Stolpersteine Seesener Straße 50

Hausansicht Seesener Str. 50

Diese Stolpersteine wurden von einer Initiative von Bewohnern und Freunden des Hauses Seesener Straße 50 gespendet und am 28.4.2015 verlegt.

Stolperstein Siegfried Stenger

HIER WOHNTE
SIEGFRIED STENGER
JG. 1896
DEPORTIERT 13.6.1942
SOBIBOR
ERMORDET 26.9.1942
MAJDANEK

Siegfried Stenger wurde am 19. Juli 1898 in Kriescht/Kreis Osterburg geboren. Seine Frau war Betty Stenger, geb Kupferstein, geboren am 22. Februar 1896 in Berlin. Das Ehepaar hatte im Jahr 1923 geheiratet und blieb kinderlos. Siegfried und Betty Stenger wohnten seit 1938 in der Seesener Straße 50.

Siegfried war der Sohn des Pferdehändlers Sally Stenger und von Henriette Stenger, geb. Bock, geboren am 14. August 1856 in Malta. Sally starb am 19. Juli 1914. Henriette wurde uim Alter von 85 Jahren am 5. August 1942 von ihrer letzten Adresse Hufelandstraße 28 in Prenzlauer Berg abgeholt und mit einem von den NS-Behörden als 39. Alterstransport registrierten Reichsbahnzug nach Theresienstadt deportiert. Sally und Henriette Stenger hatten sechs Kinder: Selma (geboren 1885, gestorben 1936 in Berlin), Harry (geboren 1887, gestorben im März 1939 in Berlin), Arthur (geboren am 9. September 1892 in Kriescht; gestorben 1947 in Berlin), Fritz (geboren am 21. Juli 1900 in Berlin, gestorben am 19. April 1943 in Berlin), Frieda (geboren am 7. Mai 1889, gestorben in den 1960er Jahren in Chicago). Siegfrieds Schwester Frieda überlebte den Krieg in Neukölln, wo sie bis 1947 bei einer Familie Clebowski lebte. Dann zog sie nach Chicago.

Siegfrieds Werdegang gibt es nur als ungefähre Rekonstruktion: Er war Kaufmann und arbeitete möglicherweise als höherer Angestellter in der Konfektion bei der Firma Moritz Fabian in Berlin. Dort war er 1923 bereits in der höchsten Gehaltsklasse laut BfA-Unterlagen 1913-23, danach hat er sich entweder als Kaufmann selbständig gemacht oder ist in eine höhere Gehaltsklasse aufgestiegen, die von der BfA nicht mehr erfasst wird. Stengers hatten sich mit dem Umzug in die Seesener Straße auch räumlich verbessert. Sie waren offenbar wohlhabend und legten großen Wert auf eine gediegene Umgebung. Das geht aus den Erinnerungen zweier überlebender Nichten hervor, die den Onkel oft besuchten. Nichte Ilse ging dort während ihrer Lehrzeit regelmäßig zum Mittagessen.

Das Ehepaar Stenger wurde am 13. Juni 1942 von Berlin-Grunewald aus mit einem Transport von 748 Menschen nach Polen ins Vernichtungslager Sobibor deportiert. Siegfried Stenger kam von dort aus nach Majdanek und wurde am 26. September 1942 dort ermordet, er wurde 44 Jahre alt. Betty Stenger war, als sie in Sobibor umgebracht wurde, 46 Jahre alt.

Zum Ehepaar Stenger gibt es keine weiteren Details in den Archiven. Der Hausverwalter Walter Schauer beantragte für ihre Wohnung Mietausfall, da diese nach der Deportation zwei Monate leer stand. In die Wohnung wurden am 15.8.1942 Siegbert Weber und Ehefrau vom Generalbauinspektor eingewiesen.

Stolperstein Betty Stenger

HIER WOHNTE
BETTY STENGER
GEB. KUPFERSTEIN
JG. 1896
DEPORTIERT 13.6.1942
ERMORDET IN
SOBIBOR

Stolperstein Else Blumenthal

HIER WOHNTE
ELSE BLUMENTHAL
GEB. ROSENBERG
JG. 1879
DEPORTIERT 26.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Else Blumenthal geb. Rosenberg wurde am 4.8.1879 in Neumark (Provinz Brandenburg) geboren. Sie lebte seit 1937 in der Seesener Straße 50. Über sie ist wenig Material erhalten. Im Berliner Adressbuch war von 1937 bis 1941 für die Seesener Straße 50 ein Kaufmann Adolf Blumenthal verzeichnet.

Eine Zustellungsurkunde des Obergerichtsvollziehers wurde ihr am 24.2.43 im Sammellager im jüdischen Altersheim der Großen Hamburger Straße übergeben.
In ihrer „Vermögenserklärung“, die alle Juden vor ihrer Deportation auszufüllen hatten, gab sie einen Haushalt aus drei Personen an, nannte aber nur Tochter Dorothea, geboren am 11. September 1905 in Posenberg/Pommern, über deren Verbleib es keine weiteren Vermerke in Elses Akten gibt. Wie der Liste des – nach der NS-Zählung – 30. Osttransports nach Auschwitz zu entnehmen ist, lebte Dorothea Graetz geb. Blumenthal zuletzt mit ihrem Mann Erich Graetz, geboren am 22. Oktober 1892 in Ritschenwalde/Posen, bei ihrer Mutter in der Seesener Straße 50. Vorher war er in Treptow in der Puderstraße 22 gemeldet. Sie sind zusammen mit acht weiteren Bewohnern des Hauses am 26. Februar 1943 deportiert worden. Dorothea war 37, Erich 50 Jahre alt.

Else Blumenthal arbeitete vor ihrer Deportation als Zwangsarbeiterin bei der Chemiefabrik J.D. Riedel/E. de Haen in Britz. Auch Dorothea war laut Transportliste Arbeiterin, also Zwangsarbeiterin, Erich war ohne Arbeit. Else Blumenthal besaß zuletzt noch 50 RM und hatte, wie sie selbst aufschrieb, noch 100 kg Kohle und 50 kg Kartoffeln im Keller.

Deportiert wurde sie am 26. Februar 1943 in einem Zug, der mit 913 Menschen vom Bahnhof Grunewald abging, ins Vernichtungslager Auschwitz. Sie war 63 Jahre alt. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Über Elses Ehemann Adolf Blumenthal, geboren am 18. Oktober 1875, gibt es keine Akten, nur den Hinweis “evakuiert”. Jedoch taucht er in keiner der zugänglichen Dateien auf.

Stolperstein Hubert Holländer

HIER WOHNTE
HUBERT HOLLÄNDER
JG. 1877
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
31.5.1942

Hubert Holländer wurde am 7. Dezember 1877 in Leobschütz bei Oppeln in Oberschlesien geboren. Verheiratet war er mit Margarete Holländer geb. Wachsmann, geboren am 30. Januar 1884 in Breslau.

Hubert und Grete Holländer lebten seit 1. April 1939 in der Seesener Straße 50 des Eigentümers Moses Mendelsohn zur Miete. Eines ihrer Zimmer hatten die Holländers an die Brüder Berthold und Salo Weissenberg untervermietet, seit wann ist nicht bekannt. Laut Hausverwaltung waren sie im September 1942 noch in der Wohnung. Die Wohnung von Holländers wurde am 2.9.42 geräumt. Die Inventarliste wurde an die Händlerfirma Alfred Borneleit in Mitte weitergeleitet, die die gesamten Möbel und das Inventar am 12.9.42 weit unter ihrem eigentlichen Wert übernahm.

Zum Verbleib der Brüder Weissenberg schrieb Hausverwalter Walter Schauer am 16.12.42 an den Oberfinanz-Präsidenten (OFP Verwaltung jüd. Vermögen): Berthold sei Ende September 1942 evakuiert worden, Salo laut Mitteilung am 15.10.42 ausgezogen. Ab 1. November wurde die Wohnung an die Eheleute Freund weitervermietet. Es ist davon auszugehen, dass die nächsten Mieter dort eingewiesen wurden, wie es auch in anderen Wohnungen im Haus geschah, wenn Bewohner deportiert wurden. Diese letzten Mieter bezogen das Haus nicht freiwillig, was darauf schließen lässt, dass es sich um ein sogenanntes Judenhaus gehandelt hat.

Über Hubert Holländer gibt es in den alten Akten wenige Informationen. Es wurde kein Beruf genannt und auch keine Tätigkeit. Die von allen Juden vor der Deportation verlangte „Vermögenserklärung“ ließ er seine Frau machen, der das Familienvermögen gehörte. Er selbst gab nur einige wenige Herrensachen an, darunter Uniformen und Skikleidung.

Grete Holländer stammte aus einer wohlhabenden Akademikerfamilie. Sie hatte einen Beruf gelernt und war Stenotypistin. Grete hatte drei Brüder: Oskar, Rechtsanwalt und Notar, Paul, Ingenieur und Konstrukteur und Karl, Kaufmann. Den Brüdern gelang es zu emigrieren, Oskar im März 1939 nach Brüssel, wo er mit seiner schwer kranken und zunehmend dementen Frau von der Wohlfahrt leben musste, da er alles zurücklassen und auch noch einen Schmuggler für die Ausreise bezahlen musste. Carl floh nach Barcelona, wo er mit einem Stand für Schnürsenkel, Hosenträger und Bücher in der Markthalle am Existenzminimum zu überleben versuchte, da auch wertvolle deutsche Bücher in Spanien nach dem Krieg auf wenig Interesse stießen. Paul war schon nach seiner Kündigung 1933 bei der Berliner Firma in der Brunnenstraße, wo er nach 17 Jahren als Ingenieur und Konstrukteur als Jude nicht mehr arbeiten durfte, zu deren Schwestergesellschaft nach Mailand gegangen. Von November 1940 bis Kriegsende war er in Süditalien interniert und starb bald darauf an den Folgeschäden. Er ließ seine Witwe Elfriede mittellos zurück. Ihre Möbel und ihr Vermögen waren 1940 von der Gestapo konfisziert worden.

Über Gretes Aussteuer und Wohnung berichtete ihr Bruder Oskar in seinen späteren Anträgen auf Entschädigung. Er war als ältester Sohn von seiner Mutter in die Pflicht genommen worden, bei der Hochzeit seiner einzigen Schwester für alles aufzukommen. Sie sollte mindestens so eine hochwertige Einrichtung haben wie er, der erfolgreiche Anwalt, der eine gediegene Kanzlei in der Friedrichstraße/Ecke Mohrenstraße führte. Konten und Bargeld gehörten Grete aus dem Erbe eines Onkels, des Geheimrats Dr. Samuel Knopf aus Breslau. Oskar musste auf seinen Anteil verzichten, weil er als ausgewanderter Jude ausgebürgert war, Grete bekam seinen Anteil dazu. Gold, Silber und der wertvolle Familienschmuck, den Grete als einzige Tochter von ihrer Mutter zur Hochzeit erhalten hatte, mussten gegen “Entschädigung” an das städtische Leihhaus Berlin abgegeben werden. Eine sehr wertvolle Sammlung von Gold- und Silbermünzen musste der Reichsbank entschädigungslos abgeliefert werden. Grete Holländer hatte dem Finanzamt auch eine “Judenvermögensabgabe” von geschätzt 13 500 RM zahlen müssen.

Grete Holländer musste zuletzt als Zwangsarbeiterin in der Schneekettenfabrik Nordland, Kurfürstenstraße 14 in Schöneberg, arbeiten.
Als sie im Mai 1942 ihren Deportationsbescheid bekamen, füllten sie noch die geforderte „Vermögenserklärung“ aus, nahmen sich aber, bevor sie verschleppt werden können, zusammen das Leben. Am 31. Mai 1942 wurden sie tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Ihre Rechnungen hatten sie vorher alle noch beglichen, die Miete bis Ende Mai bezahlt.

Stolperstein Grete Holländer

HIER WOHNTE
GRETE HOLLÄNDER
GEB. WACHSMANN
JG. 1884
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
31.5.1942

Stolperstein Julius Levy

HIER WOHNTE
JULIUS LEVY
JG. 1892
„SCHUTZHAFT“ 1938
SACHSENHAUSEN
DEPORTIERT 26.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Julius Levy wurde am 16. Januar 1892 in Niedermarsberg bei Brilon in Westfalen geboren. Er war der Sohn von Michael und Anna Levy. Er lebte in Ludwigshafen und Mannheim und ab 1937 in Berlin. Verheiratet war er mit Käte Levy geb. Brandt, am 8. September 1891 in Landsberg an der Warthe geboren. Ihre Eltern waren Max und Anna Brandt. Der Kreis Landsberg gehörte damals zur preußischen Provinz Brandenburg und heute zu Polen. Ihr Sohn Werner Levy kam am 6. Juli 1926 in Kamen (Westfalen) zur Welt.

Ehepaar Julius und Käthe Levy

Familie Levy war eine wohlhabende Familie und lebte bis Anfang 1936 in Ludwigshafen. Der Textilkaufmann Julius Levy war Geschäftsführer und Mitinhaber der Brandt GmbH, eines Textilkaufhauses mit einigen Filialen in anderen Städten. Die Firma wurde 1936 arisiert und in Klebs KG “Klebs das Textilhaus” umbenannt. 1953 lagen die alten Geschäftsbücher noch vor, die Levys Einkommen nachwiesen (Klebs ging 1963 in Liquidation). Am 1.2.1936 hörte Julius Levy in Ludwigshafen auf, die Familie zog 1937 nach Berlin und lebte dort von ihrem Vermögen. Im Zuge der Arisierung hatte Levy seine Anteile an der Firma – weit unter Wert – verkaufen müssen.

Seit 1937 wohnten die Levys in der Seesener Straße 50 in einer Drei-Zimmer-Wohnung im 3. Stock. Bis Ende Februar 1943 zahlten sie ihre 98 RM Miete. Ihr gediegenes Mobiliar, darunter Mahagonimöbel, Teppiche und Porzellan, eine Nähmaschine sowie eine Bibliothek mit 80 Büchern, zeugte von den besseren Zeiten, als Julius noch ein erfolgreicher Geschäftsmann sein durfte. Fahrräder, Tafelsilber, Edelmetalle, Pelze und Schmuck musste die Familie, wie alle Juden in Deutschland, schon seit 1939 abgeben. Käte Levy war Hausfrau. In Berlin ging Julius Levy keiner Arbeit nach. Er wurde deswegen vom Finanzamt Wilmersdorf Nord verdächtigt, die Ausreise bzw. Flucht vorzubereiten und musste neben der “Judenvermögensabgabe” von 4750 RM (“Sühneleistung” der Juden von 21. Nov. 1938) seine Wertpapiere bei der Deutschen Bank im Wert von 10.300 RM dem Deutschen Reich vertreten durch das Finanzamt Nord als Reichsfluchtsteuer als “Sicherheit” verpfänden. Das Finanzamt wurde von der Vermögensverwertungsstelle gebeten, darüber zu verfügen. Die Bank rechnet weiterhin ein gemeinsames Konto der Eheleute ab. Dass es keine Arbeit für Juden gab, zählte nicht. Julius Levys Beschwerde gegen die Arisierung seiner Firma wurde abgewiesen, er hätte ja verkauft, hieß das unverschämte Argument..

Die beiden Kinder der Levys, Marga und Werner, mussten in Berlin die jüdische Schule besuchen. Eine höhere Schule blieb ihnen jedoch verwehrt. Um ein Handwerk zu erlernen, wurde Tochter Marga zu Hutmachern in die Lehre geschickt, wo sie später etwas Geld verdienen konnte. Dieser Arbeit konnte das Mädchen nur unter ständig wachsenden Schwierigkeiten und am Ende im Verborgenen nachgehen, was sie – neben der Sorge um ihren Vater – sehr belastete.

In der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 wurde Julius Levy wie viele andere jüdische Männer verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt, wo er bis zum 16. Dezember 1938 festgehalten wurde. Für die Familie ein traumatisches Erlebnis. Nach Berichten der überlebenden Tochter Marga suchte die Mutter vergeblich nach ihrem Mann. Die Polizei verweigerte ihr Auskunft. Als der Vater dann endlich nach Hause kam, sei er ein gebrochener Mann gewesen. Die Hände von harter Erdarbeit im Freien, dem Frost ungeschützt ausgesetzt, mit Erfrierungen schwer verletzt. Seelisch zerrüttet hätte er sehr lange gebraucht, um sich von dieser Erfahrung zu erholen. Er werde sich eher umbringen, bevor er noch einmal in ein Konzentrationslager gehe, soll Julius seiner Familie gesagt haben. Die Familie spielte offenbar mit dem Gedanken auszuwandern und hielt auch deshalb ihre Tochter an, ein Handwerk zu erlernen. Am Ende gelang es den Levys nur, die damals 15-Jährige noch auf einem der letzten Kindertransporte nach England unterzubringen, was dieser als einzige der Familie das Leben rettete.

Julius, Käte und Werner Levy lebten noch bis zum 24. Februar 1943 in der Seesener Straße. Alle drei mussten Zwangsarbeit leisten, bis sie verschleppt wurden. Julius Levy musste vom Mai 1940 bis zu seiner Deportation bei der Firma Philipps Electro Spezial, Große Frankfurter Straße 54, im Tiefbau arbeiten, Käte Levy bei der Firma Liening in Weißensee, Generalstraße. 8-9, und Werner Levy war bei der Firma Spinnstoff Zehlendorf AG beschäftigt.

Die Levys stehen auf der Liste der von den NS-Behörden als 30. Osttransport gezählten Deportation nach Auschwitz. Sie wurden zuvor im Sammellager Große Hamburger Straße festgehalten, dort erreichte sie am 24.2.43 im Haus Berlin N4 die Zustellungsurkunde des Obergerichtsvollziehers, der dann über ihr Vermögen verfügte. Ihre Wohnung samt Einrichtung wurde von der Stadt beschlagnahmt und am 30.4.43 einem ausgebombten Berliner zugewiesen, der auch die Einrichtung der Levys für eine Summe weit unter ihrem Wert übernahm. Der Hausverwalter Walter Schauer beantragte Rückerstattung für März/April der entgangenen Mieten von 196 RM und bekam diese auch im September von der Vermögensverwertungstelle überwiesen.

Julius, Käte und Werner Levy sind am 26. Februar 1943 vom Bahnhof Grunewald mit 913 Menschen, darunter Else Blumenthal und Betty Valk, nach Auschwitz-Birkenau in Polen gebracht worden. Er war 51, sie war 52, Werner war 16 Jahre alt.

Marga Forester, geb. Levy, die am 30. Juli 1923 in Unna/Westfalen geboren wurde und Werners ältere Schwester war, ist am 14. Februar 2014 in Philadelphia/USA gestorben. Sie wurde 90 Jahre alt.

Marga und Werner Levy

Mit einem kleinen Koffer und ein paar Familienfotos wurde das Mädchen von der Mutter zum Bahnhof gebracht. Sie konnte keinerlei Vermögenswerte ihrer einst wohlhabenden Eltern mitnehmen. Marga wurde von einer christlichen Familie auf dem Land aufgenommen, wo sie zwei Jahre lebte. Zu dieser Familie hielt sie bis an ihr Lebensende Kontakt. Während des Krieges arbeitete sie als Köchin für die englische Feuerwehr. Später arbeitete sie als Hutmacherin und Schneiderin. Sie heiratete ihren Schicksalsgenossen Frank Fernbach (später Forester) aus Gleiwitz/Pommern, der ebenfalls mit einem Kindertransport nach England gekommen war. Weil sie sich dort bessere Chancen erhofften, zogen die beiden später in die USA und starben dort Ende 2013 und Anfang 2014 im Alter von 88 bzw. 90 Jahren. Sie hinterließen eine Tochter, eine Enkelin und einen Urenkel.

Margas einzige Tochter, Carole Parker, hat uns die Fotos und die Biografie ihrer Mutter zur Verfügung gestellt. Marga Forester hatte ihre Lebensgeschichte für ihre Familie aufgeschrieben. Über die Zeit in Berlin schreibt sie darin leider sehr wenig. Von 1951 bis 1967 kämpfte Marga um Entschädigung bzw. um Wiedergutmachung von Verlusten. Das Problem: Für jede Person und für jeden Posten (Verlust an Vermögen, an beruflichem Fortkommen, Verlust an Freiheit oder Leben) mussten einzelne Anträge gestellt und Nachweise erbracht werden. Wie lange die Eltern und der Bruder im Lager überlebten, ist unbekannt. Unter anderem wegen der Masse an Anträgen und der vorrangigen Dringlichkeit älterer Antragsteller war das Amt überlastet. Die Verfahren waren mühsam und gingen nur schleppend voran. Für das Archiv der von Steven Spielberg gegründeten USC Shoa Foundation hat Marga Forester 1997 in einem Video-Interview Zeugnis abgelegt.

Stolperstein Käte Levy

HIER WOHNTE
KÄTE LEVY
GEB. BRANDT
JG. 1891
DEPORTIERT 26.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Werner Levy

HIER WOHNTE
WERNER LEVY
JG. 1926
DEPORTIERT 26.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Betty Mendelsohn

HIER WOHNTE
BETTY
MENDELSOHN
GEB. MOSESSOHN
JG. 1888
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Betty Mendelsohn geb. Mosessohn, ist am 5. August 1888 in Karlsbad (Karlovy Vary) in Böhmen geboren. Sie war eine Verwandte des Hauseigentümers Moses Mendelsohn, der in ihrer Vermögenserklärung vom 21.1.43 als „abgewandert“ genannt wird. Betty war die Witwe des Kaufmanns Elias Mendelsohn. Sie heirateten am 21.5.1916. Für „Ely“ Mendelsohn war es die zweite Ehe. Seit Dezember 1934 lebten sie in der Seesener Straße. 50 in Berlin in einer 3-Zimmer-Wohnung zur Miete. Elias starb am 15. November 1935 im Krankenhaus der jüdischen Gemeinde Berlin.

Die Familie hatte vorher in Pasewalk gelebt, wo Elias an der Marktstraße 47 das “Pommersche Kaufhaus” besaß und wo ihr Sohn Ernst Aron, geboren am 16. April 1917 in Briesen (Westpommern) ein Gymnasium besuchte. 1933 musste der Junge das Gymnasium verlassen, er konnte, da er kein Abitur machen durfte, auch nicht studieren und seinen Traum, Maschinenbauingenieur zu werden, nicht weiterverfolgen. Er ging nach Amsterdam. Dort arbeitete er drei Jahre als Lehrling und Geselle in einer Maschinenfabrik, wo er Maschinenschlosser wurde. Im April 1936 kehrte er nach Berlin zurück, um seiner alleinstehenden Mutter zu helfen, konnte aber keine Arbeit finden. Bis September lebte er bei Betty in der Seesener Straße 50. Am 2. September 1936 wanderte er nach Palästina aus und gründete dort eine Familie. 1954 zog er mit seiner Frau Trude und zwei Söhnen Gabriel und Uriel von Haifa in die USA.

Betty Mendelsohn gab in ihrer „Vermögenserklärung“, die sie am 21.1.1943 unter Zwang ausfüllen musste, als letzten Beruf “Arbeiterin” an. Sie war als Zwangsarbeiterin in einem Rüstungsbetrieb in Weißensee beschäftigt. Die Firma Schaub & Schwer in der Lehderstr 34-35 war früher eine jüdische Glimmerwaren-Fabrik, wurde dann “arisiert” zur Schaub & Schwer Kommanditgesellschaft und im Zweiten Weltkrieg zum Rüstungsbetrieb. Unter den 1500 Arbeitern waren viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter.

Vermögen hatte Betty Mendelsohn nicht, nur eine einfache Einrichtung. Zwischenzeitlich hatte sie ein Zimmer untervermietet, von 1934-35 an Recha Cussel und seit 1940 an Betty Valk. Zugestellt wurde ihr der Beschluss am 21.1. in der Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße, wo sie auch ihre „Vermögenserklärung“ abgab. Zum Zeitpunkt ihrer Deportation am 29. Januar 1943 nach Auschwitz war Betty Mendelsohn 55 Jahre alt. Ihre Wohnung wurde am 4.5.43 geräumt und ihre Möbel verkauft.

Recha Cussel, geb Lesser wurde am 15. Oktober 1889 in Berlin geboren. Familie Cussel musste wegen zunehmender materieller Not ihre 5-Zimmer-Wohnung auflösen und zog in immer kleinere Wohnungen um. 1934/35 waren sie Untermieter bei Betty Mendelssohn in der Seesener Straße. Danach zog sie weiter in die Meraner Straße in Schmargendorf. Ihr letzter Wohnort war die Nestorstraße 7, wo ein Stolperstein für sie liegt. Von dort wurde sie am 14. November 1941, nachdem ihr Mann Alfred gestorben war, nach Minsk ins Ghetto deportiert. Ihr Todesdatum ist nicht bekannt.

Betty Valk, geb. Calmer de Taube, ist am 1. Februar 1862 in Neustadtgödens (Niedersachsen) geboren. Betty und ihr Mann Jacob Valk wurden 1940 gezwungen, von Emden/Ostfriesland nach Berlin-Halensee zu ziehen. Sie lebten bei Betty Mendelsohn zur Untermiete. Jacob starb am 22. Oktober 1942 in Berlin und wurde in Weißensee beigesetzt. Betty wurde am 17. März 1943 nach Theresienstadt deportiert und dort am 28. Januar 1945 im Alter von fast 83 Jahren ermordet. Hier gelangen Sie zum Totenschein. Sie war die Tante von Käthe de Taube, die ebenfalls in der Seesener Straße 50 zur Untermiete wohnen musste und am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Für Betty Valk wurde am 29.9.2014 ein Stolperstein vor ihrem letzten freiwilligen Wohnsitz in Emden verlegt. Auf dem Friedhof in Emden gibt es zudem einen gemeinsamen Grabstein für Betty und Jacob Valk.

Stolperstein Sophie Roschanski

HIER WOHNTE
SOPHIE
ROSCHANSKI
GEB. BRANDLER
JG. 1885
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
25.1.1942

Sophie Roschanski, geb. Brandler war die Tochter von Samson und Rosa Brandler, geb. Korner, und wurde am 20. November 1885 in Warschau geboren. Sie studierte am Seminar und war staatlich geprüfte Sprachlehrerin. In Warschau hat sie den Dipl. Ing. David Roschanski geheiratet. Über ihn gibt es keinen weiteren Hinweis, weder ein Geburts- noch ein Todesdatum. Sophie Roschanski, im Berliner Melderegister der Volkszählung vom 17.5.1939 in der Seesener Straße 50 und als „staatenlos“ eingetragen, war Witwe und hat vom 19. September 1941 bis zum Tag ihres Selbstmordes am 25. Januar 1942 den gelben Judenstern tragen müssen.

Ihre Tochter Irene gab nach dem Zweiten Weltkrieg an, dass Sophie im Haushalt einer jüdischen Familie in Berlin-Charlottenburg gearbeitet und an ihrem Arbeitsplatz auch gewohnt habe. Eventuell meinte sie Wilmersdorf. Irene gab Sophies Beruf mit Lehrerin, zuletzt Hausfrau an. Sophie Roschanski hatte mindestens eine Tochter: Irene Isaacson, geb. Roschanski, geboren am 27. Oktober 1919. Irene lebte in Melbourne (Australien), vorher in London, war gelernte Krankenschwester und später Hausfrau. Sie hatte zwei Kinder, die 1957/58, als sie einen Antrag auf Entschädigung stellte, fünf und neun Jahre alt waren. Irene hatte nach eigenen Angaben bis März 1939 in Zehlendorf gewohnt. Die Informationen sind sonst spärlich: Neben Irene war noch von zwei in Israel lebenden Kindern – Raffael Mayan (früher Roschanski) und Josefine Kimmelmann – die Rede, allerdings ohne Geburtsdaten oder weitere Hinweise.

Kurz nachdem die ersten Mitbewohner deportiert waren, nahm sich Sophie Roschanski am 25. Januar 1942 mit 57 Jahren das Leben.

Zum Ablauf der Deportationen:
Elf Bewohner der Seesener Straße 50 stehen auf der Transportliste des von den Nazi-Behörden als 30. Osttransport eingestuften Zuges, der am 26. Februar 1943 vom Güterbahnhof Putlitzstraße in Moabit abfuhr. Darin befanden sich 913 Juden, darunter 100 Personen, die am 17. Februar aus Leipzig nach Berlin gebracht worden waren, sowie 77 Menschen aus Magdeburg, 6 aus Schönebeck, 3 aus Köln und einer aus Kopenhagen. Das Judenreferat der Gestapo Berlin, das zu diesem Zeitpunkt von Walter Stock und seinem Stellvertreter Max Stark geleitet wurde, war zusammen mit dem Judenreferat des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) für die Zusammenstellung, Organisation und Durchführung des Transports verantwortlich.

Neben den drei Levys und Else Blumenthal mit Tochter und Schwiegersohn waren darunter die Familie Löwenstein: Rudolf (geboren am.21. Mai 1899 in Köln, 42 Jahre alt), Helene (geboren am 17. April 1907 in Frankfurt/M., 35 Jahre), Ulla (geboren am 12. Juni 1934 in Berlin, 8 Jahre) und Ruth (geboren am 2. April 1937 in Berlin, 5 Jahre). Sie wohnten zur Untermiete bei einer Familie Bach. Außerdem: Käthe de Taube (geboren am 1. April 1899 in Neustadtgödens, Niedersachsen, 43 Jahre alt), Untermieterin bei Aufrecht.

Vor der Deportation wurden die Juden in Sammellagern in Berlin festgehalten, wo sie Erklärungen unterschreiben mussten, in der sie ihr gesamtes Eigentum dem Staat überschrieben. Familie Levy wurde in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 gebracht worden.

Am Tag der Deportation wurden die Juden zum Bahnhof gebracht und in Züge aus Güterwaggons gezwungen. Diese wurden verschlossen. Eine Wachmannschaft, bestehend aus einigen Polizisten, war zur Begleitung des Transports eingeteilt. Die Züge von Berlin nach Auschwitz fuhren normalerweise über Breslau (Wroclaw) und Kattowitz (Katowice). Aufgrund der ständigen Überlastung der Reichsbahn wurden Transporte verschiedentlich über andere Routen geleitet.

Die Historikerin Danuta Czech vermerkt in der Auschwitz-Chronik, dass am 27. Februar 1943 ein durch das RSHA organisierter Transport mit 913 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Berlin in Auschwitz ankam. Der Zug stoppte außerhalb des Lagerkomplexes und die Deportierten wurden durch SS-Personal selektiert. 156 Männer und 106 Frauen wurden als „arbeitsfähig“ bestimmt. Die Männer erhielten die Nummern 104374-104529, die Frauen die Nummern 36409-36514. Sie mussten unter schlimmsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten, die sie nur selten überlebten. Die restlichen 651 Juden wurden sofort in die Gaskammern von Birkenau (Auschwitz II) geschickt und ermordet.
Laut der Historikerin Rita Meyhoefer haben nur elf der Deportierten aus diesem Transport den Holocaust überlebt.

Recherchen und Kurzbiografien: Gerlinde Schulte und Sigi Schulz

Quellen: Liste von ermordeten Juden aus Deutschland, Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, Bundesarchiv, Koblenz 1986. Bundesarchiv.de/Gedenkbuch; Liste von Deportierten aus Berlin, Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, Freie Universität Berlin, Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung, Edition Hentrich, Berlin 1995; Landeshauptarchiv Potsdam Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg; www.statistik-des-holocaust.de;
Berliner Adressbuch; Yad Vashem Zentraldatei; Theresienstadt Operdatei; Entschädigungsamt Berlin.

Siehe auch Bericht in der Berliner Morgenpost vom 26.4.2015