Großartige Filme. Spannende Begegnungen.

Das Jüdische Filmfestival Berlin | Brandenburg (JFBB) ist das größte jüdische Filmfestival in Deutschland. Es findet in diesem Jahr vom 14. bis 19. Juni in Berlin und Potsdam statt. Sechs Tage lang werden internationale Filme aller Genres vom Experimentalfilm bis zur TV-Serie gezeigt. „aktuell“ sprach mit Andreas Stein, dem Geschäftsführer des JFBB.

Dieses „Familienfoto“ vereint verschiedene mit dem Festival verbundene Personen, u. a. Jeanine Meerapfel (vorne links), der dieses Jahr eine Hommage gewidmet ist | This “family photo” unites various persons associated with the festival, including Jeanine Meerapfel (front left), who is the subject of an homage this year

Dieses „Familienfoto“ vereint verschiedene mit dem Festival verbundene Personen, u. a. Jeanine Meerapfel (vorne links), der dieses Jahr eine Hommage gewidmet ist

Herr Stein, wie würden Sie das jüdische Filmfestival Berlin | Brandenburg in einem Satz beschreiben?
Ein Festival für alle und jeden. Großartige Filme. Spannende Begegnungen. Interessante Gespräche und Podiumsdiskussionen. Bleibende Erinnerungen. Und die Erkenntnis, dass die jüdische Kultur und Religion untrennbarere Bestandteile der deutschen Gesellschaft sind.

Ist das inzwischen nicht normal?
Leider nicht. Die Zahl der antisemitischen Straftaten in Deutschland steigt wieder. Es gilt, Antisemitismus mit alen Mitteln und Konsequenzen zu bekämpfen. Aufklärung spielt da eine wichtige Rolle. Dazu können wir mit unseren Filmen beitragen. Wir beleuchten jüdische Themen in ihrer ganzen Vielfalt: Unser Programm zeigt verschiedene Positionen jüdischen Filmschaffens, wir erzählen jüdische Biografien und zeigen: Das Judentum gehört seit über 1.700 Jahren zu Deutschland. Das muss zurückkehren ins Bewusstsein der Bevölkerung, daran arbeiten wir tagtäglich mit unserem Team und wollen unseren Beitrag dazu leisten. Auch mit medienpädagogischen Angeboten speziell für Schulklassen. Einerseits gestalten wir gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern Kurzfilme, andererseits zeigen wir ihnen Filme und sprechen anschließend, meist gemeinsam mit den Filmschaffenden, mit ihnen über Themen wie die Shoa, über aktuellen Antisemitismus, über Vorurteile und Diskriminierung.

Andreas Stein (r.) leitet das JFBB mit seiner Geschäftspartnerin Doreen Goethe | Andreas Stein (r.) organises the JFBB with his business partner Doreen Goethe

Andreas Stein (r.) leitet das JFBB mit seiner Geschäftspartnerin Doreen Goethe

Welche Themen werden denn aktuell in jüdischen Filmen verhandelt?
Thematisch geht es so vielfältig zu wie im jüdischen Alltag. Sehr stark vertreten ist natürlich immer noch die Aufarbeitung der Shoa und ihrer Traumata, die sich nun in der dritten Generation wiederum völlig anders bemerkbar machen. In jüdischen Filmen aus Israel spielt das Verhältnis zu arabischen Israelis und Arabern eine Rolle, in letzter Zeit in Dokumentarfilmen oft auch das zwischen aschkenasischen Juden und solchen, die aus arabischen und afrikanischen Ländern eingewandert sind. Das Beschäftigen mit zwischenmenschlichen Beziehungen in der Familie und im Freundeskreis ist eine weitere Konstante im jüdischen Kino. Das Schöne ist, dass ganz unterschiedliche Erfahrungen thematisiert werden – von Aussteigern in Brasilien bis zur jüdischen Community in Uganda, von der animierten Trauma-Verarbeitung aus Belarus bis zu Filmen wie „Der Passfälscher“, der der langen Liste der filmischen Reflexionen der Shoa einen neuen Blickwinkel hinzufügt: den des jugendlichen Überlebenswillens in fürchterlichen Zeiten.

Herr Stein, Sie selbst sind kein Jude, wie kam es dazu, dass Sie das jüdische Filmfestival veranstalten?
Das Festival wurde 1995 von Nicola Galliner ursprünglich noch im Rahmen der Kulturarbeit der Jüdischen Gemeinde Berlin gegründet und später selbständig von ihr geleitet. Ihr gebührt der große Dank für die bisherige Entwicklung. Mit dem Übergang in den Ruhestand hat sie das JFBB vor zwei Jahren in unsere Hände gelegt. Seit mehr als 30 Jahren veranstalten meine Geschäftspartnerin Doreen Goethe und ich mit einem großartigen Team das Festival des osteuropäischen Films in Cottbus, welches weltweit als ein führendes seiner Art gilt. Thematische Schnittmengen zum JFBB gab es dabei auch schon früher. Frau Galliner vertraut uns aufgrund unserer langjährigen Erfahrung und weil unsere Festivals bereits über Jahre hinweg miteinander kooperieren. Unserem Team, vor allem in der Programmabteilung, gehören Juden und Nichtjuden, gebürtige Deutsche und Nichtdeutsche an. Aber wie ich bereits oben beschrieben habe, zur Normalität in der Gesellschaft sollte eben auch gehören, dass man nicht danach fragt oder hinsichtlich dessen trennt, wer oder was man ist.

Das Programmkollektiv des JFBB, von links nach rechts: Naomi Levari, Amos Geva, Dr. Lea Wohl von Haselberg, Arkadij Khaet und Bernd Buder | The JFBB programming collective, from left to right: Naomi Levari, Amos Geva, Dr Lea Wohl von Haselberg, Arkadij Khaet and Bernd Buder

Das Programmkollektiv des JFBB, von links nach rechts: Naomi Levari, Amos Geva, Dr. Lea Wohl von Haselberg, Arkadij Khaet und Bernd Buder

Wer wählt denn aus, welche Filme beim Festival gezeigt werden?
Ein fünfköpfiges Programmkollektiv. Programmdirektor ist Bernd Buder, mit dem wir bereits seit vielen Jahren in Cottbus erfolgreich zusammenarbeiten. Er wird maßgeblich unterstützt von der Filmwissenschaftlerin Dr. Lea Wohl von Haselberg, der israelischen Filmproduzentin Naomi Levari, dem Filmemacher Arkadij Khaet, der im vergangenen Jahr für seinen Kurzfilm MASEL TOV COCKTAIL den Grimme-Preis gewonnen hat, sowie dem Betreiber der Streaming-Plattform T-Port, Amos Geva. Die Zusammenarbeit macht unglaublich viel Spaß, und es sprudeln, jenseits der eigentlichen Recherche, Sichtung und Programmauswahl, derart viele Ideen, dass wir das „Festival-Logbuch“ eigentlich schon für die nächsten Jahre gut gefüllt haben.

Im Fokus des Festivals stehen die beiden Wettbewerbe um den besten Spiel- und Dokumentarfilm, welche Sektionen gibt es noch?
Richtig, in den beiden genannten Wettbewerben werden auch unsere vier Preise vergeben: Die beiden Hauptpreise sind der Erinnerung an die jüdische Kinolegende Gershon (Gerhard) Klein gewidmet und werden von dessen Töchtern Jacqueline Hopp und Madeleine Budde gestiftet. Auch den Dialog-Preis und den Nachwuchsförderpreis verdanken wir privatem Engagement, sie werden vom Potsdamer Unternehmer Stephan Goericke gestellt. Zu den weiteren Sektionen gehören das „Kino Fermished“, welches in diesem Jahr vor allem Frauen vor und hinter der Kamera in den Mittelpunkt rückt, sowie die Sektion „Serial fresh“, in der es sich – wie man bereits dem Namen entnehmen kann – um neue Serien rund um jüdische Themen dreht. Die fünfte Sektion rückt einen Anlass oder eine Person ins Zentrum unseres Interesses. In diesem Jahr widmen wir der Regisseurin, Autorin und Präsidentin der Berliner Akademie der Künste, Jeanine Meerapfel eine Hommage. Diese geht jedoch deutlich über eine ansonsten übliche Werkschau hinaus. Ihre – teilweise Jahrzehnte alten – Filme beeindrucken auch heute noch durch ihre thematische und politische Aktualität. Deshalb werden wir in einem Doppelfeature ausgewählte Filme mit jeweils einem inhaltlich passenden, aktuellen Film einer jungen Filmschaffenden kombinieren und immer im Anschluss an eine Doppelvorführung mit beiden Filmemacherinnen ausführlich diskutieren. Das wird gewiss sehr informativ, spannend und natürlich auch amüsant.

Spektakuläre Spielstätte: das Theaterschiff „MS Goldberg“ | Spectacular venue: the theatre ship “MS Goldberg”

Spektakuläre Spielstätte: das Theaterschiff „MS Goldberg“

Unter Ihren Spielstätten findet sich neben verschiedenen Kinos in Berlin und Potsdam auch das jüdische Theaterschiff. Was ist denn das?
Das jüdische Theaterschiff „MS Goldberg“ wurde eben erst fertiggestellt und liegt nahe der Zitadelle in Spandau vor Anker. Wir freuen uns sehr, dass wir dort an Deck oder zunächst unter Deck gehen dürfen. Berlin war einst eine weltbekannte jüdische Theater-, Film- und Musikmetropole und mit diesem Schiff soll daran angeknüpft werden. Das Goldberg-Team rund um den Intendanten Peter Sauerbaum plant Theater, Lesungen, Konzerte und Kino. Fürs Kino sind wir natürlich auch abseits der Festivalwoche der perfekte Partner und werden deshalb auch darüber hinaus mit den Betreibern kooperieren. Ich bin schon sehr gespannt, unsere Filme in dieser einzigartigen Kulisse zu zeigen. Das Theaterschiff ist auch der Schauplatz unseres Bildungsangebotes für Berliner Schulen. In Potsdam wird das der Mediencampus sein.

Das Motto der diesjährigen Ausgabe lautet Jewcy Movies | The motto for this year's festival is Jewcy Movies

Das Motto der diesjährigen Ausgabe lautet Jewcy Movies

Welche Filme aus dem Festival-Programm haben Sie besonders beeindruckt?
Einer unserer deutschen Höhepunkte in diesem Jahr wird gewiss der bereits erwähnte Spielfilm „Der Passfälscher“ sein. Aus dem Programm des vergangenen Jahres hat mich zweifellos unser Eröffnungsfilm „Shiva Baby“, der übrigens gleichzeitig unser JFBB-Blockbuster 2021 war, beeindruckt. Ein Spielfilm, der genau das erzählt, wofür auch das JFBB steht – den modernen jüdischen Alltag. Ein Film, der unglaublich lebensnah erzählt ist, immer dicht an seiner (Anti-)Heldin mit all ihren Zweifeln, mit einer Situationskomik, die oft zum Lachen, manchmal aber eben auch zum Weinen ist, einen jedoch immer wieder an eigene jugendliche Erfahrungen erinnert.

Auf was freuen Sie sich beim Festival am Meisten?
In erster Linie auf die Begegnungen – mit Filmschaffenden, mit dem Publikum, mit Unterstützern des Festivals und mit Interessierten. Natürlich auch auf die Filme, auf die Reaktionen des Publikums und auf die anschließenden Filmgespräche. Und wenn wir diese Umsetzung schaffen, dann auch auf die Veranstaltungen im Rahmenprogramm, abseits der Filmveranstaltungen. Dafür stecken wir gerade noch voll in den Absprachen und werden letztlich ein insgesamt sehr vielfältiges und spannendes 28. Jüdisches Filmfestival Berlin | Brandenburg präsentieren.

Weitere Informationen: www.jfbb.info