Mein Leben in Frankreich

_von Oskar Goldstein_

Ich bin 1926 in Berlin geboren und habe die Theodor Herzl Schule besucht und anschließend die Kaliskischule in Dahlem. Wir wohnten in der Bismarckstraße 81 und führten bis zur Kristallnacht 1938 ein ruhiges Leben und haben nicht durch den Antisemitismus gelitten.

Dann aber mussten wir schwarz über die Grenze nach Belgien flüchten. 1939, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien, flüchteten wir weiter nach Frankreich. Wir wurden dann, bis Ende 1940, in Südfrankreich als Flüchtlinge untergebracht. Im Januar 1941 sagte man uns, es wäre kalt und wir würden in die Konzentrationslager von Agde und Rivesaltes in Südfrankreich gebracht werden, in denen vorher die spanischen Flüchtlinge untergebracht waren.

Hier habe ich das erste Mal erlebt, was Hunger bedeutet. Aus diesem Lager wurden meine Schwester und ich Dank einer jüdischen Organisation in ein Jüdisches Kinderheim der Organisation OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants) in Mittelfrankreich an der Creuse untergebracht. Meine Mutter und mein Vater wurden in Salsigne (Aude) untergebracht. Hier arbeitete mein Vater als Minenarbeiter, bis er Anfang 1944 verhaftet wurde und in Auschwitz umgekommen ist.

Ich selber wurde 1942 im freien Teil Frankreichs verhaftet. Ich war 16 Jahre alt und sollte wie die anderen Kameraden, von denen nur zwei zurück gekommen sind, deportiert werden. Ich hatte das Glück, im französischen Vorlager auf einen französischen Kommandanten zu treffen, der von den 300 Verhafteten 100 frei bekam, bei denen er nur einen kleinen Vorwand anbrachte. Mein Glück war es, dass meine Mutter mir ein Telegramm schicken konnte, dass sie schwanger war. Und so hat mich mein Bruder gerettet, als er noch nicht einmal geboren war. Mein Bruder ist 17 Jahre jünger als ich. Als ich wieder frei war, hat mich die OSE im italienisch besetzten Teil in einer Straßenbau-Organisation untergebracht, wo ich Steine klopfen musste und am Bau einer Alpenstraße mitarbeitete. Im Winter, als es zu kalt zum Bauen wurde, bekam ich eine Stelle als Gärtner bei einer Familie in der Nähe von Vichy – bis zur Befreiung.

Später hat mir die OSE geholfen, zwei Jahre die Müllerschule in Paris zu besuchen. 1950 begann ich zuerst in der Pariser Vertretung einer deutschen Mühlenbaufirma zu arbeiten. 1955 konnte ich die Direktion einer neu gebauten Hartweizenmühle in Rouen übernehmen. Nach der Öffnung der Märkte hatte ich Gelegenheit, viele deutsche Kunden zu finden, mit denen ich oft in großer Freundschaft jahrelang gearbeitet habe und auch noch heute in Verbindung bin. 1991 ging ich in den Ruhestand. Meine Frau, die aus Breslau stammte, ist leider vor zwei Jahren gestorben. Durch viele Besuche in Berlin, bei denen ich meine französischen Freunde mitnahm, habe ich zu Berlin und besonders zu den Berlinern, eine gute Verbindung gefunden, selbst während der DDR. Ich finde, dass aktuell ein großes Verständnis für unsere Vergangenheit hat und alles tut, um die schlimme Vergangenheit wieder gut zu machen, soweit es möglich ist. Machen Sie weiter so.


Oskar Goldstein
Chiffre 121103