Editorial

Klaus Wowereit

auch 2010 begeht Berlin ein großes Gedenkjahr. Stand 2009 der 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution und des Falls der Mauer im Zentrum, so holen wir in diesem Jahr historisch etwas weiter aus: Gleich fünf traditionsreiche Wissenschaftseinrichtungen schauen auf runde Jubiläen zurück. Am weitesten die Staatsbibliothek, die ihre Gründung vor 350 Jahren dem Großen Kurfürsten verdankte. Ihr jeweils 300-jähriges Bestehen feiern die Charité und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die Humboldt-Universität wird 200 Jahre alt und die als Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründete Max-Planck-Gesellschaft 100. Fünf unterschiedliche Institutionen, die jedoch eins verbindet: Sie stehen für Berlins Aufstieg zum einst führenden Wissenschaftsstandort weltweit.

Große jüdische Forscherpersönlichkeiten wie Albert Einstein, James Franck oder Paul Ehrlich haben an dieser Erfolgsgeschichte maßgeblich mitgeschrieben. Diese Wissenschaftler waren nicht nur davon beseelt, die Welt besser zu verstehen, sondern sie auch besser zu machen. Neben einem ausgeprägten Forscherdrang einte Berlins beste Köpfe Idealismus und eine tiefe Humanität. Diese Tradition riss 1933 mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten brutal ab. Jüdische Forscherinnen und Forscher wurden vertrieben oder ermordet, politisch Andersdenkende verfolgt, die Wissenschaften gleichgeschaltet und missbraucht. Wenn sich Berlin in diesem Jahr seiner großen wissenschaftlichen Tradition vergewissert, dann wird auch der Opfer von Rassenwahn und Barbarei gedacht.

Heute, 20 Jahre nach Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung, ist Berlin wieder auf bestem Wege, an seine große wissenschaftliche Tradition anzuknüpfen. Die Stadt verfügt über eine vielfältige und leistungsfähige Forschungslandschaft, die Talente und kluge Köpfe aus aller Welt anzieht.

Das gilt auch für die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Im vergangenen Herbst haben wir in zentraler Lage nahe des Bahnhofs Friedrichstraße mit dem Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum eine moderne geisteswissenschaftliche Bibliothek eröffnet, die ihresgleichen sucht. Der Bau des Schweizer Architekten Max Dudler ist ein richtiger „Hingucker“. Aber auch die inneren Werte stimmen. Das Jacobund-Wilhelm-Grimm-Zentrum setzt Standards, was technische Ausstattung und Benutzerfreundlichkeit angeht. Kein Wunder, dass dieses Haus von seinen Nutzern hervorragend angenommen wird. Machen Sie sich selbst ein Bild und lesen Sie den Artikel in diesem Heft.

Kultur wird in dieser Ausgabe von aktuell wieder ganz groß geschrieben. Auf der letzten Berlinale feierte ein Film seine glanzvolle Wiederaufführung, der seit seiner Premiere im Jahr 1927 so nicht mehr zu sehen war: Fritz Langs Meisterwerk Metropolis fiel damals bei Kritik und Publikum durch und wurde gekürzt. Erst dank einer 2008 in Buenos Aires gefundenen Kopie konnte der Film rekonstruiert werden – eine filmhistorische Detektivgeschichte.

Neben Berichten über Berlins Chöre und die East Side Gallery finden Sie in diesem Heft Beiträge über die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und von Schloss Schönhausen – zwei unterschiedliche Häuser mit der Gemeinsamkeit, auf eine sehr bewegte Geschichte zurückzuschauen.

Das und vieles andere aus Ihrer Heimatstadt Berlin bietet Ihnen die neue Ausgabe von aktuell . Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.


Ihr
Klaus Wowereit
Regierender Bürgermeister von Berlin