Es war ein kalter Märzmorgen, als ich auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee zwischen efeuüberwucherten Gräbern herumstolperte. Ich suchte das Grab von Else Nawroth, für die ich einen Stolperstein an ihrer letzten Wohnadresse in der Berliner Warschauer Straße verlegen lassen wollte. Nach Erhalt des Bescheides zur Deportation in das Lager Theresienstadt nahm sie sich 1942 das Leben. Angehörige konnte ich bisher nicht ausfindig machen und damit auch wenig über Else Nawroth erfahren. Meine letzte Hoffnung war, über den Friedhof weitere Informationen zu erhalten. Und tatsächlich fand ich die Grabstelle, auf der Blumen lagen und eine Kerze stand. Offensichtlich besuchte jemand das Grab regelmäßig.
Ich schrieb einen Brief an diesen Jemand, schickte ihn an die Friedhofsverwaltung mit der Bitte um Weiterleitung. Nur eine Woche später meldete sich der Neffe Werner, Jahrgang 1934, bei mir. Seine Mutter war die Schwester von Else Nawroth und wohnte mit ihrer Familie nur wenige hundert Meter entfernt am Warschauer Platz. Während Werners Eltern bei der Arbeit waren, beaufsichtigte seine Tante Else ihn und seine ältere Schwester. Else Nawroth hatte selbst keine Kinder und war unverheiratet. Nach Erlass der Nürnberger Gesetze 1935 verlor sie ihre Arbeitsstelle. Werner erinnert sich an die liebevolle Fürsorge seiner Tante, wie sie die Kinder nach dem Spielen wusch und ihnen frische Kleidung anzog. Schließlich sollten die beiden hübsch und sauber aussehen, wenn die Mutter nach Hause kam.
Als ich mich bei ihm meldete, um nach seiner Tante Else Nawroth zu forschen, waren er und seine Frau sofort interessiert. Wir trafen uns und Werner erzählte. Am meisten berührte mich, Else Nawroth auf einem Foto zu sehen: eine ausdrucksstarke Frau, die sich dem Naziterror durch ihren Freitod entzog. Ein unscheinbarer Akt des Widerstandes, der großen Mut erforderte.