Drucksache - 0498/3
1.
Wie viele der
Erstklässler im Bezirk werden vom Kinder- und Jugendgesundheitsdienst
untersucht?
Für das Einschulungsjahr
2007 wurden im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Charlottenburg-Wilmersdorf
2048 Kinder untersucht. Im Jahr 2004 belief sich die Zahl auf 2680 Kinder (noch
mit Vorschulkindern); 2005 auf 1681 (nur noch 1. Klasse) und 2006 auf 2115
Kinder. 2.
Warum ist es dem
Bezirk nicht möglich, sämtliche Erstklässler auch durch niedergelassene
Kinderärzte zu untersuchen?
Mit der für alle Kinder im Schulgesetz (§55, Abs. 5) des Landes Berlin vorgeschriebenen Einschulungsuntersuchung wird überprüft, ob gesundheitliche und/oder entwicklungsbezogene Einschränkungen bestehen, die für den Schulbesuch von Bedeutung sind und möglicherweise Förderbedarf begründen. Von Interesse sind aber nicht nur Befunde zum individuellen Zustand eines Kindes, sondern auch Merkmale, die die Gesundheit der Kinder im Kontext wesentlicher sozialer, familiärer und persönlicher Einflussgrößen beschreiben. Auf umfangreichen Dokumentationsbögen werden Daten zu präventionsrelevanten Bereichen wie motorische, kognitive und sprachliche Entwicklung, Unter- und Übergewicht, Impfstatus, Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen, Zustand des Gebisses erfasst. Daneben werden soziale Kenndaten der Familie, wie Bildung und Erwerbsstatus der Eltern, Informationen über Familienstruktur sowie Rauchverhalten der Eltern, vorschulischer Einrichtungsbesuch, Merkmale der Staatsangehörigkeit und Deutschkenntnisse des Kindes dokumentiert. Bei der Einschulungsuntersuchung findet die Untersuchung eines kompletten Jahrganges statt. Dies gibt es in keinem anderen Lebensalter und ist die beste Grundlage für epidemiologische Erfassungen. Diese sehr zeitintensive Untersuchung und Befragung bei der
Einschulungsuntersuchung liefert den Akteuren im Land Berlin und im Bezirk eine
solide Datengrundlage, um im Sinne von Public Health zielgruppenspezifische
Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention durchzuführen. Die Aufgabe von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten für
Kinder- und Jugendmedizin ist im wesentlichen die individuelle kurative
Versorgung von Kindern und Jugendlichen, selbstredend auch im Kontext des sozialen
Umfeldes. Die Erhebung von Daten i.S. von Public Health ist nicht Inhalt des
Sicherstellungsauftrages der medizinischen Versorgung der Bevölkerung durch
niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Die Einschulungsuntersuchung wurde im Rahmen der ÖGD-Reform als Erfüllungsaufgabe des Staates und nicht als Gewährleistungsaufgabe festgeschrieben. Darüber hinaus wird von den niedergelassenen Ärzten/innen selbst diese Aufgabe nicht für machbar und leistbar gehalten. Im Rahmen der ÖGD-Reform wurde ein Kostenvergleich erstellt, der zu dem Ergebnis kam, dass die Auslagerung an niedergelassene Ärztinnen und Ärzten auch keine Einsparung erbringen würde, da die Untersuchungen sehr zeitaufwändig sind. Zudem gäbe es ganz erhebliche Organisationsprobleme, da die Untersuchungen nicht über das Jahr verteilt, sondern in der Zeit von Mitte November bis Anfang Mai erfolgen. Mit einem normalen Praxisbetrieb wäre dies schwer in den Praxisablauf zu integrieren. Das ist übrigens auch die Zeit, in der in Kinderarztpraxen der größte Ansturm stattfindet, da Kinder in der kalten Jahreszeit häufig unter Infektionskrankheiten leiden. Die Einschulungsuntersuchung stellt eine gute Chance dar, bei allen Kindern dieses Jahrganges auf die Versorgung und Betreuung durch das Elternhaus zu achten, bzw. evt. Hinweise auf Gefährdung des Kindeswohls festzustellen und ggf. notwendige Schritte einzuleiten. Dies erfolgt jeweils in enger Kooperation mit dem Jugendamt. 3.
Wie ist der
Personalstand bei Kinderärzten und Schulpsychologen im Bezirk derzeit, und
welche Prognose gibt das Bezirksamt für die kommenden Jahre?
Es
gibt im Fachbereich 8,95 Planstellen für die Untersuchung und Betreuung von Kindern
und Jugendlichen, davon sind derzeit leider 3 ½ Stellen nicht besetzt. 2,5
Ärztinnen sind in der Freistellungsphase der Altersteilzeit, 1 Stelle ist frei
und besetzbar. Da 3 Ärztinnen (mit insgesamt 1,5 Stellen) für Kinder mit
Entwicklungsverzögerungen und Behinderungen zuständig sind, stehen faktisch
nur 4 Ärztinnen mit insgesamt 3,95 Planstellen im Kinder- und
Jugendgesundheitsdienst für Einschulungsuntersuchungen zur Verfügung. Von der Beratungsstelle für Kinder mit Behinderungen werden
Kinder in sechs Sonderschulen betreut. Diese Sonderschulen werden von
körperlich, geistig, sowie von schwerst mehrfach behinderten Kindern auch aus
Nachbarbezirken besucht. In unserem Bezirk gibt es besonders viele
Sonderschulen und entsprechend einen besonders hohen Betreuungsbedarf. Eine
Ärztin dieser Beratungsstelle, die eine 0,75 Stelle innehat, scheidet zum Ende
2007 aus, so dass ihre Aufgaben dann zunächst auch noch von den Ärzten des Kinder-
und Jugendgesundheitsdienstes mit erfüllt werden müssen. 2,5 Planstellen für Ärzte des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes sind mit Mitarbeiterinnen besetzt, die sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinden und deshalb aktuell keine Dienstaufgaben wahrnehmen, ihre Planstellen aber noch nicht frei sind. Diese Stellen können während der Freistellungsphase nur mit Ärztinnen/Ärzten aus dem Zentralen Stellenpool besetzt werden. Dort gibt es jedoch keine Kinderärzte oder andere geeignete Ärztinnen oder Ärzte. Das bedeutet, dass wir diese in unserem Stellenplan verankerten Stellen auch auf Jahre hin nicht mit Ärzten besetzt haben, die Dienstaufgaben wahrnehmen. Eine Planstelle ist frei. Für diese läuft derzeit das
Stellenbesetzungsverfahren, ich möchte Ihnen kurz skizzieren, wie aufwändig und
zum Teil kabarettfähig das vor sich geht: Nach Freiwerden einer Planstelle muss die Meldung
“freie Stelle” an den zentralen Stellenpool erfolgen. Danach
müssen wir warten, bis dieser uns mitteilt, dass es geeignete Fachkräfte für
diese Tätigkeit nicht gibt – auch wenn wir dies längst wissen, weil alle
anderen Gesundheitsämter auch angefragt haben und der “Markt”
dieser Fachkräfte absolut übersichtlich ist. Dann erst kann die Stelle
ausgeschrieben werden. Es gibt Ausschreibungsfristen, die Zustimmung des
Personalrates und der Frauenvertreterin muss abgewartet werden. Dann gibt es
Bewerbungsfristen. Eingestellt werden können aber nur Bewerberinnen und
Bewerber des Landes Berlin mit einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis.
Glücklicherweise sind wir als Bezirk (oder Amt/Abtl.) so beliebt, dass wir
Bewerbungen aus anderen Gesundheitsämtern erhalten, dann stellen wir dann Beendigung
der Auswahlgespräche einen Versetzungsantrag an das bisherige Bezirksamt
gestellt. Dieses Anliegen stößt verständlicherweise auf, in Abhängigkeit von
der Persönlichkeitsstruktur der jeweiligen Leitungen, helle Empörung oder stumme
Verzweiflung, auf jeden Fall dauert es viele Monate, bis der oder die neue
Beschäftigte bei uns anfängt und dann im bisherigen Bezirk eine Lücke
hinterlässt. Zu Recht wird hier von “Stellenkannibalismus” gesprochen. Gibt es keine Bewerbung aus dem Land Berlin, muss eine
Genehmigung von SenFin zur Außeneinstellung eingeholt werden. Für 2007 hat die
Verwaltung von Herrn Sarrazin bisher für den gesamten öffentlichen
Gesundheitsdienst des Landes Berlin - einschließlich der Tierärzte –
lediglich 17 Außeneinstellungen bewilligt. Das gesamte Verfahren ist ungemein zeitaufwendig. Nach
unseren Erfahrung vergeht meistens über ein Jahr, bis eine Stelle wieder
besetzt werden kann - wenn dies denn gelingt. Aufgrund der dann nicht in Anspruch genommenen Personalkosten
wird die Zuweisung in den Folgejahren automatisch abgesenkt! Ich habe dies so ausführlich geschildert, weil ich Ihnen die
Fallstricke aufzeigen möchte, die immer mehr verhindern, dass wir unsere
Aufgaben ordentlich erledigen. Bei der Neubesetzung von Stellen im
Verwaltungsbereich mag es – theoretisch – möglich sein, sich in
eine ganz neue Materie einzuarbeiten, wenn langjährige Erfahrungen mit Verwaltungsaufgaben
vorliegen. Bei Stellen von Fachärztinnen und –ärzten gibt es definitiv
keinen Spielraum für eine fachfremde Besetzung. Dem Gesundheitsamt liegen qualifizierte Bewerbungen von
Fachärzten/innen für Kinder- und Jugendmedizin vor, die hervorragend zur
Beschäftigung geeignet wären. Leider haben die Bewerber/innen jedoch keine
unbefristete Arbeitsstelle im Land Berlin. Zum Personalstand von Kinderärzten kann prognostisch –
beispielsweise über die nächsten fünf Jahre – festgestellt werden, dass
2 Ärztinnen in diesem Zeitraum das 65. Lebensjahr erreichen werden; beide sind
bereits in der Altersteilzeit, ihre Stellen könnten nur aus dem Zentralen
Personalmanagement neu besetzt werden. Der Altersdurchschnitt
unserer Ärzte liegt 56 Jahren. Gerade die jüngeren Ärzte/innen bemühen sich um
eine Anstellung außerhalb der Trägerschaft des Landes Berlin. Denn durch den
Anwendungstarifvertrag des Landes Berlin beziehen Ärzte/innen ein um 12 %
verringertes Gehalt. Hinzu kommt, dass Krankenhausärzte/innen durch die von
der Ärztegewerkschaft ausgehandelten
Tarifverträge weitere Einkommensverbesserungen haben. So gibt es zwischen
einem/r im Land Berlin beschäftigten Arzt/Ärztin und einem/r bei einem
konfessionellen Krankenhausträger beschäftigten Arzt/Ärztin ein erhebliches Einkommensgefälle. Durch die geschilderten Schwierigkeiten bei den Einstellungen
gibt es nicht nur in unserem Bezirk, sondern
im gesamten ÖGD des Landes Berlin einen erheblichen Mangel an
Ärzten/Ärztinnen und wird es wahrscheinlich auch auf absehbare Zeit geben. Die
Lösung dieses Problem kann – wie
oben ausführlich dargelegt - jedoch nicht darin liegen, die Einschulungsuntersuchungen
durch niedergelassene Ärzte durchführen zu lassen. Auf die Frage nach der Zahl der beschäftigten Schulpsychologen teilte
uns die Außenstellen Charl-Wilm der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft
und Forschung mit: Es gibt 6 Schulpsychologen auf 5,5 Planstellen, darunter eine mit der
Aufgabe der der Gewalt- und Krisenintervention. Rechnerisch stünden 7
Vollbeschäftigte dem Bezirk zu. Die Umsetzung einer weiteren Schulpsychologin
sei geplant. 4.
Welche Folgen für
die Kinder kann es haben, wenn nur ein Teil der Erstklässler untersucht
werden?
Die Einschulungsuntersuchung soll sicher stellen, dass für
ein Kind individuell keine Nachteile durch den gesetzlich vorgeschriebenen
Schulbesuch entstehen. Körperliche, motorische, kognitive und sprachliche
Defizite werden mit entsprechenden Hilfsangeboten aufgezeigt, damit durch
Einleitung von Fördermaßnahmen Entwicklungsschwächen möglicherweise
kompensiert werden können. Die vor Schulbeginn nicht untersuchten Kinder könnten
erhebliche Nachteile erleiden, wenn Entwicklungsverzögerungen nicht rechtzeitig
erkannt und therapiert würden. Fördermaßnahmen in der Schule könnten erst mit
einjähriger Verspätung eingeleitet werden. Mögliche Impflücken würden u.U.
nicht geschlossen. 5.
Teilt das
Bezirksamt die Klagen anderer Bezirke über die Sparpolitik des Senats bei der
gesundheitlichen und psychologischen Betreuung, und was wird das Bezirksamt
tun, damit eine fachlich vertretbare Betreuung der Kinder stattfindet?
Natürlich. Wir kämpften seit Monaten – wenn nicht seit Jahren – mit uns möglichen Mitteln für das Recht auf Außeneinstellung. Wir wollen nicht mehr Personal, wir wollen auch nicht mehr Geld, wir wollen nur die vorhandenen und finanzierten Stellen besetzen dürfen! Aus Bezirken mit schlechten sozialen Strukturen gibt es Horrormeldungen in der Tagespresse, der RdB hat eindeutige Forderungen gestellt, die Senatsverwaltung für Gesundheit kämpft engagiert an unserer Seite für die Außenbesetzung. Frau Senatorin Lombscher gibt sich verhalten optimistisch, dass bei Finanzen Einsicht einkehren wird. Auch wir werden mit unserem Druck nicht nachlassen. M. SchmiedhoferBezirksstadträtin |
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