Jüdischer Friedhof Berlin Weißensee

Der Versuch des Zentrums Judaicum, eine Art von Dokumentarfilm über diesen Friedhof mit allgemeinen und ausgewählten Schicksalen zu bringen, ist beachtlich und unterstützenswert. Jedoch reicht es nicht, mittels Einzelschicksalen auf die Wichtigkeit dieses Friedhofes, insbesondere als ein historischer Beweis für die höchstaktive jüdische Beteiligung an der Entwicklung der Provinzhauptstadt, später Reichshauptstadt und weiterhin zu einer Metropole Europas – und womöglich der damaligen westlichen Welt – aktiv hinzuweisen.

Der Ausgangspunkt, in aktuell Nr. 79, Juni 2007, „Weißensee ist der dritte Friedhof, der von der Jüdischen Gemeinde Berlins angelegt wurde“, ist offensichtlich nur dem Jetztzustand zuzuschreiben und auch nicht allumfassend. Die Geschichte der Juden Berlins beginnttatsächlich lange bevor das erste Gehöft Berlins existierte, da entsprechende historische Hebungen darauf hinweisen, dass im Großraum der Oder-Elbe Landschaft, die Urzelle Berlins, der Mark Brandenburg, späteren Kurfürstentum bereits im Jahre 965 jüdische Bevölkerung aufweist (siehe Professor Brocke), weiterhin dass im Jahre 1160 Spandau gegründet und 1332 zur Stadt erklärt wurde, wo ebenfalls offensichtlich eine größere Zahl Juden ansässig war. In den Festungsmauern der Spandauer Festung wurden circa sechzig jüdische Grabsteine in den Fundamenten vor einigen Jahren freigelegt, und deren erwähnte Todesdaten beginnen im 13. Jahrhundert vor der Gründung Berlins, vor der Fusion von Berlin und Cölln zu einer Stadt.

Ferner ist geschichtlich bekannt, dass ein jüdischer Friedhof (Spandau) größeren Ausmaßes aus dem Jahre 1244 aufgelassen wurde, wahrscheinlich datieren diese Grabsteine aus der Zeit. 1247 ist die erste urkundliche Erwähnung von Juden in der Mark Brandenburg belegt „mit einer Judenverbrennung in der Gegend von Berlin“ – 1354 gestattete Markgraf Ludwig die Aufnahme von sechzig jüdischen Familien in Berlin. Soweit die Verbindung Spandaus, das westlich von den zwei Urzellen Cölln und Berlin, wie auch das östlich gelegene Köpenick, den Kern des 1920 entstandenen Großberlins mit ihrer Einverleibung darstellten. In späteren Jahren wurde ein neuer jüdischer Friedhof in Spandau benutzt und wieder aufgelassen, ohne dass urkundliche Unterlagen existieren oder gefunden wurden, was auch auf Köpenick in kleinerem Masse zuzutreffen scheint.

Was die heutige Zentralgegend Berlins an jüdischen Friedhöfen hatte, ist nicht genau geklärt. Die Überbleibsel, Dokumente wurden nicht eruiert, aber zumindest Hinweise auf andere verschwundene jüdische Friedhöfe fehlen nicht, wie zum Beispiel in der einstigen Judengasse (spätere Landwehrstraße) von denen nur ein Gedenkstein übrig geblieben ist. Genauso wenig ist von dem Friedhof in der Großen Hamburger Straße aus dem 19. Jahrhundert kaum etwas übrig geblieben, bis auf verfallene Grabsteine. Dieser Friedhof wurde 1672 gegründet und 1827 geschlossen. Hier wurden die fünfzig Schutzjuden des Kurfürsten, die 1671 nach Berlin geholt wurden, begraben, genauso wie sich das Grab Moses Mendelssohns dort befindet. Ebenso wie Heine Ephraim, der größte preußische Münz- und Silberkaufmann und Finanzier Friedrich des Grossen, dort begraben liegt, zusammen mit dem Vater des bekannten Komponisten Mayerbeer (Jakov Herz Beer). Der Friedhof selbst wurde nicht nur vernachlässigt, sondern unterlag auch nazistischen Verwüstungen (ein Splittergraben quer durch das Gelände gezogen, die übrig gebliebenen Gebeine wurden herausgeworfen). 1945 wurde das Friedhofsgelände als Massengrab der gefallenen Soldaten/ Zivilisten der letzten Kampftage Berlins benutzt.

Der Friedhof Schönhauser Allee, der unweit von der Hamburger Straße liegt, dient als letzte Ruhestätte der Familie des Malers Max Liebermann, unter anderem der Familie Leopold Ullstein, Gerson von Bleichröder, von Ritter Liebermann von Wahlendorf, von Kunstmäzen James Henry Simon – der die gesamten babylonischen und ägyptischen Ausgrabungen Anfang des 20. Jahrhunderts aus seiner Tasche finanzierte und Stifter unter anderem der Büste Königin Nofretete, einer großen Gemälde- und Kupferstichsammlung – der glücklicherweise noch vor der Nazizeit 1932 dort seine letzte Ruhestätte fand – und der von 1944 ermordeten Kriegsgegnern.

In dieser Aufzählung der jüdischen Friedhöfe im Laufe der letzten rund 1.000 Jahre fehlen noch der Agudat Israel Friedhof Berlins, der noch zu DDR-Zeiten restauriert wurde, wie auch der „neue“ Westberliner jüdische Friedhof in der Heerstraße. Somit sind wir weit von der Zahl von drei erwähnten jüdischen Friedhöfen der Berliner Jüdischen Gemeinde entfernt, wobei zu fragen wäre, ob alle anderen Friedhöfe nicht als Gemeindefriedhöfe bezeichnet werden könnten.

Aus dieser Kurzaufstellung ergibt sich klar und unmissverständlich eine hier und da unterbrochene jüdische Bevölkerung im Großraum Berlin, die zeitweilig durch Judenvertreibung unterbrochen wurde, die aber immer wieder in „ihr Berlin“ zurückzukehren bestrebt war und somit ihr Schicksal engst und untrennbar mit der Entwicklung Berlins gewesen und geblieben ist. Diese Gemeinsamkeit verpflichtet „selbstverständlich“ das heutige Berlin, als ein historischer Teil seiner höchst eigenen Entwicklung, für die Restaurierung und Instandhaltung der letzten Zeugen, der toten lebenden Grabsteine mit zu sorgen.


Hugo H. Mendelsohn
Chiffre 207101