Stolpersteine Pariser Straße 45

Hauseingang Pariser 45

Hauseingang Pariser Str. 45

Die Stolpersteine wurden am 19. März 2011 verlegt und von Heidi und Wolfgang Becker, Dr. Helga Keppeler-Schrimpf, Dr. Anke Martiny, Dr. Annakatrin Voigtländer, alle Berlin, gespendet.

Stolperstein für Eugenie Isaac

HIER WOHNTE
EUGENIE ISAAC
JG. 1878
DEPORTIERT 2.3.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Eugenie Isaac wurde am 2. Juni 1878 als zweite Tochter des Fabrikbesitzers und Kommerzienrates Julius Isaac und seiner Frau Helene, geb. Simon in Berlin geboren.

Fischbeinfabrik in der Chausseestr. 121

Fischbeinfabrik in der Chausseestr. 121

Der Vater besaß eine Fischbeinfabrik, in der Korsettstangen, Reifrockstangen und anderes hergestellt wurde. Die Mutter war die ältere Schwester von James Simon, dem großen Kunstmäzen, der durch die Unterstützung der Ausgrabungen in Ägypten als Vater der Nofretete gilt. Es kam in diesen Familien also viel Geld und hohe Bildung zusammen, sie gehörten zu den bekanntesten und wohlhabendsten Bürgerfamilien.

Eugenie besuchte die höhere Töchterschule, sprach Englisch, Französisch und Italienisch, machte viele Auslandsreisen und hielt sich auch länger im Ausland auf. Ihre Schwester Elsa heiratete einen Internisten und Wissenschaftler der Charité, den späteren Chefarzt des Jüdischen Krankenhauses, Prof. Herrmann Strauß, der Gelegenheiten genug gehabt hätte, Deutschland zu verlassen, es aber ablehnte und 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert wurde.

Im Elternhaus der Schwestern fand die konstituierende Sitzung zur Gründung des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ 1873 statt. Von 1914 bis 1918 diente Eugenie Isaac im nationalen Frauendienst und bekam das Kriegsverdienstkreuz.

Eugenie Isaac

Sie lebte als Privatiere, d. h. von ihrem ererbten Vermögen. Wie viele Jüdinnen aus dem Bürgertum waren die Schwestern Isaac sozial und karitativ engagiert. Elsa gründete 1898 den „Verein zur Errichtung von Arbeiterinnenheimen“. Es gibt ein Zitat von Alice Salomon über sie: …“sie stand ganz unter dem Bann der Lehren, dass die Kluft zwischen den besitzenden und den besitzlosen Frauen überbrückt werden müsse; dass wir einander bei sozialer Arbeit kennen lernen müssten, um jenen zu besseren Daseinsbedingungen zu helfen und um uns von der Schuld pflichtlosen Genießens zu befreien …“.

Nachdem Elsa Mutterpflichten hatte, übernahm Eugenie den Vorsitz dieses Vereins. Sie war ledig und lebte bis März 1934 in der Fasanenstraße 43 in einer 6-Zimmerwohnung, anschließend in der Pariser Straße 45 in einer 4- Zimmerwohnung mit kostbaren Möbeln, Teppichen und Bildern.

Die Inventarliste ist in einer Akte der Oberfinanzdirektion enthalten und wird auf 6 Seiten von der Kammerzofe und Gesellschafterin Anna Rösler beschrieben: Porzellan, Gläser und Besteck für 30 Personen, wertvolle Möbel, Bilder, darunter von Oswald Achenbach. Allein die Judenvermögensabgabe vom 14.8.1939 betrug 66.600 RM. Diese Wertgegenstände wurden teilweise im Fabrikgebäude des Vaters, das die beiden Schwestern gemeinschaftlich besaßen, in der Chausseestraße 121 untergestellt und dort durch Bombenangriffe vernichtet. Ein Bild dieses alten Fabrikgebäudes wurde von der Familie zur Verfügung gestellt. Es diente damals wahrscheinlich zu Werbezwecken.

Am 2. März 1943 wurde Eugenie Isaac in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort umgebracht.

Mit der Deportation fielen Vermögen, Inventar und Grundstücksbesitz an das Deutsche Reich. Späterer Antragsteller auf Entschädigung war Walter Strauß, der Sohn Elsas, einflussreicher erster Staatssekretär im Bundesjustizministerium.

Biographie: Marianne Gaehtgens
Quellen: Entschädigungsbehörde, Bundesarchiv/ Gedenkbuch, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, OFP-Akten, Jüdische Miniaturen(Hentrich&Hentrich): Harro Jens über Herrmann Strauß mit einem Beitrag von Peter Reinicke über Elsa Strauß

Stolperstein für Margarete Meyer

HIER WOHNTE
MARGARETE MEYER
JG. 1881
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 25.1.1942

Am 8. Juli 1881 kam in Hohensalza (Inowrocław/Kreis Posen) Margarete Meyer zur Welt. Sie selbst schrieb ihren Namen Margareta. Von ihren Eltern ist nur bekannt, dass der Vater Adolf Meyer ein Kaufmann war und ihre Mutter Sara hieß. Genaueres zu ihrem familiären Hintergrund wissen wir nicht.

Margarete machte eine Gesangsausbildung und galt in Berlin als Konzertsängerin. Offenbar hatte sie auch als Gesangslehrerin einen staatlichen Abschluss gemacht. Es ist jedoch nicht bekannt, in welchem Rahmen Margarete als Konzertsängerin oder Gesangslehrerin tätig war.

In den 1920er-Jahren zog sie als Untermieterin zu der Putzmacherin Ella Norden in die Motzstraße 76. Im selben Haushalt lebte bis zu ihrem Tod auch Ellas Mutter Helene Norden. Die drei Frauen verband eine tiefe, über ein Mietverhältnis weit hinausgehende Freundschaft. Als Helene Norden in den frühen Morgenstunden des 7. März 1928 starb, war Margarete Meyer an ihrer Seite. Sie bezeichnete Ellas Mutter als eine „geliebte mütterliche Freundin“.

Ella Norden gab 1932 ihren „Putzmacher – Salon“ in der Motzstraße auf und beide Frauen zogen in eine repräsentative Wohnung in der Beletage an den Ludwigkirchplatz, Pariser Straße 45. Margarete war weiterhin als Untermieterin von Ella Norden gemeldet.

1941 begannen die ersten Massendeportationen der jüdischen Bevölkerung. In erster Linie wurden die Berliner Jüdinnen und Juden verschleppt, die in großen Wohnungen lebten. Es sollte Wohnraum für NS–Funktionäre und Bombengeschädigte geschaffen werden.
Margarete Meyer und Ella Norden, die so viele Jahre ihres Lebens miteinander verbracht hatten, wurden zusammen am 18. Oktober 1941 aus ihrer gemeinsamen Wohnung geholt.
Vom Bahnhof Grunewald aus fuhr der erste Deportationszug mit 1.000 Berliner Jüdinnen und Juden in das Ghetto Łódż, von den Nazis in Litzmannstadt umbenannt. Damals war das Ghetto schon mit 160.000 Menschen überfüllt, die neu hinzukommenden Menschen fanden eine unvorstellbare Enge vor. Mehrere Personen teilten sich ein Zimmer, auf jeden kamen nur 3 qm Wohnraum zum Leben, ohne fließendes Wasser, keine Kanalisation. Die menschenunwürdigen Verhältnisse waren darauf angelegt, die Insassen durch Hunger, Krankheit und Überarbeitung zu zerstören.
Margarete und Ella wurden zusammen in einer der primitiven Unterkünfte in der Alexanderhofstraße 17, Wohnung 1 a, untergebracht.

Margarete Meyer, auch bei der Aufnahme im Ghetto noch als „Konzertsängerin“ bezeichnet, überlebte den Hunger, die grassierenden Krankheiten und die katastrophalen hygienischen Verhältnisse nur um drei Monate. Sie starb am 25. Januar 1942.
Am 15. Februar, also nur 3 Wochen später, starb auch ihre Freundin Ella Norden an Auszehrung.

Recherche und Text: Karin Sievert, Stolperstein Initiative Charlottenburg – Wilmersdorf
Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945
Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“
Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944
Yad Vashem – Opferdatenbank
Arolsen Archives
Mapping the Lives
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen über Ancestry

Stolpersteine für Ella Norden

HIER WOHNTE
ELLA NORDEN
JG. 1884
DEPORTIERT 18.10.1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 15.2.1942

Ella Norden wurde am 29. Februar 1884 geboren. Über ihren Geburtsort gibt es widersprüchliche Angaben. Während das Gedenkbuch des Bundesarchivs und Dokumente der nationalsozialistischen Behörden Wien als Geburtsort angeben, nennen das Sterbebuch des Krankenhauses des Ghettos Łódż und auch andere Quellen Posen (Poznan) als Geburtsort.

In den Adressbüchern der österreichischen Hauptstadt Wien ist der Name Norden nicht zu finden, in Posen hingegen gab es 1884 einen Kürschnermeister Moritz Norden am Kanonenplatz 7. Dieser hatte im März 1881 in Kreuzburg (Kluczbork) die 7 Jahre ältere Rosel Pulvermacher geheiratet. Am 16. Januar 1882 gebar seine Frau eine Tochter mit Namen Dorothea. Rosel starb zwei Wochen später im Kindbett.

Der Witwer und Vater des Säuglings zog bald darauf nach Posen und heiratete Helene Maschke (3. April 1849 – 7. März 1928). Die gemeinsame Tochter Ella kam am 29. Februar 1884 auf die Welt. Am 19. Mai 1887 wurde Ellas Bruder Erich geboren. Das Schicksal ihrer Halbschwester Dorothea ist unbekannt.

Todesanzeige für Moritz Norden

Todesanzeige für Moritz Norden

1895 finden wir Moritz Norden als selbstständigen Kürschner und Putzmacher im Kreis Hohensalza (Inowrocław). Er starb am 4. Juli 1906 ebendort.

Ella trat in die Fußstapfen ihres Vaters und legte irgendwann zwischen 1913 und 1918 in Hohensalza vor der staatlichen Prüfungskommission ihre Gesellenprüfung im Putzmacher Handwerk ab.
Die erfolgreiche Ausbildung zur Putzmacherin befähigte Ella, in Berlin beruflich Fuß zu fassen. In der Schöneberger Motzstraße 76 eröffnete sie 1921 einen „Salon eleganter Damenhüte und Pelzschmuck“. Sie betrieb diesen Salon bis 1932.

Auch ihr Bruder Erich hatte sich in Berlin als „Exporteur“ am Leipziger Platz 18/19 niedergelassen. Seit 1920 war er mit Lucia Martha Margareta von Saldern verheiratet. Anlässlich der Heirat war er zum katholischen Glauben übergetreten und in der St. Clemens Kirche in Mitte getauft worden. 43-jährig starb er am 1. Januar 1931, damals wohnhaft in der Sächsischen Straße 63. Margareta zog daraufhin zu der Klavierlehrerin Lucie Norden in die Uhlandstraße 123. Diese war die geschiedene Ehefrau von Moritz Nordens Bruder James.

Todesanzeige Helene Norden

Todesanzeige Helene Norden

Helene Norden wohnte bis zu ihrem Tod bei ihrer Tochter Ella und der Konzertsängerin Margarete Meyer (* 8. Juli 1881, Hohensalza). Die drei Frauen schienen eine enge Verbindung zueinander zu haben, die über ein Untermietverhältnis hinausging. Als Helene Norden am 7. März 1928 in der Wohnung in der Motzstraße 76 starb, war Margarete Meyer an ihrer Seite. Für Margarete war Ellas Mutter eine „geliebte mütterliche Freundin“ gewesen – so stand es in der Todesanzeige. Helene Norden wurde auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee beigesetzt.

1932 gab Ella ihren Salon in der Motzstraße auf, sie und Margarete Meyer zogen in eine repräsentative große Wohnung der Beletage am Ludwigkirchplatz, Pariser Straße 45. Ein sorgenfreies Leben war ihnen aber von nun an nicht mehr möglich. Die zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung machte auch vor den beiden Frauen nicht halt. Wir wissen allerdings nichts über ihre finanzielle Situation und die darüber hinausgehenden Lebensumstände in den 1930er-Jahren.

Am 18. Oktober 1941 wurden Ella Norden und ihre langjährige Freundin Margarete Meyer vom Bahnhof Grunewald in das Ghetto Łódż deportiert. Mit diesen als „Teilevakuierung“ der Berliner Juden bezeichneten Transporten ab Oktober 1941 in das polnische Ghetto sollten bevorzugt große „Judenwohnungen“ freigemacht werden, um Wohnraum für Funktionäre des NS-Regimes und für Bombengeschädigte zu schaffen.

Im völlig überfüllten Ghetto fanden Ella Norden und Margarete Meyer menschenunwürdige Verhältnisse vor, die darauf angelegt waren, die Insassen durch Hunger, Krankheit und Überarbeitung zu zerstören.
Ella und Margarete wurde in der Alexanderhofstraße 17, Wohnung 1 a untergebracht. Da Ella im Ghetto als Krankenschwester registriert wurde, ist anzunehmen, dass man sie im Ghetto–Krankenhaus zur Zwangsarbeit einsetzte.

Im selben Krankenhaus starb Ella am 15. Februar 1942 an Entkräftung und Auszehrung – „Inanitio“, wie im Sterberegister stand. Margarete Meyer war bereits 3 Wochen vorher, am 25. Januar aufgrund der elenden Bedingungen gestorben.

Recherche und Text: Karin Sievert, Stolperstein – Initiative Charlottenburg – Wilmersdorf

Quellen:
Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945

Berliner Adressbücher – Zentral- und Landesbibliothek Berlin

Adressbücher Wien und Posen von 1884
Amtliche Fernsprechbücher Berlin
Landesarchiv Berlin 

Arolsen Archives
Mapping The Lives
Gottwald/Schulle „Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945“

Loose: „Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941 – 1944

Yad Vashem – Opferdatenbank

Sterberegister des Krankenhauses im Getto von Łódż (Polen), 1941-1944
Standesamtsunterlagen durch Ancestry
Anzeigenfotos von MyHeritage
https://www.heimat-der-vorfahren.de/index.php/Thread/6985-Selbständige-des-Kreises-Inowra-c-zlaw-Hohensalza-1895/:
https://namensindex.org/bestand.php?aid=6&id=651:Abnahme von Gesellenprüfungen im Putzmacher-Handwerk vor dem Gesellenprüfungsausschuss für Putzmacher zu Hohensalza 1913 – 1918