Der Zusammenhang zwischen sozialer Lage, in der Menschen leben, und ihrem persönlichen gesundheitlichen Zustand ist statistisch gesehen eindeutig: Je ärmer an Einkommen, sozialen Beziehungen und Perspektiven Menschen sind, desto mehr sind sie von Krankheiten und Gebrechen betroffen. Während die Krankenkassen und das Gesundheitssystem insgesamt auf die Behandlung von Individuen ausgerichtet sind und über wenig Möglichkeiten verfügen, die sozialen Bedingungen zu beeinflussen, hat der Öffentliche Gesundheitsdienst die Aufgabe, Krankheiten vor ihrer Entstehung zu verhindern.
Mit der Fusion der Bezirke Wilmersdorf und Charlottenburg wurden zwei einwohnerstarke Gebiete zusammengelegt, die sich in ihrer sozialen Gewichtung deutlich unterschieden. Wilmersdorf ist ein sozial eher homogener Bezirk mit überdurchschnittlich wohlhabender Bevölkerung; zu Charlottenburg gehören einige Kieze mit ärmeren Bevölkerungsgruppen.
Bei der oberflächlichen Durchsicht aktueller Zahngesundheitsdaten fielen wie schon in den Vorjahren Unterschiede zwischen den Bezirken auf. Kinder, die in Einrichtungen Charlottenburgs untersucht worden waren, hatten teilweise schlechtere Zähne, als die, die im benachbarten Wilmersdorf untersucht worden waren. Höherer Kariesbefall, dies ergab die genauere Analyse für den hier vorliegenden Bericht, ist insbesondere dort festzustellen, wo sich die Einrichtung (Grundschule bzw. Kita) in einem sozial stärker belasteten Gebiet befindet. Somit liefern die Zahngesundheitsdaten deutliche Hinweise auf den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit.
Die Zahnkaries gilt als vermeidbare Erkrankung. Ursachen der Entstehung und einflussnehmende Risikofaktoren sind bekannt, eine Reihe erprobter und effektiver Präventionsmaßnahmen stehen dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zur Verfügung. Aber trotz allgemeiner Erfolge bei der Kariesbekämpfung in den letzten Jahren ist festzustellen, dass nicht alle Bevölkerungsschichten in gleichem Maße an der Verbesserung der Zahngesundheit teilhaben. Erhöhter Kariesbefall konzentriert sich, wie wissenschaftliche Untersuchungen belegen, weiterhin in den sog. Kariesrisikogruppen.
Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit diese mit den gängigen Maßnahmen der Verhaltensprävention (Anleitungen zur Mundhygiene, Ernährungshinweise, Informationen über Fluoridanwendungen etc.) überhaupt erreichbar sind. Hilfreich und erfolgversprechend sind allerdings Maßnahmen, welche mit geringem Aufwand bei den Angehörigen aller sozialen Schichten durchgeführt werden können und unabhängig vom Verhalten des Einzelnen (Häufigkeit des Zähneputzens, Häufigkeit des Verzehrs von Süßigkeiten, Häufigkeit des Zahnarztbesuchs…) wirksam sind.
Ein Beispiel dafür ist die sog. Fluoridlackprophylaxe (Auftragen von Fluoridlack auf den Zahnschmelz), welche seit drei Jahren bei Kindern im Norden Charlottenburgs zum Einsatz kommt und dort bereits die ersten positiven Resultate erbringt. Über die Anwendung in einem weiteren Teilgebiet – es schließt vor allem das Wohngebiet südlich des Klausener Platzes bis hin zum Kaiserdamm ein – kann mit den Ergebnissen dieses Berichts neu entschieden werden, das Schlusskapitel gibt darüber Auskunft.
Zunächst aber wird auf den folgenden Seiten anhand der Auswertung aktueller Daten die Gesamtsituation der Kinderzahngesundheit in Charlottenburg-Wilmersdorf beschrieben. Die sich anschließende kleinräumige Analyse bildet regionale Unterschiede des Kariesvorkommens innerhalb des Bezirks ab und stellt den Bezug zur sozialen Lage her.
Die vorliegende Studie zeigt an einem konkreten Beispiel die enge Verknüpfung von Gesundheit mit sozialen Faktoren. Sie gibt uns Hinweise auf die Schwerpunkte der weiteren Präventionsarbeit, deren Ziel es u.a. sein muss, der gesundheitlichen Benachteiligung sozial schwächerer Bevölkerungsschichten entgegenzuwirken. Mit ihrer Veröffentlichung verbindet sich aber auch die Hoffnung, dass sie in der allgemeinen Diskussion um eine neue Ausrichtung des Gesundheitswesens einen kleinen Beitrag zur Stärkung des Präventionsgedankens leistet.
Martina Schmiedhofer
Bezirksstadträtin für Soziales, Gesundheit, Umwelt und Verkehr