Ein Spaziergang durch die Gartenstadt Neu-Tempelhof

Unseren Spaziergang durch die Gartenstadt beginnen wir am S-Bahnhof Tempelhof. Wer sich der Siedlung von Südosten nähert, steht vor der repräsentativsten Eingangssituation der Siedlung (A):

Das viergeschossige Portalgebäude, welches die Manfred-von-Richthofen-Straße überspannt und die Gartenstadt von dem ihr vorgelagerten Platz trennt. Ursprünglich war dieser Bau mit einem geöffneten Türmchen bekrönt. Es gestattete einen Ausblick auf den Flugplatz Tempelhof und über die Gartenstadt. Die gesamte Eingangssituation erinnert spontan an ein Stadttor.

Durch einen der vier Rundbögen des Torhauses betritt man die Gartenstadt und lässt den Stadtverkehr hinter sich. Wie in einer Oase der Ruhe und Natur fühlt man sich angekommen.

Wir folgen der Manfred-von-Richthofen-Straße (B). Sie stellt eine der beiden Hauptachsen der Gartenstadt dar. Im Adolf-Scheidt-Platz kreuzt sie die andere Siedlungsachse, die Paradestraße, und macht somit den Adolf-Scheidt-Platz zum zentralen Siedlungsmittelpunkt.

Doch zum Adolf-Scheidt-Platz wird uns der Spaziergang noch hinführen. Erst einmal folgen wir der Manfred-von Richthofen-Straße, deren bewachsener Mittelstreifen den idyllischen Siedlungscharakter unterstreicht. Trotz der überwiegend unveränderten Einheitlichkeit des Städtebaus wurde die Architektur an vielen Stellen der Siedlung individuell überformt. Diese Überformungen begannen nach dem 2. Weltkrieg, als jeder bemüht war, sein zerstörtes Haus mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wieder bewohnbar zu machen. Der Wunsch, sein Eigenheim individuell zu gestalten, kam später hinzu.

Wer Lust hat, entdeckt die Bauten aus der zweiten Hälfte der 20er Jahre südlich der Manfred-von-Richthofen-Straße, biegt in den Thyring © ein und erreicht über die Hoeppnerstraße und die Wiesenerstraße wieder die Manfred-von-Richthofen-Straße. Die Reihenhäuser wurden hier dreigeschossig errichtet, also mit dem Keller in der Erdgeschosszone, da bereits bei vorangegangenen Bauabschnitten die Erfahrung gemacht wurde, dass das Grundwasser wegen des lehmhaltigen Bodens, in unterirdische Kellern zu leicht eindrang.

Beim genauen Betrachten der Siedlung ist auffällig, mit wie wenigen Gestaltungsmitteln ein derart abwechslungsreicher Straßenraum geschaffen wurde. Durch das leichte Zurücksetzen einzelner Bauten öffnet sich die Straße zu einem Platz. Dieser raumbildende Städtebau ist typisch für Gartenstädte und findet sich immer wieder in der Siedlung Neu-Tempelhof. Der Wechsel von Reihen- und Doppelhäusern Zu den architektonischen Gestaltungselementen, die den einzelnen Häusern und Straßenzügen ein unverwechselbares Erscheinungsbild gaben, gehörten die ursprünglichen Sprossenfenster unterschiedlicher Größe und Anordnung, Tür- und Fensterrahmungen sowie Gesimse und andere Stuckelemente. Man findet auch vor- und zurückspringende Fassaden, kleine Erkerchen und Putten. Achten sie bei Ihrem Spaziergang auf diese originalen Details und Sie werden sehen, wie wichtig sie für das “Gesicht” eines Hauses sind.
Von besonderer stadtbildprägender Wirkung war die klare und harmonische Farb- und Putzgestaltung der Siedlung. Die aus dieser Zeit typische Verwendung von Naturtönen (insbesondere ocker, rötlich, beige, braun, aber auch weiß) mit entsprechenden farblichen und strukturelle Absetzungen bei Faschen, Gesimsen und Stuck ergänzte sich mit dem prägenden Grün der reichlich bepflanzten Gartenstadt zu einer Einheit. Die einheitliche Farbgestaltung ist wie andere architektonische Gestaltungsmerkmale im Laufe der Jahrzehnte verloren gegangen und es wird ebenfalls viele Jahre dauern, bis sie wieder in der ganzen Siedlung prägend sein wird.

An dieser Stelle sei noch kurz aus einer Fachzeitschrift aus den 20 er Jahren zitiert: “Es ist jedoch durch verschiedene Breiten der Vorgärten und dadurch, dass an einzelnen Stellen die Nutzgärten bis zu 12 m Tiefe der Hausfronten gelegt wurden, eine rhythmische Folge wechselvoller Straßenräume angestrebt worden, deren Kontrast durch einheitlichen Anstrich der einzelnen Räume noch weiter unterstrichen wird.” (Deutsche Bauzeitung 30. April 1924, s. 186 ‚Die Siedlung auf der Westseite des Tempelhofer Feldes in Berlin’).

Zurück auf der Manfred-von-Richthofen-Straße erreicht man bald den Rumeyplan (D), einen Teil des Parkgürtels, der hufeisenförmig in das Gebiet eingebettet liegt.

Hier bietet sich ein kleiner Abstecher nach rechts in den Parkgürtel an, um die Architektur und die Raumgestaltung der angrenzenden Bebauung auf sich wirken lassen. Zwischen den Bauten Rumeyplan 11 und 13 sowie 14 und 16 beginnen die sogenannten Dungwege.

Hier, wie auch vielerorts in der Siedlung, wurde der Eingang zu diesem sich im Blockinneren verzweigenden Wegenetz, durch einen Torbogen betont. Die Dungwege dienten als rückwärtige Erschließung der Gärten. Sie wurden aber ebenso als Spazierwege und Spielplätze genutzt. Auch der Eismann hatte diese Wege in seine Route fest eingeplant.

Wieder zurück an der Manfred-von-Richthofen-Straße, geht es in Richtung Norden an rhythmisch sich abwechselnden Doppel- und Reihenhäusern (E) vorbei (rechte Straßenseite). Die linke, westliche Straßenseite wurde erst ca. vier Jahre später bebaut. Wie für die letzten beiden Bauabschnitte typisch, wurden, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur großzügige Doppelhäuser (F) errichtet. Mit der Vergrößerung der Wohnfläche trug man Erfahrungen aus den ersten Bauabschnitten Rechnung. Die ersten Häuser, kurz nach dem 1. Weltkrieg und der Inflation errichtet, waren kleiner und kostengünstiger konzipiert. Durch Umbaumaßnahmen musste hier zusätzlich benötigter Wohnraum geschaffen werden. Die Nachfrage nach und ein entsprechendes Angebot von angemessener Wohnfläche stieg im Verhältnis zum wirtschaftlichen Aufschwung. Warum noch 1930/31, nach der Weltwirtschaftkrise, also zu einem Zeitpunkt als in Marienfelde die erste Berliner Stadtrandsiedlung mit Kleinsthäusern entstand, die großzügigen Gebäude in Neu-Tempelhof noch genehmigt und errichtet wurden, ist nicht bekannt. Erklären lässt sich dies nur mit einer bereits im Vorfeld abgesicherten Finanzierung durch den Träger der Siedlung.

Nun erreichen wir den schon oben erwähnten Adolf-Scheidt-Platz (G). Wer Zeit hat, sollte ihn in Ruhe umrunden, um das Wechselspiel von Symmetrie und Vielfalt wahrnehmen zu können. Auch hier wurde die östliche Bebauung 1924/25 errichtet und die westliche vier Jahre später. Beachtenswert ist der 1931 von Ernst Seeger entworfene “Storchenbrunnen”, welcher auf den damaligen Kinderreichtum in der Siedlung hinweist. Die Siedlung war nicht nur, wie in Verkaufsbroschüren beschrieben, kinderfreundlich, sondern wurde auch von wohlhabenden Familien mit Kindern gerne nachgefragt.

Wer sich mit Neu-Tempelhofern unterhält, die in ihre Kindheit die Entstehung der Siedlung miterlebt hatten, wird vieles über die Siedlung als politisches und intellektuelles Zentrum Tempelhofs während dieser Zeit erfahren.

Der Spaziergang setzt sich über die Paradestraße, der zweiten Siedlungsachse, in Richtung Osten fort.

Der Bundesring, den man bald überquert, ist Teil des Parkgürtels und stellt die Klammer des hufeisenförmigen Grünzuges dar.Bildvergrößerung

Zwischen Leonhardyweg und Kleineweg befand sich ein kleines Einkaufsgebiet (H). Leider erahnt man die ehemaligen Läden mit ihren großen Schaufenstern, hinter den Arkardenbögen gelegen, nur noch vage.

Aber auch hier ist der gebaute Stadtraum trotz individueller Überformungen gut erlebbar geblieben:

Torbögen und platzartige Erweiterungen kennzeichnen das ehemalige “Einkaufszentrum” der Gartenstadt Neu-Tempelhof.

Östlich des Bundesringes befindet sich der Spaziergänger im Bereich der ersten beiden Bauabschnitte der Gartenstadt (J), zwischen 1920/22 konzipiert und errichtet. Folgt man nun dem Kleineweg in Richtung Süden erkennt man, dass die Reihenhäuser hier deutlich kleiner und bescheidener wirken, als die Reihen- und Doppelhäuser der späteren Bauabschnitte, an denen unserer Weg bereits vorbei geführt hat. Die Reihenhäuser der ersten Bauabschnitte verfügten teilweise noch über kleine, rückwärtige Stallanbauten. Schauen wir nun, unseren Weg in Richtung Süden fortsetzend, nach links, erkennen wir hinter den Reihenhäusern die Wohnanlage am Tempelhofer Damm, welche hier die Gartenstadt vom Tempelhofer Damm abschirmt. Wie eine Stadtmauer sah das ursprüngliche Konzept eine Geschosswohnungsanlage vor, die die ganze Gartenstadt umschließen sollte.

Der Kleineweg mündet wieder in der Manfred-von-Richthofen-Straße. Linkerhand sehen wir wieder das Torhaus und gelangen zum S-Bahnhof zurück.