Züge in das Leben - Züge in den Tod

_von Christhard Schneider_

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Vier der über 50 Zeitzeugen, die bei der Einweihung des Denkmals anwesend waren

Fast auf den Tag genau 70 Jahre, nachdem der erste „Kindertransport“ von Berlin in Richtung England los fuhr, wurde am 30. November 2008 eine Skulptur des Künstlers Frank Meisler am Bahnhof Friedrichstraße eingeweiht, die an dieses Ereignis erinnert.

Mit den „Kindertransporten“ wurden in den neun Monaten von der Reichspogromnacht im November 1938 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 10.000 vorwiegend jüdische Kinder im Alter von vier Monaten bis sechzehn Jahren vor dem drohenden Tod im Konzentrationslager gerettet.

Im November 1938 lockerte die damalige englische Regierung die Einreisebestimmungen und rief englische Familien dazu auf, deutsche und österreichische Kinder bei sich aufzunehmen. Die Kinder fuhren mit dem Zug in die Niederlande, und von dort per Schiff in die englische Hafenstadt Harwich. Der erste Transport, der 196 Kinder aus Berlin brachte, erreichte Harwich am 2. Dezember 1938. Dort wurden sie unter großer Anteilnahme der britischen Bevölkerung durch Betreuer in Empfang genommen und zu ihren Pflegefamilien gebracht.

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Auch in der Hektik des Berliner Alltags findet das Denkmal Beachtung

Die neue Bronzeskulptur in der Friedrichstraße besteht aus sieben lebensgroßen Figuren, die Jungen und Mädchen aus den 30er Jahren nachempfunden sind: mit Zöpfen, Schulranzen und Mütze. Fünf Figuren in grauer Bronze blicken zur einen Seite und sollen die 1,5 Millionen Kinder symbolisieren, die in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden. Zwei Kinderfiguren aus hellerer Bronze schauen in die andere Richtung und stehen für die 10.000 durch die „Kindertransporte“ geretteten Mädchen und Jungen. Am Schienenstrang ist zu lesen: „Züge in das Leben – Züge in den Tod“.

Der Gedanke, mit einer Skulptur an die Transporte zu erinnern, entstand im Jahr 2000, als die Projektkoordinatorin Lisa Schäfer in London die Autorin des Buches „I came alone“ und Gründerin des Vereins ROK (Reunion Of Kindertransport), Bertha Leverton, traf. Die in Berlin aufgestellte Skulptur bildet das Pendant zu einem Denkmal in London, das ebenfalls von Frank Meisler, der selber mit Hilfe eines „Kindertransportes“ fliehen konnte, entworfen und gestaltet wurde. Seit September 2006 steht es auf Initiative von Prinz Charles am Bahnhof Liverpool Street Station, wo die Kinder aus Deutschland eintrafen. In Wien wird seit März 2008 mit der von der Künstlerin Flor Kent geschaffenen Skulptur „Für das Kind“ am Westbahnhof an die „Kindertransporte“ erinnert. Zudem ist ein Denkmal in Danzig geplant, der Geburtsstadt von Frank Meisler.

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Passanten schauen interessiert

Im Vorfeld der Einweihung in Berlin hatte es Diskussionen um die Skulptur selbst und um den Standort gegeben. So lehnte die Senatskulturverwaltung die Form der Skulptur zuerst ab. Die Darstellung entspreche nicht der zeitgenössischen Kunst. Des Weiteren mahnten sieben Überlebende, die durch die „Kindertransporte“ gerettet wurden, historische Authentizität an. Sie bezweifelten, dass der Bahnhof Friedrichstraße zum Erinnern der geeignete Ort sei, da die meisten Züge vom Anhalter Bahnhof losgefahren seien. Lisa Schäfer betont jedoch, dass einem Denkmal am Anhalter Bahnhof die Beachtung fehlen würde. Die vielen frischen Blumen, die auch Monate nach der Einweihung den Bronzekindern täglich von Passanten in die Hand gegeben werden, geben ihr tatsächlich Recht: Das Denkmal findet an dieser Stelle eine enorme Beachtung.


Der Autor studiert Geschichte und Skandinavistik/Nordeuropastudien an der Humboldt-Universität zu Berlin und absolvierte ein Praktikum in der Redaktion von _aktuell_ .