Was passieren kann, wenn Hilfen nicht angenommen werden

Pressemitteilung Nr. 077/2020 vom 09.03.2020

Der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit, Ephraim
Gothe, informiert:

Ein von Mietschulden und einer bevorstehenden Wohnungsräumung Betroffener wendet sich in seiner Not im November 2019 an das Amt für Soziales und auch an die Bezirksverordnetenversammlung des Bezirksamtes Mitte. Er begehrt die Beschlagnahme seiner Wohnung nach § 17 Abs. 1 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) bzw. eine Enteignung nach dem Berliner Enteignungsgesetz von 1964, um seine Wohnungslosigkeit zu verhindern und bezahlbaren Wohnraum zu schützen.

Das Sozialamt nimmt sich der Sache an und stellt fest, dass die Person nicht selbst Mieter der Wohnung ist, seit 2005 aus schwer nachvollziehbaren Gründen keine Miete mehr gezahlt hat, deren Kostenübernahme beim Jobcenter nicht beantragt wurde und der geduldige Eigentümer nach wirksamer Kündigung in 2017 Ende November 2018 ein rechtskräftiges Räumungsurteil erwirkt hat. Das Amt für Soziales Mitte suchte den Betroffenen daraufhin mehrfach auf, bot ihm erfolglos unterstützende Maßnahmen nach dem SGB XII an, prüfte eine mögliche Kostenübernahme der rückständigen Mieten durch das Jobcenter und sorgte für den Aufschub der Räumung bis Ende Januar 2020. Zeitgleich trat der Leiter des Amtes für Soziales in intensive Verhandlungen mit dem Eigentümer. Dieser rückte zwar nicht von der Wohnungsräumung ab, bot dem Betroffenen Mitte Dezember 2019 aber eine andere Wohnung im selben Haus an. Das Sozialamt informierte die zuständige Gerichtsvollzieherin, erwirkte eine Zustimmung für das Wohnungsangebot sowie eine Übernahme der Mietkosten durch das Jobcenter und unterbreitete der betroffenen Person das Angebot. Diese bat um Bedenkzeit und um ein persönliches Gespräch mit der zuständigen Sozialarbeiterin, nahm den vereinbarten Termin aber nicht wahr. Trotz der Bemühungen der Sozialarbeiterin, den Betroffenen zu erreichen, kam er erst am 28.01.2019 ins Amt und holte sich noch immer unentschlossen hinsichtlich der Annahme des Wohnungsangebots den Mietvertrag ab. Während das Amt für Soziales den Eigentümer dazu überreden konnte, das Wohnungsangebot auch weiterhin aufrecht zu erhalten, wurde die Räumung der alten Wohnung auf den 26.02.2020 festgesetzt. Erst am 25.02.2020 schickte der Betroffene den bisher nur von ihm unterschriebenen Mietvertrag, der einen Mietbeginn bereits zum 01.02.2020 vorsah, als Fax an die zuständige Hausverwaltung. Am 26.02.2020 wurde die Räumung der alten Wohnung vollzogen. Wie auch das Amt für Soziales erst vor Ort feststellen musste, hatte der Eigentümer aber mittlerweile doch die Geduld verloren und sein Wohnungsangebot zurückgezogen, sodass das lange Zögern des Betroffenen trotz der intensiven Bemühungen des Sozialamtes Mitte zur Wohnungslosigkeit führte. Da das Amt für Soziales Mitte aber bereits im Vorfeld vorsorglich einen Wohnheimplatz reserviert hatte, konnte dem Betroffenen eine Bescheinigung über einen Unterkunftsplatznachweis ausgehändigt und seine Obdachlosigkeit verhindert werden.

Eine vom Betroffenen geforderte Enteignung oder Beschlagnahme der Wohnung zur Sicherung des Wohnraums wäre rechtlich dem Grunde nach zwar möglich gewesen, aber in dem speziellen Fall durch die alternative Unterbringungsmöglichkeit nicht angemessen. Enteignung oder Beschlagnahme bedeuten einen gravierenden Eingriff in den besonderen Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG, der ganz besondere Voraussetzungen erfordert. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen diese Maßnahmen als „ultima ratio“ nur angewendet werden, wenn die Behörden keine andere Möglichkeit der Unterbringung haben. Dabei handelt es sich im ordnungsrechtlichen Sinn nicht um die Versorgung mit gleichwertigem Wohnraum, sondern um eine Unterbringung, die geeignet ist, eine akute Gefahr von der Person abzuwenden. Bei einem Wohnheimplatz, der in Berlin in der Regel immer vorhanden ist, handelt es sich um eine solche alternative Unterbringung. Eine Enteignung oder Beschlagnahme der geräumten Wohnung wäre damit rechtswidrig gewesen.

Detaillierte Ausführungen zu den rechtlichen Möglichkeiten und Voraussetzungen der Beschlagnahme einer Wohnung durch die Ordnungsbehörde können Sie dem „Gutachten zur ordnungsbehördlichen Beschlagnahme von Wohnungen als Maßnahme gegen Obdachlosigkeit“ des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses vom 25.02.2019 entnehmen.

Medienkontakt:
Bezirksamt Mitte, Bezirksstadtrat Ephraim Gothe, Tel.: (030) 9018-44600