Editorial

Wowereit

Berlin hat das ganze Jahr über des 60. Jahrestages des Kriegsendes gedacht. Am 8. Mai 1945, mit der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands, endeten auch Terror und Verfolgung, mit denen Deutschland Europa und die Welt überzogen hatte.

Aus den zahlreichen Gedenkveranstaltungen in Berlin sei eine herausgehoben: die Einweihung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Peter Eisenmans abstraktes Stelenfeld an geschichtsträchtigem Ort, wo einst Reichskanzlei und Führerbunker, später Mauer und Todesstreifen und heute die Symbole unseres demokratischen und weltoffenen Gemeinwesens die Szenerie bestimmen: Das war ein Wagnis. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und entschiedener Befürworter des Mahnmals, wiederholte bei der Einweihungsfeier eine durchaus verbreitete Kritik: Das Mahnmal als solches sei unvollständig, da es sich der Frage nach dem „Warum“ des Holocaust, nach den Schuldigen und Ursachen der Katastrophe, entziehe. Deshalb ist der unterirdische „Ort der Information“ eine unverzichtbare Ergänzung des Mahnmals.

Die besorgte Frage vieler Menschen lautete: Wie würden die Berlinerinnen und Berliner, wie die vielen Touristen mit dem Mahnmal umgehen? Würde das Tag und Nacht frei zugängliche Stelenfeld im Besucher-Rummel seine Würde als Gedenkort behaupten können? Und was, wenn die Stelen mit antisemitischen Parolen beschmiert würden?

Nun, diese Befürchtungen haben sich bisher als unbegründet erwiesen. In diesem Heft können Sie nachlesen, wie das Mahnmal angenommen wird: durchaus unterschiedlich, Nachdenklichkeit und Betroffenheit stehen mitunter recht unvermittelt neben Staunen und einer spielerischen Aneignung der Stelen durch Kinder und Jugendliche. Es ist eben ein offenes Mahnmal, offen für Deutungen und Emotionen, je nach Befindlichkeit des Betrachters. Deshalb kann man jetzt nach einem halben Jahr resümieren: Das Mahnmal lebt. Und mit ihm das Gedenken des deutschen Völkermords an sechs Millionen Juden.

Im jetzt zu Ende gehenden Jahr gedachte Berlin auch einer Reihe weiterer Jubiläen. In der Berlinischen Galerie ist noch bis 15. Januar die Ausstellung „100 Jahre Brücke – Geburt des deutschen Expressionismus“ zu sehen. Sammlungen aus aller Welt schickten Meisterwerke von Kirchner, Heckel, Pechstein, Schmidt-Rottluff und anderen nach Berlin. Nach der großen Schau „MoMa in Berlin“, den grandiosen Ausstellungen zu Goya und Picasso ist „100 Jahre Brücke“ ein weiteres Berliner Highlight.

Zum 100. Mal jährt sich auch die Übernahme des Deutschen Theaters durch Max Reinhardt. Er hat den Ruhm dieses Hauses ja nicht nur durch eine Vielzahl legendärer Inszenierungen begründet. Max Reinhardt war auch ein ausgesprochen moderner Theater-Mann, der mit großer Selbstverständlichkeit den visionären Künstler und den kühl kalkulierenden Manager in einer Person vereinte – eine Ausnahme-Erscheinung.

Noch mal 100, aber nicht als Jubiläum, sondern als Buslinie. Wer nämlich Bus fährt, sieht mehr von Berlin. Und die Linie 100, die vom Alexanderplatz die Linden runter an Brandenburger Tor und Reichstag vorbei zum Bahnhof Zoo fährt, besitzt bei Berlin-Besuchern inzwischen Kult-Status. Wer auf dem Oberdeck die Plätze ganz vorne ergattert, sitzt im Wortsinne in der ersten Reihe.

Das und vieles andere gibt es in diesem Heft: viel Museales, vom Zille-Museum bis zum 175. Jubiläum der Staatlichen Museen zu Berlin, einen historischen Rundgang durch die Kulturbrauerei und das neue Olympiastadion sowie einen Bericht über den Sportverein Makkabi-Berlin, der 1898 unter dem Namen „Bar Kochba“ ins Leben gerufen wurde und vor 35 Jahren durch eine kleine Gruppe jüdischer Sportler wiederbelebt wurde. Heute heißt es: „Makkabi Chai – Makkabi Lebt!“


Ihr Klaus Wowereit
Regierender Bürgermeister von Berlin