Stolpersteine Helmstedter Straße 27

Hauseingang Helmstedter Str. 27

Hauseingang Helmstedter Str. 27

Diese Stolpersteine wurden am 24.Oktober 2012 verlegt.
Die Stolpersteine für Hedwig Erlanger sowie Franziska, Lotte und Otto Georg Hofmann wurden am 15. November 2012 verlegt.

Stolperstein Johanna Steilberg

Stolperstein Johanna Steilberg

HIER WOHNTE
JOHANNA STEILBERG
GEB. KÖNIG
JG. 1898
DEPORTIERT 1.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Johanna Steilberg kam am 16. Februar 1898 als Johanna König im damaligen Hohenstadt in Böhmen, einem kleinen Ort mit überwiegend deutscher Bevölkerung, zur Welt. Nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 wurde der Ort in Zábřeh umbenannt, was nach der Annektion des Sudentenlandes durch die Nationalsozialisten nach dem „Münchner Abkommen” 1938 wieder rückgängig gemacht wurde. Nach der Wiederherstellung der Tschechoslowakei 1945 wurde der Ort erneut zu Zábřeh und liegt im heutigen Tschechien.

Über Johanna Steilbergs Eltern und ihren späteren Ehemann war nichts Gesichertes herauszufinden. Ihre Mutter war vermutlich die 1873 in derselben Region geborene Dr. Julie König, geb. Kulka, die seit mindestens 1935 in der Helmstedter Straße 27 wohnte. Gesichert ist, dass Johanna Steilberg zur Zeit der Volkszählung im Mai 1939 ebenfalls dort lebte und geschieden war. Es ist anzunehmen, dass die Nationalsozialisten dieses Haus zu einem sog. „Judenhaus” machten, denn schon 1939 waren dort 15 jüdische Menschen in etlichen Untermietverhältnissen verzeichnet. Sie alle wurden deportiert und ermordet. Johanna Steilberg hatte in der Helmstedter Straße 27 aber ihren letzten freiwilligen Wohnsitz.

Vor ihrer Deportation wurde Johanna Steilberg – wie auch ihre vermutliche Mutter Dr. Julie König – von den Nazis aus ihrer Wohnung in der Helmstedter Straße 27 vertrieben und zwangsweise in das Haus Stübbenstraße 3 in Schöneberg eingewiesen. Von dort wurde Julie König am 22. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, weiter in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt und dort im Dezember 1943 ermordet.

Johanna Steilberg wurde am 1. März 1943 mit dem sog. „31. Osttransport” zusammen mit weiteren 1736 jüdischen Menschen vom Güterbahnhof Moabit in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. In diesem Transport befanden sich vor allem Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die wegen ihres Einsatzes in der kriegswichtigen Rüstungsindustrie bis dahin von der Deportation ausgenommenen waren. Sie wurden bei der sog. „Fabrikaktion” vom 27. Februar 1943 an ihren Zwangsarbeitsplätzen verhaftet, registriert und dann deportiert. Sehr wahrscheinlich war auch die 44-jährige Johanna Steilberg zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie musste nicht die „Vermögenserklärung” abgeben, die grundsätzlich alle jüdischen Menschen kurz vor der Deportation zu erstellen hatten; in der Deportationsliste war handschriftlich in Abkürzungen hinzugefügt: „von Vermögenserklärung ausgenommen. Zettel geschrieben”. Da allein in Berlin auf einen Schlag etwa 3000 Menschen festgenommen und zum Teil in improvisierte Sammellager gebracht wurden, konnte wohl die übliche NS-Bürokratie nicht überall eingehalten werden. In welchem Betrieb Johanna eingesetzt war, konnte nicht herausgefunden werden.

In den Totenbüchern und Häftlingskarteien des Vernichtungslagers Auschwitz – des Stammlagers und der verschiedenen Neben- und Arbeitslager – war Johanna Steilberg nicht zu finden. Sie wurde vermutlich unmittelbar nach Ankunft in Auschwitz am 2. März 1943 umgebracht.

Recherche und Text: Gisela Morel-Tiemann

Quellen:
- Volkszählung v. 17.5.1939
- Berliner Gedenkbuch der FU
- Gedenkbuch des Bundesarchivs
- Berliner Adressbücher 1935-1939
- ITS Arolsen: DocID: 11259513 (JOHANNA STEILBERG)
- Deportationsliste OT31-63.jpg (1209×855) (statistik-des-holocaust.de) Nr. 1242
- Fabrikaktion – Wikipedia
- https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/die-mauer-gegen-das-vergessen-stein-fur-stein-die-erinnerung-aufrecht-erhalten-9950469.html

Stolperstein Erich Stier

Stolperstein Erich Stier

HIER WOHNTE
ERICH STIER
JG. 1886
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Martha Marie Stier

Stolperstein Martha Marie Stier

HIER WOHNTE
MARTHA MARIE STIER
GEB. FRAUSTAEDTER
JG. 1888
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Alexander Brasch

Stolperstein Alexander Brasch

HIER WOHNTE
ALEXANDER BRASCH
GEB. 1873
DEPORTIERT 17.5.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 24.10.1943

Stolperstein Julie König

Stolperstein Julie König

HIER WOHNTE
JULIE KÖNIG
GEB. KULKA
JG. 1873
DEPORTIERT 22.7.1942
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET

Julie Kulka wurde am 22. September 1873 in Janowitz an der Angel in Böhmen (heute Janowice in Tschechien) geboren. Ihre Mutter Johanna, geborene König, war die Tochter eines Wollhändlers aus Kojetein (Kojetín). Ihr Vater, Dr. Salomon Kulka aus Troppau (Opava), war seit kurzem der Rabbi von Janowitz.
Julie war das Nesthäkchen der Familie. Ihr Bruder Josef war vierzehn Jahre älter als sie, Schwester Lotti zwölf, und Schwester Růžena sieben.
Neben seiner Tätigkeit in Janowitz scheint Julies Vater viel in Böhmen und Mähren herumgereist zu sein und in befreundeten Synagogen Predigten und Gastvorträge gehalten zu haben. Mehrere seiner Texte hat er veröffentlicht. Nach seiner Emeritierung als Rabbiner zog er in seine Geburtsstadt Troppau zurück, wo sein Bruder Hermann einen gewaltigen Steinbruch mit vielen Dependancen bis nach Schlesien und Galizien besaß. Am 23. April 1903 starb Rabbi Kulka dort mit 73 Jahren.

Julie Kulka heiratete ihren Vetter Dr. Salomon König, geboren am 19. Mai 1868 in Gaya (heute Kyjov in Tschechien). Er war der Sohn ihres Onkels mütterlicherseits, David König, der in Gaya als Schuhmacher arbeitete, und dessen Frau Rosalia. Salomon war praktischer Arzt.
Am 16. Februar 1898 bekamen Julie und Salomon König eine Tochter, die sie nach Julies Mutter Johanna benannten. Die kleine Familie lebte in dem Dorf Zabreh bei Mährisch-Ostrau (heute Ostrava in Tschechien), wo Salomon König wohl als Landarzt tätig war. Er erkrankte schwer, wahrscheinlich an Krebs, und starb mit nur 35 Jahren am 8. Mai 1903. Julie war damals 29, die kleine Johanna fünf Jahre alt.

Wann und warum es Julie und Johanna nach Berlin verschlug, war nicht herauszufinden. Johanna heiratete einen Herrn Steilberg, die Ehe wurde aber wieder geschieden. Zum Zeitpunkt der „Minderheiten-Volkszählung” 1939 lebten Mutter und Tochter zusammen in der Helmstedter Straße 27. Später wurden sie zwangsgeräumt und in eine Wohnung in der Stübbenstraße 3 in Schöneberg eingewiesen.

Julie König wurde am 22. Juli 1942 vom Anhalter Bahnhof zusammen mit 99 anderen alten Jüdinnen und Juden aus Berlin ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Am 18. Dezember 1943, sie war vor kurzem siebzig geworden, transportierte man sie von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz und ermordete sie dort. Ihr Todesdatum ist unbekannt.
Ihre Tochter Johanna verrichtete mit großer Wahrscheinlichkeit Zwangsarbeit. Die 45-Jährige wurde am 1. März 1943 nach der sogenannten „Fabrikaktion”, den Verhaftungen der letzten noch nicht deportierten Jüdinnen und Juden in Berlin, vom Güterbahnhof Moabit aus direkt nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Auch ihr Todesdatum ist unbekannt.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch
Geburtsurkunden, Todesanzeigen, Minderheiten-Volkszählung über MyHeritage
Deportationslisten
Veröffentlichungen von Salomon Kulka in WorldCat

Stolperstein Ludwig Hartwig

Stolperstein Ludwig Hartwig

HIER WOHNTE
LUDWIG HARTWIG
JG. 1868
DEPORTIERT 29.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 6.1.1942

Stolperstein Hedwig Erlanger

Stolperstein Hedwig Erlanger

HIER WOHNTE
HEDWIG ERLANGER
GEB. BAUER
JG. 1879
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
2.6.1942

Hedwig Erlanger geb. Bauer wurde am 5. November 1879 in Augsburg geboren. Ihr Vater Dr. Ludwig (Lazarus) Bauer (1847 – 1915), Sohn eines Augsburger Spirituosenherstellers, war promovierter Jurist und Rechtsanwalt; ihre Mutter Ernestine geborene Eisenburg (1849 – 1921) stammte aus Kissingen. Hedwig hatte eine jüngere Schwester namens Anna und einen jüngeren Bruder namens Max.
1892 gründete Hedwigs Vater mit zwei Prokuristen einen Hopfen- und Getreidehandel. Die Hauptniederlassung befand sich in der Bahnhofstraße 15 in Augsburg. Ludwig Bauer war in der Branche sehr engagiert und veröffentlichte regelmäßig detaillierte Getreideberichte für Fachzeitschriften. Sein Geschäft florierte bis mindestens 1909, vielleicht auch bis zu seinem Tod 1915.

Am 16. Dezember 1900 heiratete Hedwig in Augsburg den rund zehn Jahre älteren Kaufmann David Erlanger und zog mit ihm in seine Geburtsstadt Nürnberg. David hatte dort die Handelsschule besucht. Ebenso wie Hedwig stammte er aus einer Hopfenhändler-Familie. Er selbst arbeitete aber mit großer Wahrscheinlichkeit als Kaufmann in der traditionsreichen Nürnberger Spielzeugfabrikation.
Hedwigs Schwester Anna hatte ebenfalls in die Familie Erlanger eingeheiratet, den 1903 geborenen Kaufmann Siegbert (Shimeon). Sie lebten ebenso in Nürnberg. Bruder Max war wie sein Vater promovierter Jurist. Mit seiner Frau Theresia wohnte er in München und arbeitete dort als Rechtsanwalt.

Am 12. November 1901 bekamen Hedwig und David Erlanger eine Tochter und nannten sie Franziska. Mit Anfang zwanzig heiratete diese den Nürnberger Kaufmann Otto Georg Hofmann und bekam am 23. Juli 1927 eine Tochter namens Lotte. Hedwig wurde mit 47 Jahren Großmutter.
Ihr Mann David starb Ende der 1920er-Jahre. Wann und warum es die Familie – die verwitwete Hedwig, Tochter Franziska mit Ehemann Otto und Tochter Lotte – nach Berlin verschlug, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Spätestens seit 1938 lebte Franziska mit Mann und Tochter in der Helmstedter Str. 27. Zum Zeitpunkt der „Minderheiten-Volkszählung“ im Mai 1939 wohnte auch Hedwig schon in diesem Haus, aber nicht im selben Haushalt.

Am 2. Juni 1942 wollte Hedwig Erlanger die Schikanen und Demütigungen nicht länger ertragen. Die 62-Jährige wählte den Freitod.

Es ist anzunehmen, dass Franziska und Otto zu diesem Zeitpunkt Zwangsarbeit verrichten mussten. Am 29. Januar 1943 wurden sie mit ihrer Tochter Lotte im sogenannten „27. Osttransport“ nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Ob man sie gleich nach der Ankunft in die Gaskammer schickte oder ob sie noch arbeiten mussten, wissen wir nicht. Hedwigs Tochter wurde 42 Jahre alt, ihr Schwiegersohn 47. Ihre Enkeltochter Lotte starb mit größter Wahrscheinlichkeit vor ihrem 16. Geburtstag.

Hedwigs Geschwister überlebten den Holocaust. Ihr Bruder Dr. Max Bauer emigrierte mit seiner Frau Theresia nach Großbritannien, kehrte aber nach dem Krieg in seine Wahlheimat München zurück. Er starb dort 1962. Auf der Gedenktafel für verfolgte Juristen vor dem Münchener Justizpalast steht sein Name.
Hedwigs Schwester Anna emigrierte mit ihrem Mann Siegbert Erlanger nach Schweden. Über ihren weiteren Lebensweg war nichts herauszufinden.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
Handelsregister
Berliner Adressbücher
Bayerische Handelszeitung
Augsburger Abendzeitung
Yehuda Shenef, Unterwegs im jüdischen Augsburg, 2019
Yehuda Shenef, Die Liebe ist der Dichtung Stern. Der jüdische Friedhof in Augsburg Hochfeld, 2019
Alemannia Judaica
mappingthelives.org
Rückerstattungsakten

Stolperstein Franziska Hofmann

Stolperstein Franziska Hofmann

HIER WOHNTE
FRANZISKA HOFMANN
GEB. ERLANGER
JG. 1901
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Lotte Hofmann

Stolperstein Lotte Hofmann

HIER WOHNTE
LOTTE HOFMANN
JG. 1927
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Otto Georg Hofmann

Stolperstein Otto Georg Hofmann

HIER WOHNTE
OTTO GEORG
HOFMANN
JG. 1896
DEPORTIERT 29.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Franziska Erlanger wurde am 12. November 1901 in Nürnberg geboren. Ihre Mutter Hedwig Erlanger geborene Bauer war die Tochter eines Augsburger Juristen, der einen Hopfenhandel besaß. Ihr Vater David, der in Nürnberg geboren war, arbeitete wahrscheinlich in der traditionsreichen Nürnberger Spielzeugfabrikation.

Mit Anfang zwanzig heiratete Franziska den Nürnberger Kaufmann Otto Georg Hofmann, geboren am 14. Juni 1896. Das Ehepaar bekam am 23. Juli 1927 eine Tochter und nannte sie Lotte. Ende der 1920er-Jahre starb Franziskas Vater. Wann und warum es die Familie – Franziska und Otto mit Tochter Lotte und Franziskas verwitweter Mutter Hedwig – nach Berlin verschlug, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Auch wissen wir nichts über Ottos Familie oder Broterwerb. Spätestens 1938 wohnte die Familie Hofmann in der Helmstedter Str. 27 in Wilmersdorf. Zum Zeitpunkt der „Minderheiten-Volkszählung“ im Mai 1939 lebte auch Franziskas Mutter Hedwig schon in diesem Haus, aber nicht im selben Haushalt.

Die 62-jährige Hedwig Erlanger nahm sich am 2. Juni 1942 das Leben. Das Ehepaar Hofmann musste zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich Zwangsarbeit verrichten. Am 29. Januar 1943 wurden sie mit ihrer Tochter im sogenannten „27. Osttransport“ nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Ob man sie gleich nach der Ankunft in die Gaskammer schickte oder ob sie noch arbeiten mussten, wissen wir nicht. Franziska Hofmann geborene Erlanger wurde 42 Jahre alt, ihr Ehemann Otto Georg 47. Tochter Lotte tötete man mit größter Wahrscheinlichkeit vor ihrem 16. Geburtstag.

Recherche und Text: Christine Wunnicke

Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
Berliner Adressbücher
Yehuda Shenef, Die Liebe ist der Dichtung Stern. Der jüdische Friedhof in Augsburg Hochfeld, 2019
Alemannia Judaica
mappingthelives.org

Stolperstein Hermann Isler

Stolperstein Hermann Isler

HIER WOHNTE
HERMANN ISLER
JG. 1871
DEPORTIERT 9.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 8.2.1943

Stolperstein Ernestine Isler

Stolperstein Ernestine Isler

HIER WOHNTE
ERNESTINE ISLER
GEB. SCHACHERL
JG. 1878
DEPORTIERT 9.9.1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 7.2.1944

Stolperstein Alfred Hirschberg

Stolperstein Alfred Hirschberg

HIER WOHNTE
ALFRED HIRSCHBERG
JG. 1891
DEPORTIERT 17.3.1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 27.2.1944

Stolperstein Else Pollak

Stolperstein Else Pollak

HIER WOHNTE
ELSE POLLAK
GEB. BUSSE
JG. 1890
DEPORTIERT 19.2.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Stolperstein Hermann Rachmann

Stolperstein Hermann Rachmann

HIER WOHNTE
HERMANN RACHMANN
JG. 1893
DEPORTIERT 13.7.1944
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Hermann Rachmann wurde am 24. November 1893 in Labiau (Ostpreußen) / Polessk als Sohn des Pferdehändlers David Rachmann geboren. In Königsberg im damaligen Ostpreußen (heute Kaliningrad) besuchte er Volks- und Mittelschule und absolvierte im Anschluss eine kaufmännische Lehre. 1915 wurde er zum Militärdienst eingezogen, aber sein Vater reklamierte ihn erfolgreich zur Abwicklung größerer Heeresaufträge. Bald darauf übernahm er die Geschäftsführung des in Königsberg seit 1912 ansässigen Neuen Luisen Theaters, das sein späterer Schwiegervater betrieb. Er heiratete dessen Tochter Grete 1919.

1921 zog er mit seiner Frau und dem 1920 geborenen Sohn Heinz nach Berlin, wo er Betreiber des Kabaretts am Nikolsburger Platz in Wilmersdorf wurde. Zwischen 1923 und 1928 war er als Teppichhändler tätig, bis er sich wieder der Theaterwelt zuwandte und erfolgreich das Salome-Ballett leitete. 1935 wurde ihm dies wegen seiner jüdischen Herkunft verboten.

In den Berliner Adressbüchern der Zeit ist Rachmann 1922 als Direktor in der Trautenaustraße 18 verzeichnet, als Kaufmann 1923 in Schöneberg in der Hähnelstraße 13 sowie in den beiden Folgejahren in Charlottenburg in der Friedbergstraße 39 und dann als Manager 1934 in der Sybelstraße 7 und 1936 Neue Kantstraße 11. Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 war er in der Helmstedter Straße 27 in Wilmersdorf gemeldet.

Hermann Rachmann wurde 1926 geschieden. 1939 heiratete er in zweiter Ehe Margarete Amalie Lewin geb. Plachta (* 1. Februar 1890 in Berlin). Bevor Rachmann und seine Frau vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Illegalität flüchteten, waren sie Anfang der 1940er Jahre zu Zwangsarbeit verpflichtet worden. Margarete Rachmann musste in einer Berufswäscherei in Berlin-Britz arbeiten, Hermann Rachmann in einem Malereigeschäft.Seine Aufgabe darin bestand jedoch darin, Pflastersteine mit gesundheitsschädlicher Phosphorfarbe zu bestreichen, damit diese auch bei Verdunkelung sichtbar blieben.

Erste Unterstützung erfuhren sie von der Portiersfrau des Hauses Berchtesgadener Straße 7 in Schöneberg. Im selben Haus wohnte wahrscheinlich eine Verwandte von Margarete Rachmann. Laut Adressbuch von 1935 bis 1941 wohnte nämlich die Privatiere Martha Plachta geb. Landsberg (13. September 1855 – 13. September 1942 in Theresienstadt) ebenfalls in dem Haus an der Berchtesgadener Straße.

So erhielten sie Anfang 1943 den Schlüssel zur Hintertür einer von der Gestapo versiegelten Wohnung, deren Bewohner bereits deportiert waren. Es kamen dort weitere sogenannte „Illegale” hinzu, darunter auch Edith Oppenheim.

Als die Situation in der Wohnung zu gefährlich wurde, half auf Bitten Rachmanns eine Bewohnerin des Hauses weiter. In der Literatur wird dazu eine Gräfin von Puttkammer erwähnt. Ab 1940 war dort laut Berliner Adressbüchern nur eine Gräfin von Einsiedel gemeldet.

Sie nahm die Untergetauchten zunächst in ihrer Wohnung auf bis Hermann Rachmann durch Vermittlung von Karl Deibel einen neuen Unterschlupf in dessen 1,5-Zimmer-Kellerwohnung in der Großbeerenstraße 92 fand. Hier wurden sie wie alle anderen dort Untergebrachten von Otto Weidt und Hedwig Porschütz mit Lebensmitteln versorgt. Die beiden unterstützten, versteckten und retteten viele jüdische Menschen und wurden von der Internationalen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechte unter den Völkern” anerkannt.

Deibel suchte die Rachmanns zu „legalisieren“ und besorgte einen auf den Namen Lenk ausgestellten Bombenschein und bat Walter Eck, seinen ehemaligen Schulfreund und jetzigen hohen Funktionär der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, um Hilfe für die angeblichen Lenks. Mit dessen Hilfe kamen sie zusammen mit Edith Oppenheim nach Lichtenberg im Odenwald zu Ecks NSDAP-Parteifreund Dr. Schmieden. Dieser enttarnte sie aber schon bald als „rassisch” Verfolgte enttarnte.Angeblich hatten sie sich auffällig benommen. Sie flohen zurück nach Berlin, um erneut bei Deibel unterzutauchen. Dort wurde die Situation aber immer gefährlicher, sodass Deibel im März 1944 selbst in den Untergrund gehen musste.

Rachmann wurde von der Gestapo festgenommen. Sein Sohn Heinz Rachmann ging in einem Interview in den 1950er Jahren davon aus, dass sein Vater von Stella Kübler verraten worden war. Sie war eine berüchtigte jüdische Kollaborateurin der Nationalsozialisten, die als sog. „Greiferin” untergetauchte Jüdinnen und Juden an die Gestapo verriet.Nun wurde aus dem Verfolgten Rachmann selbst ein Verfolger, ein „Greifer”, der zudem auch die Helferinnen und Helfer in Gefahr brachte.

Die Gestapo verhörte und drangsalierte die verdächtigten Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtigen, darunter Hedwig Porschütz, die nichts und niemanden verriet, sowie Otto Weidt, der ungeachtet der eigenen Gefährdung und trotz aller Repressalien falsche Erklärungen abgab. Weiterhin versorgten beide ihre Schützlinge u.a. in der Großbeerenstraße 92, wo auch Rachmanns Unterschlupf gefunden hatten, mit neuen Unterkünften und Lebensmitteln.
. Den dort zunächst ebenfalls untergetauchten Leo Seelig hatte Porschütz in der Wohnung ihrer Mutter Hedwig Völker in der Schöneberger Fritz-Reuter-Straße 10 untergebracht. Im Mai 1944 wurde Seeliger jedoch von der Gestapo verhaftet, nachdem Rachmann, dem er sich anvertraut hatte, ihn verraten hatte.

Da die Rachmann nahestehende Edith Oppenheim ebenso wie Seelig am selben Tag nach Auschwitz deportiert wurde, wird davon ausgegangen, dass auch sie von Rachmann denunziert wurde.

Gesichert ist, dass Rachmann Rahel Haar und deren Tochter Henny an die Gestapo verriet, ebenso wie seinen ehemaligen Kollegen Hans Winterfeldt. Außerdem war er auf der Suche nach den Schwestern Annelies und Marianne Bernstein, die in der Wohnung von Hedwig Porschütz versteckt waren. Mit der Unterstützung von Porschütz überlebten sie und emigrierten später in die USA. .

Rachmann soll ebenfalls die Verhaftung eines namentlich unbekannten 18-jährigen Mannes veranlasst haben, diesen dann im „Sammellager” aufgesucht und sein Bedauern über dessen Festnahme bekundet heben. Er soll die von ihm initiierte Denunziation mit dem Versuch entschuldigt haben, seine Mutter,die noch auf freiem Fuß war, zu retten.

Das mag eine der Repressalien gewesen sein, denen Rachmann höchstwahrscheinlich ausgesetzt war und wegen derer er sich als einer von 29 namentlich bekannten „Jüdischen Greiferinnen und Greifern“ in Berlin in die Fahndungsaktionen der Gestapo einbinden ließ. Als „Greifer” durfte er sich ohne „Gelben Stern“ in der Öffentlichkeit bewegen, um Untergetauchte aufzuspüren und zu verraten. Dass Rachmann und seine Frau so dem Tod zu entkommen suchten, oder wenigstens auf eine Zurückstellung von der Deportation hofften, ist mehr als wahrscheinlich, erwies sich jedoch beides für sie bei aller Schuld des Verrats als tödlicher Trugschluss.

Hermann und Margarete Rachmann mussten sich in der von den Nationalsozialisten als „Sammellager” missbrauchten ehemaligen Pathologie des Jüdischen Krankenhauses in der Schulstraße 78 im Berliner Wedding einfinden. Sie wurden am 13. Juli 1944 mit dem sog. „108. Alterstransport” zusammen mit 24 weiteren jüdischen Berlinerinnen und Berlinern ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Hermann wurde von dort am 28. September 1944 mit 2500 Theresienstädter Häftlingen und Margarete am 1. Oktober 1944 mit 1500 Menschen weiter nach Auschwitz verschleppt, wo sich ihre Lebensspur für immer verliert.

Recherche und Text: Erwin Miedtke

Quellen:
  • Berliner Adressbücher 1922 – 1942
  • Volkszählung vom 17.5.1939
  • Berliner Gedenkbuch der FU
  • Gedenkbuch des Bundesarchivs
  • Holocaust Survivors and Victims Database
  • Online-Archiv der Arolsen Archives
  • Die unterschiedlichen Sammellager in Berlin (stolpersteine-berlin.de)
  • Deportationsliste 108. Alterstransport: TT108-1.jpg (1203×855) (statistik-des-holocaust.de) Nrn. 94 + 95
  • Liste aller Transporte aus Theresienstadt – Institut Theresienstaedter Initiative (terezinstudies.cz)
  • Otto Weidt | Die Gerechten unter den Völkern (yadvashem.org)
  • Robert Kain, Otto Weidt: Anarchist und »Gerechter unter den Völkern, Berlin, Lukas Verlag 2017
  • Doris Tausendfreund, Erzwungener Verrat: Jüdische “Greifer” im Dienste der Gestapo 1943-1945, Berlin, Metropol Verl. 2006
  • Marten Düring, Verdeckte soziale Netzwerke im Nationalsozialismus: Die Entstehung und Arbeitsweise von Berliner Hilfsnetzwerken für verfolgte Juden, Berlin und Boston, De Gruyter Oldenbourg 2015
  • David Clay Large., Berlin: Biographie einer Stadt, München, Beck 2002
  • Carsten Dams, Michael Stolle, Die Gestapo: Herrschaft und Terror im Dritten Reich, 4. Auflage, München, Verlag C.H. Beck 2017
  • Jüdischer Widerstand in Europa (1933-1945): Formen und Facetten, hrsg. von Julius H. Schoeps, ‎Dieter Bingen, ‎Gideon Botsch, Berlin und Boston, De Gruyter Oldenbourg 2018