Auszug - Sucht und Prävention im Bezirk Mitte BE: Frau Köhler-Azara, Landesdrogenbeauftragte Frau Scholz, Suchthilfekoordinatorin Herr Hennis, Leiter der „Birkenstube“ N.N. Fixpunkt e.V.   

 
 
38. öffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit
TOP: Ö 6.1
Gremium: Soziales und Gesundheit Beschlussart: erledigt
Datum: Di, 11.02.2020 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 20:25 Anlass: ordentlichen Sitzung
Raum: Sitzungsraum 239/240
Ort: Karl-Marx-Allee 31, 10178 Berlin
 
Wortprotokoll

Frau Köhler-Azara Landesdrogenbeauftragte SenGPG stellt klar, dass im Inneren S-Bahn Ring massive Drogenprobleme bestehen. Das Bestehen von einem Drogenkonsumraum ist dabei nicht ausreichend. Finanzielle Mittel für längere Öffnungszeiten wurden im Landeshaushalt genehmigt, sowie wahrscheinlich eine weitere Stelle für einen Straßensozialarbeiter. Die Anmietung einer Immobilie für einen zweiten Drogenkonsumraum ist seit einem Jahr schwierig, und sie wäre für Hilfe in dieser Hinsicht sehr dankbar, bestenfalls im Bereich Wedding zwischen den U-Bahnhaltestellen der U9 Leopoldplatz und Osloer Str. Die Drogenkonsumräume sind aus Sicht der Suchtbeauftragten am besten geeignet, um Menschen vom Drogenkonsum auf der Straße zu holen und ihnen dort auf mittel- oder langfristige Sicht weiterführende Hilfe geben zu können. Im Falle der Prävention und Frühintervention gibt es in jedem Bezirk Drogenberatungsstellen und Alkoholberatungsstellen sowie stationäre und ambulante Therapieeinrichtungen. Es gibt diverse Spezialangebote für Kokainabhängige, junge Menschen, welche kiffen und Partydrogen zu sich nehmen, für Frauen, Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund. Auch an Schulen wird weitgehend informiert und Lehrpersonal weitergebildet. Auf die Anfrage des Bezirks wegen Erhebungen und Untersuchungen informiert sie, nach einer telefonischen Befragung von 1000-1200 Menschen (zwischen 15 und 64 Jahren alt) in Berlin stehen repräsentative Zahlen fest. Es werden darüber Zahlen über Cannabis, Alkohol, Medikamente, Rauchen, Amphetamine und Kokain erfasst. Aber zum Beispiel bei Heroin und beim Glücksspiel werden keine repräsentativen Zahlen erfasst, da der Personenkreis zu klein ist und nicht erfasst werden kann. In Berlin gibt es ungefähr zwischen 10.000 und 15.000 Opiatabhängige. Ungefähr 5.800 davon sind in Substitutionsbehandlung. Aber viele dieser Abhängigen sind wahrscheinlich obdachlos und deshalb nur über Straßensozialarbeiter zu erreichen.

Frau Scholz, Suchthilfekoordinatorin QPK (Ordnungseinheit Qualitätsentwicklung, Planung und Koordination des öffentlichen Gesundheitsdienstes) merkt an, dass bei Zahlen für Drogenabhängige lediglich die Zahl der Drogentoten zu messen ist (Stand 2019 Fundorte Gesamt-Berlin: 215/ Bezirk Mitte: 35). Im Spritzenentsorgungsprojekt stehen derzeit in Mitte 15 Eimer zur Verfügung. Eine Zusammenarbeit mit BSR ist durchaus denkbar. Sie erzählt, dass immer mehr Einrichtungen ihre Mietverträge nicht verlängert bekommen, wobei auch die Frauensuchthilfe bald einen festen Anlaufpunkt verliert. Sie präzisiert die Angaben ihrer Vorrednerin (Frau Köhler-Azara) über die Eckdaten der gewünschten Immobilie (250-300m²; barrierefrei). Weiterhin erwähnt sie Schwierigkeiten bei der Substitutionsbehandlung, da die Motivation der Ärzte nicht groß ist. Die Zahl der substituierenden Ärzte ist derzeit rückläufig.

Herr BV Kurt fragt an, ob bei Immobilienproblemen die Möglichkeit besteht, wie am Beispiel der Polizeiwache auf dem Alexanderplatz ein Gebäude schnell und simpel hochzuziehen, oder bestehenden Mietern des Rathauses Müllerstraße, die nicht dem Allgemeinwohl dienen, zu kündigen, um dort Suchthilfen oder ähnliches unterzubringen. Frau Scholz erwähnt, dass ein Bau eines sogenannten Containers zu lang dauern würde und sie, wenn möglich, den Drogenkonsumraum schon Mitte dieses Jahres eröffnen würde. Auf weitere mobile Drogenkonsumräume will die SenGPG verzichten, da der Kosten-Nutzen-Faktor nicht so gut gegeben ist, zudem sind erweiternde Angebote, wie Waschmöglichkeiten da nicht gegeben sind. Herr Grothe ergänzt, dass die Räumlichkeiten im Rathaus Müllerstraße zu klein seien, um dort einen Drogenkonsumraum aufzubauen.

Auf Anfrage von Frau BV Stein erzählt Frau Köhler-Azara, dass wir in Mitte 1 Konsumraum und 2 Drogenberatungsstellen haben, Berlinweit gibt es noch weitere 2 stationäre (Neukölln und Kreuzberg) und 2 mobile Konsumräume (Charlottenburg und Schöneberg), und Mitte des Jahres ist ein weiterer stationärer Konsumraum am Kottbusser Tor geplant (noch nicht als fester Termin zu sehen).

Nach Anfrage erzählt Frau Köhler-Azara zum Thema Entkriminalisierung von Cannabis (Cannabis-Modellprojekt), dass ein Antrag an den Bundestag kürzlich eingereicht wurde, jedoch mit ihrer Meinung nach wenig Aussicht auf Erfolg der Umsetzung.

Auf Fragen im Namen des abwesenden Herrn BV Freitag erzählt Frau Köhler-Azara, dass es in Berlin eine Vielfalt von allen Drogen gibt, die Rolle von Crack ist in Berlin lediglich gering und es zwei Arten von Therapieeinrichtungen in Berlin gibt. Eine Art der Einrichtungen sind auf Abstinenz ausgelegt, während die zweite Art die bereits erwähnte Substitution ist. Für Crack wurden keine Zahlen genannt. Weiterhin erwähnt sie, dass ein Projekt namens NUDRA eine bessere Vernetzung von SenGPG, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, der Polizei, den Quartiersmanagements und den Behörden ein Monitoring mit Karten zu entwickeln versucht, in welchen die Problemzonen besser gesehen werden können. Weiterhin ist die Versorgung auch älterer Konsumenten besser geworden, das Durchschnittsalter der Drogenabhängigen steigt (derzeit ungefähr 39,9 Jahre) und wird auch durch diverse Angebote, wie z.B. betreutes Wohnen, kontinuierlich verbessert. Mittlerweile geht die Opiatabhängigkeit zurück. Durch den Generationenwechsel ist ein breiteres Interesse an sogenannten Partydrogen zu entdecken.

Herr Brose, Fachbereichsleiter vista , zählt die Eckdaten der Maßnahmen seines Unternehmens und deren Drogenberatungsstellen auf. Mehr als 1000 Menschen werden jährlich hier beraten, über Hilfe bei Strafverfahren, Abstinenz oder Konsumreduktion, Reha und Führerscheinhilfe.

Herr Hennis, Leiter der Birkenstube (Stromstraße Ecke Birkenstraße), berichtet, seit 2004 wurden hier mehrere Todesfälle verhindert, es finden ca. alle 10 Tage Überdosierungen statt, in denen zum Teil lebensrettend eingegriffen wird. Weiterhin werden Drogenkonsumenten in verschiedenen Sprachen mit Gegenmaßnahmen bei Überdosierung trainiert. Maßnahmen gegen Infektionen, medizinische Versorgung und Beratung bei Nichtversicherten und Menschen, die sich auf Grund von Diskriminierung nicht in Praxen wagen, werde auch hier ausgeführt. Auch Sozialberatung werden zu kleinen Teilen geleistet. Zuletzt bieten sie einen sicheren Rückzugsort. Innerhalb der Birkenstube haben sich von 2013 bis 2018 die Konsumvornge verdreifacht, die Zahl der Konsumenten/Nutzer/Abhängige verdoppelt, was 2018 beinahe zur Überlastung der Birkenstube geführt hat. Erst mit dem Öffnen des Drogenkonsumraums Neukölln hat sich die Lage verbessert. Im Jahr 2019 fanden über 20.000 Konsumvorgänge von Drogen in der Birkenstube statt. Davon würde über 15.000 Mal Heroin und ca. 3.500 Mal Kokain eingenommen. Weiterhin erwähnt er, dass Crack nichts anderes als rauchbar gemachtes Kokain ist. Auch wenn es hier nicht Crack im größeren Stil auf der Straße zu kaufen gibt, wird es in immer größeren Stil konsumiert. Ein weiteres Problem sind Metamphetamine (z.B. Crystal Meth), dafür gibt es einen intensiveren Konsumentenkreis. Es wird überlegt, wie ein behindertengerechter Zugang geschafft werden kann, wegen des steigenden Alters der Konsumenten. Mittlerweile gibt es am Tag ungefähr 85 Konsumvorgänge bei einer Öffnungszeit von 10:30 bis 16:30 Uhr, was die Birkenstube schon im Zusammenhang mit den anderen Leistungen auslastet, wenn auch nicht überfordert. Eine weitere Frage stellt sich bei ihm, wie er den Frauenanteil erhöhen kann, da ihre Suchthilfe die Räumlichkeiten verliert. Er selbst habe in der Birkenstube max. 10% Frauenanteil aktuell.

Herr Wolf, Fixpunkt e.V., berichtet, sie haben ein ähnliches Angebot wie Herr Dennis, haben ein mobiles Kontakt- und Beratungsmobil seit 2012 und seit Ende 2018 eine 80m² große Immobilie, wo Duschen, Speisen und Getränke, eine kleine Kleiderkammer, Konsumentenutensilienvergabe und die vorher genannten Beratungen angeboten werden. Einen Konsumraum gibt es aufgrund der Größe der Immobilie nicht. Er bestätigt die Aussage, dass die Einnahme von Crack gestiegen ist und die Bewegung der Konsumenten im Raum der oberen U-Bahnlinie U9 stattfindet.

Auf Anfrage von Bürgerdeportierter Frau Herzig-Martens sagt Frau Köhler-Azara, dass für die Drogenprävention bei Schülern im Falle von Cannabis die Fachstellen und Drogenberater geschult werden im Umgang mit Eltern, um auch diese aufzuklären. Es gibt weiterhin ein Kooperationsprojekt vom Karuna e.V. mit Wohngemeinschaften im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Weiterhin erwähnt Frau Herzig-Martens, dass in der Nähe des S-Bahnhofs Wollankstraße ein Supermarkt seit 2 ½ Jahren leer steht und ob das ein geeignetes Gelände für einen Konsumraum sein könnte.

Auf Anfrage von BV Kurt sagt Herr Grothe, dass er mit der Degewo schon nach Lösungen für den Drogenkonsumraum gesucht hat, es aber derzeit keine freien Räumlichkeiten in der gewünschten Größe gibt. Es gibt außerdem eine Clearing-Stelle für Nichtversicherte und Obdachlose in Berlin, die versucht, eine Verbindung zum Suchthilfesystem aufzubauen.

Auf Anfrage von Herrn BV Radloff-Gleitze erzählt Frau Köhler-Azara, dass Crystal Meth in der Schwulen-Szene (sogenannte Chem.-Sex Szene) sehr verbreitet ist und Beratungsstellen darauf eingestellt sind. Sie berichtet, dass die Bundesdrogenbeauftragte nur Gelder für Forschung hat. Die Mittel für die Umsetzungen kommen alle aus dem Landeshaushalt, welcher zum kleinen Teil aus den Bezirksmitteln ergänzt wird.

Auf Anfrage von Herrn BV Fritz erzählt Herr Hennis, dass bei der medizinischen Versorgung fünf ausgebildete Krankenpfleger in der Birkenstube arbeiten und eine Ärztin auch aus der Vista GmbH die Fachaufsicht führt. Weiterbildungen und Schulungen werden immer wieder ausgeführt. Eine Beratung und Test für AIDS und Hepatitis C sollen eingeführt werden, wobei die Finanzierung dafür noch unklar ist.

 

 
 

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