Berlin damals und heute

Nach so vielen Jahren, in denen ich aktuell und den Kalender erhalte, will ich mich vielmals bedanken. Die Bauten, neu oder modernisiert, erinnern mich immer, wie es 1920–1934 aussah. Ich bin am 30. Januar 1920 in der Perleberger Straße geboren und wir wohnten viele Jahre in der Lüneburger Straße, wo die Eisenbahn am Balkon vorbei fuhr und wir immer auf den Balkon liefen, um zu winken. Ich habe das nie vergessen, da es eine gute Zeit war.

Ich erinnere mich an die Turmstraße, Leibnizstraße, den Tiergarten, in dem wir täglich spazieren gingen, so wie auch an die ganze Umgebung. Kurze Zeit wohnten wir in der Kantstraße am Kurfürstendamm. Mein Vater hatte im Berliner Gefängnis eine Papierfabrik. Wir lieferten an Tietz, KaDeWe, Wertheim und viele große Unternehmen. Mit dem Anfang der Hitler-Regierung wurde unser stolzes und ruhiges Leben zu einem gefährlichen unruhigen Leben. Wir wurden bedroht und belästigt. Mein Vater war Matrose im Ersten Weltkrieg und rettete den Kreuzer Emden. Er erhielt als Überlebender das Eiserne Kreuz. Doch das wurde zu dieser Zeit nicht anerkannt und wir wurden verfolgt und schwer belästigt. Wir hatten keine andere Wahl, als unsere Heimat, die wir liebten, unter schweren Umständen zu verlassen. Es war sehr, sehr schwer, doch um unser Leben zu retten, mussten wir fliehen.

Meine seligen Eltern landeten in England, wo mein Vater wieder im Zweiten Weltkrieg kämpfte. Meine Mutter sprach dreizehn Sprachen und ging in die amerikanische Armee als Übersetzerin. Sie ging von Konzentrationslager zu Konzentrationslager. So fand sie meinen Großvater und ihren Bruder. Meine Schwester und ich wurden im Alter von zwölf und dreizehn Jahren von unseren Eltern getrennt. Es war ein unvorhersehbares Glück, unter großen Umständen nach 38 Jahren meine Eltern wieder zu sehen. Ein unglaublich glückliches Wiedersehen! Nachdem wir mit Gewalt von unseren Eltern getrennt wurden, hatte ich inzwischen drei Kinder bekommen.

Nur kurz ein wenig aus dem Leben in Deutschland. Die Sprache liegt mir noch auf der Zunge, obwohl ich keine Gelegenheit habe, deutsch zu sprechen. Ich sprach deutsch, französisch, dänisch, hebräisch und englisch. Meine Schule war das Lyzeum in Moabit. Das ist ein kleiner kurzer Teil meines 95-jährigen Lebens.

Mit vielen Grüßen und vielem Dank für die Zeitschrift aktuell, die ich seit vielen, vielen Jahren von A bis Z mit Freude lese und hoffe, sie noch viele weitere Jahre zu erhalten. Ich bin wirklich eine echte Berlinerin.

Gerda Edith Ruth Hirsch
Chiffre 115104