Eine „Kathedrale des Wissens“

Der neue Lesesaal der Staatsbibliothek

von Dr. Martin Hollender, Staatsbibliothek zu Berlin

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Am Abend leuchtet der Glaskubus des neuen Lesesaals.

Seine Blütezeit erlebte der fulminante Lesesaal der Königlichen Bibliothek, seit 1918 der Preußischen Staatsbibliothek, in den Zeiten der ersten deutschen Demokratie, Niedergang und Zerstörung erfuhr er in der Zeit des „Dritten Reiches“. In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 1944 schlug Unter den Linden eine Sprengbombe in den östlichen Teil des mächtigen Kuppeldaches ein und durchbrach drei Etagen, ehe ihre zerstörende Kraft im Keller ein Ende nahm. Der Lesesaal, Inbegriff der akademischen Recherche und Lektüre im alten Berlin, lag in Trümmern. Bis zu jenem Tag das Zentrum der Bibliothek, war der Lesesaal als logistische Mitte mit allen anderen Bereichen des Hauses ringsum verbunden. Das Bombardement des Zweiten Weltkriegs entriss dem größten Gebäude in der Mitte Berlins sein Herz. Am nächsten Tag war nichts mehr wie zuvor – und auch die darauffolgenden Jahre und Jahrzehnte sind bestimmt von Rückschritt durch Stagnation. Der Deutschen Staatsbibliothek der DDR mangelte es an Finanzkraft, die Ruine des Lesesaales abzutragen und durch einen würdigen Neubau zu ersetzen. Bis weit in die siebziger Jahre hinein „überlebten“ die tristen Rudimente des einstmals stolzen Lesesaals. Nach umfangreichen Vorarbeiten erfolgte dann im Jahr 2000 ein Architektenwettbewerb, den das Stuttgarter Büro HG Merz für sich entschied.

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Der alte, im Krieg zerstörte, Kuppellesesaal.

Am 24. April 2006, nach Jahren der aufwendigen Schaffung der nötigen Baufreiheit inmitten eines geschlossenen Karrees, wurde der Grundstein gelegt. Unterhalb des Lesesaals entstand ein zweigeschossiges, 3.000 Quadratmeter umfassendes Tresormagazin für die wertvollsten Bestände, etwa für die musikalischen Handschriften von Bach, Beethoven und Mozart; die Magazine für den „normalen“ historischen Druckschriftenbestand wurden erstmals seit einhundert Jahren mit einer Klimatisierung ausgestattet, der gesamte Gebäudeflügel wurde generalsaniert – doch vor allem entstand – für 80 Millionen Euro – ein transluzenter Glaskubus, ein beeindruckender neuer Lesesaal mit 250 Arbeitsplätzen und 130.000 Bänden Freihandliteratur. 35 mal 30 Meter beträgt die Grundfläche, 36 Meter ragt der Lesesaal mit seiner „Außenhaut“ aus thermisch verformtem Spezialglas in den Himmel über Berlin.

Am 19. März 2013 wurde der neue Allgemeine Lesesaal wie auch der Rara-Lesesaal, mithin der Lesesaal für seltene und wertvolle historische Bücher, feierlich eröffnet. 600 Gäste lauschten den Ausführungen des Festredners, des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, der sich an die „eher dunklen Räume“ der über Jahrzehnte hinweg provisorischen Lesesäle in der Deutschen Staatsbibliothek erinnerte, in denen er als Student der Humboldt-Universität in den sechziger Jahren in Berlin (Ost) „viele Stunden meines Lebens zugebracht“ habe. Die Generaldirektorin der Bibliothek, Barbara Schneider- Kempf, gab ihrem Wunsch Ausdruck, der neue Lesesaal möge seine alte innere Größe wiederfinden und neuerlich zu dem werden, was er einstmals, vor dem Krieg, gewesen sei: der vertrauteste und beliebteste Treffpunkt des intellektuellen Berlins. Zwei Tage darauf, am 21. März 2013, erfolgte dann die Eröffnung des Lesesaals für die Leserinnen und Leser und somit die Aufnahme des eigentlichen Benutzungsbetriebs. Die „Kathedrale des Wissens“, so Hermann Parzinger, Präsident der der Bibliothek übergeordneten Stiftung Preußischer Kulturbesitz, erfreut sich seither täglich wachsender Beliebtheit: aufgrund der im Lesesaal einzusehenden Sammlungen von Weltrang wie auch aufgrund des modernen, in warmen Orangetönen gehaltenen Ambientes.

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Die Innenansicht des Lesesaals mit der hängenden Skulptur „Noch Fragen?“ von Prof. Olaf Metzel.

Doch erst wenn in wenigen Jahren die abendländischen Handschriften, die Nachlässe und Autographen sowie die modernen Karten vom zweiten Sitz der Staatsbibliothek am Kulturforum in das Stammhaus Unter den Linden umgezogen sind, können die Sonderlesesäle Unter den Linden öffnen und diese Bibliothek ihrer Bestimmung zukommen lassen: einer Bibliothek für die Forschung an unikalen und zumeist historischen Materialien des nationalen und weltweiten schriftlichen Kulturgutes. Dann endlich verfügt die Staatsbibliothek in ihrem Stammhaus über einen eigenen Handschriftenlesesaal, einen Musiklesesaal, einen Kartenlesesaal, ein Zeitungslesesaal und einen Lesesaal für die wissenschaftliche Arbeit mit Kinder- und Jugendbüchern.

Wenn die Sanierungsarbeiten auf der „größten Kulturbaustelle des Bundes“ gegen 2016 abgeschlossen sein werden und der Zugang vom Boulevard Unter den Linden wieder möglich ist, wird das Haus neben den nun eröffneten Neubauten auch ein ganz neues, insgesamt 1.100 Quadratmeter großes Bibliotheksmuseum beherbergen. Dieses wird die Geschichte der Staatsbibliothek vor dem kulturhistorischen Hintergrund der Zeitläufte darstellen. Eine 100 Quadratmeter große Schatzkammer wird einige der herausragenden Kostbarkeiten der Staatsbibliothek präsentieren. Auf einer etwa 300 Quadratmeter großen Fläche können wechselnde Ausstellungen gezeigt werden. – Auch nach einhundert Jahren, nach einem wechselvollen Schicksal seit der Eröffnung des Hauses Unter den Linden im März 1914, ist der Staatsbibliothek an ihrem Traditionsstandort somit neuerlich eine verheißungsvolle Zukunft als der „ersten Bibliothek der Nation“ beschieden.

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