70 Jahre Freiheitsglocke - „Die Freiheit, die ich liebe“

Deko-Grafik mit einer Glocke, Tauben und Herzen

An einem Mittwochmorgen beschloss ich, mit dem Fahrrad zum Rathaus Schöneberg zu fahren, um noch in derselben Woche zu heiraten. Nachdem ich mit meiner Partnerin S.W. alle Dokumente vorbereitet hatte, setzten wir uns am Vorabend an den Kalender, um einen Termin für die Lebenspartnerschaft festzulegen. Uns wurde klar, dass außer in derselben Woche vorerst kein anderer Termin zur Verfügung stehen würde. Schon am Samstag würde ich nach Italien reisen, und mit meiner anschließenden Künstlerresidenz in New York hätte sich die Eheschließung um eine ganze Weile verzögert. Dieser plötzliche Zeitdruck machte aus dem ohnehin schon außergewöhnlichen Anlass ein echtes Abenteuer. Auf der Fahrt mit dem Fahrrad ging ich meinen Gedanken nach.

Wie ich durch Schöneberg fuhr, spürte ich, wie vertraut mir das Viertel war. Meine Mutter, ursprünglich aus Berlin, war in Friedenau aufgewachsen und kannte die Gegend sehr gut. Das konnte ich bei jedem Familienausflug miterleben. Außerdem wohnten hier noch einige Klassenkamerad_innen und Freund_innen aus ihrer Oberschulklasse, die wir bei diesen Gelegenheiten besuchten und die mich auch später mit meinen Freund_innen immer herzlich aufnahmen. Ein weiterer Grund, warum ich die Stadt bereits in den 80er Jahren regelmäßig aufsuchte und lieben gelernt hatte. Es war eine aufregende Zeit! Schöneberg wurde nachts um ein Vielfaches größer. Die üblichen Wege wurden durch unzählige Kneipen und Bars magisch erweitert, die wie von Zauberhand eine nach der anderen öffneten und tagsüber hinter scheinbar gewöhnlichen Türen zu schlummern schienen. Man stolperte buchstäblich von einer Atmosphäre in die andere, ohne eine Ahnung zu haben, was einen erwarten könnte. Die Gesichter waren nie dieselben, auch wenn tagsüber immer nur die gleichen netten Nachbarn unterwegs waren.

Jetzt wurde es Zeit. Es war fast 11:00 Uhr.

Ich schloss mein Fahrrad ab und stieg die Treppe zum Rathaus hinauf. Am Empfang wurde ich mit meinem stürmischen Auftreten streng gemustert, um nicht zu sagen angekiekt. Als mir jedoch mitgeteilt wurde, dass die entsprechenden Büros heute geschlossen seien, wurde ich nicht sofort abgewiesen, sondern vielmehr eingeladen, mein Glück zu versuchen. Ohne einen Termin für diese Woche wollte ich das Gebäude nicht verlassen. Bei meiner Suche durch dieses Stück Berliner Geschichte war ich beeindruckt von der Art und Weise, wie die Details der verschiedenen Stile und jeweiligen Epochen in den Korridoren zum Ausdruck kamen. In der Türklinke, durch die Fenster, den Flur entlang bis zu den Stufen, ganz zu schweigen von den Kunstwerken, überall begegneten sich andere Zeitzeug_innen. Ich ging um die Ecke und fand zwei ins Gespräch vertiefte Personen. Beide schauten mich erstaunt an, als ich ihnen sagte, dass ich dringend einen Hochzeitstermin für Freitag bräuchte. Ich hatte alle notwendigen Unterlagen bei mir.

Deko-Grafik eines Herzes

Glücklicherweise gehörte der Herr im Türrahmen dem zuständigen Büro an. Meine Dringlichkeit schien einen gewissen Charme zu vermitteln. Er lud mich ein, ihn in sein Büro zu begleiten. Als erstes müsse er die Kollegin und Standesbeamtin anrufen, erklärte er mir, um zu fragen, ob sie überhaupt noch so kurzfristig einen Termin frei haben würde. Während er die Nummer seiner Kollegin wählte, prüfte er meine Papiere. Erleichtert horchte ich auf, als gleich auf der anderen Seite des Hörers eine Stimme antwortete. „Ich habe hier eine dringende Anfrage für einen Hochzeitstermin.“ Amüsiert erwiderte die Kollegin, dass sie gerne helfen würde. Ich war froh, dass meine Bitte so herzlich aufgenommen wurde.

„Morgen früh, 09:10 Uhr vor der Halle, 09:20 Uhr Einlass, 09:30 Uhr Einführung, 09:45 Uhr Beginn der Zeremonie. Ansonsten Ende September wieder.“

Ja! Das erste Jawort ist gefallen.

Deko-Grafik einer Taube mit Herz

Sobald ich das Rathaus verließ, rief ich meine Partnerin auf der Arbeit an. Es war fast Mittag. Morgen früh um 09:00 Uhr werden wir heiraten, ließ ich es in den Hörer schallen. Irgendwas stimmte nicht mit ihrem Telefon und als ich sie wieder am Ohr hatte, fing plötzlich die Glocke an zu Läuten. Es schien, als stünde ich direkt unter dem massiven Klangkörper. Nun verstanden wir beim besten Willen unser Wort nicht mehr. Wir mussten so lachen. Aber die Botschaft hätte nicht besser klingen können. Ich bekam vor Glück Gänsehaut.

Erst einige Jahre später entdeckte ich, dass das, was um 12:00 Uhr die gute Nachricht verkündete, die Berliner Freiheitsglocke war! Beide blieben wir in Berlin, in Hörweite zur Schöneberger Glocke, die unser gemeinsames Leben einläutete.

Deko-Bild mit sechs Glocken-Grafiken
Cover einer Broschüre mit der Aufschrift "70 Jahre Freiheitsglocke in Berlin - 1950 bis 2020"

"70 Jahre Freiheitsglocke in Berlin - 1950 bis 2020"

Eine Broschüre zum 70-jährigen Jubiläum der Berliner Freiheitsglocke

Am 24. Oktober 2020 wurde die Berliner Freiheitsglocke im Rathaus Schöneberg 70 Jahre alt. Zu diesem Anlass publizierte das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg eine 40 Seiten umfassende, in Deutsch und Englisch verfasste Broschüre, die sich mit der Geschichte der Freiheitsglocke, ihrer Symbolik und individuellen Bedeutung für die Bürger_innen Berlins befasst.

Inhalt: