Rechtliche Bedeutung von Erhaltungsverordnungen

Was bedeutet “Erhaltung der städtebaulichen Eigenart”?

Die “Verordnung über die Erhaltung der baulichen Anlagen und der städtebaulichen Eigenart des Gebietes Neu-Tempelhof” soll, wie es in § 2 heißt, “die städtebauliche Eigenart des Gebietes aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt” erhalten. Was ist damit gemeint?
Der Ausdruck “städtebauliche Eigenart” wird im § 172 Baugesetzbuch verwendet. (Dieser Paragraf ist die Gesetzesgrundlage für die Erhaltungsverordnung. In Berlin werden aufgrund gesetzlicher Regelungen keine Erhaltungssatzungen, sondern -verordnungen erlassen).
Welche Gebiete können eine städtebauliche Eigenart aufweisen? Dies können z.B. Siedlungen und Stadtviertel, aber auch alte Stadt- oder Dorfkerne sowie Einzelbauten sein.
Was heißt “städtebauliche Eigenart”? Bebaute Gebiete, aber auch Einzelgebäude weisen gemäß dem Baugesetzbuch dann eine städtebauliche Eigenart auf, wenn sie ihr Ortsbild oder ihre Stadtgestalt (zum Beispiel der Stadtgrundriss) prägen. Das ist z.B. bei einer Bebauung der Fall, welche typisch für ihre stadtgeschichtliche Epoche ist oder wenn es sich um einen berühmten Entwurfsverfasser_in handelt. Das bebaute Gebiet muss jedoch nicht unbedingt eine geschichtliche Besonderheit aufweisen, es genügt auch ein rein städtebaulich erhaltenswertes Erscheinungsbild.
Wichtig für den Erlass einer Erhaltungsverordnung ist jedoch, dass die erhaltenswerte Eigenart noch vorhanden ist, also die Gebäude und anderen baulichen Anlagen nicht soweit verändert wurden, dass das Gebietstypische verloren gegangen ist.

Was ist bei der Siedlung Neu-Tempelhof erhaltenswert?

Die Siedlung Neu-Tempelhof ist eine in den 20 er Jahren nach sozialreformerischen Grundsätzen konzipierte und realisierte Siedlung. Trotz ihrer langen Entstehungszeit und den damit verbundenen Überarbeitungen der ursprünglichen Entwürfe stellt sie eine konzeptionelle Einheit aus Geschosswohnungsbauten und Einfamilienhäusern dar. Aufgrund ihrer Größe ist sie einmalig in Berlin. Namhafte Architekten wie Bruno Möhring (Idee des Parkgürtels) und Fritz Bräuning (Architekt und Baustadtrat in Tempelhof) können als die Väter der Siedlung Neu-Tempelhof genannt werden, auch wenn weitere Architekten an der Siedlung beteiligt waren. Die Siedlung spricht jeden Besucher durch ihre Einheit in der Vielfalt an und gerade die Gartenstadt überzeugt durch ihren grünen Charakter.
Die Erhaltenswürdigkeit der Siedlung Neu-Tempelhof ergibt sich nicht nur aus ihrer historischen Bedeutung. Sie verfügt zusätzlich über ein schützenswertes Ortsbild und über eine bemerkenswerte Stadtgestalt.

Die Besonderheit der Stadtgestalt der Siedlung Neu-Tempelhof ergibt sich vor allem aus

  • einem geschlossenen Siedlungsbereich in einem heterogenem Stadtgefüge,
  • einem zentralen Parkgürtel,
  • einem klaren Siedlungsgrundriss (Straßenführung, inneres Wegenetz, Parzellierung, Gebäudekörperstellung) nach sozialreformerischen Vorstellungen der 20 er Jahre des 20. Jh.,
  • Siedlungssymmetrie als wesentliches Gestaltungselement.

Die Besonderheit des Ortsbildes, als Ganzes aber auch je Bauabschnitt, lässt sich beschreiben durch

  • die Anordnung von Doppel- und Reihenhäusern sowie Blockrandbebauung und Zeilenbauten in Ergänzung mit Einfriedungen gemäß einem klaren städtebaulichen Konzept,
  • wirkungsvolle Blickbeziehungen und raumbildende Gebäudestellungen,
  • die für 20er Jahre typische Siedlungsymmetrie,
  • den Entwurf von verschiedenen Haustypen bei Verwendung gleicher oder ähnlicher Gestaltungselemente,
  • großzügige begrünte öffentliche und private Freiflächen,
  • bei den Bauten der 20 er Jahre Verwendung typischer Formen und Farben des Traditionalismus: axiale Gebäudegliederung, Sattel- und Walmdächer, bewusste Betonung von Eingangsbereichen, Stuckelemente, meist stehende Fenster mit Läden; verputzte Fassaden, Verwendung von Erdfarben.
  • Vielfalt in der Einheit und somit individuelle und ausgewogene Gestaltung der Bauten.

Konnte die städtebauliche Eigenart der Siedlung Neu-Tempelhof denn überhaupt 80 Jahre lang bewahrt werden?

Diese Frage ist mit einem eindeutigen Ja zu beantworten.
Sowohl die Stadtgestalt als auch das Ortsbild, hier überwiegend der Wohnanlagen, sind weitestgehend unverändert. Auch wenn Änderungen vorgenommen wurden, ist die städtebauliche Eigenart dieser Bereiche über die Jahrzehnte hinweg noch gut erhalten geblieben. In der Gartenstadt sind die Veränderungen aufgrund der Eigentumsverhältnisse offensichtlich stärker vorgenommen worden. Kriegszerstörungen, die beschränkten Möglichkeiten für den Wiederaufbau aber auch individuelle Veränderungswünsche vor Erlass der Erhaltungsverordnung gingen zu Lasten der Einheitlichkeit der Gartenstadt Neu-Tempelhof. Dass die genannten, das Ortsbild der Siedlung prägenden Merkmale, weiterhin dominieren, ist für den Betrachter jedoch offenkundig. Eine Ausnahme bilden sicherlich die Fensterläden, die kaum noch erhalten geblieben sind, und teilweise die Farbgebung. Es zeigt sich jedoch, dass immer mehr “Gartenstädter” der Bedeutung der historischen und für Berlin einmaligen Siedlung Rechnung tragen und sich nicht nur für ihren Erhalt, sondern auch für die Rekonstruktion ihrer Häuser einsetzen. Genauso wie die Fehlentwicklungen ein langfristiger Prozess waren, wird ihr Heilen auch lange Zeit dauern. Dies sollte weder enttäuschen noch die Erhaltungsverordnung in Frage stellen. Die Erhaltungsverordnung hat in den letzten zwölf Jahren weitere dem Siedlungscharakter zuwiderlaufende Entwicklungen im Einklang mit den Interessen der Eigentümer verhindern können.

Was soll durch die Erhaltungsverordnung geschützt werden?

Die Schutzgüter ergeben sich aus dem oben beschriebenen Ortsbild und der Stadtgestalt, und betreffen folglich sowohl öffentliche als auch private Flächen: Straßen- und Wegeführung einschließlich Straßeneinteilung, Grundstückszuschnitte, Wohnnutzung sowie andere Nutzungen, durch welche die städtebauliche Gestalt der Siedlung nicht beeinträchtigt wird, gärtnerisch angelegte Freiflächen, das Erscheinungsbild der baulichen Anlagen (Kubatur einschließlich Dach, Fassadengliederung und -gestaltung sowie Einfriedungen).

Welche Änderungen sind auf der Grundlage der Erhaltungsverordnung zulässig?

Der Erlass der Erhaltungsverordnung gibt vor, dass seit 1991 der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung aber auch die Errichtung baulicher Anlagen der Genehmigung nach § 173 Baugesetzbuch bedürfen. Somit sind auch Änderungen genehmigungspflichtig, die auf der Grundlage der Bauordnung Berlin keiner Genehmigung bedürfen. Nur durch diesen sogenannten Genehmigungsvorbehalt kann geprüft werden, ob die gewünschte Maßnahme der städtebaulichen Eigenart der Siedlung Neu-Tempelhof entgegensteht.
Welche Kriterien liegen der Beurteilung eines Antrages zugrunde? Das gesetzlich vorgeschriebene Kriterium für die Beurteilung ist die “städtebauliche Eigenart” der Siedlung Neu-Tempelhof “aufgrund ihrer städtebaulichen Gestalt”. Die Siedlung hat jedoch viele Gesichter: Die Gestalt der Gartenstadt ist geprägt durch vielfältige Haustypen aus verschiedenen Bauabschnitten. Der Gartenstadt liegt dabei ein klares Symmetriekonzept zugrunde. Ähnlich ist es bei den Wohnanlagen der 20er und 50er Jahre, wobei die Gestaltungsvielfalt nicht so ausgeprägt ist.
Der Fachbereich Planen ist Genehmigungsbehörde für Anträge auf der Grundlage der Erhaltungsverordnung. Damit nicht in jedem Einzelfall die städtebauliche Eigenart neu dargelegt werden muss und, um einen einheitlichen und nachvollziehbaren Umgang mit dem schützenswerten Gebiet zu ermöglichen, wurden im Fachbereich Planen Leitlinien erarbeitet, die sie sofort abrufen können. Die Leitlinien können jedoch weder die historische Vielfalt noch mögliche Ausnahmetatbestände berücksichtigen. In jedem Einzelfall muss der historische Haustyp mit seinen typischen Gestaltungsmerkmalen (u.a. Farb- und Putzgestaltung, Stuckelemente) berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssen der Zustand des Gebäudes zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses (also 1991) und die räumliche Umgebung in die Beurteilung mit einbezogen werden.

Was muss ich als Eigentümer_in tun, wenn ich mein Haus oder etwas anderes auf dem Grundstück verändern möchte?

Wenn Sie Veränderungen planen, ist es empfehlenswert einen Bauberatungstermin beim Fachbereich Planen zu vereinbaren (Frau Reißner, Tel: 90277-2429) oder über Gabriele.Reissner@ba-ts.berlin.de), um die geplanten Maßnahmen im Einzelnen abzustimmen.
Dabei ist es erst einmal nicht erforderlich, exakte Planungen vorzulegen. Es genügt vielfach anhand eines Lageplanes oder Fotos seine Vorstellungen darzulegen. In den meisten Fällen kann hier bereits abgestimmt werden, welche Maßnahmen genehmigungsfähig sind und welche nicht.

Als Eigentümer_in können Sie sich im Archiv des Fachbereich Genehmigen Unterlagen, z.B. Genehmigungszeichnungen, über Ihr Haus heraussuchen lassen.
Bei Fragen zur Farb- und Putzgestaltung beraten wir Sie auf der Grundlage von Untersuchungen des Fachbereich Planen über die historische Fassadengestaltung.
Wir informieren Sie selbstverständlich auch hinsichtlich der möglichen Notwendigkeit, eine bauordnungsrechtliche Genehmigung einzuholen.
Die vom FB Planen ausgestellte Genehmigung ist gebührenpflichtig gemäß Baugebührenordnung vom 16.10.2001. Es werden Gebühren in Höhe von 0,4% der Herstellungskosten, jedoch mindestens 132,- Euro erhoben.