Der Erinnerung ein Gesicht geben

Open-Air-Ausstellungen zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“

von Wolf Kühnelt, Kulturprojekte Berlin GmbH

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Die Porträtausstellung am Lustgarten, im Hintergrund ist der Berliner Dom zu sehen

„Zerstörte Vielfalt“ – das beschreibt genau jene beiden Aspekte, die im Laufe des Themenjahres stadtweit mit unterschiedlichsten Mitteln verdeutlicht werden sollen. Da ist einerseits die gegen Ende der 1920er-Jahre in Berlin existierende vielfältige kulturelle Szene, andererseits der ab 1933 in Gang gesetzte Prozess der Zerstörung und Gleichschaltung.

Denn mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde nach und nach zum Gesetz erhoben, was sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik durch den Straßenterror der SA bereits angekündigt hatte: Die Verdrängung sämtlicher kultureller, politischer und wirtschaftlicher Kräfte, die nicht den ideologischen Vorgaben der NSDAP entsprachen. Neben der Zerstörung des Parlamentarismus hatte das die fast vollständige Vernichtung der kulturellen und urbanen Vielfalt zur Folge. Eine erschütternd große Zahl von Künstlern, Schriftstellern, Komponisten, Theaterleuten, aber auch Ärzten, Anwälten und Lehrern, die Anfang der 1930er-Jahre das vielfarbige Leben Berlins geprägt hatten, fielen der Ausgrenzung und Verfolgung zum Opfer, erfolgreiche Karrieren wurden gewaltsam beendet, hoffnungsvolle Talente konnten sich nicht mehr entfalten. An die Stelle einer bunten, international beeinflussten Kultur trat nun die Gleichschaltung sämtlicher kultureller Aktivitäten. Erklärtes Ziel war es, jene Menschen, die ausgegrenzt, vertrieben oder ermordet wurden, auch dem kollektiven Gedächtnis zu entreißen, die Erinnerung an sie auszulöschen.

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Auch am Kurfürstendamm gibt es viele Open-Air-Informationssäulen zum Themenjahr. Hier ist eine Säule für Claire Waldoff zu sehen

Eine Open-Air-Ausstellung versucht nun, ein Bild vom breiten Spektrum der Unterhaltungs- und Bildungskultur jener Zeit um 1930 in Berlin zu zeichnen, indem sie mehr als 200 Porträts und Kurzbiografien von Menschen zeigt, die damals – wie man so sagt – jeder kannte, und die dann sehr schnell, oft im wahren Wortsinn, von der Bühne verschwanden. Darunter waren Berühmtheiten wie Bertolt Brecht, Albert Einstein, Else Lasker-Schüler oder Anna Seghers. Die meisten aber – Musiker, Fotografen, Kabarettisten, Sänger, Tänzer, Filmschauspieler, Maler, Kunsthandwerker, Wissenschaftler, Dichter, Theaterleute und Zirkusartisten – sind heute weitgehend unbekannt. Sie alle waren Teil eines für heutige Verhältnisse unvorstellbar großen Kulturbetriebs. So ist das Berlin der 1920er-Jahre beispielsweise eine der führenden Musikmetropolen. Wer Rang und Namen hatte, musste hier aufgetreten sein.

Es gab in diesen Jahren 21 Konzertsäle in der Stadt, davon acht mit mehr als 1.000 Plätzen. Zwei Opernhäuser – die Städtische Oper in Charlottenburg und die Kroll-Oper – hatten sogar über 2.000 Plätze. Rund 50 Sinfonieorchester, darunter mehrere von Weltklasse, gaben regelmäßig Konzerte. Und was für den „E-Musik“-Bereich (ernste Musik) galt, traf auf die Unterhaltungsmusik in gleichem Maße zu: Gepflegte Salonorchester in allen größeren Hotels, die neuesten Tonfilm- Schlager auf den Bühnen der Revuetheater und – seit mit den „Chocolate Kiddies“ und Josephine Baker der Jazz aus den USA nach Berlin gekommen war – spektakuläre Gastspiele in der Scala, der Plaza und im Wintergarten, allesamt Häuser mit Platz für 3.000 Besucher.

Berlin ist aber auch Film- und Theaterstadt, Galerien-, Mode- und Zeitungsstadt, Stadt der Wissenschaft und Stadt der Avantgarde. Die Akteure dieses in den 1920er-Jahren so grandios entwickelten kulturellen Lebens kamen aus allen möglichen Gegenden der Welt, aus den unterschiedlichsten Communities. Aber ihre verschiedenartige soziale, religiöse oder kulturelle Herkunft, die eben noch die Stadt so attraktiv machte, dass hier der weltweit erste Werbeslogan für eine Städtereise entstand: „Jeder einmal in Berlin“, wurde vielen von ihnen bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gewissermaßen über Nacht zum Verhängnis.

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Das Brandenburger Tor ist ebenfalls ein Ort der Open-Air-Ausstellung

Vergessen sind sie nicht, die Menschen, deren Gesichter in der Open-Air-Ausstellung zu sehen sind. Irgendwo – in Archiven, in alten Zeitschriften und auf Programmzetteln – ist die Erinnerung an sie aufbewahrt, manchmal mehr, manchmal weniger verborgen, und so war es zunächst nicht ganz einfach, Informationen und vor allem Bilder von diesen Personen zu finden. Mit Unterstützung durch etliche Museen wie das Deutsches Historische Museum, die „documenta artistica“ der Stiftung Stadtmuseum, das Bröhan-Museum und das Sportmuseum sowie das Landesarchiv konnten schließlich doch viele prägende Persönlichkeiten aus allen kulturellen Bereichen gefunden werden – sie sollen der Erinnerung ein Gesicht geben.

Die systematische Zerstörung der in den 1920er-Jahren gewachsenen kulturellen Vielfalt in Berlin begann sofort nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Vieles war in den Jahren zuvor bei Propagandaveranstaltungen der NSDAP bereits verkündet worden, aber erst jetzt konnten mit Hilfe von Gesetzen und Verordnungen auch die absurdesten Vorstellungen von einer an „deutschen Werten“ orientierten Volksgemeinschaft in die Tat umgesetzt werden. Wie das im Einzelnen passierte, welche Orte der Stadt besonders typisch für bestimmte Aktionen waren, wo mit besonderer Perfidie vorgegangen wurde – das zeigen diverse Open-Air-Ausstellungen an markanten Plätzen im ganzen Stadtgebiet. So werden zum Beispiel auf dem Platz der Republik zwischen Reichstag und dem Gelände der ehemaligen Kroll-Oper die Zentren und die einzelnen Stationen der „Machtergreifung“ präsentiert, am Wittenbergplatz, in der Nähe des KaDeWe, ist die Ausstellung „Vom Boykott zum Pogrom“ zu sehen und am ehemaligen Flughafen Tempelhof wird unter dem Titel „Feiern und Vernichten“ der verräterische Umgang der Nationalsozialisten mit den Gewerkschaften nachgezeichnet.

In diesen Ausstellungen sind neben den informativen Texten und Dokumenten, Porträts von Persönlichkeiten zu sehen, die in dem jeweiligen Zusammenhang von Bedeutung waren und an die erinnert wird. Und auch hier gilt: Gesichter zeigen gegen das Vergessen.


Kulturprojekte Berlin GmbH
Themenjahr 2013
Klosterstraße 68
10179 Berlin
E-Mail: themenjahr2013@kulturprojekte-berlin.de
www.berlin.de/2013