Das Tanzhaus und der Kommissar

In Babelsberg entsteht eine neue Kulissenstadt

von Thomas Leinkauf, erschienen in der Berliner Zeitung am 20. Mai 2016 (gekürzte Fassung)

An einem Sonntag im April steht Uli Hanisch in Potsdam-Babelsberg vor einem Glaspalast, der Moka Efti heißt. Das Moka Efti ist ein legendäres Berliner Café- und Tanzhaus aus den Zwanzigerjahren oder besser: Es war einmal eines. Giovanni Eftimiades, ein griechischstämmiger Kaufmann mit italienischem Pass, gründete das Haus – 2.800 Quadratmeter in einem alten Palais in der Leipziger-, Ecke Friedrichstraße. An manchen Tagen verkaufte das Caféhaus 25.000 Tassen Kaffee, der damals 25 Pfennige kostete. Dann ging es in der Weltwirtschaftskrise Pleite, zog um in den Tiergarten, wurde Berlins beliebtestes Tanzhaus. Bis es nichts mehr zu tanzen gab. Uli Hanisch ist auf das Moka Efti gestoßen, als er den Auftrag erhielt, auf dem Filmstudiogelände in Babelsberg ein Stück altes Berlin wieder auferstehen zu lassen. Er hat dann gleich noch vier Straßenzüge dazu entworfen, die sogenannte Neue Berliner Straße.

Blick in die Neue Berliner Straße: Links das Café- und Tanzhaus Moka Efti, das es in den Zwanzigerjahren wirklich gab. Szenenbildner Uli Hanisch hat es frei nachempfunden. Rechts einer der Straßenzüge, der im armen Wedding liegt

Blick in die Neue Berliner Straße: Links das Café- und Tanzhaus Moka Efti, das es in den Zwanzigerjahren wirklich gab. Szenenbildner Uli Hanisch hat es frei nachempfunden. Rechts einer der Straßenzüge, der im armen Wedding liegt

Hanisch, Jahrgang 1967, ist Szenenbildner beim Film. Sein Job ist es, für eine Geschichte und ihre Heldinnen und Helden die dazugehörende räumliche Welt zu erfinden. Das hat er schon oft gemacht, für „Das Parfum“ beispielsweise oder für „Cloud Atlas“. Er hat viel mit dem Regisseur Tom Tykwer zusammengearbeitet und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Er gilt als einer der Besten in der Branche. Diesmal war sein Auftrag, die Kulissen für „Babylon Berlin“, ein ehrgeiziges deutsches Serienprojekt, zu entwerfen. Aber es ging nicht nur um diese eine Serie. Es ging um ein Projekt, von dem sich das Studio Babelsberg viel für die Zukunft verspricht.

Neue Berliner Straße heißt die Kulissenlandschaft, weil es schon einmal eine Berliner Straße gab. Die ursprüngliche Idee, einen ganzen Straßenzug im Originalmaßstab als dauerhafte Kulisse für Außenaufnahmen zu errichten, stammt noch aus DDR-Zeiten, nur fehlten dem chronisch klammen Land die Mittel dazu. Nach der Wende tauchten die Pläne erneut auf. Aber erst als der Regisseur Leander Haußmann „Sonnenallee“ drehen wollte und keine
reale Straße zu finden war, die den Anforderungen des Drehbuchs entsprach, wurde 1998 eine 130 Meter lange Kulissenstraße mit 26 Häuserfassaden gebaut: die Berliner Straße. Eigentlich sollte sie nur für diesen einen Film stehen, aber dann wurde sie 15 Jahre lang genutzt – für über 60 Produktionen. Deutsche Filme wie „Herr Lehmann“, die Adaption von Sven Regeners gleichnamigem Roman, und „Russendisko“ entstanden in ihren Kulissen, aber auch Welterfolge wie „Der Pianist“ und „Inglourious Basterds“.

Beste Lage: ein nachempfundener Charlottenburger Hauseingang

Beste Lage: ein nachempfundener Charlottenburger Hauseingang

Eigentlich hätte es so weitergehen können, aber das Gelände, auf dem die Berliner Straße stand, gehörte dem Studio Babelsberg nicht, und die Eigentümer hatten andere Pläne. So erwarb das Studio ganz in der Nähe neue Flächen und legte im August 2014 den Grundstein für die neue Straße. „Wir haben dann lange überlegt, ob wir die Straße wirklich bauen sollten“, sagt Christoph Fisser, „noch im letzten Herbst war keine Entscheidung gefallen.“ Der 59-jährige Vorstand der Studio Babelsberg AG und Co-Produzent vieler nationaler und internationaler Filmproduktionen sitzt in Polo-Shirt, Jeans und Turnschuhen in seinem klassenzimmergroßen Büro auf dem Studiogelände in einem gewaltigen weißen Ledersessel und erzählt von den Vorteilen solcher Kulissen. Heute seien für historische Stoffe kaum noch geeignete Originalstraßen zu finden. Und wenn doch, dann kostet die Nutzung eines Straßenzuges, der vielleicht noch nicht einmal optimal geeignet ist, 40.000 Euro am Tag – Sperrung inklusive.

Filme kann man heutzutage überall produzieren. Babelsberg konkurriert weltweit mit 80 Standorten, wenn es um den Zuschlag für eine Filmproduktion geht. Wer einmal in den Studios dreht, schwärmt von der Professionalität der Crews, die hier arbeiten, und dem tollen Umfeld, zu dem natürlich auch Berlin als Stadt gehört. Fisser zeigt einen Trailer, in dem Hollywood-Größen wie Steven Spielberg, Quentin Tarantino, George Clooney, Roman Polanski, Tom Hanks und Cate Blanchett von Babelsberg schwärmen.

Nur Kulisse: Blick in die „Neue Berliner Straße“

Nur Kulisse: Blick in die „Neue Berliner Straße“

Kanzlerin Angela Merkel war überrascht, als sie unlängst die Dreharbeiten zu Steven Spielbergs Agentenfilm „Bridge of Spies“ an der Glienicker Brücke besuchte und feststellte, dass die Crew deutsch mit ihr sprach. Beim „Homeland“-Dreh, einer US-Serie, waren bis zu 700 deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, Englisch sprechend und gut ausgebildet, und nur 15 Amerikaner. 45 Millionen Euro wurden in der Region ausgegeben und ein unbezahlbares Marketing für die Stadt Berlin generiert. Als George Clooney hier „Monuments“ drehte, machten 70.000 Medienberichte Babelsberg weltweit bekannt.

„Um solch eine teure Kulissenstraße anzuschieben“, erläutert Fisser, „bedarf es, ähnlich wie seinerzeit mit ‚Sonnenallee‘, der Unterstützung durch ein großes Filmprojekt.“ Das kam dann gerade noch rechtzeitig in die Gänge: „Babylon Berlin“ – unter der Regie von Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten werden die Romane des Kölner Schriftstellers Volker Kutscher um den Kommissar Gereon Rath verfilmt, der Ende der Zwanzigerjahre in der Hauptstadt ermittelt.

Aus der Vogelperspektive: Hier werden bald neue internationale und nationale Produktionen entstehen

Aus der Vogelperspektive: Hier werden bald neue internationale und nationale Produktionen entstehen

Es ist ein Projekt von ARD, Sky, X-Filme und Beta Film, das sich an erfolgreichen US-Serien orientiert, die inzwischen den Weltmarkt erobern. Zwei achtteilige Staffeln soll es zunächst geben, die 2017 erst von Sky, ein Jahr später von der ARD gezeigt werden. Produktionskosten: 40 Millionen Euro. Ein so aufwändiges Projekt gab es in Deutschland noch nicht. Weitere Staffeln sind möglich. Als die Finanzierung für die erste gesichert war, wurde mit dem Bau der Straße begonnen.

Vier Zeichner haben über drei Monate die Fassaden für das kleine Stadtviertel entworfen, das sich der Szenenbildner Uli Hanisch für „Babylon Berlin“ und die Zukunft des Studios ausgedacht hat. „Wir haben eine Menge Details aus dem Stadtbild zusammengeschnorrt und die Gebäude dann nach diesen Referenzen alle selber entworfen“, erzählt der Szenenbildner Hanisch, während er durch das nachgebaute Berlin der Zwanzigerjahre führt: durch die Friedrichstraße mit dem Moka Efti, das einen zentralen Platz in „Babylon Berlin“ haben wird; durch Charlottenburg mit großen Skulpturen an den Häuserwänden. Von Kreuzberg geht es über original gepflasterte Straßen mit echten Bordsteinen und Gullys in den armen Wedding, wo gerade die Patinierer eine Fassade, von der der Putz bröckeln soll, auf alt trimmen.

Dreimal so groß wie ihre Vorgängerin ist die Neue Berliner Straße, 40 Einzelfassaden von bis zu 15 Metern Höhe stehen hier, mit 1.000 verschiedenen Styroporprofilen, die mit einem Heißdrahtschneider computergesteuert hergestellt werden und an gewaltige Eisenträger montiert werden, die sieben Meter tief in die Erde gerammt sind. „Gips und Pappmaché gibt es hier nicht“, erklärt Hanisch, „wir setzen auf Langlebigkeit.“

Nach drei Seiten ist das Straßenkarree offen: Das gibt die Möglichkeit, die Filmsets mit sogenannten Greens wie moderne Potemkinsche Dörfer digital zu erweitern. Aber die Babelsberger haben die Erfahrung gemacht, dass Regisseurinnen und Regisseure und Schauspielerinnen und Schauspieler immer noch am liebsten in „echten Kulissen“ drehen. Ab Ende Juni geht Kommissar Gereon Rath in Babelsberg ins Moka Efti ermitteln. Oder zum Tanz.