Drucksache - 1512/XIX  

 
 
Betreff: Für eine Kinder- und Jugendbibliothek in Friedenau - Standort Handjerystraße 44 umfassend pfüfen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Frakt. SPD, GRÜNEBezirksamt
Verfasser:Frau Kaddatz, JuttaSchöttler, Angelika
Drucksache-Art:AntragMitteilung zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Entscheidung
20.05.2015 
46. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin ohne Änderungen im Ausschuss beschlossen (Beratungsfolge beendet)   
Bezirksamt Entscheidung
Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin Entscheidung
16.09.2015 
49. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin zur Kenntnis genommen (Beratungsfolge beendet)   

Sachverhalt
Anlagen:
Beschlussempfehlung
Mitteilung zur Kenntnisnahme

Das Bezirksamt teilt zu der o.g. Drucksache folgendes mit:

 

Das Bezirksamt hat zur Einrichtung einer Bibliothek in der Handjerystr. auf der Grundlage der derzeit bekannten Kostenfaktoren und Mengenprognosen eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erstellt. In den Kosten sind eine Miete von 8 Euro/m² + 3 Euro/m² Nebenkosten berücksichtigt. Eventuelle weitere Kosten (Umbauten z.B. für eine Geschossverbindung und den 2. Rettungsweg, fachbedingte Sonderausstattungen, Außenwerbung etc.) können erst durch eine genauere Schnittstellenanalyse zusammen mit dem Vermieter und dem Nachbarschaftsheim Schöneberg ermittelt werden und sind hier, um eine zeitnahe Beantwortung zu ermöglichen, noch nicht einbezogen. 

 

 

  1. Erläuterungen zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung

 

Ausrichtung der Bibliothek

Der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung liegt das Modell einer „Familienbibliothek“ mit Schwerpunkt Kinderbetreuung zugrunde. Kinder besuchen Bibliotheken i.d.R. in Begleitung Erwachsener, die dort, wenn sie schon den Weg auf sich nehmen, auch ein Angebot für den Eigenbedarf erwarten. Deshalb sollte die Bibliothek in der Handjerystr. einen Grundbestand für Erwachsene vorhalten.

 

In der Gerhart-Hauptmann-Bibliothek (GHB) machen die Entleihungen von Kinderliteratur ca. 61% der Gesamtentleihungen aus. Doch nur 42,2% dieser Medien werden durch die Kinder selbst entliehen. 32,4% werden durch Erwachsene in der Altersgruppe 25-39 Jahre entliehen. Unter den Entleihungen dieser Altersgruppe nehmen Kindermedien 60,1%, in der Altersgruppe 40-49 Jahre nehmen sie 50,6% ein.

Weiterhin zeigt ein Blick auf die „aktiven Nutzer“[1], dass unter den Stadtteilbibliotheken Friedenau, Lichtenrade und Marienfelde, die vergleichbar sind, in Friedenau die Nutzer/innen unter 18 Jahren trotz des höchsten Ausleihanteils der Kinderliteratur mit 35,5% den geringsten Nutzer/innenanteil haben (Lichtenrade: 43,3%; Marienfelde: 41,9 %).

 

Diese statistischen Daten zeigen, dass in Friedenau Erwachsene zwischen 25 und 49 Jahren in überdurchschnittlich starkem Umfang wegen der Kinder in die Bibliothek kommen. Entsprechend der demografischen Struktur des Ortsteils, die sich in den Erfahrungen der Bibliotheksmitarbeiter/innen widerspiegelt, sind dies i.d.R. gut situierte Eltern, die ihre Kinder nicht allein losschicken, sondern die Bibliothek zusammen mit diesen aufsuchen und auf ihren Ausweis für ihre Kinder und für sich selbst ausleihen. In der Handjerystr. dürfte sich diese Tendenz aufgrund der Lage an einer Durchgangsstraße eher noch verstärken.

 

Der Anteil Jugendlicher zwischen 13 und 17 Jahren liegt in der GHB mit 8,05% deutlich niedriger als in den Vergleichsbibliotheken Marienfelde (10,28%) und Lichtenrade (13,22%). Jugendliche, die vorwiegend schulbezogene Bedarfe haben, erwarten differenzierter ausgebaute Bestände, als sie in Friedenau angeboten werden können. Sie nutzen eher die nahe gelegenen größeren Bibliotheken in Schöneberg, Steglitz oder Wilmersdorf.

 

Die neue Bibliothek als reine „Kinder- und Jugendbibliothek“ zu führen, widerspräche deshalb dem Bedarf der Friedenauer Nutzer/innen. Separate Kinder- und Jugendbibliotheken sind im Übrigen in Berlin kaum noch zu finden. Sie konterkarieren das Ziel, Bibliotheken nicht nur als Verleihstationen, sondern als Orte einzurichten, wo sich Menschen aller Generationen, Schichten und Herkünfte mit den unterschiedlichsten Nutzungszielen begegnen können. Die Prüfung wurde deshalb für eine „Familienbibliothek“ mit deutlich erhöhtem Kindermedienbestand durchgeführt, in der aber auch Erwachsenenmedien vorgehalten werden.

 

 

Medienbestand

Die Aufteilung der zur Verfügung stehenden Flächen auf Verkehrsflächen und Funktionsbereiche ergibt unter Berücksichtigung der spezifischen Raumgegebenheiten (z. B. der Fensterfronten), dass in beiden Geschossen maximal 16.500 Medien untergebracht werden können. Mit dieser Bestandsgröße läge die Bibliothek nur knapp über der Größe von 15.000 Medieneinheiten, die 2014 von der Verbundkonferenz des VÖBB als Mindestgröße für Bibliotheken im VÖBB definiert wurde, und unterschritte den Stand der Bibliothek im Rathaus um rd. 30%.

 

Mit 55% sollen Kindermedien einen überdurchschnittlich hohen Bestandsanteil einnehmen. In der GHB lag der Anteil 2014 bei 47%, in der Stadtbibliothek insgesamt bei 40%.

 

 

 

 

Raumplanung

Für die Mengenprognose wurde eine grobe Raumaufteilung vorgenommen, der zufolge das Untergeschoss mit Medien, Sitz- und Arbeitsplätzen sowie Veranstaltungsmöglichkeiten als Kinderbibliothek dient, während im Erdgeschoss überwiegend Angebote für Erwachsene, aber aus Platzgründen ebenfalls auch noch für Kinder (Bilderbücher, Nonbooks) vorgehalten werden. Im separaten Gebäudeteil im Erdgeschoss könnte neben den internen Räumen auch ein Gruppenraum eingerichtet werden.

 

 

Öffnungszeiten und Personalbedarf

Die Bibliothek sollte 30 Stunden pro Woche, aufgeteilt auf 6 Stunden an 5 Wochentagen, geöffnet sein. Da aus Platzgründen kein Parallelbetrieb während der Öffnungszeiten möglich ist, sollten die Stunden so liegen, dass davor noch Gruppenführungen für Schulklassen und Kitagruppen stattfinden können, also z.B. 11-17 oder 13-19 Uhr.

In der Bibliothek müssen 2 Geschossebenen bespielt und beaufsichtigt werden. Hierfür ist während der Öffnungszeiten im Untergeschoss die dauerhafte Anwesenheit von einer Person, im Erdgeschoss aus Gründen der Kassensicherheit von dauerhaft 2 Personen erforderlich.

30 Stunden Öffnung auf 2 Etagen + Vormittagsbetreuung von Gruppen + BackOffice-Tätigkeiten erfordern eine Personalausstattung von 4,5 Personen (1 ½ Bibliothekar/innen, 3 Fachangestellte),

 

 

Mengenprognose

Der Mengenprognose liegt der 2014 im Standort „Rathaus“ durch die einzelnen Bestandssegmente erwirtschaftete Umsatz zugrunde. Insgesamt ergibt sich bei 16.500 Medien eine Prognose von rd. 84.000 Entleihungen, was einem Umsatz von 5,1 entspricht (GHB: 4,47). Dies ist eine den Fachnormen entsprechende plausible Standardgröße für einen gut genutzten Bestand. Ein noch höherer Umsatz ist trotz des gegenüber der GHB deutlich geringeren Bestands aufgrund der Lage der Bibliothek nicht zu erwarten und auch nicht sinnvoll, da eine zu hohe Medienabsenz die Verfügbarkeit der Medien beeinträchtigt.

 

Die Besucherzahl wurde in Analogie zum Verhältnis Entleihung/Besuch in der Gerhart-Hauptmann-Bibliothek auf rd. 40.000 veranschlagt.

 

Die Einbeziehung von bürgerschaftlichem Engagement, die sich vor allem auf das Produkt „Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz und Leseförderung“ auswirkt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich abgeschätzt werden. In der Wirtschaftlichkeitsberechnung wurde sie gleichwohl durch eine erhöhte Ansetzung der Zahl der Teilnehmer berücksichtigt, die gegenüber 2014 mit einem Zuwachs von rd. 25% veranschlagt wird.

 

 

 

 

 

  1. Resümee

 

Fachliche Bewertung

 

Wie im Zwischenbericht vom 18.5.2015 für den Unterausschuss Bibliotheken ausführlich dargestellt, weist der Standort „Handjerystr.“ aus fachlicher Sicht deutliche Nachteile allgemein sowie speziell auch gegenüber dem Standort „Rathaus“ auf, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Fläche und Bestandsgröße am untersten Rand des fachlich Vertretbaren
  • personalintensive Verteilung der Räumlichkeiten auf 3 Gebäudeteile in 2 Geschossen
  • Randlage nahe Steglitz
  • kaum Nutzungssynergien
  • wenig Laufkundschaft
  • schlechtere ÖPNV-Anbindung
  • keine ÖPNV-Umsteigepunke für spontane, beiläufige Nutzungen; Mitnahmeanreize fehlen
  • Konkurrenz durch drei besser ausgestattete größere Bibliotheken, die mit geringem Mehraufwand schnell zu erreichen sind

 

Aus fachlicher Sicht kann der Standort aufgrund der Raumstruktur und Größe, der Lage und Erreichbarkeit und der Konkurrenz durch größere Bibliotheken nicht befürwortet werden.

 

 

Bewertung der Wirtschaftlichkeit und Gesamteinschätzung

 

Für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sollten der Standort „Rathaus“ mit dem Standort Handjerystr. verglichen werden (s. Anlage).

 

Im Ergebnis betrüge das Budgetdefizit der Stadtbibliothek am Standort Handjerystr. rd. 180.000 Euro, gegenüber dem schon vorhandenen Defizit der GHB würde es sich um weitere 40.000 Euro erhöhen.

 

In dieser Summe sind nur die laufenden Kosten berücksichtigt, die derzeit schon bekannt sind, auch die einmaligen Herrichtungskosten sind darin nicht enthalten. Nicht berücksichtigt ist auch, dass ein Teil der veranschlagten Mengenzuwächse weitgehend kostenneutral auch durch die Mittelpunktbibliothek Schöneberg oder durch eine neue Haltestelle des Bücherbusses erwirtschaftet werden könnte.

 

Für den kameralen Haushalt ist zu bedenken, dass die Personalausstattung der neuen Bibliothek im Personalhaushalt der Stadtbibliothek verankert werden müsste. Derzeit reicht die Personalausstattung nicht aus, um die vorhandenen Standorte kontinuierlich mit vollem Leistungsumfang zu öffnen. ln den Stadtteilbibliotheken Friedenau und Schöneberg-Nord musste mit Beginn des Jahres bei reduzierter Personalausstattung das gesamte Angebot zur Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz und Leseförderung eingestellt werden. Gruppenführungen für Kitas und Schulklassen, Veranstaltungen o.Ä. finden dort nicht mehr statt.

Darüber hinaus musste die Stadtteilbibliothek Schöneberg-Nord in den vergangenen Monaten häufig kurzfristig geschlossen werden, weil für erhöhte Krankheitsausfälle keine Vertretungen mehr zur Verfügung standen.

 

Hauptanliegen des Unterausschusses Bibliotheken ist die Reduzierung des beträchtlichen Budgetdefizits der Stadtbibliothek. Hierzu gilt es eine Standortplanung zu initiieren, die die bedarfsgerechte Bibliotheksversorgung der Bevölkerung an optimale Kostenstrukturen und die bestmögliche Ausschöpfung von Mengenpotenzialen bindet. Diesem Ziel widerspricht die Neueinrichtung eines Bibliotheksstandorts, der das Defizit der Stadtbibliothek nicht verringert, sondern noch weiter erhöht.

 

Eine Defizitfinanzierung könnte allenfalls dann erwogen werden, wenn es darum ginge, durch einen neuen Bibliotheksstandort mit evidentem Qualitätszuwachs einen Versorgungnotstand zu beseitigen. Die Schließung der Bibliothek im Rathaus bedeutet zwar einen erheblichen Verlust für die Bürger/innen des Ortsteils, doch auch ohne ortseigenen Standort stehen ihnen weiterhin mehrere gut erreichbare Bibliotheken zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist eine Defizitfinanzierung für ein fachlich nicht überzeugendes Ersatzangebot, die letztlich nur durch Angebotskürzungen im gesamten System der Stadtbibliothek aufgefangen werden könnte, nicht zu rechtfertigen.

 

Aus den genannten fachlichen und wirtschaftlichen Gründen kann die Einrichtung des Standorts Handjerystraße nicht empfohlen werden.

 

Inzwischen hat das Nachbarschaftsheim Schöneberg erklärt, dass es keinen Vertrag mit dem Bezirksamt eingehen wird.

 


[1] Ausstellung/Verlängerung eines Bibliotheksausweises.

 
 

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