Drucksache - 1175/V  

 
 
Betreff: Zentrale Erfassung von Fällen der sogenannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ einführen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die GrünenBezirksamt Mitte von Berlin
Verfasser:Neugebauer, Schneider und die übrigen Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
19.04.2018 
17. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin (mit LIVESTREAM) überwiesen   
Hauptausschuss
08.05.2018 
19: öffentliche Sitzung des Hauptausschusses mit Änderungen im Ausschuss beschlossen   
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
17.05.2018 
18. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin (mit LIVE-STREAM) mit Änderungen in der BVV beschlossen   
BVV Mitte von Berlin
28.01.2021 
45. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Antrag Grüne vom 10.04.2018
2. Austauschbl. Grüne vom 08.05.2018
3. BE HA vom 08.05.2018
4. Beschluss vom 17.05.2018
5. VzK SB vom 10.12.2020

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

(Text siehe Rückseite)


Bezirksamt Mitte von Berlin Datum: 06.11.2020

Jugend, Familie und Bürgerdienste Tel.: 23700

 

Bezirksverordnetenversammlung Drucksache Nr.: 1175/V 

Mitte von Berlin


Vorlage -zur Kenntnisnahme-

über Zentrale Erfassung von Fällen der sogenannten "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" einführen

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Die Bezirksverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 17.05.2018 folgendes Ersuchen an das Bezirksamt beschlossen (Drucksache Nr. 1175/V):

 

Das Bezirksamt wird ersucht, einen für alle Ämter einheitlichen Umgang mit Verdachtsfällen von sogenannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ zu definieren und sicherzustellen. Dafür sollen Verdachtsfälle grundsätzlich Vorgesetzten vorgelegt werden, um auf Basis der Vorgaben der Senatsverwaltung für Inneres, die Entscheidung zu treffen, ob ein Vorfall dem Berliner Verfassungsschutz zu melden ist.

Des Weiteren sollen alle Verdachtsfälle intern an zentraler Stelle erfasst werden. Hierbei soll die Abteilung, der Sachverhalt sowie das Datum erfasst werden. Dem Datenschutz ist Rechnung zu tragen.

Die erfassten Verdachtsfälle sollen regelmäßig hinsichtlich Art und Häufung ausgewertet werden. Anhand der Auswertungen sollen bei Bedarf entsprechende Schulungsmaßnahmen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Sensibilisierung und zum Umgang mit dieser Personengruppe vorgenommen werden.

 

 

Das Bezirksamt hat am 24.11.2020 beschlossen, der Bezirksverordnetenversammlung nachfolgenden Bericht als Schlussbericht zur Kenntnis zu geben:

 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert im Verfassungsschutzbericht 2019: „‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.“

 

„Reichsbürger*innen“ berufen sich hinsichtlich des Staatsgebiets und des Rechtsstandes auf ein wie auch immer geartetes „Deutsches Reich“ und lehnen deshalb die Bundesrepublik Deutschland ab. „Selbstverwalter*innen“ unterscheiden sich dahingegen, dass sie sich dem Staat und seiner Rechtsordnung nicht zugehörig fühlen. Sie erklären mitunter ihren „Austritt“ aus diesem und den Eintritt in eine „Selbstverwaltung“.

Die „Reichsbürger*innenszene“ geht davon aus, dass die Bundesrepublik kein rechtmäßiger, souveräner Staat sei und teilt überwiegend die Vorstellung, Deutschland würde von einer „BRD GmbH“ verwaltet, die nicht im Sinne des „deutschen Volkes“ handele oder sei weiterhin von den Alliierten besetzt. Ideologisch vertreten rechtsradikale „Reichsbürger*innen“ zusätzlich neben Verschwörungstheorien zum Teil revisionistische, antisemitische, rassistische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Für die Umsetzung ihrer Ideologie treten sie aktiv ein und verbreiten besonders im Internet ihr Gedankengut und ihre Argumentationsmuster. Mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber der Polizei, Gerichten, Behörden und Ämtern behindern sie sie in ihrer Arbeit und bedrohen und beleidigen deren Mitarbeiter*innen.

 

„Reichsbürger*innen“ zahlen keine Steuern, Buß- und Strafgelder oder tauschen ihre Ausweisdokumente gegen Fantasie-Dokumente, wie z.B. Reichs-Führerscheine, aus. Häufig schicken sie Verwaltungsämtern lange Schriftsätze. Sie imitieren sehr penibel die Form offizieller Schriftsätze und münzen sie auf ihre Vorstellung von Recht und Gesetz um. Außerdem hervorzuheben ist die Waffenaffinität vieler „Reichsbürger*innen“ und „Selbstverwalter*innen“. In der Vergangenheit sind sie in mehreren Fällen gewalttätig aufgefallen.

 

Das Personenpotenzial liegt deutschlandweit im Jahr 2019 bei etwa 19.000 Personen (Berlin: 670), von denen es sich bei rund 950 Personen (Berlin: 150) um Rechtsradikale handelt. (vgl. Verfassungsschutzbericht 2019)

 

Mit Hinweis auf die Beantwortung der schriftlichen Anfragen, Drs.-Nr. 0279/V (vom 03.01.2018) und Drs. 0792/V (vom 07.01.2020) war eine zentrale Erfassung von Fällen sogenannter „Reichsbürger*innen“ oder „Selbstverwalter*innen“ bisher nicht vorgesehen. Alle Ämter sind für das Thema sensibilisiert und wenden sich in Problemfällen an das Rechtsamt bzw. über das Rechtsamt an die Senatsverwaltung für Inneres und Sport (SenInnDS).

 

Betroffene Beschäftigte können sich darüber hinaus sachkundig informieren:

Auf der internen Seite der Berliner Justiz (http://justiz.b-intern.de/berliner-justiz/arbeitshilfen/hinweise-und-leitfaeden/) stehen Arbeitshilfen für den Umgang mit sogenannten „Reichsbürger*innen“ zur Verfügung.

 

Informationen zum Umgang mit sogenannten „Reichsbürger*innen“ findet man ebenfalls auf der internen Seite des Kammergerichts (http://justiz.b-intern.de/kammergericht/personal/personalverwaltung/dienstliche-angelegenheiten/#reichsbuerger).

 

Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung hat einen Flyer veröffentlicht, in dem Fragen und Antworten zum Thema „Reichsbürger*innen“ abgebildet sind (https://www.berlin.de/politische-bildung/publikationen/broschueren/reihe-fragen-und-antworten/lpb_broschuere-reichsbuerger-bfrei.pdf).

 

Folgende Maßnahmen wurden bereits ergriffen, um Mitarbeiter*innen des Bezirksamts für die Problematik der „Reichsbürger*innen“ oder „Selbstverwalter*innen“ zu sensibilisieren:

Es werden die gesetzlichen Gegebenheiten umgesetzt.

Im Amt für Bürgerdienste werden im Rahmen des regelmäßigen Informationsaustausches auf der Fachbereichsleiterebene und der Senatsverwaltung die einschlägigen Erkenntnisse kommuniziert sowie den betroffenen Bereichen übermittelt und die betroffenen Beschäftigten sensibilisiert.

Die entsprechenden Beschäftigten des Ordnungsamtes Mitte von Berlin wurden zur Thematik sensibilisiert und der Flyer der Senatsverwaltung für Inneres und Sport "Die Reichsbürgerbewegung" wurde verteilt.

 

In der Serviceeinheit Personal und Finanzen wird die Thematik anlassbezogen in den Dienstberatungen der Leitungsebene besprochen und Informationen erforderlichenfalls an die Mitarbeitenden weitergegeben.

 

Bezogen auf die Störungen der Veranstaltungen im Jugendamt wurde der den „Reichsbürger*innen“ nahestehende sogenannte „Volkslehrer“ Herr N. im Jugendamt bekanntgegeben. Innerhalb der Vernetzungsgremien sowie an deren Schnittstellen sowie in den Netzwerken von „Demokratie in der Mitte“ (Bundesprogramm „Demokratie leben!“) findet ein intensiver Austausch und Sicherungsmaßnahmen wie Meldungen an die Polizei im Vorfeld von Veranstaltungen statt. Beratung und Austausch wird bei der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ des Vereins für demokratische Kultur in Berlin e.V. nachgesucht.

 

Aktuell werden unter Federführung des bezirklichen Rechtsamtes in Abstimmung mit den Fachämtern die organisatorischen Maßnahmen für die Umsetzung eines Konzeptes zum Umgang mit sogenannten „Reichsbürger*innen“ und „Selbstverwalter*innen“ im Bezirksamt abgestimmt. Bis dahin werden alle Ämter aufgefordert, Fälle von sogenannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ an das Rechtsamt weiterzuleiten. Im Bezirk Mitte wird davon ausgegangen, dass Vorgänge mit juristischem Hintergrund eine zentrale Bearbeitung finden.

 

A)      Rechtsgrundlage

§ 13 i.V. mit § 36 BezVG

B)      Auswirkungen auf den Haushaltsplan und die Finanzplanung 

  1. Auswirkungen auf Einnahmen und Ausgaben:

keine

  1. Personalwirtschaftliche Auswirkungen:

keine

Berlin, den 24.11.2020

Bezirksbürgermeister von Dassel Bezirksstadträtin Reiser

 
 

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