Auszug - Abstimmungstools der internetbasierten Bürgerbeteiligung
Der Ausschuss erteilt weiteren Nichtmitgliedern der Bezirksverordnetenversammlung Mitte formal das Rederecht. Ein Mitglied der Fraktion der SPD äußert sich überleitend zur der im Folgenden zur Abstimmung stehenden Drucksache 0541/ IV. Es gebe immer wieder Bestrebungen, die Bürgerbeteiligung auszuweiten. Im Zuge der Haushaltsberatungen habe eine Fraktion vorgeschlagen, 300.000 Euro mehr für den Bereich der Bürgerbeteiligung auszugeben. Diese Forderung der Fraktion der Grünen habe sich jedoch im Hauptausschuss der BVV nicht durchsetzen können. Bürgerbeteiligung könne jedoch auf unterschiedliche Weisen gefördert werden. Zentral bleibe immer die Frage der Verbindlichkeit, nämlich ob das, was Bürgerinnen und Bürger qua elektronischer Bürgerbeteiligung im Internet abstimmen tatsächlich umgesetzt wird. Auch die BVV sei eine Form der Bürgerbeteiligung, bei der das Bezirksamt feststellen könne, dass es ihre Vorschläge nicht umsetzt und zur Strafe einen "Gesinnungsaufsatz" schreiben müsse. Die Fraktion habe sich deshalb gefragt, wie in Berlin erfolgreich internetbasierte Bürgerbeteiligung etabliert werden könnte. Die Idee sei, dort anzusetzen, wo in einem Aushandlungsprozess zwischen Senat, Bezirk und Bürgerschaft Entscheidungen getroffen werden. In dem gewählten aktiven Zentrum stünden pro Jahr 4 Mio. Euro zur Verfügung. In der Frage des Erhalts von Bäumen oder der Gestaltung von Parklandschaften sowie in anderen Detailfragen sei bereits nach Lösungen gesucht worden, wie Bürgerinnen und Bürger sinnvoll in Verwaltungsentscheidungen einbezogen werden können. Das, was im Internet von der Mehrheit der beteiligten Bürger abgestimmt worden sei, könne dann in die Aushandlungsprozesse zwischen Senat und Bezirk einbezogen werden. So blieben den Bürgern die Gesinnungsaufsätze erspart, wie sie die BVV regelmäßig vom Bezirksamt erhalte. Als Tool für die Abstimmung im Internet sehe der Antrag der SPD-Fraktion die Software Liquid Feedback vor. Als der Antrag das erste Mal zur Beratung vorlag, hätten die Bezirksverordneten eine Email von einem Vertreter des Softwareprojekts Adhocracy erhalten. Nach einer ersten Beratung habe der Ausschuss deshalb entschieden, beide Softwareprojekte zu sondieren. Zwischen dieser und der letzten Sitzung habe viel Zeit bestanden, um zu diesem Sachverhalt im Internet zu recherchieren. Einer der Programmierer von Adhocracy sendete einige Informationen per Mail, siehe auch https://berlin.offenekommune.de/instance/berlin Adhocracy wird bereits von der SPDTraBü/ 0009/IV Ausdruck vom: 20.12.2013 Seite: 5/15 5 Bundestagsfraktion und der Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" eingesetzt. Darüber hinaus sei es gelungen, zwei der Urheber des Programms Liquid Feedback als Referenten zu bekommen. Der Änderungsantrag eines Mitglieds der Piratenfraktion beziehe sich einzig allein auf den Punkt, ob die Nutzer unter ihrem richtigen Namen oder einem Pseudonym auf der Plattform aktiv werden. Der Antragssteller Christopher Lang habe den Ausschussmitgliedern dazu verschiedene Unterlagen zugesendet. Liquid Feedback bot im vergangenen Sommer eine Informationsveranstaltung an, bei der verschiedene Anwendungsbeispiele vorgestellt wurden, u.a. der Verein Slow Food, die Piratenpartei und die Kommune Landkreis Friesland. Die Referenten, Herr Kistner (Interaktive Demokratie e.V.) und Herr Nietsche, stellen sich kurz vor. Sie erläutern die Funktion der Software Liquid Feedback zu Gunsten der Meinungsbildungsprozesse in der Kommune Landkreis Friesland anhand eines Films. Im Vorfeld der Nutzung von Liquid Feedback sei folgende Grundsatzfrage zu klären: · Wer soll mit was womit wie wozu beteiligt werden? · Wer soll sich beteiligen? - Soll eine Nutzergruppe nach territorialen Kriterien (Bund, Land, Kommune, Stadt, Stadtteil) definiert werden? Wie kann sicher gestellt werden, dass ausschließlich die Zielgruppe auf der Plattform aktiv wird? · Wie sollen Menschen einbezogen werden, die (noch) nicht im Internet unterwegs sind oder keinen Computer haben? - In Friesland soll dies durch Schulungen in den Volkshochschulen und Internetzugänge in öffentlichen Bibliotheken sichergestellt werden. · Was ist Gegenstand der Beteiligung - ein oder gleich mehrere Sachverhalte? · Wie wird mit anderen Hierarchieebenen umgegangen, z.B. Zuständigkeit des Landes oder des Bundes? · Womit sollen sich die Nutzer beteiligen? Hier geht es um klassische Diskussionen, die Teilnahme an Umfragen, Anhörungen, Delegiertenversammlungen und Urabstimmungen, also klassische Methoden der Beteiligung, und die elektronische Abstimmung. Bei elektronischen Abstimmungen sei wichtig, dass die Abstimmungsergebnisse überprüfbar sind und ggf. die Abstimmungsergebnisse nicht von außen manipuliert werden können. LFB sei insbesondere für namentliche Abstimmungen programmiert worden, um die Nachvollziehbarkeit und damit die Legitimation der Abstimmungsergebnisse dahingehend zu gewährleisten, dass sich ausschließlich legitimierte Personen beteiligt werden. Verschiedene Quoren und mathematische Abstimmungsverfahren existierten. Es könnten TraBü/0009/IV Ausdruck vom: 20.12.2013 Seite: 6/15 6 auch Fristen und Termine für bestimmte Abstimmungen gesetzt werden. Eine weitere Grundsatzfrage seien die Voraussetzungen der Beteiligung, wie Zulassungsverfahren, Quoren. Liquid Feedback biete verschiedene Quoren und die Präferenzwahl an. Je verbindlicher die Entscheidung, desto höher sei die Motivation der Teilnehmer. In Friesland hätten sich die Politiker selbst verpflichtet, die Ergebnisse von LFB ernst zu nehmen. Eine weitreichendere Verpflichtung der Politiker wäre nicht möglich, da es in Deutschland kein imperatives Mandat gebe. In Friedland hätten sich bis jetzt bereits über 500 Personen für die Nutzung des Liquid Feedback angemeldet, was für eine ländliche Region eine gute Beteiligungsquote ausmachte. Konzept in Friesland Neben der Einrichtung der Software LFB stelle die Einbindung der dortigen Abstimmungen in die Arbeit der politischen Gremien eine entscheidende organisatorische Voraussetzung dar. LFB biete einen Antragsprozess mit belastbaren Ergebnissen. Der Referent zeigt einen Demonstrationsfilm zur Software Liquid Feedback. In Friesland seien alle Bürger ab 16 Jahre teilnahmeberechtigt. Die Akkreditierung erfolge durch den Landkreis, der den Bürgern ein Registrierungssystem bereitstellte. Der Zugangscode ngen im Liquid Feedback sollten den Bürgern die Möglichkeit geben, eigene Akzente in der Kommunalpolitik zu setzen. Sie könnten außerdem eigene Initiativen in die Kommunalpolitik einbringen, die Initiativen anderer bewerten und Anregungen zu den Anträgen ihrer Mitbürger schreiben. Liquid Feedback solle als zentrales System die Diskurse an Stammtischen und in regionalen Medien zusammenfassen und organisieren. Der Name Liquid Feedback stehe außerdem für einen fließenden Übergang zwischen direkter und repräsentativer Demokratie, da jeder Bürger seine Stimme themenspezifisch an einen anderen delegieren könne, den er in dem jeweiligen Thema als Experten einschätze. Delegationen würden nur wirksam, wenn sich der Stimminhaber nicht selbst an der Abstimmung beteiligt. Die Prozesse in Liquid Feedback seien somit nicht statisch, sondern dynamisch. In der so genannten "Neuphase" könnten viele Menschen zur Verbesserung einer Initiative beitragen, bevor diese abgestimmt wird. Anträge könnten so gemeinsam konstruktiv durch strukturiertes Feedback entwickelt werden. Verwaltungsinitiativen müssten kein Initiativ-Quorum überspringen, wohl aber zugehörige Alternativanträge der Bürger. Die Abstimmungen finden rechtzeitig vor der nächsten Sitzung des Kreistags oder Kreisrates statt. Die Kooperation zwischen den Nutzern in LFB sei keine Voraussetzung für die Nutzung, sie werde aber von den Entwicklern begrüßt. Im Rahmen von Präferenzenwahlen müssten sich die Nutzer nicht für eine einzige Initiative entscheiden, sondern könnten Erst- und Zweitwünsche usw. bestimmen. Für Fristen und Quoren feste seien Regeln vorhanden, damit niemand die Ergebnisse einer Abstimmung über diese Stellschrauben beeinflussen könne. Liquid Feedback biete zudem die Möglichkeit, dass die Bürger für mehrere Gliederungen/ Hierarchieebenen gleichzeitig abstimmen können, z.B. zum Einen in Moabit und zum Anderen in Berlin-Mitte. Die Hauptanwender von LFB seien Vereine, Parteien und NGOs. Nun konnte ein tragfähiges Konzept für den Landkreis Friesland entwickelt werden. Abgeordnete in den USA nutzten LFB in ihrem Wahlkreis als imperatives Mandat und Unternehmen verwendeten es für die Mitarbeiterbeteiligung. Eine Mittlerstelle außerhalb des Unternehmens sorge für die Anonymisierung. Durch das Fehlen demokratischer TraBü/0009/IV Ausdruck vom: 20.12.2013 Seite: 7/15 7 Prozesse in Unternehmen sei die Wirkung der LFB-Abstimmungen hier potentiell eingeschränkt. Unternehmen, die sich grundsätzlich dem Input der Mitarbeiter gegenüber offen gezeigt hätten, machten positive Erfahrungen mit der Befragung der Beschäftigten. Der Bezirksbürgermeister Dr. Hanke fragt nach den Betriebskosten der Software. Liquid Feedback sei eine Open Source Software, die nichts koste. Allerdings sei ein Systemadministrator gefordert. Der Verein könne damit nicht beauftragt werden. Kommerziell sei die Flexi Guided GmbH tätig, in der alle vier Erfinder der Software tätig sind. Die Kosten der Systemadministration betrugen im Landkreis Friesland 500 ? monatlich zzgl. der Kosten für die Akkreditierung. Insgesamt zahle der Landkreis 12.000 ? jährlich. Im Akkreditierungssystem existierten verschiedene Nutzerrollen, darunter ein Administrator, der die Anmeldungen der Bürger verwaltet. Über die Daten der Meldeämter sei es möglich, die Identität der Bürger zu überprüfen. Die unterschiedlichen Rollen und die Anzahl der Personen, die diese inne haben, ließen sich im System konfigurieren. In regelmäßigen Abständen würden die angemeldeten Bürger dahingehend überprüft, ob sie noch im Landkreis leben. Christopher Lang, Piratenfraktion: Zitiert die Enquetekomission zu Internet und digitale Gesellschaft, dass eine anonyme Nutzung des Internets die Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gewährleiste. Aus seiner Perspektive seien deshalb die im Grundgesetz garantierten Rechte auf freie Meinungsäußerung deutlich höher zu bewerten. Deshalb überprüfe der Datenschutzbeauftragte des Landes Niedersachsen derzeit die Nutzung von Klarnamen im Bürgerliquid des Landkreises. Sowohl mit einer Pseudonymisierung als auch mit der Verwendung von Klarnamen seien Risiken und Gefahren verbunden. Die Verwendung von Klarnamen könne dazu führen, dass Menschen sich genötigt fühlten im Sinne Dritter, beispielsweise des Arbeitgebers, abzustimmen. Die Nutzung von Klarnamen senke die Bereitschaft, sich in einem System wie dem in Friesland zu registrieren. Die Referenten sprechen sich dagegen aus, innerhalb des LFB-Systems geheime Abstimmungen durch die Verwendung von Pseudonymen zu simulieren. Administratoren hätten ohnehin Zugang zu den Daten, die hinter den Pseudonymen hinterlegt sind. Bürger würden sich darauf verlassen, dass Abstimmungen unter der Verwendung von Pseudonymen anonym stattfinden und entsprechende Aussagen treffen. Kämen sensible Daten ungeplant doch an die Öffentlichkeit, machten sich die betroffenen Bürger erpressbar. Es gehe auf der Ebene der Kommune/ des Kreises um politische Fragen, die man offen diskutieren könne und die auch in der Vergangenheit immer offen diskutiert worden seien. Geheime Abstimmungen sollten offline durchgeführt werden, da nur so garantiert werden könne, dass sie wirklich geheim verliefen. SPD: Mitte habe ungefähr 330.000 Einwohner - Wie viele Menschen leben in Friesland? - 100.000. TraBü/0009/IV Ausdruck vom: 20.12.2013 Seite: 8/15 8 SPD: Dabei handele es sich um eine andere Einwohnerdichte. Wie geht man mit den Leuten um, die keinen Zugang zum Internet haben? Welche Kosten kämen dafür zusammen, um Menschen öffentlich, z.B. in Bürgerämtern, Zugang zum Internet zu gewähren? Immerhin müssten dafür auch Mitarbeiter geschult werden. - In Friesland seien alle öffentlich zugänglichen PCs auf dem Gebiet des Kreises identifiziert worden, z.B. solche in Bibliotheken. Es werde geprüft, ob diese entsprechend eingerichtet werden können. Offline-Delegationen seien ebenfalls möglich, so dass Menschen ohne Internetzugang ihre Stimme an Dritte übertragen können. Dies gelte bis zum Widerruf. Mitglied der SPD: Telefonierte am vergangenen Freitag mit dem Pressesprecher des Landkreises Friesland. Dieser schaffe es zusätzlich zu seiner Funktion, mit dem Hersteller alle Absprachen zu Liquid Feedback zu treffen. Der Landkreis habe bisher darauf verzichtet, weitere Mitarbeiter zu schulen und entschieden, den anfallenden Arbeitsaufwand erst einmal abzuwarten. Weiterhin springe in bestimmten Fragen eine Mitarbeiterin aus dem EDV-Bereich ein. Immer würden einige Bürger bei bestimmten Formen der Bürgerbeteiligung nicht mitgenommen. Bei Bürgerversammlungen in der Heilandskriche in Moabit würden unter Umständen Bürger mit anderer Religion nicht einbezogen. Auch durch Online-Abstimmungen könne man nicht alle Bevölkerungsgruppen erreichen. In Friesland hätten sich 0,5% der Bevölkerung bisher registriert. In Moabit würde ein vergleichbarer Bevölkerungsanteil 350 Personen ausmachen. Die wichtige Frage für Moabit sei, wie für die Beteiligten eine Verbindlichkeit ihrer Abstimmungsergebnisse organisiert werden könne. Wie geht dann die BVV mit "unsinnigen" Abstimmungsergebnissen um? Diese Gefahr sei aber ein lebendiger Bestandteil von Demokratie, denn Ziel der BVV müsse es sein, Menschen zu aktivieren. Auch in der STV Turmstraße finde eine thematische Diskussion in Arbeitsgruppen statt. Wer als Bürger hier nicht teilnimmt, delegiere indirekt an die Anwesenden. Auch in LFB seien natürlicherweise Delegationen zu erwarten. Im LFB-System müsse fortwährend nachgesteuert werden. Beispielsweise stimmten in Friesland derzeit von 500 registrierten Nutzern nur 18 ab. Ein entsprechendes Benachrichtigungssystem könnte die Beteiligung erhöhen. Die Referenten verweisen darauf, dass LFB ein zusätzliches Beteiligungsangebot zum Kreistag sei. Menschen mit Behinderungen könnten z.B. über das Internet beteiligt werden. In Friesland hätten sich bisher 5x mal mehr Personen angemeldet, als die Initiatoren erwartet haben. Bezüglich der Beteiligung existierten viele Mutmaßungen, warum sich Menschen für oder gegen eine Teilnahme an den Abstimmungen entschieden. 90 % der Bürger interessierten sich in der Regel nicht, 10 gucken sich Beteiligungsangebote an und 1% beteiligen sich, so Erfahrungswerte. Ältere Generationen seien ohne Internet nicht zur Beteiligung sozialisiert. Menschen müssten an das Medium Internet und die neue Beteiligungskultur herangeführt werden. Auch 0,5% der Bevölkerung seien somit schon ein großer Fortschritt. Ein Mitglied der Fraktion der CDU erklärt, dass die CDU gegenüber einer Ausweitung der Bürgerbeteiligung über das Internet aufgeschlossen sei. Man wünsche sich, weitere Erfahrungswerte aus Friesland bereitgestellt zu bekommen. In den Berliner Bezirken Lichtenberg und Hellersdorf existierten Erfahrungen mit Bürgerhaushalten. In der TraBü/0009/IV Ausdruck vom: 20.12.2013 Seite: 9/15 9 Vergangenheit sei oft erkennbar gewesen, welche Akteure ihr Klientel zu Gunsten eines bestimmten Posten mobilisieren konnten. Beide Softwareprojekte, sowohl Liquid Feedback als auch Adhocracy, seien es wert näher angeschaut zu werden. |
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