Drucksache - 1385/III  

 
 
Betreff: Rechtliche Prüfung der Finanzierungspflicht nach § 11 und 79 SGB VIII
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:JugendhilfeausschussBezirksamt Mitte von Berlin
   
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
15.10.2009 
29. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
23.06.2011 
45. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Sachverhalt
Anlagen:
1. Antrag Jugendhilfeausschuss vom 01.10.2009
2. Austauschblatt vom 13.10.2009
3. Beschluss vom 15.10.2009
4. Vorlage zur Kenntnisnahme vom 03.06.2011
Anlage_Briefwechsel_Kiezplenums_Sparrplatz
Anlage_KA_MdA_Frau_Demirbüken_Wegner
Mündl _Anfrage_MdA_Frau_Dr_Barth

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

 

 

(Text siehe Rückseite)


Bezirksamt Mitte von Berlin                                                                                               .05.2011

Abt. Jugend, Schule und Sport                                                               - 23700

 

 

Bezirksverordnetenversammlung                                                                   Drucksache Nr. 1385/III

Mitte von Berlin

 

 

Vorlage - zur Kenntnisnahme –

 

über 

 

Rechtliche Prüfung der Finanzierungspflicht nach § 11 und 79 SGB VIII

 

 

Wir bitten, zur Kenntnis zu nehmen:

 

 

Die Bezirksverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 15.10.2009 folgenden Beschluss gefasst (DS-Nr. 1385/III):

„Das Bezirksamt wird ersucht, die Rechtsfrage zur Finanzierung freier Träger noch einmal zu prüfen, da mittlerweile ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes mit Datum 17.07.2009 vorliegt.

 

Das Bezirksamt hat am 17.05.2011 beschlossen, der Bezirksverordnetenversammlung dazu Nachfolgendes als Schlussbericht zur Kenntnis zu geben:

 

1. Rechtliche Grundlagen der Finanzierung der Jugendarbeit lt. SGB VIII und AG KJHG

 

Die Bundesregierung hat bereits in ihrer damaligen Stellungnahme zum 9. Jugendbericht die Auffassung vertreten, dass eine Unterteilung in sogenannte „freiwillige“ und sogenannte „Pflichtaufgaben“ weder den Intentionen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes noch seinem Wortlaut entspricht. Alle Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII - mithin auch die Jugendarbeit nach § 11 KJHG und § 6 AG KJHG - sind Pflichtaufgaben.

 

Das KJHG schreibt den Kommunen, die öffentliche Träger sind, die Erfüllung der Jugendhilfeaufgaben in §§ 69, 79 KJHG vor. Im Rahmen seiner Gesamtverantwortung und Gewährleistungsverpflichtung hat der öffentliche Träger die allgemeinen Strukturen und Zielsetzungen des KJHG und die der einzelnen Leistungsbereiche zu berücksichtigen. Speziell § 79 Absatz 2 legt fest, dass die öffentlichen Träger einen angemessenen Anteil der für die Jugendhilfe bestimmten Mittel für die Jugendarbeit zu verwenden haben.

 

Aus der Gewährleistungspflicht nach § 79 Abs. 2 SGB VIII folgt, dass der öffentliche Träger Mittel zur Verfügung stellen muss, um alle Aufgaben nach § 2 SGB VIII in den geeigneten und erforderlichen Einrichtungen und Diensten rechtzeitig, ausreichend und plural erfüllen zu können. Der als Satzung zu beschließende Haushaltsplan ist rechtswidrig, wenn er die Erfüllung der Aufgaben nach §2 SGB VIII nicht ermöglicht.

 

Dass die notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen sind, gilt unabhängig davon, ob die Haushaltsführung nach den Grundsätzen der Budgetierung oder der Kameralistik erfolgt. Die Haushaltsführung ist lediglich ein Mittel wirtschaftlichen Gesetzesvollzugs, aber nicht selbst Gesetz. Es müssen daher auch für die Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII alle Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den Anforderungen nach § 79 Abs. 2 SGB VIII zu genügen.“ (P-C. Kunkel: Rechtsfragen der Finanzierung freier Träger).

 

Der Berliner Landesgesetzgeber hat § 79 Abs. 2 in § 45 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zum KJHG dahin gehend konkretisiert, dass der angemessene Anteil für die Jugendarbeit mindestens 10% der Gesamtjugendhilfemittel in Berlin zu betragen hat.

 

Diese Vorgaben des Gesetzgebers konnten im Land Berlin jedoch bislang nur teilweise verwirklicht werden. Die Finanzierung der Einrichtungen mit bezirklichem Wirkungskreis erfolgt aus dem Haushalt des jeweiligen Berliner Bezirkes. Im Gesamtbudget des jeweiligen Bezirks wird durch das Land Berlin ein Betrag für Jugendarbeit ausgewiesen, den Bezirken allerdings nicht zweckgebunden zugewiesen. Welche Summe tatsächlich für Jugendarbeit bereitgestellt wird, entscheiden die Berliner Bezirke im Rahmen ihrer Globalsummenverantwortung auf der Grundlage der dargestellten gesetzlichen Verpflichtungen. Im Übrigen fehlt eine verbindliche Definition für die Berechnung des 10% Anteils, wie er im § 45(2) AG KJHG vorzusehen ist.

 

 

2. Bisherige Aktivitäten im Rahmen des Prüfungsauftrags

 

Da die Auslegung des § 79 Abs. 2 im Land Berlin weiterhin strittig ist, hat der Jugendhilfeausschuss Mitte in seiner Sitzung vom 24.11.2009 das Kiezplenum Sparrplatz beauftragt, bei der Bezirksaufsicht die Frage der Grundsätze der Finanzierung der Jugendarbeit zu klären.

Mit Antwortschreiben vom 01. 02. 2010 hat sich die Senatsverwaltung für Inneres und Sport dazu wie folgt geäußert: „ Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe entscheidet nach § 74 Abs. 3 Satz SGB VIII „über die Art und Höhe der Förderung im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“. Sie (die Vertretungskörperschaft, hier die Bezirksverordnetenversammlung) muss sich dabei an der gesetzlich obliegenden Gewährleistungsverpflichtung zur Herstellung einer bedarfsgerechten Jugendhilfestruktur orientieren. Dass für die Jugendarbeit ein angemessener Teil der Mittel zu verwenden ist, ist daher bereits beim Haushaltsansatz mit zu berücksichtigen.“

 

Nach einem weiteren Schreiben des Kiezplenums Sparrplatz vom 18.02.2010 hat die Bezirksaufsicht die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie die Senatsverwaltung für Finanzen zu einer Stellungnahme aufgefordert. Da bis zum Ende des Jahres 2010 keine abschließende Antwort zum Ergebnis der Prüfung vorlag, richtete das Kiezplenum Sparrplatz am 15.12.2010 eine neuerliche Anfrage direkt an die zuständigen Senatoren Herrn Prof. Dr. Zöllner und Herrn Dr. Nussbaum. In der 76. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 27.01.2011 hat Herr Prof. Dr. Zöllner auf Anfrage der Abgeordneten Dr. Margrit Barth zur Finanzierung der Jugendarbeit ausgeführt, dass am 18.10.2010 eine mit der Senatsfinanzverwaltung abgestimmte Antwort auf die Frage der gesetzlichen Ansprüche zur Finanzierung der Jugendarbeit an die Bezirksaufsicht übersandt worden sei.

Die Antwort liegt mittlerweile vor. Darin heisst es u. a. : „Soweit sich daher überhaupt aus § 45 Abs. 2 AG KJHG konkrete Verpflichtungen ergeben, richten diese sich in Ermangelung einer näheren Spezifizierung weder an einen einzelnen Bezirk noch an ein einzelnes Ressort, sondern an den Gesamthaushalt, damit letztendlich an das Abgeordnetenhaus als Gesetzgeber für das Haushaltsgesetz, mit dem der jährliche Haushaltsplan nach Art. 85 Abs. 1 VvB festgestellt wird. Eingriffsbefugnisse der Bezirksaufsicht im Zusammenhang mit dem Haushaltsplanaufstellungsverfahren sind nur gegeben, soweit ein Bezirk gegen ihn explizit betreffende Pflichten verstößt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.“

Aufgrund der Rechtslage bestehe daher keine Notwendigkeit des Einschreitens der Bezirksaufsicht gegen den Bezirk Mitte.

 

 

3. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.07.2009

 

Ein Träger der freien Jugendhilfe klagte gegen die Stadt Dresden, die dem Träger für das von ihm betriebene Jugendhaus einen geringeren Betrag für Sach- und Personalkosten als in den vorgehenden Jahren unter Hinweis auf begrenzt zur Verfügung stehende Haushaltsmittel gewährt hatte. Sie hatte aufgrund der Haushaltslage die Zuwendungen an einzelne freie Träger pauschal gekürzt, um ein möglichst breites Angebot trotz geringerer Haushaltsmittel aufrecht erhalten zu können.

 

Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Umsetzung des § 74 SGB ist bei der Förderung freier Träger grundsätzlich darauf zu achten dass als geeignet festgestellte Angebote so gefördert werden können, dass sie fachlich qualifizierte Arbeit leisten können. Art und Höhe der Förderung müssen insbesondere sicherstellen, dass die in § 74 Abs. 1 Nr. 1 SBG VIII als Fördervoraussetzung geforderte Fachlichkeit auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Dies bedeutet, dass nach dem Gebot der Gleichbehandlung gleichartige Maßnahmen öffentlicher und freier Träger grundsätzlich nach den gleichen Maßstäben zu finanzieren sind.

 

In der bereits angeführten Bewertung der Bezirksaufsicht vom 01.02.2010 ergibt sich im Kontext der zu verhandelnden Einzelförderung aus diesem Urteil nicht, „... dass Kürzungen der Ausgaben für die Jugendhilfe unzulässig sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung ausgeführt, dass eine gleichmäßige Kürzung der Fördermittel auf möglichst viele Träger ermessensfehlerhaft ist und damit rechtswidrig ist (auch wenn damit ermöglicht werden soll, möglichst viele Angebote zu erhalten)“. Abschließend bleibt festzuhalten, dass im Verfahren die angemessene Höhe der konkreten Projektförderung eines einzelnen Projektes verhandelt wurde. Die Frage der angemessenen Höhe der Mittel für die Jugendarbeit an den Gesamtmitteln der Jugendhilfe wurde nicht verhandelt. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass das sächsische Landesjugendhilfegesetz keine mit der 10%- Regelung aus § 45 Abs. 2 AG KJHG für Berlin enthält.

 

4. Ist-Stand der Finanzierung der Jugendarbeit in Mitte

 

Im Rahmen der Kürzungsvorgaben zur Haushaltskonsolidierung sind 2010/2011 allein in der Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII über 1,4 Mio Euro weggefallen, das sind ca. 25 % der Mittel des Jahres 2009 (im Durchschnitt der relevanten Haushaltstitel bei den Kapiteln 4010/4011).  Der Anteil der Mittel für die Jugendarbeit an den bezirklichen Gesamtmitteln für die Jugendhilfe lag damit zum Stichtag 31.12.2010 deutlich unter 5% und damit bei weniger als der Hälfte der nach § 45 Abs. 2 erforderlichen Mittel (zum Vergleich: 31.12. 2009: 5,7%).

Nach den Berechnungsgrundlagen der Senatsjugendverwaltung für die „Sollausstattung Jugendarbeit“ (11,4 % für öffentliche und freie Träger zusammen) ergab sich 2009 im Stadtbezirk ein Versorgungsgrad von 62 % hinsichtlich der Versorgung mit Plätzen in kommunalen Jugendfreizeitstätten. Die Versorgungslage verschlechterte sich 2010 mit der Schließung der kommunalen JFE International und JFE Schönwalderstraße auf 60 %, unter Einbezug der wegfallenden Jugendfreizeitstätten Freier Träger ging sie auf ca. 57 % zurück.

 

Bezüglich der konkreten Angebote für Kinder und Jugendliche in den verbleibenden Einrichtungen gibt es ebenfalls Einschnitte.Die tatsächliche Versorgungssituation ist damit problematischer, als dies durch den nominellen Prozentsatz des Versorgungsgrades ausgedrückt wird.

 

Mit den bisher erfolgten Kürzungen ist zudem ein wesentliches Ziel der sozialräumlichen Organisation des Jugendamtes in Frage gestellt. Durch die Einführung der Sozialraumorientierung sollten Jugendhilfeangebote flexibilisiert sowie passgenauer und frühzeitiger einsetzbar werden. Im Berliner Leitbild für die Jugendämter heißt es dazu u.a.: „Das Jugendamt ist die öffentliche Instanz, die in Kenntnis des betroffenen Sozialraums neben dem Angebot von standardisierten Leistungen auch einzelfallunabhängige bzw. flexible Maßnahmen im erforderlichen Umfange anbietet“. Durch Kürzung von Mitteln für präventive und allgemeine fördernde Angebote kann dieses zentrale Ziel und damit die angestrebte finanzielle dauerhafte Entlastung im Bereich der einzelfallbezogenen Hilfen nur unter sehr erschwerten Bedingungen erreicht werden.

 

5. Aktivitäten auf Landesebene

 

Wie den Angaben der beigefügten Kleine(n) Anfrage Drs. 16/15 055 aus dem Abgeordnetenhaus von Berlin zu entnehmen ist, ist die Situation der Kinder- und Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII in allen Bezirken sehr angespannt. Der Rat der Bürgermeister hat sich mit dieser unhaltbaren Problemlage befasst und Handlungsbedarf festgestellt.

Derzeit arbeitet eine Projektgruppe unter Federführung der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter Beteiligung der Bezirke, der Ligaverbände, des Landesjugendrings und der Senatsverwaltung für Finanzen an der Weiterentwicklung der Struktur der Finanzierung der Jugendarbeit in Berlin. Es wird dabei u.a. geprüft, inwieweit ein Rahmenvertrag bzw. eine Zielvereinbarung entwickelt werden kann, in welcher die erforderlichen Qualitäts- und Ausstattungsstandards für die Jugendarbeit berlinweit verbindlich geregelt werden.

 

Ein in diesem Zusammenhang erarbeiteter Budgetierungsvorschlag für die Produkte „Allgemeine Kinder- und Jugendförderung“ wird vorerst nicht weiterverfolgt, da ohne eine Erhöhung der insgesamt zur Verfügung stehenden Budgetsumme dieses Modell zu starken Umverteilungen zwischen den Bezirken führen würde.

 

Über Ergebnisse der andauernden Gespräche wird das Bezirksamt den Jugendhilfeausschuss unaufgefordert informieren.

 

Rechtsgrundlage: § 13 i. V. mit § 36 BezVG

 

Auswirkungen auf den Haushaltsplan und die Finanzplanung:

 

a)Auswirkungen auf Einnahmen und Ausgaben: keine

b)Personalwirtschaftliche Auswirkungen:             keine

 

 

Berlin, den 17.Mai 2011

 

 

Dr. Hanke                                     Schrader

Bezirksbürgermeister                            Bezirksstadträtin für Jugend, Schule und Sport

 

 

 

Anlage:

Dieser Drucksache beigefügt sind:

·         der Briefwechsel des Kiezplenums Sparrplatz

·         die Kleine Anfrage der Abgeordneten E. Demirbüken-Wegner, Drs. 16/ 15 055 des Abgeordnetenhauses von Berlin

·         Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. M. Barth, 76. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses vom 27.01.2011

 

 
 

Legende

Ausschuss Tagesordnung Drucksache
BVV Aktenmappe Drucksachenlebenslauf
Fraktion Niederschrift Beschlüsse
Sitzungsteilnehmer Auszug Realisierung
   Anwesenheit Kleine Anfragen