Auszug - Räumung Berlichingenstr.  

 
 
10. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin
TOP: Ö 9.1
Gremium: BVV Mitte von Berlin Beschlussart: beantwortet
Datum: Do, 21.09.2017 Status: öffentlich
Zeit: 17:40 - 22:32 Anlass: ordentlichen Sitzung
Raum: BVV-Saal
Ort: Karl-Marx-Allee 31, 10178 Berlin
0649/V Räumung Berlichingenstr.
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion DIE LINKEFraktion DIE LINKE
Verfasser:Urchs und die anderen Mitglieder der Fraktion DIE LINKE 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
 
Wortprotokoll

  1. Wie viele Bewohner*innen der Berlichingenstraße 12 waren von der Räumung betroffen?
  2. Wie erfolgte die Vorbereitung der Bewohner*innen durch das Bezirksamt auf die Räumung?
  3. Welche Alternativen wurden den geräumten Bewohner*innen letztendlich angeboten?
  4. Wie viele Bewohner*innen der Berlichingenstraße 12 nahmen diese Alternativen an?
  5. Wie bewertet das Bezirksamt seine Unterstützung für die Bewohner*innen der Berlichingenstraße 12 und die angebotenen Wohnalternativen?
  6. Wie ist der Stand der Umsetzung der Drucksache 0626/V? Mit welchem Ergebnis erfolgte die Prüfung?

Herr BzStR Gothe antwortet: Ich beziehe mich bei der Beantwortung auf die Schriftliche Anfrage 0185/V, vom Bezirksverordneten Herrn Kurt, die der BVV bereits zugegangen ist. Im Zusammenhang mit der Räumungsklage hatte das Bezirksamt die Einwohnermeldedatei für die Berlichingenstraße 12 nochmal durchgesehen und alle gemeldeten Personen sowie zwei, die dort bislang noch nicht registriert waren, angeschrieben. Wir haben bei der Gelegenheit, das war am 26.07.2017, auch die anderen Bezirke mit gleichem Datum angeschrieben, denen die Klienten zugeordnet werden konnten. Wir konnten danach feststellen, dass 4 in der Klage genannten Bewohner bereits in neue Unterkünfte vermittelt worden waren oder sich selbstständig mit neuem Wohnraum versorgen konnten. Es gab dann als nächstes am 23. August eine Begehung des Sozialamtes, wobei wir dort nur bis zu dem Sicherheitsdienst des Eigentümers vorgedrungen sind. Der Zugang wurde verwehrt. Allerdings gab es einen Datenabgleich und dieser ergab, dass es am 23. August noch 5 von den in der Klage erfassten Bewohner in diesem Haus gab und darüber hinaus noch zwei weitere bis dahin nicht bekannte Personen. Die Bewohner haben wir bei dieser Gelegenheit leider nicht angetroffen, auch nicht vor dem Gebäude. Der Sicherheitsdienst hatte aber zugesagt die Bewohner zu informieren, dass sie sich jederzeit an das Sozialamt wenden können. Von der Räumungsklage waren 10 Personen, die sich in der Zuständigkeit des Bezirksamtes Mitte befinden, betroffen. Von diesen 10 Personen, für die das Bezirksamt Mitte selber zuständig war, konnten dann 2 weitere Personen vermittelt werden und in andere Einrichtungen untergebracht werden. Eine dritte Person, die sich in unserer Zuständigkeit befand, hat sich ohne Angabe eines neuen Wohnsitzes abgemeldet. Weiterhin wurde bekannt, dass 3 Personen in der Zuständigkeit anderer Sozialämter anderweitig untergekommen sind, und in diesem Zeitraum vor der tatsächlichen Räumung hatte ich auch zweimal mit dem Staatssekretär Fischer darüber telefoniert, um die Sachstände abzugleichen. Besondere Hilfestellung seitens des Senates oder Senatssozialverwaltung wurde bei dieser Gelegenheit allerdings nicht in Erwägung gezogen. Wir hatten dann im Vorfeld der Räumung, die für den 6. September angekündigt war, auch nochmal eine Pressemitteilung herausgegeben, die vermutlich auch zugegangen oder zur Kenntnis gelangt ist. Wir haben die Räumung mit den Mitarbeitern des Sozialamtes, die vor Ort waren, begleitet und konnten folgendes feststellen: Einer der Bewohner ist mit seinen Eltern vorbei gekommen und hat die Sachen, die von ihm in diesem Haus verblieben waren, abgeholt. Zwei weitere Bewohner, die vorher noch als dort wohnhaft auf unserer Liste standen, wurden bei der Gelegenheit nicht mehr angetroffen. Von den letzten 4 Bewohner, die wir während der Räumung dort angetroffen haben, haben drei Unterbringungsbescheinigungen angenommen und sich auf den Weg zu diesen neuen Unterkünften gemacht. Die vierte Person hatte dann noch die Möglichkeit bekommen, sich privat bei einer anderen Person unterzubringen.

Das war es zu den Fragen 1-5 und sie fragen dann in der sechsten Frage nach der Umsetzung eines Beschlusses der BVV, Drucksache 0626/V. Dort geht es im ersten Teil dieses Beschlusses darum, dass wir schnellstmöglich dafür sorgen sollen, die Bewohnerinnen/ die Bewohner der Berlichingenstraße 12 anderweitig unterzubringen und andere zuständige Behörden in anderen Bezirken zu informieren. Das ist ja im Prinzip erfolgt. Sie haben in dem Beschluss auch angeregt, dass wir die Rathenower Straße 16 und die dort existierenden leerstehenden Räume zur dauerhaften Unterbringung prüfen sollten. Dazu ist zu berichten, dass diese Immobilie dem Bezirk nicht zur Verfügung steht, weil sie sich in der Verfügungsgewalt der BIM befindet, die diese neue Nutzung nicht angehen wollte. Wir sind sowieso hinter dem Berliner Senat, das betrifft eigentlich nicht so die BIM, sondern das Abgeordnetenhaus und den Vermögensausschuss […], dass dort die Übertragung des Grundstückes an die WBM erfolgt. Das ist schon lange avisiert aber bisher nicht erfolgt. Denn wir wollen ja wie sie wissen in der Rathenower Straße 16 ein größeres Wohnungsbauprojekt umsetzen und drängen deshalb darauf, dass die Vermögensübertragung an die WBM erfolgt. Sie fragen als letztes in dem Beschluss, ob nicht weitere leerstehende Räume des Bezirkes identifiziert werden können. Um das nochmal systematisch abzuprüfen soll diese Frage auch in diese sogenannte [A…], die regelmäßig stattfindet und wo auch alle solche Immobilienfragen und Nutzungsfragen des Bezirks geklärt und besprochen werden und darauf antworten.

 

Herr BV Urchs von der Fraktion DIE LINKE ergänzt die Fragen: Meines Wissens waren die Zahlen, die ich kenne nicht hundertprozentig übereinstimmend. Dieses Gebäude und die dortige Bewohnerschaft beschäftigten uns schon seit vielen Monaten und es war aus meiner Sicht auch klar, dass ein Großteil der dortigen Bewohner krank ist und nicht für Mehrpersonenunterbringungen geeignet war. Das ist uns zumindest zu Ohren gekommen und wurde aus meiner Sicht auch in verschiedener Art und Weise signalisiert. Kurz vor der Räumung ist einer der Bewohner verstorben. Suizid wurde nicht ausgeschlossen. Sie haben gesagt, drei Bewohner haben den Schein angenommen. Gibt es Erkenntnisse, ob diese Personen auch in den Unterkünften angekommen sind? Das würde mich sehr interessieren. Sie haben gesagt, dass eine Person privat untergekommen ist. Ja, das stimmt. Der ist in einer Kirche untergekommen, weil er sich geweigert hat, aus gesundheitlichen Gründen in eine größere Unterkunft zu ziehen. Es gäbe die Möglichkeit, wenn man Wert auf solche Dinge legt, mit den Leuten Kontakt aufzunehmen, diese dann mal zum Arzt zu schaffen und zu prüfen, ob da nicht ein Status herauskommt, in dessen Ergebnis anschließend eine Einzelunterbringung möglich wäre. Das würde ich eigentlich auch vom Sozialstadtrat erwarten, weil dieser Vorgang sich angedeutet hat. Da gibt es einen Vorlauf. Es ist nicht so, dass geklingelt wurde und wir uns innerhalb von einer Woche damit auseinander setzen mussten, sondern, das war mit Ansage, und ich finde einfach, dass Sie als Sozialstadtrat keine gute Figur gemacht haben. Meine Frage lautet trotzdem: Wie viel von den drei Personen, die einen Unterbringungsbescheid angenommen haben, sind auch in einer Unterkunft angekommen? Gibt es dahingehend eine Erkenntnis?

 

Herr BzStR Gothe antwortet: Ich gehe davon aus, dass bei den drei Personen, die einen Schein angenommen haben, auch der Gesundheitszustand registriert worden ist, bzw. bei den Einrichtungen, die diese Personen dann zugewiesen wurden, der Gesundheitszustand auch registriert wird. Es gibt dort auch regelmäßige gesundheitliche Untersuchungen, bzw. die Heimleitungen müssten eigentlich auch die Professionalität aufweisen, dass sie einen kritischen Gesundheitszustand erkennen, so dass dann die Konsequenzen gezogen werden können und dann zum Beispiel eine Einlieferung in ein Krankenhaus erfolgt. Ich kann mich gerne nochmal erkundigen, ob und in welche Einrichtungen diese drei Personen untergekommen sind und ob zu dem gesundheitlichen Zustand seitens des Amtes etwas gesagt werden kann und würde Sie dann gerne darüber informieren.

 

Herr BV Kurt von der Fraktion Bü90/Die Grünen ergänzt die Anfrage ebenfalls: Ich freue mich, dass wir diese große Anfrage heute nochmal debattieren, weil wir dadurch die Gelegenheit haben, zu rekapitulieren, was in den letzten eineinhalb Jahren in der Berlichingenstraße 12 passiert ist. Die Räumung setzt einen Schlusspunkt nach einem Konflikt, der eineinhalb Jahre ging. Ein Konflikt, bei dem alle Register gezogen wurden, um die Kassen der Eigentümer klingeln zu lassen, bei dem Heizungen abgestellt wurden, bei dem Gasrohre sogar ausgebaut wurden, bei dem Ungeziefer sich tümmelte, bei dem sich Müllberge sich stapelten, um möglichst die Bewohner aus dem Haus zu ekeln. Anders kann man es nicht sagen. Ich glaube, dass das hier, auch wenn wir heute nur über die Berlichingenstraße 12 reden, kein Einzelfall ist. Wenn wir uns anschauen, wie sich der Wohnungsmarkt entwickelt, wenn wir uns anschauen, wo die Zahlen der untergebrachten Obdachlosen im Bezirk Mitte am Anfang der Wahlperiode lagen, mit 1.047. Wenn man sich anschaut, dass auch durch die Verwertungsspirale auf dem Wohnungsmarkt, wo aus jedem Quadratmeter möglichst viel Geld rausgeholt werden soll, sich diese Anzahl um ein Viertel in einem Jahr reduziert hat, durch den Wegfall von drei Unterkünften, nnen Sie sich ja selber ausrechnen, wie viele Plätze wir noch zum Ende diese Wahlperiode haben werden. Ich finde nicht, dass das Bezirksamt eine schlechte Figur gemacht hat. Ich glaube eher, dass das Bezirksamt ein bisschen alleine gelassen wird. Wenn ich mir nämlich anschaue, dass das Bezirksamt angekündigt hat, auch eine bezirkliche Obdachlosenstrategie, die wir auch als BVV anfordern, angekündigt hat, und zwar auf Basis einer Landesobdachlosenstrategie, die bis heute nicht erfolgt ist, aber für den Sommer angekündigt war, würde ich dem Bezirksamt empfehlen, den Schritt alleine nach vorne zu gehen und nicht auf das Land zu warten. Die Situation wird immer dramatischer und wir sehen, wie sich die Menschen auf den Parkbänken stapeln. Ich glaube, wenn wir dieses Thema nochmal rekapitulieren lassen, gibt es aber auch eine gute Nachricht. Wir sehen, wie viele Menschen sich für die Bewohnerinnen und Bewohner hier engagiert haben. Insbesondere der Bezirksbürgermeister ist natürlich zu nennen. Wie viele zivilgesellschaftliche Initiativen sich auch für die Leute ins Zeug gelegt haben. Ich hoffe, dass es dem Bezirksamt gelingt, obwohl es natürlich nur begrenzte Mittel zur Verfügung hat, diese Unterkünfte, die wir noch haben, zu sichern, und dass wir auch einen Weg finden, um einfach deutlich […] zu schaffen, wenn ich mir anschaue, wie viele Leute mittlerweile in einer sozialen Wohnungs[…] sind.

 

Herr BzStR Gothe antwortet: Herr Kurt, ich würde gerne Ihre Anmerkung nochmal aufgreifen und bestätigen, was Sie sagten. Wir sehen, dass das Thema der Unterbringung eine große Rolle spielt und da geht es nicht nur um die „klassischen“ Obdachlosen, von denen wir etwa 900 in unserer Zuständigkeit haben, sondern insbesondere auch um die statusgewandelten Flüchtlinge. Insgesamt beläuft sich die Zahl unserer Klienten in unserer Zuständigkeit auf 8.500 und wir wissen, dass das große Thema für die Integration beider Gruppen der fehlende Wohnraum ist. Das ist das Nadelöhr, durch das sehr schwer hindurchzukommen ist. Deshalb ist es nach wie vor eines der wichtigsten Themen, dass wir insbesondere mit unseren Wohnungsbaugesellschaften neuen Wohnraum für diese speziellen Gruppen schaffen. In dem Zusammenhang möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass es der Finanzverwaltung zu danken ist oder dem Senat allgemein, dass sie das Gespräch mit den Bezirken suchen um weitere, neue Standorte zu identifizieren, die für die Unterbringung, insbesondere für statusgewandelte Flüchtlinge, in Frage kommt. Ich betone, dass wir ungefähr eine Hand voll Standorte identifiziert haben, die man entwickeln könnte. Ich hatte es in der letzten BVV- Sitzung schon gesagt, dass ich bei der Suche und Entwicklung solcher Grundstücke auf Ihre Zustimmung und Unterstützung hoffe. Ich bin dabei der Auffassung, dass es nicht zielführend ist, klassische Unterkünfte zu schaffen, sondern besser Immobilien, die im Prinzip aussehen wie Wohnimmobilien, wie Wohngebäude, die dann als solche betreute Wohnformen genutzt werden können und das wir da als Bezirk einen Beitrag zur Lösung dieses Themas in Berlin leisten können.

 

Herr BV Urchs von der Fraktion DIE LINKE ergänzt die eigenen Ausführungen : Herr Gothe, ich möchte explizit auf die Berlichingenstraße 12 eingehen. Wenn Sie sagen, die Obdachlosen werden in den entsprechenden Obdachlosenunterkünften auch auf den Gesundheitszustand überprüft, ob sie denn vielleicht ins Krankenhaus müssen, das meine ich nicht. Es gibt sozusagen Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose in Einzelzimmern und dafür ist die Voraussetzung ein entsprechender Status, den der Obdachlose vom Arzt genehmigt bekommen muss, und wir hatten aus meiner Sicht genügend Signale und genügend Zeit, genau das überprüfen zu lassen, ob von diesem Klientel jemand Anspruch auf einen solchen Platz hätte. Das ist nicht passiert. Ich meine jetzt nicht, dass das Bezirksamt als Ganzes eine schlechte Figur abgeben hat, und auch den Bezirksbürgermeister nehme ich da völlig heraus, sondern ich meine den Sozialstadtrat, der eine sehr schwache Figur abgeben hat.

 

Herr BzStR Gothe antwortet: Dann werde ich auch noch zusätzlich die Information einholen, wie viele leere Einzelzimmer uns zur Verfügung stünden. Ich vermute, dass wir auch dort wieder mit dem Problem konfrontiert stehen, dass wir als Stadt insgesamt zu wenig kommunalen Wohnraum haben, der für solche Zwecke zur Verfügung gestellt werden kann. Das ist das Rad, an dem wir drehen müssen.

 

 
 

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