Berliner Zukunftsfantasien um 1900

Georg Busse, "Berlin als Seestadt." Der neue Hafen am Brandenburger Tor, 1904, Postkarte

Georg Busse, "Berlin als Seestadt." Der neue Hafen am Brandenburger Tor, 1904, Postkarte

"Berlin in der Zukunft." Am Brandenburger Tor, 1907, Postkarte

"Berlin in der Zukunft." Am Brandenburger Tor, 1907, Postkarte

Von Nils Martin Müller, Künstler und Kurator

Expeditionen zum Mond, Besiedlung anderer Planeten, Unterwasserwelten und vollautomatisierte Städte: Um 1900 verspürten die Menschen eine prickelnde Neugier beim Gedanken an die Zukunft. Anders als heute waren sie positiv gestimmt. Das Kaleidoskop vergangener Zukunftsträume zeugt von dem unaufhaltsamen Optimismus und dem romantischen Wunsch nach fantastischen Welten.

Berlin in der Zukunft

Die wachsende Stadt Berlin verdeutlichte den Menschen die Geschwindigkeit des Wandels. Der Verkehr in der Zukunft war ein beliebtes Postkartenmotiv, welches intensiv und variantenreich behandelt wurde. Um Verkehrsprobleme zu lösen, verlegte man den Verkehr in unterschiedliche Ebenen. Ballone, Schwebebahnen, Luftschiffe und Flugapparate erfüllen den Luftraum, während auf den Straßen detailfreudiges Durcheinander herrscht. Bildpostkarten mit derart fantastischen Stadtbildern erschienen 1908 nahezu in jeder Stadt und zählten zu den gefragtesten Souvenirs. Die Fotomontage war eines der beliebtesten Verfahren bei der bildhaften Umsetzung utopischer Fantasien.

Georg Busse, "Berlin als Seestadt." Der neue Hafen am kaiserlichen Schloss, 1904, Postkarte

Georg Busse, "Berlin als Seestadt." Der neue Hafen am kaiserlichen Schloss, 1904, Postkarte

Grüße aus Berlin

Die Bildpostkarte erlebte damals den Höhepunkt an allgemeiner Beliebtheit, Umfang der Produktion und ästhetischem Aufwand, der seitdem wohl kaum wieder übertroffen wurde. Rasant wie das Lebenstempo der Metropole, wie die Flut technischer Erfindungen breitete sich die Postkarte als neue Kommunikationsform aus. Allein im Postbezirk Berlin wurden 1890 ungefähr 19 Millionen Karten verschickt, zehn Jahre später waren es bereits etwa 72 Millionen. Auf humoristische Weise zeigen einige der Ansichtskarten überflutete Städte wie die Reihe „Berlin als Seestadt“. Der Fotokünstler Georg Busse verwandelt kurzerhand die kaiserliche Reichshauptstadt in eine Seestadt, in der die mondäne Gesellschaft an Kanälen flaniert. Diese Fotomontagen wurden zum 1. April als Scherz-Aufnahmen in der „Berliner Illustrierte Zeitung“ abgedruckt. Hier sind keine Überschwemmungen oder Flutkatastrophen dargestellt, sondern eine planvolle Umgestaltung des Stadtbildes.

Albert Vennemann, "Das schöne Berlin", um 1920, Fotopostkarte

Albert Vennemann, "Das schöne Berlin", um 1920, Fotopostkarte

Berlin ist eine Reise wert!

Als „Schöpfer des Gesichts einer Weltstadt“ wurde der Fotograf Albert Vennemann bekannt. Fotopostkarten mit dem Titel „Das schöne Berlin“ zeigen Stadtansichten, in denen Vennemann Straßen, Bahnhöfe, moderne Geschäftsbauten und Industriewerke zu einem modernen Metropolis arrangiert. Vennemann war nicht nur Gebrauchsfotograf, er lieferte auch das visuelle Material für das damals neue Stadtmarketing, etwa für die ab 1925 erscheinende Berliner-Werbezeitschrift „Der Wochenspiegel“ und die Kampagne „Jeder einmal in Berlin“.

Georg Busse, "Berlin als Seestadt." Venetianische Gondeln vermitteln den Verkehr an der Seufzerecke, 1904, Postkarte

Georg Busse, "Berlin als Seestadt." Venetianische Gondeln vermitteln den Verkehr an der Seufzerecke, 1904, Postkarte