Das Futurium – Zukünfte vorstellbar machen

Das Futurium wurde nach Plänen des Berliner Architekten-Büros Richter-Musikowski errichtet. Das fünfseitige Bauwerk aus Beton, Glas und Stahl liegt am Spreebogen neben dem Hauptbahnhof

Das Futurium wurde nach Plänen des Berliner Architekten-Büros Richter-Musikowski errichtet. Das fünfseitige Bauwerk aus Beton, Glas und Stahl liegt am Spreebogen neben dem Hauptbahnhof

Das Interview führte Amelie Müller, Senatskanzlei Berlin

Wie wollen wir leben? Was wäre möglich? Was müssten wir dafür tun? Für diese Zukunftsfragen gibt es in Berlin einen Ort. An der Spree, in Sichtweite des Bundeskanzleramts, eröffnete 2019 das Futurium seine Pforten. Als Haus der Zukünfte will es seine Besucher*innen dazu anregen, sich mit der Zukunft zu beschäftigen und sie aktiv mitzugestalten. „aktuell“ sprach mit Direktor Dr. Stefan Brandt.

Die Ausstellung ist in drei Denkräume gegliedert: Mensch, Umwelt, Technik

Die Ausstellung ist in drei Denkräume gegliedert: Mensch, Umwelt, Technik

Das Futurium ist kein Prognoseinstitut. Sie beschreiben nicht, wie die Zukunft wird, sondern erforschen, wie sie werden könnte. Wie genau machen Sie das?

Das Futurium macht das auf Basis von Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung. In unserer Ausstellung stellen wir in drei sogenannten Denkräumen – „Mensch“, „Natur“ und „Technik“ – unterschiedliche Zukunftsoptionen vor. Innerhalb dieser Denkräume und diese verbindend gibt es verschiedene Themenfelder, zum Beispiel „Zukunft des Wohnens“, „Zukunft der Energieversorgung“, „Zukunft der Gesundheit“ und darin dann unterschiedliche Zukunftspfade oder Zukunftsoptionen. Wie könnte eine Zukunft aussehen, wenn unsere Städte wirklich zu Smart Cities werden? Was bringt uns das, was kostet uns das – auch im Hinblick auf digitale Selbstbestimmung? Wie kann Städtebau aus natürlichen Materialien funktionieren? Dabei zeigen wir Prototypen oder konkrete Fallbeispiele, die es zum Teil international schon gibt, die man aber vielleicht in Deutschland noch nicht kennt. Wir versuchen immer, Dinge vorstellbar zu machen. Im Futurium Lab liegt der Fokus darauf, eigene Ideen auszuprobieren. Spannende Debatten führen wir bei unseren Veranstaltungen im Futurium Forum.

Künstlerische Akzente ergänzen die wissenschaftlichen, wie hier das Exponat "Noosphere" von Philip Beesley

Künstlerische Akzente ergänzen die wissenschaftlichen, wie hier das Exponat "Noosphere" von Philip Beesley

Die Zukunftsforschung kennt verschiedene Methoden. Vergleichsweise einfach ist es, einen bestehenden Trend in die Zukunft fortzuschreiben. Aber es passieren immer wieder unerwartete Ereignisse oder Erfindungen, die man kaum prognostizieren kann.

Genau um diese Linearität des Denkens zu durchbrechen, arbeiten wir neben den wissenschaftlichen auch mit künstlerischen Akzenten, um mittels Fantasie „utopischere Sphären“ zu erreichen. Da Vinci hat beispielsweise Flugapparate imaginiert, die in seiner Zeit nicht realisierbar waren. Lilienthal hat dann ein paar Jahrhunderte später seine Ideen weiterverarbeitet. Im Futurium Lab gibt es ein relativ auffälliges Exponat, „Noosphere“ von Philip Beesley. Es wurde 2017/2018 als ein Lebewesen-Organsystem der Zukunft konzipiert und 2019 bei uns aufgehängt. Heute hingegen sagen viele Menschen, dass es wie ein Coronavirus aussieht. Der Künstler hat damals gesagt, er wisse selbst nicht, was es ist; das Objekt werde erst über die Jahre eine Bedeutung entfalten. Die Offenheit von Kunst erlaubt, dass man Dinge auch retrospektiv noch einmal anders deutet.

„Zukunft ist gestaltbar“ ist eine Ihrer wichtigsten Aussagen. Viele Menschen empfinden sich angesichts der Krisen unserer Zeit jedoch als ohnmächtig. Viele junge Leute fragen sich, ob sie überhaupt eine Zukunft haben. Wie sprechen Sie Menschen an, denen Zukunft vor allem Angst macht?

Indem wir die Ängste ernst nehmen und indem wir keinen naiven Optimismus verbreiten. Bei allem, was wir machen, versuchen wir auch mitzudenken, ist das denn wirklich das Heilsversprechen? Ist zum Beispiel eine Technologie tatsächlich so positiv, wie die Industrie es darstellt oder welche Risiken sind mit ihr verbunden?
Ich glaube, mit dieser Herangehensweise holen wir viele Leute ab. Die Aussage „Zukunft ist gestaltbar“ ist aus meiner Sicht eine pure Notwendigkeit. Letztlich können hier und jetzt ja nur wir selbst die Zukunft gestalten. Damit meine ich uns als Gesamtheit, die Einzelnen haben natürlich sehr unterschiedliche Zugriffsmöglichkeiten. Natürlich gibt es auch viele Menschen, für die das tägliche Überleben im Vordergrund steht. Es gibt aber auch immer wieder Beispiele von Individuen, die plötzlich ungemein zukunftswirksam werden. Greta Thunberg etwa, die mit 15 noch niemand kannte und die innerhalb weniger Jahre beim Kampf gegen die Klimakrise eine weltweite Wirkung erreicht hat. Da gibt es natürlich viele Abstufungen. Wir versuchen, in diesem Haus auch zu zeigen, dass es die kleinen Dinge sein können, die man ändert: das Konsumverhalten zum Beispiel, den Umgang mit Fleisch in der Ernährung. Mit seinem privaten Verhalten hat jeder auch einen kleinen Hebel dafür in der Hand, die Zukunft zu gestalten.

Ort der Debatte: Im Futurium Forum finden regelmäßig Veranstaltungen statt

Ort der Debatte: Im Futurium Forum finden regelmäßig Veranstaltungen statt

Trotzdem reichen private Verhaltensänderungen nicht aus, es braucht auch große Weichenstellungen.

Das stimmt. Die Politik hat eine entscheidende gestaltende und steuernde Rolle. Wir als Futurium sehen uns als Impulsgeber und holen auch immer wieder die Politik an den Tisch. Zu unserer neuen Gesprächsreihe „LET´S TALK ABOUT …“ zum Beispiel laden wir Menschen ein, die nachweislich großen Einfluss auf Zukunftsgestaltung haben, wie den Bundesverkehrsminister Volker Wissing, mit dem wir über den Weg hin zu einem klimaneutralen Verkehrssektor gesprochen haben.

Fortschritt entsteht nicht nur durch technische Innovation, sondern auch durch den Zivilisationsprozess. Beschäftigen Sie sich auch mit der Zukunft der Demokratie?

Das wird 2023 unser Schwerpunktthema sein. Die große Leitfrage ist: Wie kann und wie muss sich Demokratie ändern, um die großen Zukunftsherausforderungen bewältigen zu können? Da geht es natürlich um die Klimakrise, aber auch um andere Herausforderungen. Davon ausgehend werden verschiedene Lösungswege verfolgt: Wie können partizipative Formate der Zukunft aussehen? Was können Bürger*innenräte leisten, was aber vielleicht auch nicht? Wie funktionieren Modelle wie die zunehmend berufenen Ombudsleute in Parlamenten oder in Regierungen anderer Staaten, die sich um längerfristige Zukunftsperspektiven kümmern? Wir werden auch über die technischen Dimensionen von Demokratie reden: Was kann Digitalisierung bringen, was kann sie, in puncto Datenschutz, aber auch wieder kosten? Natürlich beschäftigen wir uns auch mit dem Parteienstaat, den wir in Deutschland haben: Wie reformbedürftig ist er, was funktioniert gut und was nicht? Und welche vermeintlichen Patentlösungen sind vielleicht nur eine Illusion?

Im Futurium Lab kann man auch eigene Ideen ausprobieren

Im Futurium Lab kann man auch eigene Ideen ausprobieren

Für viele Holocaust-Überlebende ist das Erzählen ihrer Geschichten zu einer Lebensaufgabe geworden – mit dem Ziel, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder geschieht. Was kann man aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? Blicken Sie im Futurium auch zurück?
Das machen wir in der Tat. Wir sehen uns beispielsweise an, welche Erwartungen früher an die Zukunft gestellt wurden, die sich nicht erfüllt haben, wenn wir uns mit dem Begriff der Utopie beschäftigen. Die Utopie ist ja durch die schwer gescheiterten Gesellschaftsutopien des 19. und 20. Jahrhunderts, die in Dystopien umgeschlagen sind, in Verruf geraten. Ich glaube, wir brauchen Utopien trotzdem, um Orientierung zu gewinnen. Man darf die Utopie nur nicht mit einem Masterplan verwechseln. Ein Beispiel: Wenn ich sage, ich habe eine Vorstellung, beispielsweise eine nachhaltige Welt ohne Emissionen, dann ist das erst einmal eine Utopie, die ich aber kritisch reflektierend in einen Pfad übersetzen muss. Da muss ich natürlich über Zielkonflikte reden. Was müssen wir dafür aufgeben, welche gesellschaftlichen und sozialen Debatten müssen wir führen? Es wäre schlimm, wenn man in eine Situation käme, in der sich etwas nur noch diktatorisch umsetzen ließe, in der man sagen würde, wir brauchen jemanden, der verordnet, dass es so gemacht wird, ob die Leute das jetzt wollen oder nicht. Ich glaube, das ist eine der Lehren, die wir aus der Vergangenheit ziehen können, dass man als Gesellschaft nie den Gestaltungshebel aus der Hand geben sollte. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, Freiheit und Nachhaltigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu bewahren bzw. zu erreichen – es geht ja nicht nur um die Natur, es geht ja auch um einen nachhaltigen, respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander. Wir müssen beides zusammenkriegen, sonst geben wir sehr viel auf.

Seit das Futurium 2019 eröffnet hat, sind viele Dinge geschehen, von denen man noch vor wenigen Jahren gedacht hätte, sie seien total futuristisch, allen voran die Covid-Pandemie. Wie gehen Sie mit diesen Ereignissen um?

Die Themenauswahl bei uns im Haus hat sich als „pandemietauglich“ erwiesen. Zum Beispiel haben wir uns schon vor der Pandemie mit Lieferketten auseinandergesetzt. In unserer Ausstellung zeigen wir, wie angreifbar diese enorm diffizilen globalen Lieferketten sind und geben Denkanstöße, wie regionalere Lösungen aussehen könnten. Diese Debatte wurde durch die Pandemie und auch durch den Krieg in der Ukraine noch einmal verstärkt. Wir zeigen an vielen Stellen, was aus einem Schockergebnis resultiert. Das Schockereignis selbst haben wir zwar nicht vorhergesagt, aber die grundsätzliche Anfälligkeit des Systems aufgezeigt. Insofern würde ich sagen, funktioniert unsere Themenauswahl auch in dieser Welt, in der wir jetzt leben. Natürlich nehmen wir auch direkt Bezug auf aktuelle Ereignisse. In der Natursektion der Ausstellung zeigen wir zum Beispiel, wie Viren durch menschliche Mobilität übertragen und über die Welt verbreitet werden.

Der Wünschespeicher Enthält bereits über 275.000 Zukunftswünsche

Der Wünschespeicher Enthält bereits über 275.000 Zukunftswünsche

Im Futurium kann man ganz viel selbst machen, Dinge ausprobieren und Feedback geben. Was interessiert denn Ihre Besucher*innen am meisten?

Das Eingangsexponat, unser Wünschespeicher, kommt sehr gut an. Man gibt dort einen Wunsch für die Zukunft ein und ein neuronales Netz ordnet den Wunsch einer Kategorie zu. Er enthält inzwischen 275.000 Wünsche. Es stehen dort auch häufig Menschengruppen und kommen miteinander ins Gespräch. Ansonsten sind es zum einen kontroverse Stationen zur Technik, die großes Interesse erzeugen: „Wieviel Überwachung nehme ich für neue digitale Angebote in Kauf?“ oder „Was soll der Roboter für mich übernehmen?“. Auch Kreislaufwirtschaft zunehmend ein großes Thema. Und generell kann man sagen, dass die Stationen, bei denen Menschen Berührungspunkte mit ihrem eigenen Leben wahrnehmen, viel Interesse wecken. Deshalb verfolgen wir hier im Haus das „Prinzip Lebensnähe“: Wir möchten abstrakte Fragestellungen in möglichst fassbare Dinge übersetzen, um klarzumachen, dass man von den großen Fragen auch zur ganz alltäglichen Ebene kommen kann.

Der Kulturmanager und promovierte Musikwissenschaftler Stefan Brandt ist seit 2017 Direktor des Futuriums, zuvor war er unter anderem Geschäftsführer und Vorstand der Hamburger Kunsthall

Der Kulturmanager und promovierte Musikwissenschaftler Stefan Brandt ist seit 2017 Direktor des Futuriums, zuvor war er unter anderem Geschäftsführer und Vorstand der Hamburger Kunsthall

Und was ist Ihr Wunsch, wie sieht für Sie persönlich die Stadt von morgen aus?

Meine ideale Stadt von morgen ist inklusiv, grün und gleichzeitig freiheitlich. Mit „freiheitlich“ meine ich, sie ist ein Ort demokratischer Diskurse und Debatten, kontrovers, aber konstruktiv. „Inklusiv“ soll heißen: durchaus eine Stadt der Gegensätze, aber keine, die auseinanderbricht in Slums und Gated Communities. Und „grün“ ist glaube ich relativ selbsterklärend: Wir müssen nachhaltig bauen und wirtschaften, wir müssen in Kreisläufen denken.
Digitale Ausstellung und weitere Informationen: www.futurium.de