Auszug - Die bezirkliche Kunstsammlung ein Muster ohne Wert I ?  

 
 
4. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
TOP: Ö 8.5
Gremium: Bezirksverordnetenversammlung Beschlussart: beantwortet
Datum: Do, 19.01.2012 Status: öffentlich
Zeit: 17:00 - 22:10 Anlass: ordentliche Sitzung
0089/4 Die bezirkliche Kunstsammlung ein Muster ohne Wert I ?
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Die Linke (fraktionslos) 
Verfasser:Tillinger/Cieschinger 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
 
Beschluss


 

Zur Beantwortung Herr BzStR Gröhler:

 

Frau Vorsteherin, meine Damen und Herren, Herr Tillinger, das Bezirksamt darf Ihre Große Anfrage wie folgt beantworten und ich kann Ihnen versichern, dass Ihre mögliche Überlegung, dass wir das eine oder andere Gemälde zur Sanierung des Bezirkshaushaltes in Zürich haben versteigern lassen, heute keine Unterstützung und keinen Nährboden bekommen, sondern die Sache ist viel banaler.

 

Zu 1.

Zur Vorbereitung des Lottomittelantrages wurden die vorhandenen Verzeichnisse des Kunstamtes Charlottenburg geprüft und eine Datenbank angelegt. Damit wurde im Jahr 2006 begonnen und als Verzeichnis wurden folgende Dinge zugrunde gelegt, nämlich ein Verzeichnis über die Sammlung Raussendorff, Kunstwerke aus dem Haus Raussendorff (Berlin 1895), darüber hinaus ein Bestandsverzeichnis des Museums, zusammengetragen durch Raussendorff und Lepke und ein Verzeichnis von 1928, nämlich ein Verzeichnis der im Besitz der Stadt Berlin befindlichen beweglichen Kunstwerke, herausgegeben durch den Magistrat der Stadt Berlin 1928.

 

Im Dezember 2006 wurde daraufhin festgestellt, dass 464 Werke als Kunstbesitz Charlottenburgs bis 1945 zu gelten haben. Diese Datei wurde dann in den letzten fünf Jahren weiter fortgeführt und ist weiter als Grundlage für den Lotto-Mittel-Antrag genommen worden. In der Fortführung dieser Datei hat es allerdings Veränderungen gegeben. Und zwar musste überprüft werden, ob diese Datei in der Form tatsächlich Bestand haben kann. Dabei sind folgende Kriterien herangezogen worden: Erstmal die Definition überhaupt der Sammlung des Kunstbesitzes der Stadt Charlottenburg. Dabei musste abgegrenzt werden zu späteren Ankäufen, also die nach 1945 stattgefunden haben, bzw. zu Objekten, die eigentlich zu Wilmersdorf gehören. Darüber hinaus musste auch definiert werden, was gilt denn als Werk, also was wird als Werk gezählt? Das ist nämlich zu unterschiedlichen Jahrzehnten unterschiedlich gehandhabt worden.

Mal ein Beispiel: Wir haben von Günther Naumburg drei Aquarelle in einem Rahmen. In einigen Jahrzehnten wurden diese drei Aquarelle als drei Werke gezählt, aber da sie sich in einem gemeinsamen Rahmen befinden und auch als ein gemeinsames Kunstwerk sozusagen aufeinander abgestimmt wurden, befindet es sich in einigen Verzeichnissen als ein Werk. Da das u. a. auch teilweise in einer Raussendorff-Mappe mit 25 Reproduktionen der Fall ist, mit entsprechenden Einzelblättern, können Sie es auch einmal als 25 Werke oder als eine zusammenhängende Mappe zählen. Also, Sie merken jetzt daran schon, dass man durch die unterschiedliche Zählweise auch zu unterschiedlichen Ergebnissen in unterschiedlichen Verzeichnissen in den letzten über 100 Jahren gekommen ist.

 

Nach dem wir u. a. Inventarverzeichnisse ausgewertet haben, Restaurierungspläne, Karteikarten, handschriftliche Notizen und Leihscheine, haben wir z. Z. einen aktuellen Gesamtbestand von 382 Objekten, die zu dieser Sammlung zählen. Davon können z. Z. 273 Objekte nicht identifiziert werden. Dabei handelt es sich um 240 Gemälde (Papierarbeiten und Holzschnitte) und 33 Skulpturen und Porzellan.

 

Zu 2.

Gründe für den Verlust? Klar, Kriegsverluste unmittelbar in Berlin, entweder durch Abtransport in den letzten Kriegstagen oder danach bzw. durch Zerstörung während des Krieges in Berlin selbst. Durch Ausgliederung durch das Stadtgut Sommerfeld. Bei der Gelegenheit, wir hatten ja als Bezirksamt überlegt, wo könnte man Klausurtagungen machen. Eine frühere Klausurtagung des Bezirksamtes hat mal in Sommerfeld stattgefunden. Mir war damals gar nicht bewusst, dass es sich um das Stadtgut der Stadt Charlottenburg gehandelt hat ursprünglich, indem während des Krieges u. a. die Kunstsammlung Charlottenburg eingelagert worden ist. Darüber hinaus ist dann teilweise aus Sommerfeld durch Kriegshandlungen weiter verlagert worden, darüber gibt es aber auch keine Aufzeichnung und sie können sich vorstellen, da Sommerfeld anschließend in der sowjetisch besetzten Zone gelegen hat, sind nicht alle Kulturgüter nach Charlottenburg wieder zurückgeführt worden. Sondern entweder haben sie sich weiter östlich später wiedergefunden oder sie sind möglicherweise auf andere Berliner Bezirke oder Einrichtungen verteilt worden. Teilweise auch im östlichen Teil Berlins.

 

Teilweise sind sie anschließend nicht identifiziert oder zugeordnet worden, weil viele dieser Kunstgüter auch keinen entsprechenden Hinweis hatten, dass sie zur Kunstsammlung Charlottenburgs gehörten. Darüber hinaus müssen wir davon ausgehen, dass Skulpturen teilweise eingeschmolzen worden sind, bzw. einige Werke an den Magistrat der Stadt Berlin nach der Eingliederung 1920 von Charlottenburg aus abgegeben worden sind. Darüber hinaus kann auch mal das eine oder andere Objekt durch unsachgemäße Behandlung verloren gehen, gerade bei Porzellan und es sind auch einige Projekte durch Diebstahl verlorenen gegangen. Dazu komme ich gleich.

Wir sind immer noch in dem Prozess des Versuchs der Zuordnung. Der Kollege Schulte hatte ja eben auch noch mal darauf hingewiesen, auch Gutachten kosten Geld, auch derartige Facharbeiten kosten Geld und nur wenn es uns gelingen würde, z. B. über ein gefördertes Projekt  entsprechend ausgebildete Leute, die z. Z. beschäftigungslos sind, zu bekommen, würde es uns gelingen, hier vertiefte Arbeiten zu machen. Im üblichen Tagesgeschäft des Kunstamtes ist dieses nicht leistbar. Eine Verlustliste von Entschädigungszahlen, von der sie in der Frage sprechen, ist bei uns nicht vorhanden und auch eine Nachfrage beim Landesarchiv hat Fehlanzeige gegeben.

 

Zu 3.

Nachgewiesen sind z. Z. 109 Objekte in der Kunstsammlung Charlottenburgs, 87 Gemälde- und Papierarbeiten, 22 Skulpturen, Porzellane und Vasen.

 

Zu 4.

Bei dem Gemälde „Bauernkostüme“ von Benjamin Vautier handelt es sich um ein Gemälde, dass aus dem Standesamt Charlottenburg bei einem Einbruch gestohlen worden ist, vor über 10 Jahren. Der Diebstahl wurde seinerzeit zur Anzeige gebracht. Das Bezirksamt wird prüfen, ob und in welchem Auktionshaus in Zürich ein entsprechendes Werk versteigert wurde und der Kontakt zum Landeskriminalamt ist in der Frage aufgenommen worden.

 

Zu 5.

Die aktuellen Recherchen aufgrund ihrer Frage haben ergeben, dass bei van Ham in Köln auf einer Auktion alte Meister am 19. November, nicht am 10. November 2010 zwar versteigert worden sind, aber dabei kein Gemälde von Achenbach versteigert wurde, was identisch ist mit dem Gemälde aus der Sammlung Raussendorff. Das Bezirksamt wird hier aber weiter prüfen, auch wenn Sie jetzt weiter davon ausgehen, dass es sich bei Achenbachs Bild um „See“ handelt. Zahlreiche seiner Bilder tragen den Namen „Stürmische See“ oder was auch immer für einen See.

Also, wir können davon ausgehen, dass es sich nach jetziger Erkenntnis nicht um unser Bild handelt. Sollte die Erkenntnislage eine andere sein, werden wir selbstverständlich eine Rückführung in unsere Sammlung fordern. Fazit: Charlottenburg-Wilmersdorf ist der erste Bezirk, der angefangen hat systematisch überhaupt seinen alten Kunstbesitz in eine neue Datei zu bringen und sein Archiv in Ordnung zu bringen. Andere Bezirke haben da noch deutlich mehr Hausaufgaben zu machen, aber ich will auch ganz deutlich sagen, wenige Stunden vor der Eröffnung der Villa Oppenheim, dass Überschriften, wie die „bezirkliche Kunstsammlung ein Muster ohne Wert“ dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf und dem neuen Museumsstandort nicht weiterhelfen und jegliche Mutmaßungen, da sei irgendwas abhanden gekommen und wir hätten nicht gut genug aufgepasst, darf ich an der Stelle wirklich zurückweisen. Sie haben keinerlei Boden. Herzlichen Dank.

 

 

 

 
 

Legende

Ausschuss Tagesordnung Drucksache
BVV Aktenmappe Drucksachenlebenslauf
Fraktion Niederschrift Beschlüsse
Kommunalpolitiker/in Auszug Realisierung
   Anwesenheit Schriftliche Anfragen