Der alte Lützow-Kirchhof. (17.06.1923)

(Neue Zeit. 53. Jg. Nr. 142. So., 17.06. 1923.)
Der geistig hochstehenden Kurfürstin Sophie Charlotte wurde es in ihrer Sommerresidenz in dem kleinen Schlößchen Caputh zu enge – nicht in des Wortes eigener Bedeutung, sondern es fehlte ihr der Umgang ihrer gelehrten und wissenschaftlich hochstehenden Berliner Umgebung. Nachdem sie es abgelehnt hatte, im Schloß Weißensee zu wohnen, baute sie sich kurzer Hand ein buen retiro am Spreeufer nahe bei dem Dorfe Lütze. Nicht lange hat die Kurfürstin und seit 1701 Königin in dem schönen Heim gelebt, und als sie 1706 gestorben war, nannte ihr Gemahl das kleine Schlößchen Charlottenburg, nannte das nach und nach entstandene Dörfchen ebenfalls Charlottenburg, erhob es zur Stadt und schloß das Dorf Lütze oder Lützow, wie es später genannt wurde, in den Bannkreis der neuen Stadt ein. Das war der Anfang unserer heutigen Großstadt. Das kleine Schlößchen wurde im Laufe der Zeit immer mehr vergrößert und diente vielfach den preußischen Monarchen zur Residenz.
Der eigentlich älteste Teil von Charlottenburg ist demnach der Platz, der zur dauernden Erinnerung heute noch den Namen „Lützow“ trägt. Auf diesem Platz stand die alte Dorfkirche, die aber, als der Holzturm zu wacklig geworden war, abgetragen wurde und einem Neubau weichen mußte. Was damals an Häusern und sonstigen Gebäuden vorhanden war, ist längst der Spitzhacke zum Opfer gefallen und hat pompösen Neubauten Platz machen müssen, selbst die Lützowkirche mit ihren zwei spitzen Türmchen ist verschwunden und an ihrer Stelle steht heute der neue Prachtbau und nichts erinnert mehr an das alte Lütze, nichts mehr an das Charlottenburg der ältesten Zeit, alles ist entschwunden im ewigen Kreislauf der Zeiten.
Doch halt! Ein einziges, kleines Denkmal könnte vielleicht doch noch aus jener alten Zeit stammen. Es war damals Brauch, daß die Begräbnisplätze in der Nähe der Kirche lagen. So war es auch im Dorfe Lütze und der heutige Lützow war der Friedhof. Da, wo sich heute grüne Rasenflächen und schöne gärtnerische Anlagen auf dem Schmuckplatz befinden, ruhen die Toten in ewigen Schlafe. Alle Anzeichen dafür haben den Fortschritten der Neuzeit weichen müssen und nur noch drei Denksteine, die gegenüber dem Hauptportal der Kirche stehen, legen Zeugnis dafür ab, daß sich hier der älteste Friedhof Charlottenburgs befand. Der älteste dieser drei Denksteine trägt die kaum noch lesbare Inschrift: „Dem andenken an unsere teure Mutter“, alle übrigen Buchstaben der Inschrift aber sind derart verwittert und von dem Zahn der Zeit zerstört, daß sie nicht entziffert werden können, gewiß ein Zeichen hohen Alters und darum vielleicht noch aus Lütze stammend. Die Inschriften der beiden daneben stehenden Denksteine tragen die Namen Friedrich Lehr, geboren 20. Mai 1784, gestorben 19. März 1860, und Henriette Luise Lehr, geb. Caspari, geb. 17. Juli 1790, gest. 18. Juni 1815.
Als Charlottenburg sich vergrößerte und die Luisenkirche erbaut war, wurde in der heutigen Guerickestraße der erste Luisen-Friedhof errichtet. Dieser Friedhof stellt in seiner Art eine wichtige Epoche aus der Geschichte Charlottenburgs dar. Man findet auf den Grabdenkmälern die Namen der alteingesessenen und vielfach noch heute hier weilenden Familien, aber auch Namen, die mit der Geschichte unserer Stadt eng verknüpft sind. Nicht weit vom Eingang geradeaus steht auf einem einfachen, von einem alten Eisengitter umgebenen Denkstein der Name des Oberpredigers und Seniors der Köllnischen Synode Johann Christian Gottfried Dressel, geb. 22.9. 1751, gest. 16.4. 1824. Viele Besucher des Friedhofs werden achtlos an diesem einfachen Grabstein vorübergehen, die wenigsten werden wissen, wer Dressel war. Und doch war Dressel nicht nur der Oberpfarrer der Luisen-Gemeinde, er war der Schöpfer der Geschichte Charlottenburgs und namentlich zur Franzosenzeit der Helfer und Beschützer der Bedrückten. Nicht weit rechts seitlich davon befindet sich ebenfalls ein einfaches, schlichtes Grab mit einem kleinen Denkstein, der den Namen Marie Elisabeth Buchholz, geb. 5.3. 1789, gest. 28.3. 1866 trägt. Nur ganz alte Charlottenburger werden sich noch schwach erinnern, wer eigentlich die „olle Buchholzen“ war. Und doch war sie eine historische Persönlichkeit. Als sich unser darniederliegendes Preußen aus der Knechtschaft Napoleons emporraffte, trat Marie Elisabeth Buchholz, ein großes, stämmiges Mädchen, in Männerkleidern als Soldat in das Heer ein, machte die ganzen Freiheitskriege von 1813 bis 1815 mit und brachte es sogar, ohne als Weib erkannt zu werden, bis zum Feldwebel. Sie diente nach dem Kriege noch einige Zeit, erlitt dann einen Unfall und dadurch kam ihr Geschlecht an den Tag. Ihr Mut und ihre Vaterlandsliebe wurde später in der Weise belohnt, daß man sie zur Kastellanin des Charlottenburger Schlosses ernannte.
Auf dem alten Luisen-Friedhof befand sich bis vor zwei Jahren die Grabstätte der Familie v. Siemens, darunter auch des großen Werner v. Siemens. Die Särge sind dann aber nach dem neuen Friedhof in Stahnsdorf überführt worden. Unter den anderen Grabstätten fällt die prunkvolle, aus weißem Marmor gefertigte von Robert Warschauer besonders auf. Ein hohes Kreuz, umgeben von einer Galerie mit Säulen an jeder Seite und hinten von einem Halbrund umgeben, macht das Ganze einen pompösen Eindruck. Es ruhen dort Robert Warschauer und seine Gattin Katharina, geb. Eckert. In einem hohen, aus poliertem Granat gefertigten Erbbegräbnis, das oben das Wappen und die Freiherrnkrone trägt, ruht eine Baronin v. Blücher. Dicht dabei steht das Erbbegräbnis der Familie Gebauer, davor die Begräbniskapelle des Baron Kill Max und davor das Grabdenkmal aus rotem, polierten Granit dieses edlen Mannes, der den größten Teil seines reichen Nachlasses zur Unterstützung älterer weiblicher Personen hinterließ. Ferner sind die großen Erbbegräbnisse der Familien Münchhoff, Collignon, Johannes, March, von Braunschweig und Boetzow, sodann zahlreiche schöne Grabdenkmäler auf diesem ältesten Friedhof zu finden.
Im Laufe der Zeit wurde die Umgebung des Friedhofes gebaut, und da nach gesetzlichen Vorschriften innerhalb der Stadt keine Begräbnisstätten bestehen sollen, mußte die Luisen-Gemeinde an die Errichtung eines anderen Friedhofes denken. Der Erbauer von Schloß Ruhwald und Besitzer großer Terrains auf Westend von Schäffer-Voith, schenkte der Gemeinde das Terrain des jetzigen Luisen-Kirchhofes am Bahnhof Westend und behielt einen Teil des Geländes am nördlichen Eingang als Erbbegräbnis für seine Familie sich vor. Dieser Friedhof wurde im Jahre 1866 eröffnet.
Der erste Luisen-Friedhof in der Guerickestraße ist gesperrt. Trotzdem können noch Beisetzungen dort stattfinden, aber nur in noch freien Stellen der Erbbegräbnisse und dann auch nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Polizeipräsidenten. Der Friedhof, neben dem sich das große Gebäude des Kaiser-Friedrich-Andenken befindet, wird sorgfältig gepflegt und befindet sich in bestem Zustande.