Berlin ist Europäische Freiwilligenhauptstadt 2021!

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, bei der digitalen Eröffnungsveranstaltung des European Volunteering Capital 2021.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, bei der digitalen Eröffnungsveranstaltung des European Volunteering Capital 2021.

Von Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin

Mit dieser schönen Nachricht möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf ein Thema einstimmen, das mir sehr wichtig ist – das ehrenamtliche Engagement von Menschen, die sich in ihrer Freizeit für andere engagieren und Berlin so zu einer menschlichen, liebenswerten und offenen Metropole machen, zu einem Zuhause für fast vier Millionen Berlinerinnen und Berliner.

Es sind die Engagierten, die die Seele der European Volunteering Capital Berlin ausmachen und darauf dürfen wir alle stolz sein. Ihr Engagement ist für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft unverzichtbar. Es stärkt den Gemeinsinn, schafft ein Klima der Verbundenheit und erfüllt unsere Gesellschaft mit Leben. Und mehr noch: Es ist das Herzstück unserer demokratischen Gesellschaft, denn Demokratie lebt vom Mitmachen, vom Einmischen, von Diskussion und Partizipation. Und auch davon, dass andere sich ermutigt fühlen, sich mit ihren Vorstellungen und Ideen einzubringen.

Wenn Menschen sich für die Demokratie, für ihre Stadt, für ihr Umfeld verantwortlich fühlen, profitieren wir alle. Kaum eine andere Herausforderung zeigt das so deutlich wie die Corona-Pandemie. Wie viel schwieriger wäre die Situation für viele Menschen, wenn nicht Nachbarn und Freunde sie unterstützten, sei es beim Einkauf, beim Ausgang mit dem Hund oder beim Gang zur Apotheke. Wie viel einsamer wären viele, wenn niemand da wäre, um manchmal auch nur ein liebes Wort zu spenden. Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der unzählige Menschen allein leben, sind diese Gesten der Menschlichkeit und Nähe so ungemein wichtig und helfen, diese schwere Zeit zu überstehen.

Viele Menschen engagieren sich bei sogenannten "Tafeln" und geben Essen an Bedürftige aus.

Viele Menschen engagieren sich bei sogenannten "Tafeln" und geben Essen an Bedürftige aus.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass so viele Engagierte trotz der Einschränkungen seit Monaten die Ärmel hochkrempeln und überall dort anpacken, wo Hilfe gebraucht wird. Die Kreativität, die dabei an den Tag gelegt wird, ist sehr beeindruckend. Nehmen wir zum Beispiel die Berliner Tafel. Als die Ausgabestellen schließen mussten, waren sofort Ehrenamtliche zur Stelle, die Lastenräder organisierten, um die Lebensmittel zu den Menschen zu bringen. Oder das kreative Engagement in vielen Wohnvierteln, wo verteilt über die ganze Stadt Bewohnerinnen und Bewohner zur „Nachbarschaftschallenge“ aufriefen. Andere haben ihre Nähmaschine ausgepackt und spontan ganze Häuser mit Alltagsmasken ausgestattet. Und dann gab es einige, die älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen mit handgeschriebenen Gruß-Postkarten eine große Freude bereitet haben. Es ließen sich noch viele weitere Initiativen nennen. Wir alle konnten diese große Welle der Hilfsbereitschaft erleben, die von engagierten Berlinerinnen und Berlinern getragen wurde. Sie zeigt, wie stark unsere Gesellschaft ist, wenn es darauf ankommt.

Hinter diesen vielen wunderbaren Aktionen stecken die Gesichter einzelner Menschen. Menschen, die in der Corona-Krise Außergewöhnliches geleistet haben. Viele ihrer Porträts sind auf der Seite unserer Engagementplattform Bürgeraktiv zu finden. Porträts, die nicht nur die Vielfalt des Engagements, sondern auch die Vielfalt der Engagierten ausdrücken. Alte und Junge, Alteingesessene und Neuzugezogene, Menschen unterschiedlicher Herkunft, verschiedener Glaubensrichtungen und kultureller Prägungen. Das Engagement ist so bunt wie Berlin selbst.

Ganz besonders freue ich mich, dass sich darunter viele befinden, die vor noch gar nicht allzu langer Zeit zu uns geflüchtet sind. Die nach den traumatischen Erfahrungen der Flucht in unserer Stadt Mut und Zuversicht gefasst haben, der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen und sich nun für ihren Kiez engagieren. Die Initiative GoVolunteer, in der sich Geflüchtete und Nichtgeflüchtete engagieren, macht dieses Engagement “aktuell” mit einer Kampagne sichtbar und will mit den Geschichten der Freiwilligen auch andere motivieren. Es sind Menschen wie Semih aus Syrien, die für ältere Menschen einkaufen geht. Oder Sandi, die unzählige Mund-Nasen-Schutz-Masken genäht hat. Oder auch wie Osama, der sich ehrenamtlich als Dolmetscher in Krankenhäusern engagiert. Sie stehen mit ihren Gesichtern stellvertretend für die vielen anderen Geflüchteten, die auch zu denen zählen, die unsere Stadt zur Freiwilligenhauptstadt machen.

Die Corona-Pandemie bringt aber nicht nur die besten Seiten der Berliner Bevölkerung zum Vorschein, sondern sie zeigt auch, wo wir noch mehr tun müssen, um die Ehrenamtlichen zu unterstützen. Viele Vereine sind in den letzten Monaten in große Not geraten, weil zum Beispiel mit dem Austritt von Mitgliedern nicht nur das Engagement, sondern auch Einnahmen für die Finanzierung von Aktivitäten fehlen. Das zehrt an den Nerven und erschwert die Arbeit für die gute Sache. Der Berliner Senat hat hier mit Ehrenamts- und Vereinshilfen schnell geholfen und wird auch weiterhin unterstützen.

Gut war auch, dass wir in der Corona-Pandemie auf bereits vorhandene Strukturen wie unsere Freiwilligenagenturen zurückgreifen konnten, die der Berliner Senat inzwischen in allen Berliner Bezirken fördert. Sie konnten nun gemeinsam mit den Stadtteilzentren zu bezirklichen Koordinierungsstellen für das freiwillige Engagement in Corona-Zeiten weiterentwickelt werden und eine gemeinsame Telefon-Hotline einrichten. Das hat vor allen Dingen denen geholfen, die nicht über einen Zugang zum Internet verfügen.

Kreativität im Umgang mit der Corona-Pandemie hat auch anderen Freiwilligenakteuren weitergeholfen: So konnte die Berliner Freiwilligenbörse, die alljährlich die ehrenamtlichen Angebote von Vereinen und Organisationen bewirbt, kurzfristig auf ein digitales Format umgestellt werden. Und auch der Berliner Stiftungstag, bei dem wir gemeinnützigen Stiftungen ein Forum bieten, fand als Online-Begegnung ein großes Echo. Es ist wichtig, auch in Krisenzeiten den Engagierten ein Forum zu bieten, damit sie sich austauschen können.

Die Corona-Pandemie zeigt uns also, wie sehr es auf die Engagierten gerade in einer so schwierigen Zeit ankommt und auch, dass wir mit den Ehrenamtsstrukturen in Berlin schon viel Gutes erreicht haben. Darauf wollen wir aufbauen und die Rahmenbedingungen für das freiwillige Engagement der Zukunft noch weiter verbessern. In der Berliner Engagementstrategie 2020–2025 haben wir eine Reihe von Maßnahmen zusammengefasst, die wir nun weiter angehen werden. Da geht es darum, Menschen den Weg in das Freiwilligenengagement weiter zu erleichtern, Barrieren abzubauen und alle Bevölkerungsgruppen dabei in den Blick zu nehmen. Engagement braucht Räume und gute Rahmenbedingungen. Darüber hinaus auch Fördermittel und gut organsierte Strukturen. Die Strategie dazu haben wir gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteuren erarbeitet. Auch das ist wichtig: Engagement funktioniert nicht über die Köpfe hinweg, sondern nur gemeinsam mit ihnen.

Eines ist mir dabei besonders wichtig. Wir müssen Engagement nicht nur in seiner ganzen Breite und Vielfalt fördern, sondern auch anerkennen und ins Scheinwerferlicht rücken. Die Menschen opfern freiwillig ihre Zeit und Energie für andere und damit für unsere Stadt als Ganzes. Das sollten wir nicht vergessen!

Freiwillige tun sich zum "Clean-Up" im Volkspark Friedrichshain zusammen.

Freiwillige tun sich zum "Clean-Up" im Volkspark Friedrichshain zusammen.

Wir haben in den letzten Jahren eine Reihe von Auszeichnungen ins Leben gerufen, um genau dieses Engagement in den Mittelpunkt zu stellen. Mit dem Aktionstag „Berlin sagt Danke“, an dem wir mehrere Hundert Freiwillige zu einem Frühstück zu uns ins Rote Rathaus einladen und zudem viele Kultur- und Freizeiteinrichtungen kostenlos ihre Türen öffnen. Oder auch mit dem #FARBENBEKENNEN-Award, der das Engagement von Geflüchteten auszeichnet, sowie dem Berliner Unternehmenspreis, der das Engagement von Unternehmen und ihren Beschäftigten für unsere Gesellschaft würdigt. Das alles zeigt: Zivilgesellschaftliches Engagement hat für den Berliner Senat eine
große Bedeutung.

Ich freue mich sehr, dass unsere Hauptstadt heute Wirkungsort unzähliger zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen ist, darunter rund 26.500 Vereine und knapp 1.000 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts. Viele davon verfolgen gemeinnützige Zwecke. Neben traditionsreichen Organisationen der Zivilgesellschaft – Stiftungen, Vereinen und Verbänden – und den unterschiedlichen Formen staatlich organisierter Ehrenämter hat sich auch im gemeinwohlorientierten Bereich eine dynamische Start-up-Kultur entwickelt.

Das Selbstverständnis, das diesem Engagement innewohnt, ist das einer freien, demokratischen und selbstbewussten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die ihre Gestaltungs- und Beteiligungsrechte in Anspruch nimmt und diese auch verteidigt. Ich habe den Eindruck, nirgendwo in Deutschland stehen die Menschen so schnell auf, wenn es darum geht, ihre demokratischen Rechte einzufordern, und das ist gut so. Das stärkt unsere Demokratie und zugleich die Verantwortung des Einzelnen für die Gemeinschaft. Als Berliner Senat unterstützen wir das an vielen Stellen, zum Beispiel durch neue Anlaufstellen für Bürgerbeteiligung in den Bezirken oder auch über die Förderung von Modellprojekten, um neue Methoden guter Bürgerbeteiligung zu erproben.

Besonders wichtig ist mir das Engagement gegen Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus. Ich sehe die Zunahme antidemokratischer Strömungen in Deutschland und Europa mit großer Sorge. Passivität und Rückzug ins Private können wir uns nicht leisten. Wir brauchen vielmehr Menschen, die Mut und Haltung zeigen und sich Hass und Vorurteil entschieden entgegenstellen. Ich bin froh, dass wir immer wieder erleben können, dass Menschen gegen demokratiefeindliche Kräfte, gegen Antisemitismus und Rassismus auf die Straße gehen. So auch bei den Angriffen auf Mitglieder unserer jüdischen Gemeinden. Menschen aller Altersgruppen, Glaubensrichtungen und Herkunft gehen immer wieder auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Viele darunter geprägt von den Erfahrungen in der DDR und einige auch noch von der Diktatur des Nationalsozialismus. Dieses Engagement für Demokratie ist dem Berliner Senat sehr wichtig und wir unterstützen es an vielen Stellen.

Aber es geht auch um das Engagement im Alltag. Um eine Kultur des Widerspruchs, die sich auch dann zeigt, wenn Menschen auf der Straße, am Arbeitsplatz oder in der Kneipe um die Ecke angegriffen oder diskriminiert werden. Wachsamkeit und Aufklärung sind dafür wichtige Voraussetzungen. Deswegen unterstützen wir zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich genau dafür engagieren. Die Kinder und Jugendlichen an Schulen und Jugendeinrichtungen für den Umgang mit Vorurteilen sensibilisieren und befähigen, mit Argumenten gegen Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung vorzugehen. Dieses Engagement ist sehr wertvoll, da es junge Menschen für den Einsatz für Demokratie und Freiheit stark macht. Mit unserem Landeskonzept zur Antisemitismusprävention unterstützen wir diese wichtige Arbeit auf vielfältige Weise.

Inge Deutschkron, Michael Müller und Margot Friedländer (v.l.n.r.) im Großen Saal des Roten Rathauses

Der Regierende Bürgermeister mit Inge Deutschkron (links) und Margot Friedländer bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde Berlins

So auch, indem wir uns für eine lebendige Erinnerungskultur einsetzen, für das Lernen aus der Geschichte. Nichts kann dabei die Stimmen unserer Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ersetzen, so auch die von Margot Friedländer und Inge Deutschkron, die wir zu den Ehrenbürgerinnen von Berlin zählen dürfen.

Ihre eindrucksvollen Erfahrungsberichte bringen jungen Menschen das reiche jüdische Leben in der Zeit vor 1933 näher und auch, was passiert, wenn zu wenige für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, ja für Menschlichkeit kämpfen. Das Gehörte ist dann für so manchen Anlass, sich in den Kiezen auf die Spurensuche zu begeben. Nicht selten entsteht daraus der feste Wunsch, sich für die Pflege der Erinnerungskultur einzusetzen und damit haben wir alle gewonnen. Eine besondere Form des Erinnerns sind die „Stolpersteine“ – kleine quadratische Messingplatten auf den Berliner Bürgersteigen, die an die deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden erinnern, die in den Wohnungen einst lebten. Wir unterstützen dieses freiwillige Engagement der lokalen Nachbarschaftsinitiativen auch dadurch, dass wir sie jährlich zu Austausch und Begegnung ins Rote Rathaus einladen.

Schülerinnen und Schüler reinigen Stolperstein in Berlin Neukölln

Schülerinnen und Schüler reinigen Stolperstein in Berlin Neukölln

Als Europäische Freiwilligenhauptstadt haben wir nun am 5. Dezember 2020 den Staffelstab von der italienischen Stadt Padua erhalten und am 18. Februar mit einem Online-Event den Startschuss für das europäische Freiwilligenjahr 2021 gegeben. Ich freue mich auf ein aufregendes Jahr im Zeichen einer lebendigen Zivilgesellschaft, die weit über Berlin hinaus ausstrahlt.