Drucksache - 0731/4  

 
 
Betreff: Personalsituation im Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:CDU-Fraktion 
Verfasser:Klose/Sell 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
24.10.2013 
24. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin beantwortet   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Große Anfrage
Beantwortung

Wir fragen das Bezirksamt:

 

Wir fragen das Bezirksamt:

 

  1. Gab es in der letzten Wahlperiode bzw. in der jetzt laufenden eine Personalentwicklungsplanung für das Jugendamt Charlottenburg - Wilmersdorf, wenn ja, wann und wo wurde diese diskutiert, wenn nein, warum nicht?

 

  1. Wie lange waren in den Jahren 2012/2013 im Jugendamt Stellen unbesetzt und was waren die Gründe dafür?

 

  1. Aus welchen Gründen dauern Stellenbesetzungsverfahren in unserem Bezirk überdurchschnittlich lange, mit der Konsequenz, dass Bewerberinnen und Bewerber sich anderweitig orientieren, und welche Gegenmaßnahmen wurden ergriffen, um die Verfahrensdauer zu verkürzen?

 

  1. Welche fachlichen Auswirkungen haben die nicht besetzten RSD-Koordinatorenstellen in den Regionalteams des Jugendamtes zwei und vier und welche Auswirkungen werden die Vakanzen des Jugendhilfecontrolling, der beiden Kinderschutzkoordinatoren und der fachlichen Steuerung der Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit haben?

 

  1. Wie hat bzw. gedenkt die für Jugend zuständige Stadträtin auf die in dem Brief leitender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes vom 24.09.2013 geschilderte Situation zu reagieren und Abhilfe zu schaffen bzw. wie sieht die Zusammenarbeit mit dem für Personal zuständigen Bezirksamtsmitglied aus?

 

 

Zur Beantwortung Frau BzStR Jantzen:

 

Sehr geehrte Frau Vorsteherin, sehr geehrte Damen und Herrn, sehr geehrter Herr Hercygier,

 

ich hatte gedacht, dass mit dem Wahlkampf diese Polemik ein Ende hätte und wir in Ruhe und konstruktiv über Probleme, die im Bezirksamt - und nicht nur in meiner Abteilung - vorhanden sind, auch sprechen können. Es tut mir leid, dass das jetzt nicht so ist. Es sind keine Brandbriefe - ich finde diesen Begriff eigentlich unerträglich. Es sind Problemanzeigen aus dem Jugendamt, die die Mitarbeiterinnen zu Recht an mich, an den Bürgermeister, an den Jugendhilfeausschuss und alle Beteiligten geschickt haben. Weil sich die Situation weiterhin verschärft. Nichtsdestotrotz danke ich der antragstellenden Fraktion, dass sie das Thema hier auf die Tagesordnung gesetzt haben, weil es immerhin zeigt, dass im politischen Raum Interesse daran besteht - und ich hoffe, es besteht auch ein Interesse jenseits der Polemik gemeinsam da nach Lösungen zu suchen; wo ich meine Verantwortung habe, werde ich sie wahrnehmen.

 

Die Problemanzeigen aus unserem Jugendamt reihen sich ein in eine Reihe von Offenen Briefen zur schwierigen Situation der Personalsituation der Jugendämter. Ich erinnere hier nur an den Brief der Jugendamtsleitung im November letzten Jahres und den Brief der Jugendhilfeausschussvorsitzenden. Es gibt ähnliche Schreiben in anderen Bezirken. Wir haben es auch für wichtig erachtet, im Jugendhilfeausschuss Ihnen die Situation darzustellen. Und, das muss ich dazusagen, in der Struktur-AG, die ja der Jugendhilfeausschuss eingesetzt hatte - hauptsächlich zum VZÄ-Abbau - haben wir u. a. auch die Personalausstattung eines sozialräumlichen Jugendamtes vorgestellt und wir haben auch strukturelle Überlegungen, die wir anstellen, vorgestellt. Insofern finde ich Ihre Rede schon ziemlich harsch und etwas daneben. 

 

Nun zu Ihren Fragen.

 

Zu 1.:

In der letzten Wahlperiode (März 2007) gab es eine Vorlage zur Kenntnisnahme zum Beschluss der BVV 2074/2 zum Thema "Kinderschutz/Sozialraumorientierung" sichern. Darüber hinaus ist zur Nr. 320/3 insgesamt 3 x zur Situation der Stellenbesetzungen im RSD berichtet worden. Dabei beliefen sich die Stellenvakanzen im Zeitraum 2/2007 bis 9/2011 zwischen 14,3% und 7%, soll heißen: das Problem ist nicht neu, es besteht länger. Es spitzt sich allerdings auch durch den auf Landesebene beschlossenen VZÄ-Abbau weiter zu. Die Situation heute unterscheidet sich von der letzten Wahlperiode noch besonders dadurch, dass die altersbedingte Fluktuation bei uns im Jugendamt oder auch in anderen Bereichen insbesondere im Sozialdienst ein erhebliches Ausmaß erreicht hat und andererseits jetzt auch der Fachkräftemangel sich deutlich bemerkbar macht. Das gravierendste Beispiel bei uns ist, das von 8 Mitarbeiter/innen im Fachteam 4 innerhalb weniger Monate wegen Erreichen der Altersgrenze aufhören. Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass wir strukturelle Überlegungen und Veränderungen in der Jugendhilfe-AG und im Zusammenhang damit auch im Jugendhilfeausschuss berichtet haben und da auch diskutiert wurde.

 

Ich sag das heute noch einmal - auch wenn es Ihnen nicht passt: Eine kontinuierliche und nachhaltige Personalentwicklung oder ihre Planung ist unter den gegenwärtigen haushalts- und personalrechtlichen Rahmenbedingungen und sich oft ändernder Vorgaben von Landesseite kaum möglich.

 

Zu 2.

2012/2013 waren/sind zum Teil 19 Stellen zwischen 5 und 18 Monaten nicht besetzt. Dabei handelt es sich um 8 Stellen im RSD,  4 Funktionsstellen in den Regionalteams, um eine in der pädagogischen Sachbearbeitung Tagesbetreuung, um 2 Stellen im Fachteam; 4 weitere Stellen werden demnächst frei werden.

 

Die Gründe für die teilweise sehr langen Vakanzen sind vielfältig:

 

-          die Notwendigkeit, in der Regel vor der Ausschreibung die Anforderungsprofile, Stellenbeschreibungen und -bewertungen zu aktualisieren.

-          hoher Abstimmungsbedarf zu Modalitäten der Ausschreibungen zwischen der Fach- und der Querschnittsabteilung,

-          die Überprüfung immer neuer Überhangkräfte vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens

-          das zeitliche Nacheinander der Beteiligung der Beschäftigungsvertretungen

-          neuerdings auch die geringe Zahl geeigneter Bewerber/innen, so dass nach Absage eines ausgewählten Bewerbers keine geeigneten Nachrücker/innen mehr zur Verfügung stehen und das gesamte Ausschreibungsverfahren wiederholt werden muss

 

Dass wir Stellen nicht ausschreiben können, bevor z. B. die Leute in der Altersteilzeit ihre Ruhephase wirklich beendet haben, ist Ihnen hinlänglich bekannt.

 

Zu 3.:

Einleitend muss zunächst festgestellt werden, dass dem Bezirksamt keine Erkenntnisse vorliegen, wonach es einen bezirksübergreifenden Durchschnittszeitraum für Besetzungsverfahren gibt. Dies dürfte schon deswegen schwer sein, weil kein berlineinheitlicher Soll-Prozess für ein solches Verfahren besteht und es darüber hinaus oft vom jeweiligen Einzelfall abhängt, wie hoch der Arbeitsaufwand ist.

 

Die öffentlichen Verwaltungen sind im Rahmen von Stellenbesetzungsverfahren an rechtliche Vorgaben gebunden und haben einen fairen und nachvollziehbaren Auswahlprozess sicherzustellen. Der zeitliche Umfang ist bestimmt durch einzuhaltende Verfahrensabläufe und den zu wahrenden Fristen, die sich u.a. durch die Senatsverwaltung für Finanzen (SenFin) und die Beteiligung der Beschäftigtengremien ergeben.

 

Dadurch ergibt sich für die Besetzungsverfahren ein Zeitraum von rd. 21 Wochen. Darin sind jedoch noch keine Bearbeitungszeiten für die Abteilungen oder die SE Finanzen enthalten. Diese Zeitschiene besteht grundsätzlich für alle Bezirke gleichermaßen. Ich hatte im Jugendhilfeausschuss schon gesagt,  dass meine Nachfragen in anderen Bezirken ergeben haben, dass es da auch bis zu 9 Monaten, 8 Monate im Durchschnitt dauert. Insofern sind die Vakanzen bei uns nicht der Einzelfall.

 

Aufgrund fehlender Kapazitäten konnte im Bezirk für die Prüfung des internen Personalüberhangs und der Unterbringungsfälle bisher noch kein zuständiger Bereich installiert werden, der die große Anzahl dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor der Meldung an die Bereiche prüft und auf ihre Vermittelbarkeit untersucht. Eine entsprechende BA-Vorlage zur Lösung dieser Problemstellung ist vom Bezirksbürgermeister für die Sitzung des Bezirksamtes am 29.10.2013 eingebracht worden. Vorgesehen ist die Schaffung eines neuen zwingend erforderlichen Bereichs Personalmanagement, der sich mit dieser Aufgabe beschäftigen wird.

 

Im Rahmen dieser neuen Einheit Personalmanagement wird auch ein Leitbild verabschiedet werden, wo sich die Serviceeinheiten auf eine nachhaltige Serviceorientierung festlegen und für Stellenbesetzung einen bezirksindividuellen Soll-Prozess erarbeiten, der im Ergebnis zu einer zeitlichen Straffung führen soll.

 

Zu 4.:

Die Auswirkungen von Stellenvakanzen führen generell zu einer höheren Arbeitsverdichtung und - belastung bei den verbleibenden Mitarbeiter/innen. Aufgaben können nicht mehr im notwendigen Umfang wahrgenommen werden. Gesundheitsrisiken für den Einzelnen und die Fehleranfälligkeit der Organisation steigen.

 

Die RSD-Koordinatorendie jetzt länger nicht besetzt sind, bearbeiten jeweils zur Hälfte einen RSD Bezirk, also machen direkte Arbeit mit den Familien, zur anderen Hälfte unterstützen sie in schwierigen oder besonders konfliktreichen Einzelfällen. Und sie halten fallunabhängig an den zahlreichen Schnittstellen Kontakt zu Kooperationspartnern.

 

Die Folge der Vakanz:

-               Der halbe RSD Bezirk muss auf die RSD Kolleg/inn/en aufgeteilt werden,

-               die Unterstützung in schwierigen Einzelfällen wird z. T. von den Kinderschutzkoordinatorinnen im Fachteam oder Regionalleitungen übernommen,

-               fallunabhängige Kooperationspflege wird z. T. von den Regionalleitungen erledigt und

-               ein Teil der Arbeit kann notgedrungen nicht gemacht werden, mit dem Effekt von Qualitätsverlusten, z.B. in der Kooperation mit anderen Diensten, Einrichtungen, Trägern und das bedauern nicht nur die Mitarbeiter/innen sondern ich auch.

 

Im Fachteam handelt es sich um Spezialisten mit jeweils eigenständigen Arbeitsgebieten. Hier wird derzeit ein Lücken- und Übergangsmanagement erarbeitet auch um einen Wissenstransfer einigermaßen sicherzustellen.

 

Weitere Folgen:

-              in die Beschwerdebearbeitung wird verstärkt die mittlere Leistungsebene eingebunden und sie kann nur noch verzögert erfolgen,

-              zentrale Aufgaben der fachlichen Steuerung und des Jugendhilfecontrollings, wie z.B. KLR-Buchungen und Planung notwendiger Angebotsstrukturen z.B. bei Tagesbetreuung oder Hilfen zur Erziehung und Handlungsleitfäden für neue Aufgaben, werden verzögert bearbeitet,

-              die internationale Jugendarbeit oder die engere Verzahnung der Arbeit von Jobcenter und Jugendamt können erst nach Stellenbesetzung wieder aufgegriffen werden.

 

Zu 5.:

In einem kleinen Leitungskreis des Jugendamtes bin ich wenige Wochen nach Amtsantritt mit einer Liste der altersbedingt frei werdenden Leitungs- und Funktionsstellen informiert worden. Neben einigen strukturellen Entscheidungen wurde priorisiert, welche Stellenbeschreibungen und -bewertungen erfolgen müssen.

Seit meinem Amtsantritt und im Vorfeld des in Rede stehenden Briefes hat es mehrfach Gespräche zur beschriebenen Problematik und Strukturentscheidungen mit Herrn BzBm Naumann gegeben. Es ist im Bezirksamt wiederholt diskutiert worden, wie man die Verfahren straffen kann und dass es nötig ist, sie zu straffen und einzelne Erfolge und Maßnahmen sind auch bereits inzwischen eingeleitet worden, wie z. B., dass die Beteiligten der Beschäftigten-Vertretung parallel bereits eingeleitet wird, wenn noch nicht die Überhänge und zu übernehmende Beschäftigte geprüft werden konnten. Die Mitarbeiter/innen haben selber darauf hingewiesen und auch Herr Hercygier hat deutlich gemacht: Es muss darum gehen, zügigere Stellenbesetzungsverfahren hinzubekommen.

Zur Entlastung der RSD-Kolleg/inn/en wurden einzelne befristete Maßnahmen, wie längere Hilfeplanzeiträume, im Einzelfall Nichtteilnahme bei familiengerichtlichen Anhörungsterminen ergriffen.

 

Nachhaltige Abhilfe ist aber nur zu schaffen durch vielfältige Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen.

 

-          zügigere Stellenbesetzungsverfahren durch verbindliche Verabredungen zu transparenten, parallelen und damit kürzeren Abläufen zwischen den beteiligten Bereichen und den Beschäftigtenvertretungen. Hier wird inzwischen bereits die Beteiligung der Beschäftigtengremien im Hinblick auf den Ausschreibungstext vorgenommen, auch wenn die Prüfung der Personalüberhänge und Unterbringungsfälle noch nicht abgeschlossen ist.

 

-          Ablehnung immer neuer zusätzlicher Aufgaben oder Ablaufverfahren ohne zusätzliches Personal einvernehmlich durch alle Bezirke

 

-          berlinweit einheitliche Personalausstattungsstandards für alle Bereiche, wie beispielsweise das seinerzeit erarbeitete Konzept "Personalausstattung eines sozialräumlich organisierten Jugendamtes" oder das Mustergesundheitsamt. Zur Umsetzung müsste aber der Plafonds der Bezirke konkret (und ohne Gegenrechnung) erhöht werden, weil schlicht die Mittel im Bezirk fehlen, das eigentlich Erforderliche einrichten zu können.

 

-          mehr Wertschätzung, Anerkennung und Förderung einschließlich angemessener Bezahlung des Personals landesweit, um Fachkräften für diese verantwortungsvolle, schwierige und belastende Tätigkeit wie in der öffentlichen Jugendhilfe zu gewinnen. Hamburg hat z.B. entschieden, alle RSD-Mitarbeiter/innen nach E 10 zu vergüten, in Berlin geht es nach E 9. Wertschätzung hat auch damit was zu tun, wie wir in den Abteilungen die Arbeit der Mitarbeiter/innen anerkennen.

 

Ich bin überzeugt, dass die Mitarbeiter/innen in allen Bereichen das ihnen Mögliche tun, um in der für alle schwierigen Situation ihre Aufgaben verantwortungsvoll zu bewältigen. Ich schätze die Arbeit der Mitarbeiter/innen sehr.

 

Mit Erlaubnis der Vorsteherin möchte ich die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Frau Schöttler, aus der Anhörung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie im Abgeordnetenhaus zur Personalsituation in den Jugendämtern zitieren: "Eine Zudecke für zwei Personen kann nicht zufriedenstellend für drei Personen reichen. So eigenverantwortlich und selbstbewusst auch diese drei Personen an diese Frage herangehen."

 

Es bleibt deshalb unser aller politische Aufgabe mit dafür zu sorgen, dass die Bezirke ihren Aufgaben angemessen finanziell und personell ausgestattet werden und die haushaltsrechtlichen und personalrechtlichen Rahmenbedingungen auch endlich einer modernen Verwaltung angepasst werden.

 


 

 
 

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