuständig.

Zuständig ist meine Verwaltung nur für die artenschutzrechtliche Genehmigung. Wenn also ein Tierversuch mit Wildtieren grundsätzlich genehmigt ist, müssen wir genehmigen, dass diese Wildtiere aus der Berliner Natur entnommen werden dürfen.

Es ist insofern nicht unerheblich jetzt festzustellen, dass die tierschutzrechtliche Genehmigung für diesen Versuch überhaupt nicht vorlag.

Das LaGeSo [Landesamt für Gesundheit und Soziales], das – ich betone das nochmal – nicht in der Zuständigkeit meiner Verwaltung liegt, sondern eine nachgeordnete Behörde der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales ist und in diesem Bereich unter der Fachaufsicht der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung steht – hat diesen Versuch mit Wildnachtigallen nicht genehmigt.

Es hat den Versuch als solchen nicht untersagt – auch das ist wichtig festzuhalten – aber es hat die Auflage gemacht, dass dieser Versuch ausschließlich mit gezüchteten Nachtigallen – genauer gesagt – mit 35 gezüchteten Nachtigallen stattfinden darf.

Das bedeutet streng genommen: Der Antrag bei uns für eine artenschutzrechtliche Genehmigung hätte gar nicht gestellt werden müssen. Ich kann es auch zugespitzter formulieren: Er hätte nicht gestellt werden dürfen.

Denn der Antragstellerin fehlte bereits die Grundlage dafür, die Entnahme wildlebender Vögel zu beantragen. Die formalen Voraussetzungen nach dem Bundesnaturschutzgesetz waren nicht gegeben, dafür eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen!

Als der Antrag nun bei uns am 26. Juli 2017 gestellt wurde, lag der Bescheid des LaGeSo bereits vor – nämlich mit Datum vom 25. Juli 2017. Er war uns jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.

Vielmehr hat die Antragstellerin gegenüber meiner Verwaltung am 26.7.2017, dem Tag der Antragstellung, behauptet, die erforderliche tierschutzrechtliche Genehmigung für die Durchführung der Versuche im Labor läge vor.

Insoweit erlaube ich mir an dieser Stelle bilanzierend zu sagen: Was jetzt als vermeintliche Verwaltungsposse dargestellt wird, ist eigentlich ein wissenschaftliches Trauerspiel: Der Antrag hätte nicht gestellt werden müssen bzw. dürfen. Und er war unter formalen Gesichtspunkten so gestellt, dass er allein schon aus verwaltungs- bzw. verfahrensrechtlichen Gründen nur abschlägig beschieden werden konnten.

Nachdem dieser Antrag abschlägig beschieden wurde hat die Antragstellerin den Ablehnungsbescheid beklagt, bzw. Klage eingereicht.

Also – ich betone das: Sie klagt gegen einen Ablehnungsbescheid, der ausweislich der Sachlage gar nicht positiv hätte beschieden werden dürfen. Vielleicht ist das auch der Grund, dass eine Klagebegründung trotz – nunmehr bald ablaufender Nachfrist – noch nicht vorliegt.

Die Antragstellerin hat zugleich offensichtlich auch realisiert, dass sie ihre Versuchsanordnung nunmehr auf Zuchttiere umstellen sollte. Jedenfalls hat sie drei Wochen später, Ende November, erneut Kontakt zu meiner Verwaltung aufgenommen, die ihr dann konkrete Hinweise gegeben hat auf Zuchtverbände, von denen Nachtigallen zu beziehen seien und auf die Möglichkeiten, eine eigene Zucht zu etablieren.

Nach unserer Kenntnis hat die Antragstellerin einen entsprechend erfolgversprechenden Zuchtverband allerdings erst im Februar 2018 kontaktiert. Also einige Monate später.

Fünf Zuchtverbandsmitglieder sagten zu, Tiere aus der 2018er Nachzucht abzugeben, ein Züchter war bereit, sich darum zu bemühen, im Mai 2018 ein Zuchtmännchen auszuleihen.

Am 11.3.2018, vor wenigen Tagen, wurde dann bei uns ein Neuantrag gestellt, 3 männlichen Nachtigallen aus der freien Wildbahn zu entnehmen, um die inzwischen offensichtlich erworbenen Weibchen zu begatten. Am 11.3. – einem Sonntag, also einen Tag – oder, zugespitzt gesagt, wenige Stunden bevor, diese Geschichte im Checkpoint als sogenannte Verwaltungsposse aufgespießt wurde.

Es sollten nun also nicht mehr 50 Küken, sondern drei erwachsene Vögel zum Zwecke der Fortpflanzung aus der freien Wildbahn entnommen werden.

Damit handelt es sich, soweit es um die Zuständigkeit meiner Verwaltung geht, um einen völlig neuen Sachverhalt.

Das mag man lächerlich finden oder nicht. Lästig oder überflüssig.

Es ist ein Fakt. Und auch hier gilt das Artenschutzrecht und nach EU- und Bundesrecht muss hier genauso zwingend geprüft werden, ob Alternativen zur Nutzung von Wildvögeln existieren. Ebenfalls sind die Naturschutzverbände gesetzlich verpflichtend am Verfahren zu beteiligen.

Bereits am folgenden Tag wurde die Antragstellerin, inzwischen nicht mehr die Antragstellerin, sondern ihre Vorgesetzte, darauf hingewiesen, dass der von ihr geltend gemachte zwingende zeitliche Beginn mit Handaufzuchten von Küken ab Mai 2018 zu begründen ist und auch begründet werden muss, warum die zur Verfügung stehenden Alternativen keine praktikablen Alternativen sind.

Eine Genehmigung ist nicht ins Gutdünken der Umweltverwaltung oder ihrer Hausleitung gestellt. Es ist rechtlich unabdingbar, dass meiner Verwaltung alle erforderlichen Angaben für die Erteilung einer Ausnahme vorgetragen und nachvollziehbar belegt werden.

Wir unterliegen hier der Amtsermittlungspflicht und den verpflichtenden Maßgaben des EU-Rechts.

Andernfalls droht bei vorschneller Erteilung einer Genehmigung eine Klage anerkannter Naturschutzverbände, die von Gesetz wegen in ein Genehmigungsverfahren einzubeziehen sind.

Selbstverständlich werden wir einer Eilbedürftigkeit Rechnung tragen, sofern diese nachvollziehbar begründet ist.

In diesem Zusammenhang will ich abschließend sagen:

Wenn sich die Erstantragstellerin, nachdem ihr klar sein musste, dass sie bereits aus tierschutzrechtlichen Gründen zwingend Zuchtvögel zu verwenden hat – und das war ihr seit dem 25. Juli letzten Jahres durch den Bescheid des LaGeSo bekannt – sich umgehend um Nachzuchten bemüht hätte, anstatt Zeit und Energie in einen nicht genehmigungsfähigen artenschutzrechtlichen Bewilligungsantrag zu stecken, wäre nicht nur meine Verwaltung in diese Angelegenheit nie einbezogen worden, sondern hätte auch genügend Zeit bestanden, eine eigene Zucht aufzubauen bzw. auf gezüchtete Nachtigallen zurückzugreifen.

Herzlichen Dank, Herr Vorsitzender.