Offener Brief des Frauenbeirates zur Toilettensituation im Land Berlin

  • Berlin, im Juni 2022

An die
Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz
Am Köllnischen Park 3
10179 Berlin

Sehr geehrte Frau Senatorin Jarasch,
sehr geehrte Frau Dr. Karcher,
sehr geehrte Frau Dr. Niedball,

im Rahmen des Berliner Toilettenkonzepts wurden 278 öffentliche Toiletten in Berlin aufgebaut. Den Grundgedanken, mehr öffentliche Toiletten zu schaffen, begrüßen wir, mit der Umsetzung sind wir allerdings nicht einverstanden.

Das Konzept sieht vor, dass die Pissoirs kostenlos nutzbar sind, der Zugang zur Klokabine jedoch 50 Cent kostet. Dies stellt eine direkte Ungleichbehandlung von Menschen dar, die nicht im Stehen Pinkeln/ Urinale benutzen können (Männer). Davon sind unter anderem viele Frauen, Kinder, Menschen mit Beeinträchtigung und Senior*innen betroffen. So nimmt mit dem Alter aus anatomischen Gründen der Harndrang und damit die Häufigkeit und Dauer des Toilettengangs zu, wofür eine abgeschirmte Kabine notwendig ist.

Frauen haben genauso das Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen, wie Männer und nur weil die Vergangenheit gezeigt hat, dass Männer eher zum Wildpinkeln neigen, sollten Frauen nicht finanziell dafür büßen müssen, dass sie sich an die Regeln halten. Häufig verzichten Frauen beispielsweise unterwegs aufs Trinken, weil sie nicht wissen, ob sie unterwegs kostenlos eine Toilette aufsuchen können. Es gibt Menschen, die an Feiern in Parks oder öffentlichen Räumen teilhaben möchten, darauf aber verzichten, weil es keine Möglichkeit für sie gibt, kostenlos zu pinkeln. Auch ein ausreichender Zugang zur Menstruationshygiene ist für Frauen sehr wichtig. Dabei stellt das ständige Halten einer vollen Blase oder mangelnde Möglichkeiten Menstruationsprodukte angemessen hygienisch zu wechseln eine Beeinträchtigung der Gesundheit dieser Frauen dar. Einschlägige Studien haben gezeigt, dass Frauen, insbesondere durch die verringerte Aufnahmefähigkeit der Blase, dadurch auch häufiger an Blaseninfekten leiden.
Weltweit sind Frauen in Bezug auf Toiletten unterversorgt, und Gesundheitsprobleme aufgrund fehlender sanitärer Einrichtungen sind nicht auf Länder des globalen Südens beschränkt, sondern auch hierzulande ein Problem. Der Vereinten Nationen (UN) zufolge hat eine von drei Frauen keinen Zugang zu sicheren Toiletten.

Selbstverständlich betreffen diese Punkte nicht nur erwachsene Frauen, sondern auch Mädchen und andere Kinder, die zum Beispiel für die Nutzung eines Pissoirs zu klein sind oder nicht beim Urinieren beobachtet werden wollen.

Weiterhin ist es dringend erforderlich, auch in der Nähe von Spielplätzen, Toiletten zu etablieren. Die Praxis, kleinere Kinder in aller Öffentlichkeit „abzuhalten“ halten wir für absolut unangemessen.

Auch viele Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung sind von dieser Ungleichbehandlung direkt betroffen, so ist der öffentliche Raum in Berlin vielerorts nicht barrierefrei gestaltet, kommen jetzt auch noch die öffentlichen Toiletten dazu. Es kann nicht sein, dass ein Mensch aufgrund seiner Gewohnheit im Stehen zu Pinkeln, finanzielle Vorteile im Stadtleben genießt. Darüber hinaus werden öffentliche Toiletten auch von obdachlosen Frauen genutzt und schon vier Toilettengänge pro Tag würden aufgrund der nicht entgeltfreien öffentlichen Toiletten mindestens 2 Euro kosten.

In Berlin wurde bereits 2017 ein Toilettenkonzept erarbeitet, in dem das Ziel formuliert ist, das Thema öffentliche Toiletten als einen wichtigen Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge aufzuarbeiten und ein umfassendes Konzept für die künftige Versorgung mit öffentlichen Toiletten in Berlin zu erstellen. Aus dem Topf des Innovationsförderfonds sollen nun 2023 pro Bezirk zwei autarke Parktoiletten in Betrieb genommen werden. Hiermit können unseres Erachtens geschlechtsspezifische Toilettenbedürfnisse nicht umfassend abgedeckt werden.

Wir fordern die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz und insbesondere Sie als Senatorin und Staatssekretärinnen daher auf:
  • kostenlose öffentliche Toiletten für alle Menschen anzubieten, um den öffentlichen Stadtraum für eine inklusive demokratische Gesellschaft auszustatten, momentan ist ein Großteil der Berliner Primärversorgung an öffentlichen Toiletten nicht kostenlos, insbesondere für Menschen, die Grundsicherung beziehen
  • Besondere Bedürfnisse von Frauen*, Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und Senior*innen beim Toilettengang zu berücksichtigen und Toiletten inklusiv zu gestalten
  • Die Versorgungslücken zu schließen und private Initiativen wie die „nette Toilette“ durch den Senat zu finanzieren und um damit der Forderung nach Daseinsvorsorge gerecht zu werden – wie beispielsweise in Bremen
  • Bei der Planung öffentlicher Toiletten die Auswirkungen und Anforderungen durch die Corona-Pandemie zu berücksichtigen und den entsprechenden Mehrbedarf zu berücksichtigen
  • Intuitives Design von öffentlichen Toiletten (Intimität, Türmechanismus etc.) zu fördern
  • Frauenurinale, die ohne Wasser auskommen, wie in Neukölln (Missoir) wegen „zu hoher Unterhaltskosten“ nicht abzuschaffen, sondern flächendeckend anzubieten und zu bewirtschaften

Wir sehen uns ausdrücklich durch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Tempelhof-Schöneberg unterstützt, die sich bereits am 29.03.2022 darauf verständigte, dass öffentliche Toiletten für alle Geschlechter kostenfrei sein sollten. Der Antrag wurde von den Fraktionen. SPD, GRÜNE, Der LINKEN gestellt:
„Die Bezirksverordnetenversammlung empfiehlt dem Bezirksamt, sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, wie vom Frauenbeirat Tempelhof-Schöneberg angesprochen, dass das Urinieren in den sogenannten Citytoiletten für alle Geschlechter kostenfrei möglich ist und somit der Diskriminierung von Frauen und Menschen, die das Stehpissoirs nicht nutzen können, entgegengewirkt wird.“

Hierbei unterstützt uns ausdrücklich der Pankower Frauenbeirat, in dessen Bezirk bereits ein entsprechender Antrag eingebracht wurde.*
Zudem unterstützt der Frauenbeirat Pankow unser Anliegen und schließt sich unseren Forderungen mit an.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Frauenbeirat Tempelhof-Schöneberg
Im Auftrag
Judith Treiber
Sprecherin des Frauenbeirats

Pankows City Toiletten: Kostenfreie Nutzung für alle Geschlechter!

Wiedergabe der Drucksache – IX-0205 der BVV Pankow

Das Bezirksamt wird ersucht, sich bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz dafür einzusetzen, dass das Urinieren in den City Toiletten für alle Geschlechter kostenfrei in Pankow möglich ist.

SPD-Fraktion Pankow, Ulrike Rosensky, Roland Schröder

Begründung:

Auf öffentlichem Straßenland gibt es keine kostenlosen Toiletten für Frauen* oder für Menschen, die nicht im Stehen Urinieren können oder wollen. Hingegen haben aber Menschen, die Pissoirs nutzen können und wollen, die Möglichkeit, an 12 verschiedenen Standorten in Pankow, dies zu tun. Siehe Kleine Anfrage: KA-0158/IX.

Dieser Diskriminierung von Frauen und Menschen, die Stehpissoirs nicht nutzen können, muss entgegengewirkt werden.

Die neu geschaffenen City Toiletten sind kostenpflichtig. Sie bestehen aus zwei Teilen. Auf der einen Seite ein kostenpflichtiger Bereich mit Sitztoilette und Wickeltisch, auf der anderen Seite ein frei zugänglicher Bereich zum Urinieren im Stehen. Dieser Bereich ist kostenfrei und wurde geschaffen, um der “Wildpinkelei” von Männern, vorzubeugen.

Noch immer verdienen Frauen* rund 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen und tragen bis heute die Hauptlast, wenn es um Pflege- Sorgearbeit geht. Auch die Renten von vielen Senior:innen sind auf niedrigem Niveau.

Es sind mehrheitlich die Frauen*, des Nachmittags auf den Spielplätzen mit ihren Kindern unterwegs sind. Selbst für das Wickeln ihrer Kleinkinder fallen Kosten an. Dieser Zustand ist ungerecht und muss angepasst werden, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, der natürlichsten Sache im Alltag, unterwegs kostenfrei nachgehen zu können.