Ob ich auch einmal zu einem Treffen seiner „Kaffee-und-Kuchen-Gesellschaft“ (KKG) zu ihm nach Hause kommen wolle, fragte mich mein alter Studienkollege Jack Weil vor ein paar Jahren, als wir uns im großartigen Singer Museum in Laren trafen. Ja, das schien mir eine gute Idee zu sein! Denn er sagte mir, dass dies ein Treffen mit reichlich deutschem Kuchen und einem dazu passenden Vortrag für alle Kinder von deutsch-jüdischen Exilflüchtlingen sein würde, für Kinder von Menschen also, die vor dem Krieg in die Niederlande ausgewandert waren. So ein Kind bin auch ich – mein Vater Kurt Löb wurde in Berlin geboren (vgl. „aktuell“ Nr. 105).
Neugierig geworden, radelte ich eines Sonntagnachmittags zu Jack. Etwas überrascht war ich zunächst, in seinem geräumigen Wohnzimmer in der Schubertstraat keine jungen Leute, sondern ausschließlich ergraute Häupter vorzufinden. Die Kinder der Exilanten waren – genau wie ich, die ich damit überhaupt nicht gerechnet hatte – alle mindestens siebzig Jahre alt oder älter, also junge Ältere. Die Stimmung war sofort gut, der Vortrag von Ex-Minister Hirsch Ballin über die Bedeutung des Erhalts oder Verlusts der Staatsbürgerschaft sehr interessant, und die selbstgebackenen Kuchen waren köstlich. Vor Ort bekam ich auch einen unvergesslichen Kontakt mit der Mutter der Frau, die am nächsten Tag mein Elternhaus in Amsterdam kaufen würde! Wodurch wir am Ende sogar noch eine wunderbare „Mischpoke“ in der Straße dazubekommen haben, denn ich wohne nur zehn Meter von meinem ehemaligen Elternhaus entfernt und schätze deshalb auch die Nachbarschaft dieser reizenden jungen
Familie in diesem für mich besonderen Haus. Und das verdanke ich diesem ersten Besuch bei „Kaffee und Kuchen“!
Was genau ist nun die KKG?
Es ist eine private Wohnzimmergesellschaft, ein Netzwerk von ca. 30 Leuten, die sich drei- bis viermal im Jahr zu einem Vortrag über ein deutsch-jüdisches Thema treffen, und diesen mit Kaffee und selbstgebackenem Apfelstrudel, Käsetorte nach Mutters oder Großmutters Rezept abrunden – oder mit Zwetschgenkuchen nach Vaters Rezept zum Geburtstag seiner Mutter Ruth, wie ihn unser Gastgeber Jack regelmäßig backt. Dazu gibt es hinterher deutschen Wein. Der Eintritt zu diesem Salon ist frei, abgesehen davon, dass jeder etwas Leckeres mitbringen sollte.
Die Rednerinnen und Redner werden mit einer importierten Flasche Sekt aus dem rheinland-pfälzischen Meisenheim, der Heimat von Jacks Vater Hugo Weil, honoriert. Und sie können sich wirklich sehen lassen: Den Auftakt machte 2014 zum Beispiel der niederländische Starautor Arnon Grünberg („Blauer Montag“, „Phantomschmerz“, „Der Jüdische Messias“, „Muttermale“, „Tirza“ etc.), der anschließend über den deutsch-kulturellen Einfluss seiner Berliner Eltern auf ihn und seine Autorenschaft sprach. Andere Redner sprachen über Themen wie die deutschen Kinder im Versteck (Mirjam Keesing), über Flüchtlinge und die Verbindung zu sich selbst (Marjan Sax), Jacques Klöters über die deutsch-jüdischen Kabarettisten und der ehemalige Museumsdirektor des Joods Cultureel Kwartier (Jüdisches Kulturviertel) Joël Cahen über den Maler Max Liebermann. Und nach der langen Covid-Pause informierte uns Dr. Marieke Oprel (Dissertation: The Burden of Nationality) über die
„Entfeindung“, eine weitgehend unbekannte Geschichte über das schmerzhafte Verfahren, das ehemalige Deutsche in den Niederlanden durchlaufen mussten, um einen offiziellen Platz in unserer Gesellschaft zu erhalten. Darunter befanden sich zum Beispiel die vielen Tausend Dienstmädchen, Geschäftsleute, aber auch jüdische Flüchtlinge, die seit 1940 in den Niederlanden geblieben waren. Alle wurden nach dem Krieg kollektiv als „Feinde“ bezeichnet, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Und das galt sogar für diejenigen, die aus den Lagern zurückkehrten! Ein schmerzhafter Prozess, den viele unserer Eltern durchgemacht haben …