159. Kiezspaziergang

Vom Jakob-Kaiser-Platz zur Gedenkkirche Maria Regina Martyrum und Karmel-Kloster

Start Kiezspaziergang am 14.3.2015

Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann

Treffpunkt: Am U-Bahnhof Jakob-Kaiser-Platz, östliche Seite des Kurt-Schumacher-Damms, Länge: ca. 1,6 km

Kartenskizze

Sehr geehrte Damen und Herren!
Herzlich willkommen zu unserem 159. Kiezspaziergang. Am 8. März war der Internationale Frauentag. Dies nehmen wir heute zum Anlass vor allem den Widerstandskämpferinnen, aber auch einigen Widerstandkämpfern gegen die NS-Diktatur zu gedenken. Hier in der Nähe befindet sich ja die Gedenkstätte Plötzensee, die leider etwas zu weit ist, als dass wir sie heute besuchen könnten, in der zahlreiche Gegner und Gegnerinnen des NS-Regimes hingerichtet wurden. Die Straßen der Paul-Hertz-Siedlung, vor der wir stehen, tragen alle die Namen von Widerstandskämpfern und –kämpferinnen. Deren Leben wollen wir heute nachspüren. Am Schluss werden wir gleich zu zwei Höhepunkten gelangen, denn wir werden sowohl in der Gedenkkirche Plötzensee am Heckerdamm 226 empfangen werden, und zwar von Pfarrer Maillard, als auch in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum von Schwester Maria Theresia. In beiden Kirchen werden wir eine kleine Führung bekommen.

Bevor wir beginnen, möchte ich Ihnen den nächsten Treffpunkt für unseren 160. Kiezspaziergang mitteilen. Es ist wie immer der zweite Samstag des Monats, also der 11. April, um 14.00 Uhr. An diesem Tag werde ich nicht in Berlin sein, und deshalb wird Bezirksstadträtin Dagmar König meine Vertretung übernehmen. Im April und Mai dieses Jahres jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Zerstörung und der Wiederaufbau war für die öffentliche Verwaltung eine große Herausforderung. Frau König wird deshalb mit Ihnen am Rathaus Charlottenburg beginnen und mit Ihnen bis zur Villa Oppenheim spazieren, wo am Ende des Krieges das Standesamt, aber auch ein Lazarett und ein Leichenkeller untergebracht war. Unterwegs gibt es aber natürlich viele weitere interessante Dinge zu entdecken.

Bevor wir mit unserem Spaziergang beginnen, noch einige Informationen zum Namensgeber des Jakob-Kaiser-Platzes:

Station 1: Jakob-Kaiser-Platz

Der frühere Siemensplatz wurde 5 Tage nach seinem Tod am 12. Mai 1961 nach dem Widerstandskämpfer und CDU-Politiker Jakob Kaiser benannt. Jakob Kaiser wurde am 8. Februar 1888 in Hammelburg in Unterfranken geboren. Von Beruf war er Buchbinder. Er engagierte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg in der christlichen Gewerkschaftsbewegung und kam 1921 als deren Geschäftsführer nach Berlin. Im März 1933 wurde er Reichstagsabgeordneter für die Zentrumspartei und stimmte zunächst intern gegen das Ermächtigungsgesetz, beugte sich aber am Ende dem Fraktionszwang und stimmte dann in der entscheidenden Abstimmung im Reichstag zu. Im Mai 1933 weigerte er sich, die verordnete Auflösung der christlichen Gewerkschaften zu akzeptieren und wurde arbeitslos. Er verblieb aber im Führerkreis der Vereinigten Gewerkschaften und versuchte als Gegengewicht zu den Nationalsozialisten die Richtungsgewerkschaften zu einer Einheitsgewerkschaften zusammenzuschließen. Zudem war er im Vorstand des Kölner Kreises, einem Netzwerk von widerständischen Katholiken im Rheinland und in Westfalen, das für die Einrichtung einer parlamentarischen Demokratie nach dem Ende der NS-Herrschaft stand. Er hatte auch Kontakte zum Widerstandskreis um Stauffenberg und konnte nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 in einem Versteck in Babelsberg überleben. Nach dem Krieg setzte sich Kaiser für die Gründung von Einheitsgewerkschaften ein und war Mitbegründer der CDU in Ost-Berlin.
1947 ging er nach West-Berlin und war von 1949 bis 1957 Bundestagsabgeordneter und Minister für Gesamtdeutsche Fragen. Als Stellvertretender CDU-Vorsitzender kritisierte er die alleinige Orientierung Adenauers nach Westen. Er sah Deutschland als wichtige Brücke zwischen Ost und West. 1958 wurde er Ehrenbürger Berlins. Jakob Kaiser starb 1961 in Berlin. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Waldfriedhof Zehlendorf.
Der U-Bahnhof Jakob-Kaiser-Platz wurde 1980 als Teil der U 7 von Rudow nach Rathaus Spandau eröffnet. Die Station wurde von Rainer G. Rümmler entworfen und sollte zunächst den Namen “Charlottenburg Nord” erhalten.

Bauwagen Jackie, 14.03.2015

Station 2: Bauwagen JACKIE

Wir gehen nun auf den Spielplatz hier gleich vorne zu dem Bauwagen Jackie, der im Sommer Mädchen eine besondere Möglichkeit für ihre Freizeitgestaltung bietet. Auch wenn wegen der noch winterlichen Witterung der Bauwagen momentan nicht geöffnet ist, wird uns Frau Schütt, die in unserem Bezirk für die Koordination der Mädchenarbeit zuständig ist, dort etwas zu dem Projekt JACKIE berichten, das von dem Verein LISA, Laden für interkulturelle Sozialarbeit, getragen wird.

Frau Schütt und Frau Grabner, 14.03.2015

Vom Verein ist Frau Grabner gekommen. Ich begrüße Frau Schütt und Frau Grabner zu unserem Kiezspaziergang.

Ich übergebe das Wort an Frau Schütt und Frau Grabner.
Vielen Dank Frau Schütt und Frau Grabner!

Wir gehen nun in die Paul-Hertz-Siedlung hinein.

Station 3: Paul-Hertz-Siedlung

Die Paul-Hertz-Siedlung wurde 1960-65 nach Plänen von Wils Ebert, Werner Weber und Fritz Gaulke auf einem ehemaligen Kleingartenland am Heckerdamm, östlich des Kurt-Schumacher-Damms für die GEWOBAG errichtet. Sie galt als ein Musterbeispiel für die „aufgelockerte Stadt“. Das heißt: Die Häuser stehen nicht direkt an der Straße, sondern eher versteckt im Grünen. In den achtstöckigen Häusern gibt es mehr als 2.600 Wohnungen. Es sind überwiegend kleine Wohnungen zwischen 1 ½ und 3 Zimmern. Die durchschnittliche Wohnungsgröße beträgt 65 qm. Wegen der Luftsicherheit verlangte die alliierte Flugsicherheitsbehörde, die ursprünglich geplanten 13 Stockwerke auf 8 zu reduzieren. Nach dem Abzug der Alliierten wurden von 1993 bis 1996 viele Gebäude trotz heftigster Mieterproteste aufgestockt. Die Straßen wurden nach Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern benannt, weil sich in unmittelbarer Nähe die 1952 eingeweihte Gedenkstätte Plötzensee befindet. Die meisten der hier auf den Straßenschildern geehrten Widerstandskämpfer und –kämpferinnen wurden in Plötzensee hingerichtet. Auch die katholische Gedenkkirche und das evangelische Gemeindezentrum erinnern eindrucksvoll an den Nationalsozialismus. Die 1966 eingeweihte Grundschule erhielt den Namen des Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke. Die Siedlung schließt an die seit 1929 entstandene Siedlung Siemensstadt in Charlottenburg-Nord an. Ihr westlicher Teil auf der anderen Seite des Kurt-Schumacher-Damms wurde von 1956 bis 1961 gebaut.

Der Wohnungsbau hier in Charlottenburg-Nord sollte die Wohnungsnot der Nachkriegszeit beheben. Paradoxerweise verstärkte er diese zunächst, da für die großflächigen Baumaßnahmen viele Laubenkolonien aufgegeben werden mussten, die in der Nachkriegszeit vielfach als Wohnersatzraum genutzt wurden.
Die Siedlung auf dieser Seite des Kurt-Schumacher-Damms wurde benannt nach dem 1961 verstorbenen SPD-Politiker Paul Hertz, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg für den Wiederaufbau im damaligen West-Berlin eingesetzt hatte. Der 1887 geborene Paul Hertz trat 1905 in die SPD ein und war von 1920 bis 1933 Mitglied des Reichstages. Er emigrierte 1933 und engagierte sich in den USA im „Council for a Democratic Germany“, in dem linksbürgerliche Demokraten, Sozialisten und Christen beider Konfessionen sowie eine Anzahl namhafter Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler aktiv waren und für ein demokratisches Nachkriegsdeutschland kämpften.

Ernst Reuter holte ihn 1949 nach Berlin zurück. Hertz hatte bis zu seinem Tod mehrere Senatorenposten inne: Marshall-Plan und Kreditwesen, Wirtschaft und Finanzen. Als Senator war er auch für das Berliner Notstandsprogramm zuständig. Er starb 1961 und hat ebenfalls ein Ehrengrab auf dem Waldfriedhof Zehlendorf.
In der Paul-Hertz-Siedlung leben rund 3000 Mieter, davon sind 1400 Kinder und Jugendliche; etwa vierzehn Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner sind ausländischer Herkunft.

Station 4: Klausingring

Der Klausingringwurde am 23.11.1962 nach Friedrich Karl Klausing benannt.
Klausing wurde 1920 in München geboren und am 8. August 1944 in Plötzensee hingerichtet. Er war Offizier der deutschen Wehrmacht und gehörte zur Gruppe um Graf von Stauffenberg, die mehrere Attentate gegen Hitler vorbereitete.
Nach Einsätzen in Frankreich und Polen nahm Klausing an der Schlacht von Stalingrad teil. Dort kamen ihm zunehmend Zweifel über die Sinnhaftigkeit des Krieges. Nach einer Verwundung wurde er in den Innendienst versetzt, wo er von Schulenburg kennenlernte, der ihn in die Attentatspläne der Gruppe um Stauffenberg einweihte. Klausing übernahm die Organisation der Flucht bei den ersten beiden Attentatsversuchen, die abgebrochen werden mussten. Am 20. Juli selbst war er für die Übermittlung von Nachrichten zuständig. Nach dem Scheitern des Attentats konnte er zunächst fliehen, stellte sich aber am nächsten Tag der Gestapo und wurde im ersten Schauprozess vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am selben Tag im Hinrichtungsschuppen in Plötzensee erhängt.

Station 5: Bernhard-Lichtenberg-Straße

Die Bernhard-Lichtenberg-Straße liegt zwischen Heckerdamm und Reichweindamm und wurde am 23.11.1962 nach dem Theologen Bernhard Lichtenberg benannt.
Er wurde am 3.12.1875 in Ohlau in Schlesien geboren und kam 1900 als katholischer Priester nach Berlin-Lichtenberg. Er war von 1913 bis 1930 Seelsorger in der Herz-Jesu-Kirche in Alt-Lietzow in Charlottenburg, ab 1932 Dompfarrer an der St. Hedwigs-Kathedrale und dann ab 1938 Dompropst in Berlin. Er gehörte zum Vorstand des Friedensbundes Deutscher Katholiken und predigte engagiert gegen den Nationalsozialismus. Er rettete Verfolgte vor der Gestapo, wurde 1941 verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Am 5.11.1943 starb er in Hof auf dem Transport ins KZ Dachau.

Straßenschild Kirchnerpfad mit Erläuterung, 14.03.2015

Station 6: Kirchnerpfad

Der Kirchnerpfad wurde am 23.11.1962 nach der Journalistin, Sozialarbeiterin und Widerstandskämpferin Johanna Kirchner, geborene Stunz, benannt. Sie wurde am 24.4.1889 in Frankfurt am Main geboren und gehörte seit ihrem 14. Lebensjahr der Sozialistischen Arbeiterjugend an. Mit 18 trat sie in die SPD ein.
Im ersten Weltkrieg engagierte sie sich in der kommunale Wohlfahrtspflege, vor allem kümmerte sie sich um Frauen und Kinder, und baute nach dem Krieg die Arbeiterwohlfahrt mit auf. 1923 rief sie die „Ruhrkinder-Aktion“ ins Leben und ermöglichte dadurch armen Kindern aus dem Ruhrgebiet Ferienaufenthalte in der Schweiz und bei Frankfurter Familien.
Als Journalistin berichtete sie über SPD- und Gewerkschaftsveranstaltungen. 1933 beteiligte sie sich an der Befreiung eines Regimegegners und musste deshalb in das damals französische Saarland fliehen. Dort engagierte sie sich in der Roten Hilfe und dem Hilfskomitee für verfolgte Antifaschisten. Die beiden Organisationen brachten viele Menschen aus der deutschen Arbeiterbewegung im Ausland in Sicherheit. Sie arbeitete in einer Pension, die Marie Juchacz als Treffpunkt für Flüchtlinge eingerichtet hatte. Es gab dort bezahlbares Essen und Trinken, und man konnte sich dort über die neuesten Informationen und Entwicklungen austauschen.
1935 wurde das Saarland annektiert und Kirchner floh weiter nach Frankreich, wo sie sich der Résistance anschloss. 1940 wurde Kirchner von der Vichy-Regierung verhaftet und zuerst in Paris und dann in Gurs in Südfrankreich interniert. Ihr gelang mit Hilfe des Lagerkommandanten die Flucht. Nach ihrer erneuten Verhaftung wurde sie am 17.7.1942 an die Gestapo ausgeliefert und im Mai 1943 vom Volksgerichtshof zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 20.4.1944 wurde das Urteil in eine Todesstrafe umgewandelt, die am 9.6.1944 in Plötzensee vollstreckt wurde.
1951 gründete die Arbeiterwohlfahrt Frankfurt am Main die Johanna-Kirchner-Stiftung, die sich um die Pflege von alten und pflegebedürftigen Menschen kümmert.
Die Fachhochschule Frankfurt a. M. verleiht zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt seit 2011 jährlich den Johanna-Kirchner-Preis für eine herausragende Abschlussarbeit im Fachbereich Arbeit und Gesundheit.
Am 5.7.2012 wurde in der Bahnhofstraße 80 in Saarbrücken, wo früher die Fremdenpension stand, ein Stolperstein zur Erinnerung an Johanna Kirchner verlegt.

Station 7: Reichweindamm

Der Reichweindamm wurde am 23.11.1962 nach dem Pädagogen, Kulturpolitiker und Widerstandskämpfer Adolf Reichwein benannt. Er verläuft vom Goerdelerdamm über den Heckerdamm in eine Laubenkolonie und geht dann in die Straße 70 über.
Adolf Reichwein wurde am 3.10.1898 in Bad Ems geboren und trat 1930 in die SPD ein. Er war Professor für Geschichte in Halle und wurde 1933 aus dem Hochschuldienst entlassen. Man versetzte ihn als Dorfschullehrer nach Tiefensee bei Berlin. Ab1939 leitete er die Schulabteilung des Volkskundemuseums in Berlin. Er war Mitglied des Kreisauer Kreises und hatte Kontakte zu kommunistischen Widerstandsorganisationen. Am 4.7.1944 wurde er verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 20.10.1944 in Plötzensee hingerichtet.

Station 8: Terwielsteig

Der Terwielsteig wurde am 23.11.1962 nach der Juristin Maria Terwiel benannt.
Maria Terwiel wurde am 7.6.1910 in Boppard geboren. Ihr Vater Johannes Terwiel war ein hoher katholischer Verwaltungsbeamter und Mitglied der SPD. Ihre jüdische Mutter Rosa Schild konvertierte vor der Eheschließung zum katholischen Glauben. Die Familie zog berufsbedingt nach Stettin, wo Maria Terwiel ihr Abitur verlegte. 1931 begann sie ein Jura-Studium in Freiburg im Breisgau. Dort lernte sie auch ihren evangelischen Lebensgefährten HelmutHimpel kennen. Beide studierten dann in München weiter. Sie begann zwar noch ihre Promotion, aber inzwischen galt sie als Halbjüdin, und es war für sie weder möglich das erste Staatsexamen noch ihre Promotion abzuschließen. Auch eine Eheschließung mit Helmut Himpel war aus diesem Grund nicht mehr möglich.
Das Paar zog nach dem Studium nach Berlin, wo Maria Terwiel eine Stelle in einem französisch-schweizerischen Textilunternehmen fand. Es ist nicht genau bekannt, welche Stellung sie dort innehatte. In den Akten des NS-Regimes wird sie als Stenotypistin oder Telefonistin bezeichnet. HelmutHimpel eröffnete eine erfolgreiche Zahnarztpraxis, in der er auch kostenlos jüdische Patienten behandelte. Das Paar zog nach Charlottenburg.
Maria Terwiels Arbeit im Widerstand bestand hauptsächlich aus dem Versuch, die Bevölkerung über die Verbrechen des Regimes und die Sinnlosigkeit des Krieges aufzuklären. Sie organisierte aber auch Reisepässe und Lebensmittelkarten und Verstecke für viele Verfolgte des Nazi-Regimes, vor allem für Juden. Sie vervielfältigte Flugblätter und klebte Protestplakate.
So schreibt Joachim Hennig:

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Das soziale Engagement der beiden und ihr Einsatz für Diskriminierte und Verfolgte nahm mit dem von Hitler-Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg weiter zu. Belegt ist dies etwa für Maria Terwiel. Als der französische Leiter der Firma, bei der sie beschäftigt war, auf Verlangen der Nazis als Kriegsgefangener behandelt werden musste, konnte sie mit Geschick und Umsicht erreichen, dass er seine Zwangsarbeit wenigstens in diesem Betrieb ableisten konnte.
Einmal entging sie nur ganz knapp der Verhaftung. Als sie wieder einmal einer jüdischen Familie Lebensmittel brachte, wurde diese von der anrückenden Gestapo verhaftet. In letzter Minute konnte sie sich hinter einem Vorhang verstecken und damit einer Verhaftung entgehen. Hautnah vom Schicksal der Juden betroffen, war Maria Terwiel aber auch aus einem weiteren Grund, war doch ihre Mutter selbst Jüdin. Sie lebte zwar in einer sog. Mischehe, doch wurde – wie Maria Terwiel erkannte – die zunehmende Verfolgung auch für ihre Mutter immer besorgniserregender.

Maria Terwiel und Helmut Himpel kamen mit der Widerstandsgruppe um Libertas und Harro Schulze-Boysen in Kontakt, die von der NSDAP als „Rote Kapelle“ bezeichnet wurde. Der Name kam laut Stefan Roloff, dem Sohn des Pianisten Helmut Roloff, so zustande:

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Wegen ihres Kontaktes mit den Sowjets wurden die Brüsseler und Berliner Gruppen von der Spionageabwehr und der Gestapo unter dem irreführenden Namen Rote Kapelle zusammengefasst. Ein Funker, der mit seinen Fingern Morsecodezeichen klopfte, war in der Geheimdienstsprache ein Pianist. Eine Gruppe von „Pianisten“ bildete eine „Kapelle“, und da die Morsezeichen aus Moskau gekommen waren, war die „Kapelle“ kommunistisch und damit rot. Durch dieses Missverständnis wurde die Basis gelegt, auf der die Widerstandsgruppe später als den Sowjets dienende Spionageorganisation in der Geschichtsschreibung behandelt wurde, bis das zu Beginn der 1990er Jahre korrigiert werden konnte. …

Der Pianist Helmut Roloff beschreibt, wie er die beiden kennenlernte und zu der Roten Kapelle stieß:

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Dann kam der Krieg. Und da lernte ich bei einem Mann, in dessen Haus ich viel musizierte, der selbst auch musizierte, einen Zahnarzt kennen, der hieß Helmut Himpel. Das war auch so einer, da merkte man gleich an der Nasenspitze nach ein paar Sätzen, was der sich so dachte. Wir kamen dann immer sehr gut ins Gespräch. Er hatte eine Freundin, Marie Terwiel, und wer etwas von der „Roten Kapelle“ weiss, der kennt diese Namen schon. Und dann sagte der eines Tages zu mir, ob wir zusammenarbeiten wollten? Ich wusste im ersten Moment nicht, was er meinte. Und da sagte er: „Ich gebe ja meinen Kopf in Ihre Hand mit dieser Frage.“ Und da wusste ich dann, was er meinte, und da habe ich gesagt: „Gut, das können wir ja mal machen.“[…] Und dann haben wir uns ein bißchen näher besprochen darüber und haben verschiedene Dinge gemacht […]. Diese Sachen haben uns sehr beschäftigt, und dabei saßen dann eben Helmut Himpel und seine Freundin Marie Terwiel, sie war eine „Halbjüdin“ und durfte deshalb nicht weiter Jura studieren, und schlug sich durch mit Sekretärsarbeiten. Sie bestand im Grunde nur aus Nazi-Haß, möchte ich mal sagen, so waren wir eigentlich alle. Dann war noch ein Älterer dabei, der hieß John Graudenz, das war ein Kommunist. Wir waren keine Kommunisten, wir waren einfach, na, wie soll ich das nennen, liberale Bürger, die nicht das Dritte Reich hinnehmen wollten, und deshalb alles versuchten. Nicht etwa, daß wir sagen wollten: „Mit den Kommunisten arbeiten wir nicht“, sondern wir arbeiteten alle zusammen, jeder, der dagegen war und helfen wollte, war willkommen […].

Ein Beispiel für eine Aufklärungsaktion, die 1941 stattfand, war die Verbreitung einer Predigt des Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen, in der er die Tötung des von den Nazis so genannten „lebensunwerten Lebens“: Kranke und geistig, psychisch und körperlich Behinderte, anprangerte. Dazu schrieb Terwiel die Predigt auf Schreibmaschine ab, suchte hunderte, wenn nicht tausende von Adressen aus Telefonbüchern von Personen heraus, die sie als aufgeklärt einschätzte, und schickten ihnen die Predigt zu. Diese Aktion war insofern erfolgreich, als dass das Regime die Tötungsaktionen erst einmal abbrechen mussten, ehe sie in veränderter Form später wieder aufgenommen wurden.Zudem war sie auch maßgeblich an der Verbreitung der Schrift: „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“ beteiligt. Maria Terwiel organisierte noch zahlreiche weitere Aufklärungsaktionen.

Im August 1942 wurden die Mitglieder der „Roten Kapelle“ enttarnt und nach und nach verhaftet. Maria Terwiel und Helmut Himpel wurden von der Gestapo am 17.9.1942 gemeinsam aus ihrer Wohnung geholt. Die Prozesse fanden vor dem Reichskriegsgericht statt. Beide wurden zum Tod durch die Guillotine verurteilt. Ihr Gnadengesuch wurde abgelehnt. Maria Terwiel starb am 5.8.1943 in Plötzensee.
Laut Joachim Hennig brüstete sich der Chefankläger in diesen Prozessen später damit, es sei ihm gelungen, rund hundert Intellektuellen und Arbeitern den Kopf vor die Füße zu legen.
An ihrem früheren Wohnhaus in der Lietzenburger Straße 72 gibt es ihr und ihrem Mann zu Ehren einen Stolperstein.

Nun gehen wir weiter zum Gloedenpfad:

Station 9: Gloedenpfad

Der Gloedenpfad wurde am 5.3.1963 nach der Juristin Elisabeth Charlotte Gloeden benannt.
ElisabaethGloeden und ihr Mann unterstützten den Widerstand, indem sie Verfolgte des Nazi-Regimes selbst versteckten oder ihnen halfen, einen Unterschlupf zu finden.
Dazu schreibt die Übersetzerin und Schriftstellerin Josepha von Koskulla in ihrem Zeitzeugenbericht:

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Bei meinen Bekannten Gloedens gingen viele Juden aus und ein und Dr. Gloeden verschaffte ihnen, wie ich einmal von seiner Frau erfuhr, falsche Papiere. Die Juden mußten aber dazu einen Selbstmord vortäuschen, meist ließen sie ihre Kleider an dem Ufer eines Sees in der Umgegend von Berlin liegen und sorgten dafür, daß ein Judenpaß oder sonst ein Dokument dabei lag. Wenn dann die Polizei von dem Selbstmord Kenntnis genommen hatte, konnte der Jude sicher sein, nicht mehr gesucht zu werden. Gloeden konnte ihnen eine Zeitlang ungarische Pässe verschaffen, mit denen sie zu Fuß über Österreich nach Ungarn gingen.
Andere Juden wiederum “tauchten unter”, das heißt, sie versteckten sich in Berlin oder in der nächsten Umgebung und lebten “illegal” bei Freunden. Sie hatten dann aber keine Lebensmittelkarten und waren immer in Gefahr, denunziert, erkannt oder bei einer Razzia gefaßt zu werden. Für diese “getauchten Juden” gab ich alles erübrigte Brot an Gloedens, die hatten Verwendung für jedes Stück. Wenn ich zu ihnen zum Bridgespielen fuhr, hatte ich immer ein Paket Brot oder auch Brotmarken bei mir. Das war damals nicht so schwer zu machen, denn die Versorgung war noch recht reichlich.

Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 versteckten die Gloedens Fritz Lindemann. Lindemann war ein General der Artillerie, der an der Niederschlagung der Düsseldorfer Räterepublik 1918 beteiligt war und 1938 in die NSDAP eingetreten war. Mit Fortschreiten des Krieges nahmen seine Zweifel am Regime zu und er beteiligte sich aktiv an den Vorbereitungen zu dem Attentat auf Hitler am 20. Juli. Nach dessen Scheitern wurde er in verschiedenen Wohnungen versteckt, u.a. sechs Wochen bei Elisabeth und Erich Gloeden in der Kastanienallee 23 in Westend. Lindemann wurde verraten und bei seiner Verhaftung durch Schussverletzungen so schwer verletzt, dass er an den Folgen starb. Erich und Elisabeth Gloeden wurden einschließlich ihrer Mutter verhaftet und vor den Volksgerichtshof gestellt. Alle drei wurden zum Tod durch Enthauptung verurteilt.
Am 4.10.2010 wurde für die drei ein Stolperstein in der Kastanienallee 23 verlegt.

Station 10: Heckerdamm

Der Heckerdamm wurde 1950 nach dem Architekten Oswald Hecker (1869-1921) benannt. Dieser plante und baute den Ost- und den Westhafen von Berlin.

Station 11: Heckerdamm 221: Helmuth-James-von-Moltke-Grundschule

Die Grundschule wurde 1966 benannt nach dem 1907 in Kreisau (Schlesien) geborenen Juristen, Landwirt und Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke. Er war Gründer und Mittelpunkt des Kreisauer Kreises und wurde am 23.1.1945 in Plötzensee hingerichtet. Bekannt wurden seine letzten Briefe aus dem Gefängnis Tege. l.Am 11.3.1966, dem 59.Geburtstag Moltkes, wurde die Schule feierlich eröffnet, sein Sohn Konrad von Moltke enthüllte das Portrait seines Vaters an der Gedenkwand.

Station 13: Heckerdamm 226: Evangelisches Gemeindezentrum Plötzense

Ich danke der Kirchengemeinde Charlottenburg-Nord, dass sie uns eingeladen hat, das Evangelische Gemeindezentrum Plötzensee hier am Heckerdamm zu besuchen. Herr Pfarrer Maillard hat sich Zeit genommen, uns das Gemeindezentrum zu zeigen. Herzlichen Dank dafür.
Das Evangelische Gemeindezentrum Plötzensee am Heckerdamm 226 wurde 1968-70 von Gerd Neumann, Dietmar Grötzebach und Günther Plessow als Vierflügelanlage. Der Kirchentrakt wurde weitgehend in Stahlbeton gebaut, die übrigen Gebäude als Mauerwerk. Der Kirchensaal ist ein Zentralbau über einem quadratischen Grundriss mit zentriertem Altar und tribünenartig ansteigenden Bankreihen. Ein zunächst geplanter frei stehender Glockenturm wurde nicht gebaut. Deshalb vereinbarte die Gemeinde mit der benachbarten katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum, den dortigen Turm gemeinsam als ökumenischen Glockenturm zu nutzen. In der Kirche befindet sich eine Figur des Salvator Mundi, auf Deutsch Retter und Heiland der Welt, aus dem 14. Jahrhundert, die aus einer zerstörten Kirche gerettet wurde. Die 16 Tafeln des Plötzenseer Totentanzes wurden zwischen 1968 und 1972von Alfred Hrdlicka geschaffen und erinnern an die in Plötzensee Ermordeten, darunter, wie wir inzwischen wissen, Johanna Kirchner, Elisabeth Gloeden, Marie Terwiel und viele andere. Die Hinrichtungsdarstellungen sind verbunden mit biblischen und gegenwartsbezogenen Themen und motivisch verknüpft mit der Hinrichtungsstätte Plötzensee. Die Kirche der evangelischen Kirchengemeinde Charlottenburg-Nord erhält dadurch die Bedeutung eines Mahnmals.

[Nun übergebe ich das Wort an Pfarrer Maillard]
[Vielen Dank, Herr Maillard!]

Gedenkkirche Maria Regina Martyrum und Karmel-Kloster, 14.03.2015

Station 14: Heckerdamm 230-232: Gedenkkirche Maria Regina Martyrum und Karmel-Kloster

Ich freue mich sehr, dass die Schwesternschaft des Karmel-Klosters uns eingeladen hat, ihre Kirche Maria Regina Martyrum zu besichtigen und dass Schwester Maria Theresia sich die Zeit genommen hat, uns ihre Kirche zu zeigen und zu erläutern. Herzlichen Dank dafür.
Die katholische Kirche Maria Regina Martyrum wurde 1960 bis 1963 von den Würzburger Architekten Hans Schädel und Friedrich Ebert gebaut und am 5. Mai 1963 zur “Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit aus den Jahren 1933-1945” geweiht. Seither ist Maria Regina Martyrum die zentrale Gedächtniskirche der deutschen Katholiken für die Opfer des Nationalsozialismus.
Der zweigeschossige verblendete Stahlbetonbau enthält eine Oberkirche mit Tauf- und Beichtkapelle und einen kryptaartigen Gedenk- und Andachtsraum zu ebener Erde. Im Feierhof gibt es einen Kreuzweg und einen Freialtar. Der Eckturm erinnert an einen KZ-Wachturm, und der Hof wirkt mit seiner Betonarchitektur wie ein Appellhofplatz.
Eine vergoldete Marien-Plastik von Fritz König über dem Eingang weist auf den Namen der Gedenkstätte hin. In der Kirche gibt es zahlreiche Skulpturen, unter anderem eine Sitzende Madonna aus dem 14. Jahrhundert aus Südfrankreich. Im Gedenkraum der “Märtyrer für Glaubens- und Gewissensfreiheit” erinnert eine Pietà (Mutter mit dem toten Sohn) ebenfalls von Fritz König an die Trauer der Mütter über ihre im Krieg verlorenen Kinder. Vier Bodenplatten mahnen mit Inschriften zum Gedenken an Opfer der NS-Gewaltherrschaft.Hier befindet sich auch das Grab des 1934 von den Nationalsozialisten erschossenen Leiters der Katholischen Aktion, Erich Klausener, und eine Gedenkstätte für Bernhard Lichtenberg. Den fensterlosen, nur mit indirektem Tageslicht erhellten Andachtssaal der Oberkirche beherrscht ein großes Altarwandbild von Georg Meistermann.
12 Schwestern aus dem 1964 in Dachau gegründeten Karmel-Kloster “Heilig Blut” gründeten am 29.5.1982 das Kloster Karmel Regina Martyrum. 1983-84 baute Theo Wieland den neuen Wohntrakt und das Gemeinschaftshaus für das Kloster. Außerdem wurde ein älteres Gemeindehauses auf dem Gelände der Kirche umgebaut. Wie auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau beschäftigen sich auch die Ordensschwestern in Berlin mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Das Kloster weist also auf den Zusammenhang zwischen dem KZ Dachau und der Hinrichtungsstätte Plötzensee hin. Die Pfarrei Maria Regina Martyrum wurde 1982 zugunsten des Klosters aufgegeben.
[Vielen Dank für die interessante Einführung.]

Wie Sie vielleicht wissen, gehört Charlottenburg-Wilmersdorf seit dem 9.6.2011 zu den 314 Fairtrade-Towns. Darauf sind wir sehr stolz. Frau Marlene Cieschinger, die ich hier ganz herzlich begrüße, wird Ihnen aus Anlass des Internationalen Frauentages heute Blumen aus Fairtrade-Projekten mit auf den Nachhauseweg geben. Zuvor wird sie Ihnen aber die Projekte vorstellen.
[Ich übergebe das Wort an Frau Cieschinger.]