Stolpersteine Lietzenburger Straße 99

Die Stolpersteine an der Lietzenburger Straße 99 wurden am 15.Oktober 2008 verlegt.

Stolperstein für Antonie Boas

Stolperstein für Antonie Boas

HIER WOHNTE
ANTONIE (TONI) BOAS
GEB. LEHMANN
JG. 1874
DEPORTIERT 5.9.1942
RIGA
ERMORDET 8.9.1942

Toni (Antonie Luise) Boas kam am 1. Dezember 1874 in Berlin als Tochter des 1844 in Preußisch-Stargard (heute Starogard Gdański/Polen) geborenen Kaufmanns Isidor Lehmann (1844–1908) und seiner 1843 geborenen Ehefrau Emilie, geb. Urbach, auf die Welt. Ihre Eltern hatten 1870 in
Berlin geheiratet. In demselben Jahr war Isidor Lehmann Alleininhaber der Holzhandlung S.Lehmann & Sohn geworden, benannt nach seinem noch lebenden Vater Salomon Lehmann. Das Geschäftslokal befand sich im Tiergarten am Seegerhof 3, nahe der Spree. Zehn Jahre später war die Firma mit ihrem Holzplatz dort noch immer, allein die Straße war umbenannt in Hindersinstraße. Schließlich zogen Familie und Firma in die Von-der-Heydt-Straße 10. Das Grundstück erstreckte sich bis zum Herkulesufer am Landwehrkanal – lag also wiederum an dem
(Wasser)Weg, auf dem das Holz in die Stadt transportiert wurde.
Toni Lehmann lebte bis zu ihrer Hochzeit bei ihren Eltern. Am 29. April 1897 heiratete sie den 1869 geborenen Kaufmann Jacob Anton Boas. Seine Familie besaß eine Großhandlung für Garne. Die Eltern Hermann Boas (1830–1877) und Emma, geb. Noah (1839–1883) stammten aus Schwerin
an der Warthe (heute Skwierzyna/Polen) und aus Landsberg an der Warthe (heute Gorzów Wielkopolski/Polen). In Schwerin an der Warthe gehörten die Mitglieder der Familie Boas zu den wohlhabenden Kaufleuten.
Um 1900 war Jacob Anton Boas Mitinhaber der Garnhandlung seiner Familie in der Neuen Friedrichstraße 48. Wenige Jahre später wurde er der Alleininhaber und sollte dies auch bis zu
seinem frühen Tod bleiben. Die Firma blieb viele Jahre in der Neuen Friedrichstraße.
Am 20. Februar 1898 bekamen Toni Boas und ihr Ehemann ihr erstes Kind, den Sohn Walter. Die Wohnung der jungen Familie war im Parterre des Hauses Königgrätzerstraße 32, zwischen Dessauer Straße und Askanischem Platz (heute ungefähr Stresemannstraße 97). – Dies war damals eine durchaus bürgerliche Wohngegend, in der Kaufleute, Künstler und preußische Militärs wohnten, es aber wegen der Nähe des Anhalter Bahnhofs auch viele Hotels und für die „höheren
Töchter“ Mädchenpensionate gab. – Anfang des neuen Jahrhunderts zog die Familie Richtung Westen in die Rankestraße 14. Am 9. Januar 1906 kam der Sohn Kurt Ewald auf die Welt.
Am 26. September 1919 starb Jacob Anton Boas. Er wurde wie seine Eltern auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee begraben. Toni Boas war nun Eigentümerin der Garnhandlung, die noch immer den Namen ihres Schwiegervaters trug und sich in den folgenden Jahren ebenfalls in der Rankestraße befand.
Toni Boas lebte fast 30 Jahre in der Rankestraße in einem ähnlichen Milieu wie in der Königgrätzer Straße. Die Söhne, die Kaufleute wurden, wohnten bei der Mutter. Mit Beginn der NS-Diktatur zogen sie in die Lietzenburger Straße/Ecke Bleibtreustraße, damals Nr. 33, heute das Haus Nr. 99.
Am 25. April 1939 emigrierte der jüngere Sohn Kurt nach Großbritannien. Er schilderte fast ein halbes Jahrhundert später die große Wohnung seiner Familie mit wertvollen Möbeln und einem Flügel – Erinnerungen an und Symbole für das vergangene gutsituierte, glückliche Leben seiner
Familie.
Nach der Emigration von Kurt Boas zog Toni Boas mit Sohn Walter in die Kufsteinerstraße 10 im Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg. Hier mussten die beiden zur Untermiete wohnen. Sohn Walter wurde zur Zwangsarbeit in einer Waffen- und Munitionsfabrik gepresst.
Am 5. September 1942 wurde Toni Boas vom Güterbahnhof Moabit aus mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert. Nach drei Tagen Fahrt – in Ostpreußen waren noch weitere Juden in die Waggons gepfercht worden – erreichte der Zug mit fast 800 Menschen den Bahnhof vor Riga. Bis auf ungefähr 80 zur Arbeit selektierte Männer wurden die Insassen nicht mehr in das Ghetto transportiert, sondern sofort nach der Ankunft erschossen.
Walter Boas heiratete nach der Deportation der Mutter. Mit seiner Ehefrau Gerda wohnte er zuletzt als Untermieter in der Waitzstraße 7 in Berlin-Charlottenburg. Das Ehepaar wurde am 12. Januar 1943 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Quellen:
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Deutscher Reichsanzeiger 1870
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Labo Berlin Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Yad Vashem. Opferdatenbank
https://arolsen-archives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.mappingthelives.org/
https://www.statistik-des-holocaust.de/
https://www.juedische-gemeinden.de/
https://www.xn—jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/p-r/1601-preussisch-stargard-westpreussen
https://www.heimat-der-vorfahren.de/index.php/Thread/7376-Selbst%C3%A4ndige-des-Kreises-Schwerin-an-der-Warthe-1895/
Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll

Stolperstein für Walter Boas

Stolperstein für Walter Boas

HIER WOHNTE
WALTER BOAS
JG. 1898
DEPORTIERT 12.1.1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Walter Boas kam am 20. Februar 1898 in Berlin als erster von zwei Söhnen des Ehepaars Jacob Anton Boas (1869–1919) und Toni (Antonie Luise) Boas, geb. Lehmann, (1874–1942) auf die Welt.
Sein in Berlin geborener Vater stammte aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie und war in Berlin Mitinhaber, später Alleininhaber einer Großhandlung für Garne. – Der Großvater Boas kam aus Schwerin an der Warthe (heute Skwierzyna/Polen), wo die Familie zu den wohlhabenden
Kaufleuten gehörte. Auch der Großvater mütterlicherseits war zugewandert: Isidor Lehmann stammte aus Preußisch-Stargard (heute Starogard Gdański/Polen) und war seit 1870 in Berlin Inhaber einer großen Holzhandlung. Die Mutter von Walter Boas hatte bis zur Hochzeit bei ihren Eltern gelebt.
Zum Zeitpunkt seiner Geburt war die Wohnung der Familie im Parterre des Hauses Königgrätzerstraße 32, zwischen Dessauer Straße und Askanischem Platz (heute ungefähr
Stresemannstraße 97). – Dies war damals eine bürgerliche Wohngegend, in der Kaufleute, Künstler und preußische Militärs wohnten, es aber wegen der Nähe des Anhalter Bahnhofs auch viele Hotels und für die „höheren Töchter“ Mädchenpensionate gab.
Anfang des neuen Jahrhunderts zog die Familie Richtung Westen in die Rankestraße 14. Am 9. Januar 1906 kam der jüngere Bruder Kurt Ewald auf die Welt. Über die Kindheit der beiden Brüder wird nichts berichtet.
Am 26. September 1919 starb der Vater Jacob Anton Boas. Die Mutter war nun Eigentümerin der Garnhandlung, die sich in den folgenden Jahren ebenfalls in der Rankestraße befand.
Mutter und Söhne lebten fast 30 Jahre in der Rankestraße in einem ähnlichen Milieu wie in der Königgrätzer Straße. Die Söhne wurden Kaufleute. 1930 reiste Walter Boas nach Südamerika, wo es Verwandte gab (und wohl noch immer gibt.)
Mit Beginn der NS-Diktatur zogen sie in die Lietzenburger Straße/Ecke Bleibtreustraße, damals Nr. 33, heute das Haus Nr. 99. Am 25. April 1939 emigrierte der jüngere Bruder Kurt nach Großbritannien. Er lebte dort nach dem Ende von NS-Diktatur und Krieg als Bankbeamter. Fast ein halbes Jahrhundert später erinnerte er sich an das vergangene gutsituierte, glückliche Leben seiner Familie und schilderte die große Wohnung mit wertvollen Möbeln und einem Flügel.
Nach der Emigration seines Bruders Kurt zog Walter Boas mit seiner Mutter in die Kufsteinerstraße 10 im Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg. Hier mussten die beiden zur Untermiete wohnen.

Walter Boas wurde zur Zwangsarbeit in die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (D.W.M.) am Eichborndamm in Berlin-Reinickendorf verpflichtet. (In einem Teil der alten Gebäude befindet sich heute das Berliner Landesarchiv.) Während des Zweiten Weltkriegs wurden in der zum Quandt-Konzern gehörenden Fabrik Geschosse und Gewehrpatronen hergestellt. Nach der Erinnerung eines anderen zwangsverpflichteten Juden dauerte die Schicht zwölf Stunden, auch während der Nacht und manchmal am Sonntag.
Am 5. September 1942 wurde die Mutter von Walter Boas vom Güterbahnhof Moabit aus mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert und dort nach drei Tagen Fahrt gleich nach der Ankunft erschossen.
Walter Boas heiratete sechs Wochen nach der Deportation seiner Mutter am 17. November 1942 die 1912 in Berlin geborene Gerda-Elfriede Daubitz. Ob sie sich schon vorher gekannt hatten? 1939 hatte Gerda Daubitz als Untermieterin (oder in einem Fremdenheim) in der Grolmanstraße
12 gelebt. Als Hauptmieterin war sie in den Berliner Adressbüchern nicht zu finden.
Walter und Gerda Boas wohnten zuletzt zur Untermiete bei dem Ehepaar Max und Marie Tworoger in der Waitzstraße 7 in Berlin-Charlottenburg. Am 12. Januar 1943 – da waren Max und Marie Tworoger schon deportiert – wurden sie mit dem „26. Osttransport“ nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Quellen:
Berliner Adressbücher
Berliner Telefonbücher
BLHA Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Deutscher Reichsanzeiger 1870
Gedenkbuch Bundesarchiv
Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005
HU Datenbank Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945
Labo Berlin Entschädigungsbehörde
Landesarchiv Berlin, Personenstandsunterlagen/über ancestry
Yad Vashem. Opferdatenbank
https://arolsen-archives.org/
https://www.geni.com/people/
https://www.mappingthelives.org/
https://www.statistik-des-holocaust.de/
https://www.juedische-gemeinden.de/
https://www.xn—jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/p-r/1601-preussisch-stargard-westpreussen
https://www.heimat-der-vorfahren.de/index.php/Thread/7376-Selbst%C3%A4ndige-des-Kreises-Schwerin-an-der-Warthe-1895/
Vorrecherchen Nachlass von Wolfgang Knoll