Rede des Bezirksbürgermeisters Stephan von Dassel bei der 14. Integrationsministerkonferenz

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Senatorin, sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Gelegenheit, ein Grußwort an Sie richten zu können und auch von mir ein herzliches Willkommen hier in Berlin-Mitte.

In Berlin Mitte hat irgendwie alles mit Integration zu tun. Hier leben mehr als 383.000 Menschen aus mehr als 200 Ländern. 204.000 Bürgerinnen und Bürger, also 53 Prozent der Bevölkerung in Mitte haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Bei Menschen unter 18 Jahren sind es 3 von 4.

Bei einer solch großen Zahl ist es leicht, wirklich jede These zu den Chancen, aber auch zum Scheitern von Integration mit zahlreichen Beispielen zu belegen. Hier gibt es alles, das musikalische Wunderkind, das die Klänge der Heimat seiner Eltern mit deutscher Klassik verbindet, Kinder von geflüchteten Menschen, die nach zwei Jahren akzentfrei Deutsch sprechen und auf der Flucht noch türkisch gelernt haben, Menschen, die nach Jahrzehnten in dieser Stadt kaum einen deutschen Laden betreten haben und Schulen, die mehr als 20 Prozent ihrer Jugendlichen ohne jeden Schulabschluss entlassen, fast alle mit einem sogenannten Migrationshintergrund, Kiez- bzw. Stadtteilmütter aus den unterschiedlichsten Ländern, die sich aus ihrer Isolation befreien und zu mehrsprachigen und selbstbewussten Berater- und Vermittlerinnen zwischen Verwaltung und fast geschlossenen Millieus werden.

Fast jeden Tag erlebe ich, wie wunderbar Integration gelingen kann und wie vollständig und mit welchen verheerenden Folgen sie scheitern kann. Und fast immer wird – bei aller Bedeutung der persönlichen Motivation und den persönlichen Fähigkeiten – deutlich, dass wir als Staat es in der Hand haben, dass es im Wesentlichen die von uns geschaffenen Rahmenbedingungen sind, die den Erfolg und Misserfolg von Integration bestimmen.

Wir haben dieses Jahr erstmals alle Eltern der fast 4.000 Kinder befragt, die in diesem Sommer in die Schule kommen. Nach ihren Bildungserwartungen, welchen Schulerfolg sie für ihre Kinder anstreben, wer für die Sprachbildung der Kinder verantwortlich sein sollte.

Das Ergebnis: je weiter die Eltern von einer sprachlichen oder wirtschaftlichen Integration in die Mehrheitsgesellschaft entfernt scheinen, desto größer ist die Hoffnung auf den Schulerfolg ihrer Kinder und desto geringer sehen sie sich selbst in der Verantwortung und in der Lage, dazu beizutragen.

Die Erwartungen der Betroffenen an uns, an den Staat sind riesig. Und wir können Sie erfüllen. Wer sieht, wie unsere Bibliotheken, wenn wir sie entsprechend umgestalten zu wahren Co-Working-Places und Bildungszentren insbesondere für Mädchen werden, wer sieht was eine motivierte Schulleitung in Verbindung mit einem freundlich-strengen Hausmeister an einer sogenannten Problemschule erreichen kann und wer spürt, was viele Menschen, die nie richtig in die Arbeitsgesellschaft integriert waren, jetzt für Hoffnung in die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitsmarktpolitik setzen, der weiß, Integration kann gelingen – auch für die Menschen ganz ohne Migrationshintergrund.

Es kann aber nur gelingen, wenn wir wissen was wir wollen und Menschen nicht in selbstgewählten oder erzwungenen Nischen verharren lassen.
Fördern und Fordern.

Wenn eine geflüchtete Mutter seit Jahren auf ihren Integrationskurs wartet, weil sie immer noch keine Kinderbetreuung hat, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie kaum deutsch spricht. Wenn hoch formalisierte Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst es Menschen mit Zuwanderungsgeschichte extrem schwer machen, für uns zu arbeiten, müssen wir uns nicht wundern, dass unsere Verwaltungen nicht annähernd ein Spiegelbild der Gesellschaft sind.

Deswegen lassen sie mich als ehemaligem Zivildienstleistenden mit einem Wunsch schließen: Führen Sie einen verpflichtenden Gemeinschaftsdienst ein. Unabhängig vom Pass und der Aufenthaltsdauer. Die Vorstellung, dass einmal alle jungen Menschen egal welcher Herkunft etwas gemeinsam erleben und davon in ihrer Biografie geprägt sind, dass ein Mädchen aus einer arabischen Großfamilie mit gleichaltrigen Deutschen ein Jahr an oder in einem sozialen Projekt arbeitet, zeigt, welche Fortschritte in unserer Integrationspolitik noch möglich wären – wenn wir mutig sind.

In diesem Sinne, Ihnen eine erfolgreiche Konferenz und einen schönen Aufenthalt in Berlin-Mitte.