HIER WOHNTE
MARGOT L. NEUMANN
GEB. KOEHNE
JG. 1891
DEPORTIERT 12.3.1943
AUSCHWITZ
ERMORDET
Margot Neumann geb. Koehne (Köhne) kam am 19. Januar 1891 in Berlin zur Welt. Auch ihre Mutter Johanna geborene Marckwald und ihr Vater Paul stammten aus Berlin.
Margot war das dritte von sechs Kindern: Sie hatte eine große Schwester namens Elsa (* 1888), einen großen Bruder namens Richard (* 1889), einen kleinen Bruder namens Hans (* 1892) sowie zwei kleine Schwestern namens Charlotte „Lotte“ (* 1893) und Martha (* 1897). Vermutlich wuchs sie in Wilmersdorf auf.
Ihr Vater, der Geheime Justizrat Dr. jur. Paul Köhne, war Amtsrichter in Berlin-Mitte. Ursprünglich vor allem Vormundschaftsrichter, engagierte er sich leidenschaftlich für die Jugendfürsorge sowie die damals noch sehr neuen Jugendgerichte und wurde schließlich selbst Jugendrichter. Er entwickelte und publizierte Reformvorschläge, die nicht nur auf Bestrafung, sondern auf Fürsorge, auf psychologische und pädagogische Hilfe setzten. Dr. Köhnes nahezu revolutionäre Ideen stießen nicht nur auf Gegenliebe und wurden als Zeichen einer „falschen Humanität“ kritisiert. Margots Vater ließ sich aber nicht beirren und hatte Anteil daran, den Beruf des Bewährungshelfers zu etablieren. Er starb 1917 an einer Lungenentzündung. Margots Mutter überlebte ihn um fast zwanzig Jahre.
Zumindest zwei seiner Töchter, Margot und Lotte, scheinen Dr. Köhnes Liebe zur Pädagogik geteilt zu haben: Margot arbeitete als junges Mädchen als Kindergärtnerin, Lotte leitete zeitweilig ein Kinderheim in Österreich. Bruder Hans war kaufmännisch tätig. Bruder Richard scheint intellektuell beeinträchtigt oder psychisch krank gewesen zu sein und lebte in der Heil- und Pflegeanstalt Neuruppin.
Vor ihrem zwanzigsten Geburtstag heiratete Margot in Berlin den neun Jahre älteren Kaufmann Felix Neumann, der aus Gnesen in der preußischen Provinz Posen (heute Gniezno in Polen) stammte.
Das Ehepaar hatte vier Kinder: Hilde (* 1911), Cäcilie (* 1914), Max (* 1916) und Ursula (* 1919). Spätestens seit 1925 lebte die Familie in der Prinzregentenstraße 7 in Wilmersdorf. Im März 1928 starb Felix Neumann mit nur 48 Jahren. Margot wurde mit 37 Jahren Witwe. Wahrscheinlich arbeitete sie nach dem Tod ihres Mannes zumindest zeitweise wieder als Kindergärtnerin.
Margot Neumanns weiterer Lebensweg lässt sich nur lückenhaft rekonstruieren. Wir wissen nicht, ob sie versucht hat, Deutschland zu verlassen. Über ihre älteste Tochter Hilde waren außer dem Geburtsdatum keine weiteren Informationen zu finden. Ihrem Sohn Max und ihrer Tochter Ursula gelang die Emigration: Max starb 2006 mit 90 Jahren in Canberra in Australien, Ursula zu einem unbekannten Zeitpunkt in Großbritannien. Bei der „Minderheiten-Volkszählung“ im Mai 1939 hatte Ursula noch bei ihrer Mutter in der Prinzregentenstraße gelebt.
Margots Tochter Cäcilie floh Ende der 1930er-Jahre in die Niederlande und schloss sich der zionistischen Hachschara-Bewegung an, die landwirtschaftliche Trainings für junge Jüdinnen und Juden organisierte, um sie auf den Aufbau eines Gemeinwesens in Palästina vorzubereiten. Ab April 1939 lebte sie als Schneiderin im Werkdorp Nieuwesluis, einem von deutschen und österreichischen Flüchtlingen gegründeten Hachschara-„Arbeitsdorf“ in Wieringermeer in Nordholland. Hier verliebte sie sich in den etwa gleichaltrigen, aus Pommern gebürtigen Helmut Holzheim. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde das Werkdorp zerschlagen; die meisten seiner Bewohnerinnen und Bewohner wurden später im KZ Mauthausen ermordet. Cäcilie und Helmut gelang es mehrfach, der Deportation zu entgehen; sie arbeiteten als Helfer auf verschiedenen Bauernhöfen. Im April 1941 heirateten sie, und im Dezember 1942 bekamen Cäcilie in Deventer in den östlichen Niederlanden eine Tochter, Ursula.
Als ihre Enkeltochter geboren wurde, verrichtete Margot Neumann in Berlin wahrscheinlich entweder Zwangsarbeit oder war in der jüdischen Kultusvereinigung zwangsbeschäftigt.
Am 12. März 1943 wurde sie nach der sogenannten „Fabrikaktion“, den Verhaftungen der letzten noch nicht deportierten Jüdinnen und Juden in Berlin, mit dem 36. Osttransport nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Ihr genaues Todesdatum ist unbekannt. Sie wurde 52 Jahre alt.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Cäcilie vom Tod ihrer Mutter erfuhr. Im Mai 1943 wurden sie und ihr Mann vor einer bevorstehenden Deportation ins Durchgangslager Westerbork gewarnt und setzten alles daran, ihre Tochter zu retten. Bei seiner Arbeit als Landarbeiter hatte sich Helmut mit Johan und Sytske van Drooge angefreundet, die in der Nähe von Deventer einen Bauernhof besaßen. Cäcilie und Helmut brachten ihr Baby, das noch kein halbes Jahr alt war, dem Ehepaar van Drooge, das ebenfalls gerade eine Tochter bekommen hatte. Johan und Sytske nahmen Ursula auf und gaben sie als Zwillingsschwester ihrer eigenen Tochter aus. Bis 1944 gelang es ihnen, die Lüge aufrechtzuerhalten, dann zogen Kollaborateure ins Nebenhaus, die misstrauisch wurden. Ursula wurde erst zu Sytskes Mutter gebracht, dann zu anderen Familienmitgliedern; sie überlebte.
Cäcilie und Helmut waren in Amsterdam verhaftet und nach Westerbork verschleppt worden. Dort entgingen sie aus unbekannten Gründen der Deportation nach Auschwitz und wurden 1945 befreit. Sie holten ihre Tochter ab und die ganze Familie blieb noch bis 1947 auf dem Bauernhof der van Drooges wohnen. Danach emigrierten Cäcilie, Helmut und die kleine Ursula nach Australien. Ursula reichte später das Yad-Vashem-Gedenkblatt für ihre Großmutter Margot Neumann ein, die sie nicht hatte kennenlernen dürfen.
Johan van Drooge wurde 2008 der Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ verliehen.
Margot Neumanns Bruder Hans war 1929 jung verstorben.
Ihrer Schwester Martha, die 1936 geheiratet hatte, gelang zusammen mit ihrem Ehemann die Flucht nach England. Sie starb 1980 in Newcastle-upon-Tyne.
Ihre unverheiratete Schwester Lotte teilte Margots Schicksal: sie wurde eine Woche vor ihrer Schwester, am 4. März 1943, von Berlin nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Auch die älteste Schwester, Elsa, wurde getötet. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Rechtsanwalt Ernst Ostberg, deportierte man sie im Oktober 1942 ins Ghetto Theresienstadt und ermordete sie dann 1944 in Auschwitz. Für das Ehepaar Elsa Ostberg geb. Köhne und Ernst Ostberg sind in der Klopstockstr. 9 im Berliner Hansaviertel Stolpersteine verlegt.
Margots kranker Bruder Richard wurde 1940 aus der Landesanstalt Neuruppin erst in die Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch und dann in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel verschleppt. Dort wurde er am 20. Juli 1940 vergast.
Recherche und Text: Christine Wunnicke
Quellen:
Yad Vashem
Gedenkbuch des Bundes
Berliner Adressbücher
MyHeritage und Genii
Engstrom, Eric, Die Jugendgerichtshilfe in Berlin 1905-1914, in Moser , V. et al. (Hg), Das (A)normale in der Pädagogik, 2022
spurenimvest.de
www.humanitarisme.nl