Ohrwürmer

Von Bern Brent (früher / previously Gerd Bernstein)

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Leserbriefe an aktuell

Als jetzt 95-Jähriger, der mit 15 mit einem Kindertransport von Berlin nach England ging und dann mit der Dubera nach Australien, bin ich noch senkrecht. Beim Sehen und Hören hapert es etwas, aber sonst funkt es noch einigermaßen. Komischerweise kommen mir jetzt, nach 80 Jahren, plötzlich vergessen geglaubte alte deutsche Schlager und Schulgesänge oft in den Sinn: Eine Freundin so goldig wie du – Es war einmal ein Musikus, der spielte im Café – Flieger, grüß mir die Sonne – Das ist die Liebe der Matrosen – Das ist Berlin, Berlin, die wunderschöne Stadt – Es wird in hundert Jahren wieder so ein Frühling sein – Das war in Schöneberg im Monat Mai – etc.

Und Lieder, die wir als Schuljungen grölten: Wem Gott will gute Gunst erweisen, den schickt er in die Wurstfabrik. – Ein Ziegelstein ist nie allein, er hat nur in Rudeln Vergnügen. Und ist er allein, dann ist er wahrscheinlich irgendwo liegen geblieben. – oder Der Bolle wollte wandern, nach Pankow war sein Ziel, da verlor er seine Olle, janz plötzlich im Gewühl, fünf volle Viertelstunden, hat er nach ihr jespürt, aber dennoch hat sich Bolle, janz köstlich amüsiert. – Wat hamwa für ‘ne Feuerwehr bei uns in Tempelhof? Die Feuerwehr ist altgekooft, damit sie nicht so schnelle looft, oh, oh, oh, bei uns in Tempelhof. – Und die letzte Strophe von Horch was kommt von draußen ‘rein: Die Liebe ist ein Omnibus, hollahi, hollaho, auf den man lange warten muss, hollahiaho. Und kommt er endlich angewetzt, hollahi, hollaho, ruft der Schaffner: “Voll besetzt!”, hollahiaho. – Radecki lag in seinem Bett mit seiner Frau Elisabeth, Elisabeth, Elisabeth. – und Wird Abessinien italienisch, dann wird Mussolini König …

Mein Vater, 1873 in Elberfeld geboren, machte seine Lehre in Berlin wie auch seinen Militärdienst als Einjähriger bei den Augustanern. Er war in den Nachkriegsjahren, bis ihn die ‘great depression’ schon vor Hitler erwischte, ein eifriger Gast bei den Berliner Cabarets. Eines der Lieder ging folgendermaßen (meine Mutter beschwerte sich und meinte, es wäre nichts für den Jungen): Annemie, Annemie, bleib mir treu bis morgen früh, bis morgen früh um sieben … Morgen früh, morgen früh kannst du kleine Annemie ‘nen Andren wieder lieben … Aber bis der Morgen graut … Bist du meine holde Braut … Annemie, Annemie, bleib mir treu bis morgen früh … denn länger kannst du’s nie!

Solcher Quatsch bleibt einem im Kopf, aber den Namen der kleinen Stadt, durch die ich hundertmal fuhr auf dem Wege zur Küste, den Namen vergesse ich heutzutage oft.