Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Baukörper und Spielkörper

von Thomas Martin, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Volksbühne bedeutet, dass Menschen sich in einem Verein organisieren und mit ihren Mitgliederbeiträgen Theaterproduktionen ermöglichen, deren Eintrittskarten dann ermäßigt an die Mitglieder verkauft werden können. Auf dieser Basis konnten ab 1890 in Berlin auch diejenigen, die sich Teilhabe an der Kultur nicht leisten konnten, ihre Theaterbesuche finanzieren. Arbeiter, sozialdemokratisch organisierte vor allem. Am 30.12.1914 eröffnete der von Oskar Kaufmann entworfene Theaterbau der Volksbühne am Bülowplatz. Eröffnet wurde mit – man käme nicht darauf: Bjørnstjerne Bjørnsons Wenn der junge Wein blüht statt des geplanten Götz von Berlichingen, der wegen eines Defekts an der Versenkung nicht nach oben kam.

Der Bau des immer noch größten Sprechtheaters der Stadt ist nicht nur nach belegbaren Zahlen und Maßeinheiten ein gewaltiger. Die Metaphernlast ist ebenso groß. Das Theater zwischen Linienstraße und Rosa-Luxemburg-Platz, schon während der Bauzeit als „Monster an der Linienstraße“ betitelt und in nur 14 Monaten auf der Brache des planierten Scheunenviertels hochgezogen, steht als „kulturelle Wegmarke der deutschen Sozialdemokratie auf den Trümmern des jüdischen Einzelhandels“. Das mag – zitiert nach Franz Mehring – nach grober Übersetzung eines kulturpolitischen Vorgangs klingen, zu leugnen ist der historische Untergrund nicht. Das Scheunenviertel musste als Teil der Spandauer Vorstadt ein gutes Drittel seines eigentlichen Flächenbestands dem Theaterbau überlassen. Bis zur von Hans Poelzig vorgenommenen Randbebauung Ende der 20er Jahre stand der massige Bau als Solitär auf dem Platz.

Aus dem Monster wurde bald der Monsterbau, der „Monstrequadernbau“, wie ihn Walter Mehring im umstrittenen Kaufmann von Berlin in der Literatur verankert hat. Aus dem Monsterbau wurde der „Kulturtresor“ der Volksbühnenbewegung, 1934 wurde die Umwidmung in „Horst-Wessel-Festspielhaus“ erwogen und dann doch wieder verworfen. Ein Eichenhain in Hakenkreuzformation auf dem heutigen Kinderspielplatz war bereits gepflanzt.

Nach dem Krieg wurde der „Panzerkreuzer am Alexanderplatz“ gefunden, die bis heute aktuelle Schmähmetapher; sie geht zurück auf Benno Besson, wurde von Frank Castorf übernommen und zur selbstironischen Vokabel – Angriff ist die beste Verteidigung – stilisiert.

Der Platz mit den wechselnden Namen – Babelsberger-, Bülow-, Horst-Wessel-, Liebknecht-, Luxemburg- und schließlich und bis heute: Rosa-Luxemburg-Platz – hat als historischer Schauplatz und zugleich erweiterte Bühnenlandschaft des tatsächlichen Theaterbaus gedient. Frei nach Shakespeare: Der ganze Bau ist eine Bühne.

Theaterbauten stellen wie Bank- oder Regierungspaläste weniger ihre Funktionalität als ihre ideologische Positionierung aus. Im Fall der Volksbühne ist es der mit „Arbeitergroschen“ rapide erbaute wehrhafte Kulturtempel der Volksbühnenbewegung. DIE KUNST DEM VOLKE war dem Gebäude auf die Stirn gemeißelt – eine während kommender Spielzeiten in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen oft und verschieden interpretierte Losung.

  • Postkarte aus den 20igern Jahren

    Postkarte aus den 20igern Jahren

  • Postkarte aus den 20igern Jahren

    Postkarte aus den 20igern Jahren

Der Baukörper der Volksbühne wurde immer wieder – und wird von uns noch – als Spielkörper gebraucht. Piscator lieferte mit ersten multimedialen Aufführungen schlagkräftige Bilder eines entfesselten Theaters in gigantomanischen mehrtägigen, simultan bespielbaren Bühnenbildern: 1925 mit Paul Zechs Rimbaud-Drama Das trunkene Schiff im Bühnenbild und mit Filmprojektionen von George Grosz, Sturmflut und Fahnen von Alfons Paquet oder Gewitter über Gottland von Ehm Welk, 1927 Piscators letzte Inszenierung an der Volksbühne. Piscator ist bis heute der wirkungsmächtigste Regisseur an der Volksbühne bis zu ihrer Zerstörung 1944 geblieben.

Was dann nach dem 8. Mai 1945 noch stand, war wenig mehr als die klotzige Fassade. Das Theater war nicht bespielbar. Das Ensemble der Volksbühne, unter Fritz Wisten, residierte bis 1954 im Theater am Schiffdauerdamm, das im Anschluss Weigel und Brecht für das Berliner Ensemble übernahmen.

Wo die Volksbühne bis zu den Bombardements des II. Weltkriegs Platz für 2.000 Zuschauer bot, wurde der Neubau, inklusive Präsidentenloge, für die knappe Hälfte ausgelegt. Ein zeitgenössischer Architekturführer gibt Auskunft: „Die Volksbühne verfügt neben einem modernen Bühnenhaus mit Drehbühne über einen Zuschauerraum, der dem klassischen Rangtheater verpflichtet bleibt. Holzgetäfelte Wände im Zuschauerraum und den Foyers erzeugen warme und intime Atmosphäre. Auf dem Areal des niedergelegten Scheunenviertels kann sich der Bau in der Blickachse der Rosa- Luxemburg-Straße mit der effektvoll inszenierten monumentalen Kalksteinfassade frei entfalten und bildet den Mittelpunkt des neu geordneten Stadtbereichs. Nach schweren Kriegszerstörungen begann der Wiederaufbau in modernen Formen, wie sie die seitlichen Anbauten dokumentieren. Die Wiederherstellung der Fassade mit der monumental geschwungenen Hauptfront mit sechs Muschelkalksäulen verzichtet auf bildkünstlerischen Schmuck, behält aber die äußere Form bei. Anstelle der Kupferhaube haben wir Flachdächer errichtet, damit erhält das Bühnenhaus einen begradigten Abschluss, der Baukörper eine wuchtige stadträumliche Wirkung. Wiederhergestellt ist im Inneren des Bühnenhauses der halbkreisförmig die Drehbühne überwölbende Kuppelhorizont. Der Zuschauerraum und die umlaufenden Galerien haben ihre typischen wertvollen intarsiengeschmückten Wandtäfelungen, ergänzt durch Marmor- und vergoldete Stuckdekorationen, zurückerhalten.“ – Dabei ist es dank bzw. trotz mehrerer großangelegter Rekonstruktionsmaßnahmen bis heute geblieben.

Zum Spielort ist der komplette Baukörper samt äußerer Anlage zum erstenmal 1974 als „Beitrag zum 25. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik“ funktioniert worden. Das Spektakel Zeitstücke bot über zwei Wochen lang ostdeutsche Gegenwartsdramatik in allen möglichen und unmöglichen bespielbaren Räumen und Nischen des Hauses, inklusive Vorplatz, Straße und Spielplatz nebenan. Die Resonanz war enorm, wiederholt wurde nicht. Erst 1993, zu Beginn der inzwischen 23 Jahre dauernden Intendanz Frank Castorfs, wurde die Spektakelidee wiederaufgenommen und fortgeführt. Zuletzt vor zwei Jahren unter dem Titel Spektakel X: „Extrem jerne politisch“.

Eröffnet wurde mit einer „Realtheaterführung“, die als theatrale Verortung des Volksbühnenbaus und seiner Geschichte zu erleben war. Über vier Stationen wurde das Publikum um den Bau geführt:

  • 1931 – Erich Mielke erschießt hinterrücks zwei Polizisten vor dem Kino Babylon
  • 1934 – Weihe des Polizistendenkmals (westseitig der Kaiser-Wilhelm-Straße, unterhalb des heutigen Roten Salons) in Gegenwart von Frick, Heydrich, Göring
  • 1929 – dreizehn tote Streikende/Blutmai in der Linienstraße/Brecht bei Sternberg
  • 1933 – Stürmung des Karl-Liebknecht-Hauses durch SA – mit der anschließenden Umbenennung des Rosa-Luxemburg-Platzes in Christoph-Schlingensief-Platz für 24 Stunden.

Programmatisch unterfüttert wurde die Unternehmung wie folgt: „BERLIN: der Titel HAUPTSTADT sagt: Behauptung. Der Mensch behauptet sich mit Denken, der Berliner, wo es ihn noch gibt, mit Schnauze, im Extrem gerne politisch. Heute behauptet sich die Volksbühne mit einer Überdosis Berlin im Bermudadreieck Weydinger-, Rosa-Luxemburg- und Linienstraße, Nähe Alex, Nähe altes Scheunenviertel, Nähe Mitte, Nähe Prenzlauer Berg, Nähe Berlin überall. Das Theater der Volksbühne ist ein Widerstandsnest: gegen den Zeitgeist, gegen den Trend, gegen den Lifestyle, der die Stadt in ein Schaufenster verwandelt. Sie ist die Bühne der Gegenbewegung, die der Kunst den politischen Anspruch zurückerobert. Merke § 1 Berlin kannste nich erobern, in Berlin kannste dir höchstens behaupten!“

100 Jahre Volksbühne: Gratulation

Die Feierlichkeiten anlässlich des 100. Jahrestages der Erstbespielung umfassten fünf Akte: Einen Film zum Geburtstag, ein Denkmal zum Geburtstag, eine Revue zum Geburtstag, ein Buch zum Geburtstag und ein Fest zum Geburtstag am 30.12.2014. In diesem Sinn – 5 Finger hat die Hand, wir reichen sie dem Publikum, das über Spenden diesen Bau ermöglicht hat – war der 100. Jahrestag ein Gang durch die Tiefen der Geschichte, der mitunter nötig ist, um wo wir herkommen zu erkennen und um die Gegenwart und die Wege in die Zukunft neu und besser zu verstehen.

Volksbühne
am Rosa-Luxemburg-Platz
10178 Berlin – Mitte
Tel.: +49 30 24065 – 5
Fax: +49 30 24065 -642
E-Mail
www.volksbuehne-berlin.de