10 Jahre Hertie School of Governance – Aus Berlins Mitte in die Welt

Gruppenfoto zum Studienabschluss an der Hertie School of Governance

Ein Gruppenfoto zum Studienabschluss

_von Luisa Hommerich_
_aus Der Tagesspiegel vom 06. Juni 2014_
_mit freundlicher Genehmigung des Verlages_

Drei Minuten. So lange hat man Zeit, um den deutschen Außenminister über die Lage der ukrainischen Zivilgesellschaft auf den neuesten Stand zu bringen. Das alles im Flugzeug, auf dem Weg nach Kiew. „So läuft das in der Politik“, sagt Helmut K. Anheier und lächelt. Er ist Dekan der Hertie School of Governance, einer privaten Hochschule in der Friedrichstraße, die ihren Studierenden „gutes Regieren im 21. Jahrhundert“ beibringen will. Beinah übersieht man die goldenen Lettern am Hochschulgebäude, wenn man in Richtung Galeries Lafayette schlendert. Und doch strömen von hier seit zehn Jahren Absolventen in die ganze Welt, besetzen Führungspositionen in Regierungen und NGOs und bestimmen den Kurs an den Schnittstellen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

Mit dem Außenminister-Beispiel verdeutlicht Anheier, was seine Hochschule auszeichnet: Hier werden Studierende fit gemacht für die Realitäten des Politikbetriebs. Dazu gehört, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Das lernt man hier unter anderem durch „Policy Memos“: Komplexe Gedankengänge müssen auf wenigen Seiten zusammengefasst werden. Das hilft, die Gedanken zu ordnen. „Und um komprimieren zu können, muss man erst mal selbst alles genau verstanden haben“, erklärt Anheier.

Um das Buffet zum Jubiläum scharen sich aktuelle und ehemalige Hertie- Studierende, ständig umarmen sich alte Bekannte. Aus allen Ecken der Welt sind sie angereist. Diese Hochschule vergisst man offensichtlich nicht einfach nach dem Abschluss, irgendwann scheint jeder hierher zurückzukehren – wenn auch erst nach sieben Jahren. So lange war Rizwan Bajwa, Absolvent des ersten Jahrgangs, nicht mehr in Deutschland. Gleich nach seinem Abschluss 2007 ging er mit dem Master of Public Policy in der Tasche zurück in seine Heimat Pakistan, wurde Programmdirektor des World Food Programmes und half 2010 bei der Bekämpfung der sozialen Folgen der Flut.

Das Hochschulgebäude in der Friedrichstraße

Voller Idealismus, die Welt zu verbessern, sei er gewesen, als er sich damals einschrieb – „aber Idealismus ist nicht genug, um Ziele zu erreichen. Man muss auch effizient arbeiten, managen können. Hier habe ich das gelernt“. Ein bisschen wie Versuchskaninchen seien er und seine 30 Kommilitonen damals gewesen. Die Hertie School brachte mit ihrem hohen Anwendungsbezug und ihrer fast familiären Atmosphäre ein ganz neues Konzept nach Deutschland.

Tatsächlich scheint etwas vom Geist amerikanischer Elitehochschulen bei ihrer Gründung über den großen Teich nach Berlin geschwappt zu sein – nicht nur, weil die Unterrichtssprache Englisch ist. Die Klassen sind klein und international, der Lernstoff dicht, der Stundenplan interdisziplinär gemischt. Darauf stehen Wirtschaft, Politikwissenschaft, Statistik, Public Management und Recht. „Die Studierenden können sich später spezialisieren, müssen aber erst mal alles lernen“, sagt Anheier.

Im Master of Public Management, der sich an Berufstätige richtet, geht es viel um Entscheidungsfindung und Führungsstile. Wer will, kann einen selbstreflexiven Kurs besuchen, in dem man dem eigenen Führungsstil auf den Zahn fühlt. Die Atmosphäre mag amerikanisch sein, die Lehre aber hat auch eine starke europäische Perspektive: Als Beispiele der Politik-Analysen dienen meist die Europäische Union oder auch Deutschland. „Oft geht es darum, was im deutschen System falsch läuft“, scherzt ein Absolvent des Management-Masters.

Von Jahr zu Jahr sammeln sich mehr „Hertians“ an jenen Plätzen in der Welt, an denen große Entscheidungen gefällt werden. Katri Kemppainen- Bertram zum Beispiel, aus dem gleichen Jahrgang wie Bajwa, arbeitet als Beraterin in Gesundheitsfragen für die Uno – und saß auf einer Konferenz der WHO kürzlich zufällig neben einem Kommilitonen aus dem Jahrgang unter ihr.

Studierende der Hertie School

Anekdoten wie diese können hier viele erzählen. Doch wer sich für die Hertie School entscheidet, hat meist mehr im Sinn als die Karriere. Maximilian Grimm zum Beispiel möchte im Policy-Master lernen, wie man Wirtschaftsprozesse sozialer und nachhaltiger gestaltet. Im praktischen Jahr, das man nach dem zweiten Semester optional einlegen kann, hat er gemeinsam mit einem Kommilitonen die NGO „ Nahhaft“ gegründet. Sie soll regionale Landwirte und Berliner Mensen zusammenbringen, damit dort frischer und ökologischer gekocht wird. „Wenn man die Welt ändern will, muss man lokal anfangen“, sagt er. Auch das habe er durch die Hertie School begriffen. Das Studium kostet hier stolze 29.500 Euro. Viele erhalten Stipendien, Grimm machte dafür Schulden. Aber die gute Ausbildung sei es ihm wert. Sein späterer Beruf wird ihm das Geld einspielen, keine Frage. „Wir sind unfassbar privilegiert“, sagt er. „ Diese Privilegien sollten wir kritisch reflektieren.“ Wer später an den Hebeln der Macht sitze, habe große Verantwortung. Unter den Studierenden werde darüber viel diskutiert. Dass hier Menschen verschiedenster fachlicher und geografischer Hintergründe zusammenkommen und voneinander lernen – die Soziologin aus Mexiko, der Biologe aus Jordanien und der BWLer aus Mannheim – ist für Maximilian Grimm die größte Bereicherung.

Vier Tage später, an einem regnerischen Mittwochnachmittag, stehen 142 Studierende aus 40 Ländern fein herausgeputzt unter glitzernden Kronleuchtern auf der Bühne im Auswärtigen Amt: die Abschlussklasse 2014. Statt schwarzer Hüte werfen sie weiß-rote Seidenschals in die Luft. Mit den Schals scheint die Anspannung von zwei Jahren Hochleistungslernen von ihren Schultern zu fallen. Und doch werden viele gleich am nächsten Montag ihren ersten Job beginnen. Auch als Politikberater werden einige möglicherweise arbeiten. Vielleicht sitzen sie dann bald mit Frank-Walter Steinmeier im Flieger nach Kiew.

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