Drucksache - 1462/V  

 
 
Betreff: Berlichingen Str. 12: Leerstand beseitigen, Spekulation verhindern, Wohnraum gewinnen!
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion DIE LINKEBezirksamt Mitte von Berlin
Verfasser:Urchs, Diedrich, Mayer sowie die anderen Mitglieder der Fraktion DIE LINKE 
Drucksache-Art:BeschlussVorlage zur Kenntnisnahme
   Beteiligt:Fraktion der SPD
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
18.10.2018 
21. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin (mit LIVE-STREAM) ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
28.05.2020 
38. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Antrag LINKE vom 09.10.2018
2. Antrag Linke+SPD vom 16.10.2018
3. Austauschblatt DIE LINKE vom 18.10.2018
4. Beschluss vom 18.10.2018
5. VzK SB vom 14.05.2020

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

 

(Text siehe Rückseite)


Bezirksamt Mitte von Berlin Datum: .05.2020

Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit Tel.: 44600

Bezirksverordnetenversammlung Drucksache Nr.: 1462/V

Mitte von Berlin


 

Vorlage -zur Kenntnisnahme- über
Berlichingen Str. 12: Leerstand beseitigen, Spekulation verhindern, Wohnraum gewinnen!

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Die Bezirksverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 18.10.2018 folgende Anregung an das Bezirksamt beschlossen (Drucksache Nr. 1462/V):

 

das kommunale Vorkaufsrecht in all seinen Möglichkeiten vollständig an Anwendung zu bringen.

Kommunale Vorkaufsrechtsfälle sollen über soziale Erhaltungsgebiete hinaus zukünftig auch verstärkt in weiteren Gebietskulissen wie städtebaulichen Erhaltungsgebieten, B-Plangebieten und Sanierungsgebieten geprüft und angewendet werden.

Die Prüfung des kommunalen Vorkaufsrechts soll sich nicht allein auf Wohngebäude beziehen, sondern darüber hinaus Gewerbeimmobilien und unbebaute Grundstücke einbeziehen.

Vor diesem Hintergrund wird das BA ersucht, das kommunale Vorkaufsrecht und die Enteignung am Beispiel der Berlichingenstraße 12 zu prüfen und ein entsprechendes Rechtsgutachten in Auftrag zu geben. Unabhängig vom Ausgang der Prüfung des Kommunalen Vorkaufsrechts soll das BA alle rechtlichen Möglichkeiten für den Erhalt des Wohnraums und dessen Instandsetzung prüfen.

 

Das Bezirksamt hat am 12.05.2020 beschlossen, der Bezirksverordnetenversammlung dazu Nachfolgendes als Schlussbericht zur Kenntnis zu bringen:

Dem Ersuchen wird nicht nachgekommen. Die Beauftragung eines externen Rechtsgutachtens für die Prüfung der von der BVV aufgeworfenen Fragestellungen ist nicht erforderlich. Sie können durch die Dienstkräfte des Bezirksamts beantwortet werden. Dazu Folgendes:

Zu den kommunalen Vorkaufsrechten:

Gesetzliche Vorkaufsrechte (z.B. nach § 24 BauGB) werden im Bezirksamt Mitte stets geprüft und im Falle des Vorliegens der Anwendungsvoraussetzungen und Bereitstellung erforderlicher Haushaltsmittel für den Kauf der Immobilien auch angewendet. Es ist daher bereits jahrelang geübte Praxis, auch Vorkaufsrechte im Geltungsbereich eines Bebauungsplans für eine Nutzung für öffentliche Zwecke oder in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten etc. zu prüfen und ggf. in die Kaufverträge einzutreten.

Die Ausübung kommunaler Vorkaufsrechte setzt aber zunächst voraus, dass das Grundstück vom Eigentümer an einen Dritten verkauft wird. Das ist bei dem Grundstück Berlichingenstraße 12 derzeit nicht der Fall.

Zur Enteignung:

Das Eigentum steht unter der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG. Sie sichert in erster Linie den Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers. Das in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG garantierte Grundrecht gewährt vor allem die Befugnis, jede ungerechtfertigte Einwirkung auf den Bestand der als Eigentum geschützten Güter abzuwehren. Daher kommt den verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsnormen für die Enteignung im Gesamtgefüge der Eigentumsgarantie eine wesentlich größere Bedeutung zu als der Entschädigungsregelung.

Aufgrund des primären Bestandsschutzes sind an eine Enteignung strenge Voraussetzungen geknüpft. Die Bestandsgarantie wird nur dann durch die Wertgarantie nach Art. 14 Abs. 3 GG ersetzt, wenn der Eingriff in das Eigentum in jeder Hinsicht den Voraussetzungen entspricht, die Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG festlegt. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG bestimmt die wichtigste materiell-rechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung: Diese ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ist unmittelbar geltendes Recht, d. h. jeder Enteignungseingriff der öffentlichen Gewalt muss mit dieser verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzung vereinbar sein.

Weder die staatlichen Behörden noch die Gemeinden haben die Befugnis, Enteignungsziele eigenmächtig festzulegen. Sie können nur die gesetzlich vorgesehenen Enteignungsziele im Einzelfall verwirklichen. Der enteignenden Behörde kommt bei der Gesetzesausführung kein Beurteilungsspielraum zu.

Aus der in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG statuierten Gemeinwohlbindung folgt eine Reihe von Restriktionen: Die Enteignung und das damit verbundene (Sonder-)Opfer des Einzelnen sind nur dann gerechtfertigt, wenn der Entzug bzw. Teilentzug seines Eigentums zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe erforderlich ist. Als Gemeinwohlziel kommt nicht jedes beliebige öffentliche Interesse in Betracht. Auch kann nicht jedes legitime Gemeinwohlziel Enteignungen jeglicher Schwere rechtfertigen. Die Enteignung ist kein Instrument zur Vermehrung des staatlichen oder sonstigen öffentlichen Vermögens. Der Gemeinwohlbezug ist sachzweckbezogen, so dass es nicht im Gemeinwohl im Sinne des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG liegt, wenn der Enteignungseingriff allein zur Vermehrung des staatlichen Vermögens erfolgt, auch wenn infolge der Stärkung der öffentlichen Finanzen die staatliche Aufgabenerfüllung insgesamt gefördert werden sollte. Denn die allgemeine öffentliche Aufgabenerledigung soll prinzipiell unter Wahrung der Lastengleichheit über die öffentlichen Abgaben, nicht aber mittels Sonderopfer des Enteignungsrechts finanziert werden.

Prinzipiell legitime Gemeinwohlziele sind dagegen z.B. die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen, die Sicherung der Energieversorgung und der Hochwasserschutz. Ein legitimes Gemeinwohlziel ist zudem die Sicherung der Finanzmarktstabilität, wie es im Rettungsübernahmegesetz formuliert ist.

Eine Enteignung ergeht noch nicht deswegen zum Wohle der Allgemeinheit, weil sie zugunsten eines im Bebauungsplan ausgewiesenen Vorhabens erfolgt. Nicht jedes geplante Vorhaben, das vom öffentlichen Planungsträger als politisch oder wirtschaftlich sinnvoll oder nützlich erachtet wird, genügt schon dem Gemeinwohlerfordernis des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG. Anderenfalls liefe die materielle Zulässigkeitsvoraussetzung des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG leer und verlöre die Eigentumsgarantie ihre vorrangig bestandssichernde Funktion. Auch wären dann Enteignungen zu letztlich privatnützigen Zwecken keine materiellen Schranken gezogen. Mit den bauplanerischen Festsetzungen ist für die betroffenen Grundstücke nur die zulässige Benutzungsart bestimmt. Das bedeutet noch nicht, dass es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, ein bestimmtes Grundstück diesem Zweck gerade im jetzigen Zeitpunkt zwangsweise auf dem Enteignungswege zuzuführen. Vielmehr muss über das öffentliche Interesse an der Planung hinaus ein Zurückweichen der Eigentümerbelange im Enteignungszeitpunkt vom Allgemeinwohl zwingend geboten sein (vgl. dazu Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, 89. EL Oktober 2019, GG Art. 14 Rn. 679-681).

Die Enteignung taugt auch nicht als Instrument der sozialen Umverteilung vermögenswerter Rechte. Das ergibt sich vor allem aus ihrer Zweckbindung. Da sie nur zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben zulässig ist, kann sie nicht dem sozialpolitischen Ziel einer Vermögensumschichtung dienen. An einer solchen Aufgabe müsste sie außerdem wegen der Entschädigungspflicht des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG scheitern (ErfK/Schmidt, 20. Aufl. 2020, GG Art. 14 Rn. 17).

Dies vorangestellt, liegen weder zulässige Enteignungszwecke nach § 85 Abs. 1 BauGB bzw. nach den sonstigen Enteignungsvorschriften (vgl. § 85 Abs. 2 BauGB) noch die weiteren Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Enteignung beim Grundstück Berlichingenstraße 12 vor.

Planungsrechtlich ist für das Grundstück hinsichtlich der Art der Nutzung nach dem Baunutzungsplan 1958/1960 ein gemischtes Gebiet festgesetzt. Es ist mit einem Wohnhaus bebaut, das Bestandsschutz genießt und hinsichtlich der Art der Nutzung als Wohnhaus auch planungsrechtlich zulässig ist.

Darüber hinaus liegt es im Geltungsbereich der sozialen Erhaltungsverordnung „Waldstraße“.

Eine Enteignung kommt aber auch nicht nach § 85 Abs. 1 Nr. 6 BauGB in Betracht. Voraussetzung ist das Vorhandensein einer wirksamen Erhaltungssatzung, wozu zwar die „Milieuschutzverordnung“ zählt. Voraussetzung ist, dass der Eigentümer nicht Willens oder nicht in der Lage ist, die bauliche Anlage zu erhalten, so dass ohne eine Enteignung die Erhaltung gefährdet wäre, wodurch dann die städtebauliche Gestalt des Gebiets Schaden nehmen würde oder das erhaltenswerte Milieu beeinträchtigt wäre oder ein den sozialen Belangen entsprechender Ablauf bei städtebaulichen Umstrukturierungen nicht gesichert werden könnte (vgl. Reisnecker, in Brügelmann, BauGB, § 85 Rn. 41).“

Danach erscheint es auf den ersten Blick möglich zu sein, eine „Problemimmobilie“, die im Geltungsbereich einer sozialen Erhaltungsverordnung liegt, zu enteignen. Allerdings sind aber bei der Prüfung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Enteignung vorliegen, auch die weiteren Ausführungen zu § 85 Abs. 1 Nr. 6 BauGB zu beachten. Dort heißt es:

Die Enteignung ist nur aus einem dieser Gründe zulässig. Diese Voraussetzungen stellen bereits wichtige Aspekte für die Prüfung des Allgemeinwohlerfordernisses nach § 87 Abs. 1 BauGB dar. Könnte allerdings bereits über den Genehmigungsvorbehalt des § 172 Abs. 1 BauGB oder durch ein Instandsetzungsgebot nach § 177 die Erhaltung der baulichen Anlage gesichert werden oder sind im Einzelfall schädliche Auswirkungen i. S. d. § 172 Abs. 3 bis 5 BauGB nicht zu befürchten, dann ist eine Enteignung nicht erforderlich. Der Genehmigungsvorbehalt stellt etwa dann keine ausreichende Sicherung dar, wenn die erforderliche Genehmigung wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit nach § 172 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 3 erteilt werden müsste. (Brügelmann/Reisnecker, 109. EL Januar 2019, BauGB § 85 Rn. 41, 42)

Die Milieuschutzsatzung bezweckt keinen individuellen Mieterschutz mit städtebaulichen Mitteln. Sie dient aus städtebaulichen Gründen – wie der Ausnutzung vorhandener Infrastruktureinrichtungen, der Wohnungsversorgung bestimmter Bevölkerungsgruppen, dem Ambiente bestimmter Stadtteile (Studentenviertel) und der Baulandbereitstellung – dem Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in dem Gebiet. Diese Gründe müssen für die konkrete bauliche Anlage, die enteignet werden soll, vorliegen (EZBK/Runkel, 132. EL Februar 2019, BauGB § 85 Rn. 164). Das ist bei dem Wohngebäude Berlichingenstraße 12 auch nach Kündigung des Betreibers der ASOG-Einrichtung für die Unterbringung von Wohnungslosen durch den Eigentümer und Vermieter nicht der Fall.

Grenzen der Enteignungsmöglichkeit baulicher Anlagen zur Erhaltung der Wohnbevölkerung aus städtebaulichen Gründen ergeben sich zudem aus dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit des Enteignungszwecks. Die Milieuschutzsatzung ist zwar nicht kraft Gesetzes zeitlich zu befristen, doch ergibt sich eine solche Befristung aus der Natur der Sache (vgl. Battis/Krautzberger, BauGB, 12. Auflage, § 172 Rn 32). Die Gefährdung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist i. d. R. ein mittelfristig begrenzter Vorgang und kein auf Dauer angelegter Prozess. Insbesondere ist auch die Zusammensetzung der Bevölkerung von sich aus einem ständigen Wandel unterworfen, der es angezeigt erscheinen lässt, die Erhaltungsziele einer Milieuschutzsatzung in regelmäßigen Abständen – etwa alle 5 bis 10 Jahre – zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund kann es enteignungsrechtlich zweifelhaft sein, zur Erreichung eines mittelfristigen städtebaulichen Ziels eine auf Dauer angelegte vollständige Entziehung des Eigentums vorzunehmen.

Die Enteignung ist also die ultima ratio und kommt erst dann in Betracht, wenn andere Mittel wie z.B. das Instandsetzungsgebot einschließlich des freihändigen Erwerbs der Immobilie gescheitert sind. Darüber hinaus ist fraglich, ob bei einer nur temporär wirkenden sozialen Erhaltungsverordnung die Voraussetzung des Erfordernisses der Dauerhaftigkeit des Enteignungszwecks vorliegt.

Das Wohl der Allgemeinheit erfordert daher weder die Enteignung noch kann nicht auch auf andere Weise der Enteignungszweck erreicht werden, vgl. dazu § 87 BauGB.

Eine Beauftragung eines Rechtsgutachtens würde zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Zu Erhalt des Wohnraums und dessen Instandsetzung:

Dem Bezirksamt Mitte stehen verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung bei Verwahrlosung von Immobilien (sog. Schrottimmobilien) bzw. ungenehmigten Leerstand oder Nutzungsänderungen zu, die im Rahmen des rechtlich Zulässigen durchgesetzt werden können. Als Beispiel sei hier auf das Zweckentfremdungsverbotsgesetz, die Vorschriften der Berliner Bauordnung, das Wohnungsaufsichtsgesetz oder auch das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nach § 177 BauGB verwiesen.

A)    Rechtsgrundlage:

§ 13 i.V. mit § 36 BezVG

B)    Auswirkungen auf den Haushaltsplan und die Finanzplanung

  1. Auswirkungen auf Einnahmen und Ausgaben:    Keine
  2. Personalwirtschaftliche Auswirkungen:    keine

Berlin, den 12.05.2020

Bezirksbürgermeister von Dassel Bezirksstadtrat Gothe

 

 
 

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