Auszug - Die Kosten- und Leistungsrechnung - Garant für Wettbewerb und Leistungskürzung?  

 
 
42. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin
TOP: Ö 8.2
Gremium: Bezirksverordnetenversammlung Beschlussart: erledigt
Datum: Do, 20.05.2010 Status: öffentlich
Zeit: 16:30 - 22:00 Anlass: ordentliche Sitzung
1746/3 Die Kosten- und Leistungsrechnung - Garant für Wettbewerb und Leistungskürzung?
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Grüne/SPD 
Verfasser:Ludwig/Wendt/Verrycken 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
 
Beschluss

Zur Beantwortung Frau BzBm’in Thiemen:

Zur Beantwortung Frau BzBm’in Thiemen:

 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich beantworte für das Bezirksamt die Große Anfrage zur Kosten- und Leistungsrechnung  wie folgt:

 

Zu 1.

Die Beurteilung des Bezirksamtes zur gegenwärtigen Globalsummenbemessung ist unverändert. Bereits zur Haushaltsplanaufstellung 2008/2009 hat das Bezirksamt darauf aufmerksam gemacht, dass die Ermittlung der bezirklichen Zuweisungssumme auf Basis der KLR-Daten und die vorgenommenen kameralen Eingriffe nicht zusammenpassen. Es ist nach wie vor so, dass bei Einhaltung aller Leitlinien, Zielbudget- und Mindestveranschlagungsvorgaben nicht mehr genug Mittel zur Verfügung stehen, um die bisherigen Aufgaben im vollen Umfang zu erledigen bzw. bestehende Einrichtungen aufrecht zu erhalten.

Bereits bei der Haushaltsplanaufstellung wurde ein Betrag von rund 15 Mio. Euro genannt, der für eine annähernde Auskömmlichkeit zusätzlich benötigt wird. Daran hat sich, wie sich das isolierte Jahresergebnis 2009 erneut bestätigt, nichts geändert. Insofern kann von einer Auskömmlichkeit nicht die Rede sein. Nicht verkannt werden soll hier aber die finanzielle Gesamtsituation des Landes Berlin. Es ist für mich nachvollziehbar, dass die Senatsverwaltung für Finanzen nicht mehr in der Lage ist, auskömmliche Mittel für die Bezirkshaushalte bereitzustellen. Auf bezirkspezifische Besonderheiten wird aufgrund der Finanzlage Berlins kaum noch durch die Landesebene Rücksicht genommen. Insofern ist es gut, wenn die Kosten- und Leistungsrechnung einen Vergleich zwischen den Bezirken ermöglicht. Für die Finanzmittelzuweisung ist sie jedoch meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Finanzmittelzuweisungen müssen weniger kompliziert und für jeden nachvollziehbar sein. Erst dann haben wir auch die gewünschte Transparenz,  an der es augenblicklich fehlt. Gleichwohl, so meine und befürchte ich, wird es dadurch nicht mehr Geld geben.

 

Zu 2.

Die kalkulatorischen bzw. budgetunwirksamen Kosten, d. h. die kalkulatorischen Gebäudekosten des landeseigenen Fachvermögens, die kalkulatorischen Pensionszuschläge und die kalkulatorischen Zinsen auf Immobilien werden seit Einführung der KLR orientiert an der Medianbudgetierung mathematisch berücksichtigt, ohne das hierfür eine Finanzzuweisung erfolgte. Ab dem Jahr 2010 werden die kalkulatorischen Kosten der Bezirke erstmals auch im Haushalt nachgewiesen, nachgewiesen durch die sogenannte Pagatorisierung. Die Bezirke leisten dabei eine kamerale Verrechnung in Höhe ihrer bisherigen kalkulatorischen Kosten an den Landeshaushalt. Im Gegenzug erhalten sie einen Plafonds, in dem diese kalkulatorischen Bestandsteile berücksichtigt sind. Die konkreten Auswirkungen auf das Haushaltsvolumen der Bezirke sind zwar durch die Pagatorisierung beträchtlich, die reale Auswirkung ist aber z. Z. marginal. Was aber die Bezirke, insbesondere unseren Bezirk nach wie vor gravierend belastet, sind die Gebäude mit hohen Wiederbeschaffungswerten, in denen die Dienstleistungen gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern erbracht werden. Unser Rathaus Charlottenburg in der Otto-Suhr-Allee hat allein einen Wiederbeschaffungswert von rund 167 Mio. Euro. Mit diesem Betrag ist dieses Rathaus das wertvollste Gebäude aller zwölf  Bezirke. Trotz dieses hohen Wiederbeschaffungswertes ist eine Aufgabe des Rathauses Charlottenburg bisher nicht angedacht, da Bürofläche des Rathauses im Augenblick für die Bezirksverwaltung gebraucht wird, müsste an anderer Stelle Bürofläche angemietet werden. Dies würde eine Ausgabe bedeuten. Die Aufgabe des Rathauses selbst würde zu einer Verringerung der Ausgabenfelder A08 und A02 – Hochbauunterhaltung – führen. Eine Kostenberechnung habe ich an dieser Stelle nicht vornehmen lassen. Ich will vielmehr erneut darauf hinweisen, dass Charlottenburg-Wilmersdorf die höchsten bezirklichen Bauwerte in der Anlagenbuchhaltung hat. Deshalb hat das Bezirksamt, unabhängig von allen früheren Initiativen gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen bzgl. der Bewertung von Schulgebäuden eine Arbeitsgruppe eingesetzt, bestehend aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Serviceeinheiten Immobilien und Steuerungsdienst, die nun systematisch die Bauwerte aller Gebäude des Fachvermögens überprüft.

 

Zu 3.

Eine Definition von Qualitätsstandards hat mit der Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung nicht stattgefunden. Infolge dessen ist auch die Reduzierung qualitativer Standards bezirklicher Angebote nicht präzise oder detailliert nachweisbar. So ist z. B. lediglich für Jeden ersichtlich, dass die bezirklichen Grünflächen mit zunehmend weniger Bearbeitungsfrequenzen gepflegt werden. Qualitätsstandards waren aber nie festgelegt. Ich meine eher, dass nicht die Kosten- und Leistungsrechnung daran Schuld trägt, sondern die Kürzung der Finanzmittelzuweisung insgesamt. Nicht unerwähnt lassen möchte ich an dieser Stelle, dass unser Bezirk auch durch ein reduzierte Finanzmittelzuweisung infolge des Wertausgleichs belastet wird. Dieser Wertausgleich ist aber der politischen Willensbildung im Abgeordnetenhaus von Berlin geschuldet.

 

Zu 4.

Nach der gemeinsamen Ausführungsvorschrift über die Durchführung von Maßnahmen zum Kinderschutz in den Jugend- und Gesundheitsämtern der Bezirksämter des Landes Berlin sind die bezirklichen Gesundheitsämter verpflichtet, in der Regel nach jeder Geburt eines ersten Kindes und im übrigen, wenn Risikoindikatoren vorliegen, eine Ersthausbesuch zu machen. Im Bezirk Neukölln werden Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten für Ersthausbesuche eingesetzt, d. h. für originäre sozialpädagogische Tätigkeiten. Der Ersthausbesuch ist eine wichtige Maßnahme, gerade in der Arbeit mit schwierigen Familien. Dieser erste Schritt über die Schwelle und die sich daraus ergebene Beziehung sind eine wesentliche Grundlage für die weitere Zusammenarbeit im Interesse eines bzw. des Kindes.

 

Aus diesem Grund wurde dem Ersthausbesuch auch in der AV-Kinderschutz eine hohe Bedeutung zugeschrieben. Zu einem frühen Zeitpunkt können kindeswohlgefährdende Familienkonstellationen erkannt und in eine fachliche Begleitung weitergeführt werden. Oftmals ist ein Sehen und Erkennen von Risikofaktoren sehr subtil und erfordert entsprechend eigenständiges fachliches Handeln bereits beim Ersthausbesuch.

Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen verfügen aufgrund ihrer Ausbildung über die erforderlichen methodischen Kenntnisse und Erfahrungen einschl. der gesetzlichen Grundlagen. Der Einsatz von Physiotherapeuten bzw. Physiotherapeutinnen bei Ersthausbesuchen bedeutet unserer Auffassung nach in Charlottenburg-Wilmersdorf einen Abbau von Qualitätsstandards.

Den Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen wird eine hohe persönliche und berufsfremde Verantwortung übertragen, offenbar nur weil sie kostengünstiger sind, als Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. Den Eltern eines Neugeborenen wird hingegen eine Fachlichkeit vorgegaukelt, die so nicht gegeben ist.

Das Sparen an Kindern lehnt das Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf ab. Dem Bezirksamt ist im übrigen nicht bekannt, ob der Senat tätig geworden ist, um das Vorgehen in Neukölln zu unterbinden und der Rat der Bürgermeister ist dazu nicht das geeignete Gremium.

 

Zu 5.

Das Bezirksamt widerspricht der der Frage zugrunde liegenden These der "Einstellung der Arbeiten an einem Modelljugendamt".

Zu dem am 1. Juli 2009 vorgelegten Gutachten zur Personalausstattung sozialräumlich organisierter Jugendämter sind eine Vielzahl umfangreicher Stellungnahmen erstellt worden und die Bezirksstadträte und -stadträtinnen für Jugend haben sich in mehreren Klausurtagungen zusammen mit der Senatsfachverwaltung auf eine gemeinsame Erklärung über das weitere Vorgehen verständigt.

Der Staatssekretärsausschuss zur Verwaltungsmodernisierung hat der Lenkungsgruppe des Projekts, die am 21. Mai 2010, also Morgen tagen, wird, mit auf den Weg gegeben, beim Antrag für das Folgeprojekt zur Umsetzung der Ergebnisse des Gutachtens einen engen Zusammenhang zur Ermittlung von Personalzielzahlen für die Berliner Verwaltung durch die Senatsverwaltung für Finanzen herzustellen.

Diese Vorstellung wird die Lenkungsgruppe berücksichtigen, so dass einer Beschlussfassung des genannten Staatssekretärsausschusses am 14. Juni 2010 möglichst nichts im Wege steht.

Die Senatsfachverwaltung und die Bezirke in ihrer überwiegenden Mehrheit gehen nach wie vor davon aus, dass die Realisierung verbindlicher Mindeststandards zum Personalvolumen und seiner fortschreibungsfähigen Bemessung zur Aufrechterhaltung der sozialpädagogischen Fachbehörde Jugendamt als außerordentlich wichtig erachtet wird.

Insofern kann aus dem bisherigen Zwischenstand auch nicht geschlossen werden, dass das Land Berlin entgegen seiner Aussagen zum Netzwerk Kinderschutz sich bereits jetzt von einer aufgabenadäquaten Personalausstattung der bezirklichen Jugendämter und deren Finanzierung verabschiedet hat.

 

Nun zum Modellgesundheitsamt:

Für das Jahr 2013 wurde vom Hauptausschuss ein Personalbedarf von insgesamt 1.905 Stellen für den ÖGD (öffentlicher Gesundheitsdienst) als Mustergesundheitsamt festgeschrieben, mit denen die gesetzlichen Aufgaben des ÖGD im Land Berlin realisiert werden sollen.

Mit der Entscheidung der Senatsverwaltung für Finanzen, keinen eigenen Einstellungskorridor für den ÖGD zuzulassen, ist es nicht realistisch, diese Zielzahlen zu erreichen, zumal in den nächsten Jahren aufgrund der Altersstruktur mit erheblichen Personalabgängen zu rechnen und medizinisches Fachpersonal seit Jahren im Zentralen Stellenmanagement (ZeP) nicht mehr vorhanden ist.

Zur Lösung des Problems wurde nun von der Senatsverwaltung für Gesundheit vorgeschlagen, durch eine Zielvereinbarung zwischen den Bezirksämtern, der Senatsverwaltung und der Senatsverwaltung für Finanzen zu gewährleisten, dass die im öffentlichen Gesundheitsdienst benötigten Stellen vorrangig in jedem Bezirksamt besetzt werden, d.h. dass im Extremfall das gesamte Einstellungskontingent, was jeder Bezirk hat, mit Außeneinstellungsgenehmigungen für das Gesundheitsamt genutzt wird. Das würde aber bedeuten, wenn die Stellen aufgebraucht sind, können andere Abteilungen keine Außeneinstellungen mehr vornehmen.

 

Unter diesen Bedingungen ist das Mustergesundheitsamt derzeit nicht realisierbar. Was bleibt ist die Hoffnung auf den Bezirkskongress am 16. Juni, der sich mit der Personalsituation in den Berliner Bezirken beschäftigen wird und die Hoffnung auf eine bessere finanzielle Situation in den Haushaltsjahren 2012 und 2013 und abschließend: Das Mustergesundheitsamt ist ein gutes Beispiel für die nicht aufgabengerechte Finanzierung der Berliner Bezirke.

 

 

 
 

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