Drucksache - 1884/5  

 
 
Betreff: Wohnungen statt Büroflächen?
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 
Verfasser:Kempf/Wapler/Wieland 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
18.03.2021 
55. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin - Zoom-Meeting - Unter diesem LINK können Sie die BVV verfolgen: https://www.youtube.com/watch?v=peOpLDtgOyM vertagt   
22.04.2021 
56. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vertagt   
27.05.2021 
57. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin beantwortet   

Sachverhalt
Anlagen:
Große Anfrage
Gr. Anfrage Beantwortung

Sehr geehrte Frau Vorsteherin,

 

die Große Anfrage beantwortet das Bezirksamt wie folgt:

 

 

  1. Welches Potential sieht das Bezirksamt für die Umnutzung von Büro- und Gewerbeflächen in Wohnflächen angesichts der diversen leerstehenden Gewerbeflächen in der City West und der Innenstadt-Verödung, die Corona bedingt noch verschärft worden ist, und des Beispiels der Umnutzung eines Kaufhauses zu einem Wohnhaus in Paris?

Es gibt viele verschiedene Faktoren, die Einfluss auf die Gebäudestruktur der Innenstadt haben. Die City West ist schon immer eine sehr durchmischte Innenstadtlage gewesen, die ihre Einzigartigkeit unter anderem daher herleitet, dass es hier neben dem normalen Wohnen die Büros und den Handel auf engstem Raum, im gleichen Block und teilweise sogar im gleichen Gebäude gibt. Mit anderen Großstädten ist die Berliner City West insofern nicht vergleichbar, da es dort (z.B. auch in Paris) in der zentralen Citylage kaum noch normale Wohnungen gibt, sondern nur Büroflächen, Handelsflächen, Hotels und vereinzelte hochpreisige Appartements, aber eben keine normalpreisigen Wohnungen, in denen eine normale Bevölkerungsmischung von den Familien mit Kindern bis zum alleinstehenden Rentner vorhanden ist. Diese Struktur gilt es zu bewahren und durch eine weitere Stärkung insbesondere des Segments Wohnen in der City West abzusichern.

 

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass durch das Anwachsen des Online-Handels insbesondere die Handelsflächen unter Druck geraten sind. Besonders betroffen waren davon große Kaufhäuser und auch Malls, an denen in Berlin mittlerweile ein Überangebot herrscht. Die Zukunft des Einzelhandels kann nach Auffassung des Bezirksamtes eher in kleineren individuelleren Strukturen liegen, die die Einzigartigkeit einer Stadt oder eines Einkaufsbereichs deutlich machen. Unter Berücksichtigung der heutigen Struktur der City West und zur Aufrechterhaltung ihrer Attraktivität hält das Bezirksamt insbesondere heute vom Handel genutzte Erdgeschosszonen nicht für ein bevorzugtes Potential zur Umwandlung in Wohnungen. Die Erdgeschosszonen sollten für Handel, Kultur und soziale Angebote gesichert werden. Handelsflächen in oberen Etagen bieten allerdings im Einzelfall Potentiale.

 

Ob sich durch die Erfahrungen des Homeoffice und der weiteren Digitalisierung auch im Bereich der Büroimmobilien eine Veränderung der Nachfragesituation ergibt, ist noch nicht endgültig absehbar. Klar ist aber schon heute, dass viele der aktuellen Büronutzungen für moderne Büros nicht mehr geeignet sind. Besonders betroffen sind davon viele zu Büros umgenutzte ehemalige Wohnungen, in denen sich oftmals freie Berufe mit ihren Büros finden. Es ist das Bestreben des Bezirksamtes, diese Wohnungen wieder für den Wohnungsmarkt zurückzugewinnen und eventuell entstehende neue Büroflächen zu nutzen, um hier Umzüge dieser Nutzungen zu erreichen. Ohne über konkrete Erfassungen zu verfügen zeigt der Augenschein, dass sich dadurch einige hundert Wohnungen in der City West zurückgewinnen ließen. Aufgrund der überwiegenden Größe dieser ehemaligen Wohnungen mit mehreren Zimmern lassen sich hier insbesondere familiengerechte Wohnungen oder soziale Strukturen wie Pflege-Wohngemeinschaften oder anderer wohngemeinschaftsähnliche Strukturen denken.

 

Auch viele explizite Bürogebäude entsprechen nicht mehr den aktuellen Standards. Viele große Unternehmen haben mittlerweile interne Regelungen, die die Anmietung von Flächen, die nicht aktuellen Nachhaltigkeitsanforderungen insbesondere im Bereich des Klimaschutzes entsprechend, verbieten. Durch die nachlassende Nachfrage nach solchen Standorten ergibt sich die Möglichkeit diese Gebäude im Rahmen einer umfassenden Modernisierung dann auch für die Wohnnutzung bereitzustellen und den Bürobedarf an anderer Stelle zu realisieren.

 

Wie sich die aktuelle Entwicklung auf den Hotelmarkt auswirkt, kann ebenfalls noch nicht abschließend bewertet werden. Hier ist außerdem zwischen den Teilmärkten der Hotelnutzungen für touristische Zwecke und der Hotelnutzungen für Kongresse, Tagungen, Messen zu unterscheiden. Während im touristischen Sektor wohl mit einer Wiederbelebung der touristischen Nutzungen zu rechnen ist, kann im Bereich der Dienstreisen, Messe- und Kongressbesuche durchaus mit einer anteiligen Verlagerung zu Online-Konferenzen und -Veranstaltungen ausgegangen werden.

Schon heute ist im europäischen Rahmen aber auch in Berlin eine Tendenz erkennbar, ehemalige Hotels in möblierte Mikrowohnungen mit unterschiedlichen Serviceangeboten umzuwandeln. Aus Sicht des Bezirksamtes ist dies eine zwiespältige Entwicklung. Einerseits besteht in einer Stadt der Kultur und der Wissenschaft der Bedarf an Unterkünften für Menschen, die sich vorübergehend in der Stadt aufhalten und hier für einige Monate oder Wochen arbeiten. Für diese sind die entsprechenden Angebote sicherlich seine sinnvolle Alternative zur Hotelnutzung. Andererseits sind aber auch mehr und mehr Menschen auf diese Angebote angewiesen, weil sie auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt keine Wohnungen mehr finden. Rund 1/3 dieser Wohnungen wird mittlerweile durch Student*innen belegt, die aus dem Bundesgebiet oder dem Ausland nach Berlin kommen und hier weder einen WG-Platz, noch einen Platz im Studentenwohnheim oder eine kleine Wohnung auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt finden. Für diese stellen die Angebote völlig überteuerte Notlösungen dar.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Entwicklungen der Digitalisierung und die Auswirkungen von Corona erhebliche Veränderungen im Immobiliensektor nach sich ziehen werden und damit die Chance besteht, den Wohnungsbestand in der City West auch durch Umnutzungen auszubauen. Neben der Wiedernutzung ehemaliger Wohnungen zu Wohnzwecken, kann dabei auch die Umwandlung von Gebäuden oberhalb der Erdgeschosszone eine Rolle spielen. Bevor das Bezirksamt diesen Prozess ab er aktiv fördert, werden Instrumente benötigt, die dann auch eine Steuerung der Wohnungsstruktur und damit der Nutzungsstruktur ermöglichen. Solange diese nicht existieren, könnte eine solche Entwicklung zu einer weiteren Entmischung und perspektivisch zur Verödung der Innenstadt führen.

 

 

  1. Welchen Weg, welche Handlungsaufträge und welche Zuständigkeiten sieht das Bezirksamt, um auf diesen Flächen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
  2. Welche Chancen können sich aus solch einer Umnutzung für die City West ergeben, nicht nur unter dem Aspekt Belebung von Geschäftszentren, aber auch unter dem Aspekt Flächenverbrauch, und welche Rolle kann der der Prozess "Charta City West" dabei spielen?

Die bezirklichen Handlungsspielräume sind klein, da die notwendigen Rechtsinstrumente dafür auf Bundes- und Landesebene geschaffen werden müssen. Das Bezirksamt erwartet aber mit Spannung die Aussagen des Masterplans City West zu diesem Themenkomplex. Dieser müsste zumindest als informelle Planung einige wichtige Abwägungskriterien für entsprechende Projekte beinhalten. Solange es die entsprechenden rechtlichen Instrumente nicht gibt, wird sich das Bezirksamt bemühen in Gesprächen mit den Eigentümern auszuloten, welche Vereinbarungen zum Beispiel zur Rückführung gewerblich genutzter Wohnflächen getroffen werden können. Für diese Diskussionen geben die Ergebnisse des Werkstadtforums eine gute Grundlage ab, da dort sehr ausführlich die Ansprüche an eine Stärkung des Wohnens in der City West definiert und mit qualitativen Ansprüchen versehen wurden.

Im Rahmen von Bebauungsplanverfahren sollte zukünftig in allen B-Plänen in der City West auch Wohnen festgeschrieben werden. Bei Befreiungen muss geprüft werden, ob Wohnnutzungen in diesem Kontext festgelegt werden können.

 

Wohnen in der hochverdichteten Innenstadt reduziert Verkehrsnotwendigkeiten und entlastet den Druck auf bisher unversiegelte Flächen in den Außenbezirken und im Umland. Trotzdem muss dabei darauf geachtet werden, dass die kleinen wohnortnahen Grünflächen und Spielplätze erhalten bleiben und auch die Innenstadt zusätzliche entsiegelte Flächen und Verdunstungsflächen erhält, als bisher vorhanden sind. Zusätzliche Wohnflächen sind also im Wesentlichen durch Umnutzungen und nicht durch die Erschließung neuer großflächiger Baugrundstücke zu gewinnen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Oliver Schruoffeneger

 

 
 

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